
Die Fussball-WM 2022 ist etwas in Vergessenheit geraten: Baustelle des Khalifa International Stadium in Doha. Foto: Naseem Zeitoon (Reuters)
Dieser Tage wurde im Wüstensprengel Katar eine historische Tiefsttemperatur gemessen: 1,5 Grad Celsius, die niedrigste Temperatur seit Menschengedenken. Diesem klimatischen Ausreisser, den die Zweifler an der Erderwärmung ebenso bejubeln wie den kalten Januar in der Schweiz, entspricht im Emirat auch die Konjunktur. Sie hat sich in jüngster Zeit derart abgekühlt, dass es in Katar erstmals seit Beginn des Aufstiegs zum weltweiten Wirtschaftsfaktor Entlassungen gibt. Es ist kein Geld mehr vorhanden für zahllose Kongresse über belanglose Themen, nichts mehr für allerlei Verrücktheiten, die Banken sind trocken wie der Wüstensand, und selbst für das Grossprojekt Fussball-WM 2022 wird das Geld nicht mehr mit dem Feuerwehrschlauch ausgegeben. Man kann es auch so sehen: Katar lernt den Umgang mit wirtschaftlicher Vernunft. Das bisherige Überfluss-Paradies wird daran sicher nicht zerbrechen. Es gibt weiterhin Erdöl, und es wird noch sehr lange Erdgas geben.
Zurück zum Fussball: Es sind schon mehr als sechs Jahre vergangen seit dem bizarren Entscheid der Fifa, die WM-Endrunde 2022 in die Wüste zu vergeben. Und es ist ebenfalls sechs Jahre her, seit die Herren des Exekutivkomitees gleich nach der Abstimmung gemerkt haben, dass es Sommer in Katar ziemlich heiss ist. Die Mehrzahl der damaligen Entscheidungsträger ist – aus meist wenig rühmlichen Gründen – nicht mehr dabei, darunter der damalige Präsident Sepp Blatter, der zwar jahrelang mit dem Emir schäkerte, aber nicht für Katar stimmte, und Michel Platini, der als Einziger zugab, dass er den Stimmzettel für Katar einwarf, und dafür auch ausreichend Prügel bezog. Der frühere Spieler Platini war es auch, der sogleich die gloriose Idee aufbrachte, die WM-Endrunde in den Winter zu verlegen.
Bleibt das so? Unter dem aggressiven Polit-Marketing, das gegen Katar (aber nicht etwa gegen das viel repressivere Saudiarabien) seither betrieben wird, und unter der Ankündigung der Massen-Endrunden ab 2026 ist die Datumsfrage in den Hintergrund gerückt. Die seinerzeit lautstark lamentierenden Clubs wurden von Sepp Blatter mit einem Zahlungsversprechen von über 200 Millionen Franken besänftigt – der Vereinsverhandler Karl-Heinz Rummenigge nannte dieses Ergebnis konstruktiv.
Das Problem bleibt allerdings ungelöst: Spätestens, wenn die grossen Ligen sich ernsthaft bewusst werden, was ein mehrwöchiger Unterbruch der Meisterschaften im November und Dezember für ein Chaos hervorruft, ist mit Radau zu rechnen. Der Daten-Tsunami ist vorauszusehen, Sponsoren und Fernsehen werden sich einmischen. Der erfolglose Fifa-Präsidentschafskandidat Jérôme Champagne, ein Kenner des Fussballs, hätte im Falle seiner Wahl das Thema sogleich aufgegriffen. Gewählt wurde bekanntlich Gianni Infantino. Er ist in dieser Frage unbelastet. Dennoch sollte er sie aufgreifen. Selbst die Fifa schaut mittlerweile aufs Geld. Mit einer WM im Frühsommer könnte sich Infantino das 200-Millionen-Versprechen seines Vorgängers ersparen. Und einige weitere Probleme dazu.
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