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Büsst Carlo Ancelotti für den dipitus impudicus?

Guido Tognoni am Donnerstag den 23. Februar 2017

Bayern Münchens Trainer verleiht dem Stinkefinger neuen Schub. Foto: Matthias Schrader (Keystone)

Der Mittelfinger hat höchstens bei Konzertpianisten, Gitarristen und Stargeigern die gleiche monumentale Bedeutung wie im Fussball. Dort darf jeder die Daumen hochhalten, mit dem Zeigefinger drohen oder loben, oder den kleinen Finger dem Gegner in die Nase stecken. Aber Mittelfinger geht nicht. Richtige Berühmtheit erlangte der Mittelfinger zwar erst durch eine Geste des früheren deutschen Mittelfeldstrategen Stefan Effenberg, der nach dem offenbar sport-ethisch unsachgemässen Gebrauch von Bundestrainer Berti Vogts von der WM-Endrunde 1994 aus den USA nach Hause verbannt worden ist. Effenberg machte den Mittelfinger unter dem Titel Stinkefinger weltweit populär.

Angesichts solcher Bedeutung musste sich auch der Duden dieses Begriffs annehmen. Das Wort Stinkefinger ist gemäss Duden maskulin (als der Stinkefinger), logischerweise ein Substantiv, und die Ehre, in den Duden aufgenommen zu werden, erfuhr der Stinkefinger im Jahr 1996. Als Synonym gibt der Duden einzig «Mittelfinger» an, und wer in der Sprachbibel blättert, stösst alphabetisch vor dem Stinkefinger auf Stinkbock, Stinkbombe und Stinkdrüse. Der Schluss ist erlaubt, dass alle Begriffe zumindest nicht positiv besetzt sind.

Der Stinkefinger – beleidigend und obszön

Und nun also Carlo Ancelotti, der Trainer von Bayern München. Er verleiht dem Stinkefinger neuen Schub. Der ansonsten überaus besonnene Italiener gibt zu, den Stinkefinger erhoben zu haben, und zwar, weil er nach der turbulenten Schlussphase des Spiels Hertha Berlin – Bayern München, das wie üblich erst mit einem Torerfolg der Münchner zu Ende ging, auf dem Weg in die Kabine bespuckt worden sei. Entdeckt wurde dieser Frevel am sittlichen Benehmen nur durch eine der zahllosen Kameras, die in Deutschland Fussballspiele begleiten.

Hat Carlo Ancelotti im politisch korrekten Deutschland und im politisch noch korrekteren Deutschen Fussball-Bund eine Chance, straflos bespuckt zu werden? Das ist fraglich. Ein Trainer namens Norbert Düwel aus Berlin wurde einst vom DFB für einen Stinkefinger mit 3500 Euro gebüsst, es liegt also nebst Stefan Effenberg ein weiterer Präzedenzfall vor. Und auf Wikipedia, wo dem Stinkefinger (lateinisch: dipitus impudicus, italienisch: dito medio, englisch: fuckfinger) ein ansehnliches Kapitel samt Skizzen des korrekten Gebrauchs gewidmet wird, lernt man zwar, dass der gestreckte Mittelfinger «häufig» als beleidigende Geste verwendet wird, aber leider nicht in Deutschland. Da gilt der Stinkefinger immer als obszön, zumal der gestreckte Mittelfinger bei den Griechen und Römern einen erigierten Penis dargestellt haben soll.

Carlo Ancelotti hätte den Ringfinger strecken müssen.

Guido Tognoni

Guido Tognoni

Als Ersatzspieler des FC Davos (3. Liga, untere Tabellenhälfte) erzielte er im Schneetreiben von Tavanasa vor einigen Jahrzehnten sein einziges Meisterschaftstor. Danach stieg er trainingsfrei mit dem FC Tages-Anzeiger in die höchste Firmenfussballklasse auf und hoffte meist vergeblich, dass seine Laserflanken zu Treffern führen würden. Da sein Talent auf dem Rasen nicht erkannt wurde, arbeitete er 15 Jahre an den Schreibtischen der Fifa und Uefa.

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