Der Teenie in mir
Wie geht Vergnügen, wenn man nicht mehr ganz jung ist? Wie verändern sich Sex-Appeal, Dating, Flirting und der eigene Style? Michèle Binswanger und Wäis Kiani schreiben hier über die Kunst des Erwachsenwerdens. Wir freuen uns über die Lancierung dieses neuen Blogs und wünschen viel Spass beim Lesen! Die Redaktion
Dies ist kein Generationentext, ich habe dieses Genre immer gehasst. Laut meinem Jahrgang gehöre ich zur Generation X, aber ich habe keine Ahnung, was das für mich bedeuten soll. Für mein Leben entscheidend war, vor dreissig Kinder zu kriegen und viel zu arbeiten. Dann kam die Trennung vom Vater der Kinder. Es sind die beiden Ereignisse in meinem Erwachsenenleben, die mich entscheidend geprägt haben.
Eine Trennung, in die Kinder involviert sind, geht selten besonders gesittet vonstatten. Mein Ex-Mann machte mir viele Vorwürfe und einer davon lautete: Du willst nicht erwachsen werden. Du benimmst dich wie ein Teenager. Das gab mir zu denken.
Unerschöpfliche, verschwendete Energie
Natürlich wies ich es zunächst weit von mir. Nicht erwachsen? Ich hatte zwei Kinder geboren, daneben eine Karriere gemanagt und einen Grossteil zum finanziellen Unterhalt der Familie geleistet. Und ein Teenager möchte ich nie im Leben mehr sein, es sind Jahre in unschöner Erinnerung: Höhen, Tiefen, Verwirrung, Wahn.
Aber in gewisser Hinsicht hatte er auch recht. Was heisst denn erwachsen werden? Manche haben ihre Midlife-Crisis mit 25, andere fühlen sich mit 40 wieder wie Teenager, weil sie sich gerade getrennt haben und noch einmal von vorne anfangen müssen. Andere werden in diesem Alter Mutter. Es geht um Erfahrungen, die Menschen prägen, sei das Elternschaft, Scheidung oder dass liebe Menschen krank werden und sterben.
Neulich erzählte mir eine Freundin, sie vermisse die Intensität der Erfahrungen, die sie als Teenager machte. «Die Welt vibrierte», sagte sie. Das stimmt, die Energie ist unerschöpflich, wenn man jung ist, aber man kann die Welt nicht lesen. Und so geht das Meiste dieser Energie flöten, weil man vor allem Unsinn fabriziert.
Dann doch lieber Teenie bleiben
Ich kann schon nur deshalb kein Teenager mehr sein, weil ich zwei Exemplare dieser Spezies zu Hause habe. Ich muss am Freitagabend nicht mehr im Club herumstehen, weil ich glaube, dort irgendetwas verloren zu haben. Im schlimmsten Fall könnte ich dort nämlich meine Kinder vorfinden. Aber wenn sie bei ihrem Vater sind, dann darf auch der Teenager in mir ab und zu in den Ausgang. Denn das Herz hat noch nicht genug von Spass und Leichtsinn.
Mir ist vollkommen egal, wo sich meine Generation an einem Wochenende so verausgabt. Ob es meinem Alter entspricht, nachts um drei noch am Computer zu sitzen und Kolumnen zu schreiben. Oder welcher Generation der Typ angehört, der den ganzen Abend Karaoke gesungen hat und sich jetzt unter meinem Fenster übergibt. Wenn Erwachsenwerden bedeutet, sich am Freitagabend nur noch zu überlegen, ob man die Sockenschublade oder den Keller aufräumen soll, dann lieber Teenager bleiben. Ich will die Welt noch einmal vibrieren sehen.
36 Kommentare zu «Der Teenie in mir»
„Und so geht das Meiste dieser Energie flöten, weil man vor allem Unsinn fabriziert.“
Unsinn ist eben nicht wertlos („Energie geht flöten“), aber das wiederum ist eine Logik, welche Erwachsene nicht verstehen können.
Die Erwachsenen fabrizieren keinen Unsinn, alles ist sinnvoll und sterbensfad.
Sie müssen nicht in den Club, am Freitagabend ist do ohnehin nur voll mit Spiessern. Sie könnten den kotzenden Karoakosänger mit Socken aus Ihren Schublade bewerfen, aber das wäre Unsinn.
Unsinn macht Spass und damit Sinn.
Der mit den Socken auf den Säufer werd ich mir merken!
Ist wahrscheinlich effektiver, wenn man die Socken im Voraus mit etwas füllt. Alte Handys, Altpapierbündel, Ratgeber zum Thema Erwachsenwerden? Ansonsten merkt Mr Karaoke nicht einmal, dass ihm etwas angeworfen wurde.
Das wäre wiederum zu sinnvoll (rational zweckorientiert, damit er es merkt), um lustig zu sein.
Wenn er meint, er hätte Socken gekotzt, wird es lustig!
Ich muss Ihnen Recht geben. Nichts ist wirklich sinnlos, es ist ein erfahren der Umgebung und der Welt in der man sich bewegt.
Nur durch diese „sinnlosen“ Erfahrungen entwickelt man sich.
Bin auch aus der X-Generation, nicht getrennt, keine Kinder, arbeite nicht besonders viel. Aber die Intensität der Erfahrungen ist ebenso geschrumpft. Manchmal möchte ich auch wieder Teenie sein oder bleiben, aber nur, wenn ich an die glücklichen Momente denke. Die unglücklichen waren auch intensiv, und da bin ich froh, dass ich die heute milder erlebe. Ansonsten kann ich nur sagen, dass das Älterwerden ein langsames Absterben ist, wir welken. Daher im besten Fall ja auch die zunehmende Gelassenheit, deren Kehrseite aber eben die fehlende Vibration ist. So lange ich mehr oder weniger gesund bin, lebe ich in jedem Alter gerne, aber nicht ohne Wehmut.
Schön geschrieben, Jo, wobei das langsame Absterben gefällt mir nicht so, lassen wir es bei zunehmender Gelassenheit. ich selbst warte noch auf die Weisheit. Ich bin 62, einiges hat an Bedeutung verloren, man trennt sich von unwichtigem, auch unwichtigen Bekanntschaften, zieht sich in sich und seine Gedankenwelt zurück. Die Wehmut nimmt zu, ich vermisse die Ausgelassenheit und sehne mich oft nach Lust, Lebenslust zum Beispiel. In vielem bin ich weiterhin unvernünftig, glücklicherweise. Erfahrungen, wie bei mir eine äusserst traumatische Scheidung, hinterlassen auch ihre Spuren, tiefer als man sie effektiv wahrnimmt. Aber, das Leben ist schön, immer noch, den Herbst nehme ich als Farbenpracht wahr, und -noch- nicht als Zeichen der Vergänglichkeit.
Das Kind, der Teenager, der junge Adoleszente, sie leben schliesslich alle weiter in uns, wenn wir erwachsen sind. Im besten Fall nehmen wir deren Bedürfnisse und Gefühle wahr und gehen ihnen nach, beschützt vom Erwachsenen-Ich. Wenn dieses liebevoll und wohlwollend vernünftig ausgebildet ist, wird es schon dafür sorgen, dass wir uns nicht völlig daneben benehmen oder ungesund über die Stränge schlagen.
Sehr schöner Kommentar. Bei mir hat sich das Kindlich-Spontane, Unvernünftige einen anderen Weg gesucht: Nächtelanges Ausgehen liegt mir nicht mehr, dafür habe ich mir andere, ebenfalls zweckfreie Hobbies zugelegt. Ja, die Erfahrungen sind weniger intensiv, dafür kann ich sie besser einordnen (mehr Lebenserfahrung). Ich hoffe aber, mir ein Stück Unvernunft und Intensität bis ins hohe Alter erhalten zu können.
„Denn das Herz hat noch nicht genug von Spass und Leichtsinn.“
hoffentlich hat es das nie!
Ich bin Ü50, nicht getrennt, 2 fast volljährige Kinder. Clubs haben mich nie interessiert, aber neue Erfahrungen immer.
Hinweis für Leute auf der Suche nach Spass und Leichtsinn: „The Bucket List“ (auf dt.: „Das beste kommt zum Schluss“) gucken und umsetzen. Häufig Dinge zum ersten Mal im Leben machen.
ich bin 45ig, 2 kinder (15 & 17), geschieden vom kindsvater und in einer partnerschaft lebend.
bin glücklich, dass ich das kind in mir immer hab zu wort kommen lassen. ich bin mir selbst mein jungbrunnen ohne peinlich auf jung machen zu wollen. es geht doch einfach drum, dass man nie die fähigkeit vergisst oder absterben lässt, die welt wie ein kind zu sehen. ich tue manchmal unvernünftige und kindische dinge (ja, manchmal auch sachen, die verboten sind – huch!) und ich fühle mich lebendig.
im herzen bin ich nicht anders als mit 18, ausser dass ich mehr verantwortung habe und diese auch wahrnehme – und selbstverständlich bin ich weiser geworden und reifer, mit mehr lebenserfahrung. und gelassener… das fühlt sich sehr gut an 🙂
Sobald wir anfangen, dem Jungsein nachzutrauern, ist etwas falsch gelaufen. Ich bin Ü60 und habe meine Freiräume immer so genutzt, wie ich das wollte, ohne mich darum zu kümmern, was andere denken. Da ist nichts, dass ich nachholen müsste. Das Leben hat seine Sonnen- und Schattenseiten, schenkt uns aber viel Raum – den müssen wir uns nur nehmen.
liebe laura, das ist genau so… toll geschrieben 🙂
Und ja, manchmal fibriert es immer noch 🙂
@ Laura Fehlmann: Es tut mir leid, aber Ihre Sicht erscheint mir sehr egozentrisch. Als Beispiel: Wenn ein Exhibitionist sich seinen (Frei-)Raum nimmt und nackt durch die Stadt läuft, kann dies für den Exhibitionisten erfüllend und bereichernd sein -> also keine späteres Nachtrauern, wie Sie dies von Ihrem Leben schildern. Allerdings leben wir nicht als Einzelgänger in einem Vakuum. In unserer Gesellschaft gibt es sensible Mitmenschen, die z.B. durch den Anblick des Exhibitionisten traumatisiert werden. Wer strickt seinen Weg geht, um nie nachtrauern zu müssen, der wird mit hoher Wahrscheinlichkeit vielen Mitmenschen ein Trauma zufügen. Die logische Folge kann eigentlich nur eine traumatisierte Umwelt sein, wie wir sie heute leider vielerorts vorfinden….dank Menschen wie Ihnen. Sorry.
Deshalb schrieb ich ja, „andere nicht einschränken“ und meine auch „andere nicht verletzen“. Aber wenn Sie meinen, meine Umwelt sei traumatisiert… diesen Eindruck habe ich gar nicht. Im Gegenteil: ich setze niemanden unter Druck und möchte, dass sich alle möglichst frei fühlen. Das heisst aber nicht etwa, verantwortungslos zu leben.
für meinen geschmack ist „ich habe nichts nachzuholen“ nicht erstrebenswert, genau so wenig, wie dem jungsein nicht auch ein bisschen nachzutrauern. oder ja nicht peinlich zu wirken.
Wunderschön geschrieben!
Ich werde mir den Gault Millau Guide für die Schweiz kaufen. Früher war MacDos angesagt, damals, am Stauffacher. Heute nicht mehr. Und das ist gut so.
Ich muss doch nicht auf big Mac verzichten, nur weil ich mir heute auch Punkteküche leisten kann ? Heute gehe ich zu Mac Donald und übermorgen in die Sihlhalde, dankbar, dass ich die Wahl haben darf. Ich bin nicht mehr jung, aber als ich es war, habe ich es voll ausgekostet und genossen. Wichtig ist doch, dass man nicht das Gefühl hat, viel verpasst zu haben.
mit 20 konnte ich auch noch nicht kochen 😉
Die Intensität der Erfahrungen mag sinken, aber dafür kann ich mich heutzutage (meistens) am nächsten Tag noch daran erinnern.
🙂
Obwohl es mir nicht zusteht, wage ich eine Hypothese: sensible Jugendliche, die sich schon früh viel Freiheit nehmen und sich voller Neugierde in Abenteuer stürzen, werden oft verletzt, da sie infolge Unerfahrenheit die notwendige Schutzmechanismen noch nicht entwickelt haben. Im späteren Leben scheinen diese „permanent gebrandmarkten Menschen“ das Erwachsen-Werden zu bekämpfen, da sie zur inneren Heilung der eine 2. Chance suchen, ihre vibrierende Jugend nochmals durchzuleben…aber diesmal dank Reife und Lebenserfahrung ohne Verletzungen. Diese 2. Runde führt jedoch oft zum Bruch der Beziehung oder zum inneren Frust, falls das Bedürfnis der 2. Chance aus Rücksicht auf die Beziehung unterdrückt wird. Das Problem könnte also viel tiefgründiger liegen, als bei der fehlenden Vibration.
Ein sehr spannender Gedanke!
was frau binswanger beschreibt ist die klassische midlife-crisis vieler frauen, welche ihre erfüllung bis zum „stichdatum“ nicht gefunden haben. es kommt schlussendlich immer drauf an, was man daraus macht. bunte scherben glänzen zwar, schmerzen aber nicht minder, wenn man sie im fuss hat. und der bisherige rucksack macht den weiteren lebensweg auch nicht wirklich einfacher. genau so wenig wie trotzreaktionen. ich glaube nach wie vor, dass „das streben nach glück“ im einklang mit dem fortschreitenden alter und den gesellschaftlichen konventionen erfolgen sollte. andernfalls sich vielfach frust einstellt. aber klar. jede/r bestimmt selbst in welchem masse man sich der „2. jugend“ bzw. der lächerlichkeit preis gibt.
@Rittermann: „das streben nach glück“ im einklang mit dem fortschreitenden alter und den gesellschaftlichen konventionen erfolgen sollte“…
Also anpassen und nochmals anpassen? Und dann staunen, wenn sich Frust einstellt und das Gefühl, 1000 Dinge verpasst zu haben? O nein, Herr Rittermann. Das ist nichts für mich. Freiräume ausschöpfen und geniessen, aber dabei andere nicht einschränken, das ist meine Devise.
Frau Binswanger macht mir eines bewusst: Solange ich, Ü60, mit Ungeduld auf ein Stoneskonzert warte, dieses geniesse (nicht der Nostalgie, sondern die ansteckende Spiel- und Lebensfeude wegen, die von der Bühne kommt), solange ich mir, trotz schwieriger Zeiten, immer wieder eine gewisse Unbeschwertheit zurückhole, solange ein unglaublicher Freundeskreis mich so nimmt, wie ich bin, scheint sich der Teenie in mir wohl zu fühlen. Egal ob ich mal wieder putze, eine Soap konsumiere, für eine Kleinigkeit ausraste, oder mir übers WE die Decke über den Kopf ziehe. Das gehört auch dazu. Auch und gerade in meinem Alter.
Das liest sich schön und einleuchtend.
Als Teenager hatte ich nicht so viel Verantwortung (mit) zu tragen, wie in späteren Jahren, z.B. als Mutter. Da überlege ich mir heute im Ausgang dann hinrechender, inwiefern meine Handlungen auf Kosten von anderen (z.B. meinen Kindern) ausfallen könnten und verhalte mich entsprechend anders. In Bezug auf den Vorwurf von Frau Binswangers Ex-Mann kann ich nur vermuten, dass er ihr zu wenig Verantwortungsbewusstsein unterstellt hat, wenn er meinte, dass sie nicht erwachsen werden wolle. Diese Perspektive des Ex-Mannes ist mir in diesem Blog zu wenig ausgeleuchtet, bzw. verdrängt.
@Laura. Ich lebe in Oregon, USA. Das Motto in einem der liberalsten Staaten ist: „Ich mache, was ich will und kümmere mich nicht darum, was andere denken.“ In Oregon darf man z.B. noch einen Tag vor der Geburt abtreiben, wenn man sich ein Mädchen anstelle eines Jungen wünscht. Seit Marihuana legalisiert wurde, steht hier auf Plakaten bei der Stadteinfahrt der Slogan: „High Eugene!“ Meine Frau als Sonderschullehrerin hat jedes Jahr mehr (Klein-)Kinder, die im Schulzimmer rumschreien: „Ich bringe Euch alle um!“ Andere Kinder stechen sich mit gespitzten Bleistiften gegenseitig ab oder devastieren das Schulzimmer, bis die Polizei anrückt. Auf den Strassen begegnet man sehr vielen verstörten Erwachsenen…. Man weiss eben nie, ob ein persönlicher Flügelschlag einen Orkan starten wird.
@Minder: Was Sie beschreiben ist schlimm, hier aber nicht das Thema.
Sich persönliche Freiheiten nehmen, sich also u. a. nicht manipulieren lassen heisst nicht, dass man andere rücksichtslos überrollt oder missbraucht.
Man kann dadurch sogar seinem Umfeld zeigen, was Eigenverantwortung heisst und diese zu übernehmen nicht lebensgefährlich ist, im Gegenteil.
Finde die Botschaft des Textes öde und kann gar nichts damit anfangen. Bin über 60, liebe mein Leben und jeden Tag ein bisschen mehr!