Der steinige Weg beginnt
Wie geht Vergnügen, wenn man nicht mehr ganz jung ist? Wie verändern sich Sex-Appeal, Dating, Flirting und der eigene Style? Michèle Binswanger und Wäis Kiani schreiben hier über die Kunst des Erwachsenwerdens. Wir freuen uns über die Lancierung dieses neuen Blogs und wünschen viel Spass beim Lesen! Die Redaktion

Woran merkt man, dass man immer noch nicht erwachsen ist? Meryl Streep rockt im Film «Ricki and the Flash» (2015). Foto: Bob Vergara (Sony Pictures)
Warum schreibe ich einen Blog übers Erwachsenwerden und nicht über Mode, wie man es von mir erwarten würde? Nun, ich habe mein ganzes Leben die meisten Gedanken Mode und Ästhetik gewidmet, und das, worüber ich wirklich keinen einzigen Gedanken verschwendete, war das Älterwerden und was Erwachsenwerden überhaupt bedeutet.
Als ich noch sehr jung war, dachte ich, beim Überschreiten einer Altersgrenze (30) ist man automatisch älter und somit erwachsen. Das Problem ging damit los, dass diese Altersgrenze nicht kam. Mit 30 war nichts, ich war noch Kind. Mit 40 wurde es schon etwas komisch, ich wurde definitiv älter – aber erwachsen nicht. Ich war vom Leben immer noch genauso überfordert wie mit 30, auf Deutsch: Ich kam nicht klar. Und mit dem langsamen Klarkommen dann veränderten sich plötzlich fast alle Dinge. Auch die Dinge, die mit Mode und Ästhetik zu tun haben – in meinem Fall war es der Grossteil meines Daseins –, der ganze gewohnte Lifestyle funktionierte nicht mehr.
Ich und mein früheres Ich
Die Haare sahen, direkt aus dem Bett, nicht mehr cool aus. Die Männer waren nicht mehr süss, sondern nervig. Die anderen Frauen jammerten schon länger und hatten keine Zeit mehr, ganze Nachmittage mit mir zu verbummeln. Viele bekamen Kinder und waren nur noch gestresst, ich wollte keine, mir fehlte Stress. Aber die Abwesenheit von Problemen liess auch eine unerträgliche Langeweile und Leere wachsen, für die es keine Erfüllung mehr gab. Die plötzliche, unsichtbare Wand zwischen mir und meinem früheren Ich trennte mich von dem, was ich gewohnt war zu tun, um mich nicht zu langweilen, es war das Gefühl des Erwachsenwerdens.
Natürlich kann jeder auch mit 50 dieselben Dinge tun, die er mit 30 getan hat, aber es muss sich auch genauso gut anfühlen. Und wenn es sich nicht mehr gut anfühlt, Nächte und Tage in Clubs zu verbringen, dann stimmt es eben auch nicht mehr. Mit 35 kaufte ich mir noch immer erst den Rock für die Monatsmiete und machte mir dann erst Gedanken, wo ich das Geld für die Miete hernehmen soll. Das geht jetzt nicht mehr, mein Inneres macht nicht mehr mit. Ich gab alles Geld, das ich verdiente, immer aus, egal wie viel es war, jetzt denke ich daran, ob ich als Greisin noch genug schreiben kann, um davon zu leben, und was, wenn ich erblinde?
Mit Männern Zeit verschwenden
Hedonismus funktioniert nicht mehr, man wird verantwortungsvoll, vernünftig. Sich selbst und auch der Welt gegenüber. Mit Männern zu spielen, war immer selbstverständlich und Ärger und Spass zugleich. Heute ist es Zeitverschwendung. Überhaupt Zeit, früher war die Langeweile der Todfeind, der mit allen Mitteln bekämpft werden musste. Heute ist immer zu wenig Zeit. Keine Zeit, um einzukaufen, keine Zeit, um gross zu kochen, keine Zeit zum Sport, wo ist sie denn hin, die Zeit? Und wieso ist die Langeweile noch da?
Unsere Eltern hatten es einfacher, sie heirateten in ihren Zwanzigern, bekamen uns und waren automatisch erwachsen. Dann bekamen sie Enkel, oder sie mussten sich sehr lange um uns kümmern, weil wir ja nicht erwachsen wurden, wir, die neue andere Generation, die einfach für immer jung bleibt. Wir grenzen uns kaum von den Teenagern unserer Zeit ab, tragen dieselben Sneakers, hören dieselbe Musik und behalten unsere Freunde anhand der Instastories im Auge.
Das erste Mal Botox
Aber woran merkt man, dass man immer noch nicht erwachsen ist? Wenn man sich in seinen viel jüngeren Werkstattmechaniker verliebt? Wenn man mit Freundinnen in einem Club auf Ibiza die Nacht durchtanzt? Das erste Mal Botox? Wenn der neue Partner jünger als die eigene Tochter ist? Oder wenn man als Mann bei einer Partnerschaft nur noch an Sex denkt?
Wir werden es gemeinsam erforschen. Ich freue mich, wenn Sie mich und die wunderbare Michèle Binswanger auf dem stony way to adulthood begleiten werden.
39 Kommentare zu «Der steinige Weg beginnt»
Als junger Mann dachte ich auch, dass man mit 30 oder so „erwachsen“ ist. Dann merkte ich: Erwachsen wird man nie. Man wird einfach älter.
Haha, warte immer noch auf den Tag, an welchem mich am Morgen im Spiegel endlich die erwachsenen tststs grüsst…
Das Phänomen ist aber relativ neu. Im Regelfall wurde man mit 18 Jahren Soldat, ging in den Krieg und wurde sehr schnell erwachsen. Meist an den letzten Lebenstagen.
Das ein grosser Teil der Männer, und etwas weniger Frauen nie erwachsen werden, beobachtet man erst seit ca. 40 Jahren. Seitdem Frauen Kinder gebären, die etwas zu alt dafür sind. Wobei das nur korreliert, nicht ursächlich waltet.
Das verspricht ja ganz interessant zu werden. Ich wünschte mir wenig Nabelschau und eigene Befindlichkeiten, dafür gute Texte, die Distanz zum Selbst erkennen lassen. Der Anfang ist recht gut gemacht. Die Motivation darf durchaus von innen kommen.
Wieso wenig Nabelschau und eigene Befindlichkeiten? So ein Blog lebt doch davon, sonst einfach überlesen. So ein Blog ist mE ein Zwischending von Fachartikeln und Sozial-Media-Geplapper. So ein Blog steht und fällt mit der Chemie zwischen Autoren und der Community. Los geht’s!
Coole idee, gleiches problem wie bei allen lifestyle blogs des TA ( kopffuss, mamablog): nur frauenpetspektive. Wieso? Weil es dann hoffentlich „sexy“ wird? Hier brsonders störend weil doch männer viel eher mühe haben mit dem älterwerden (midlife crisis).
bis jetzt nur männliche kommentatoren. qed.
Es gibt genügend männerlastige Blogs, da fallen die wenigen weiblichen halt eher auf, nicht wahr? Einfach die eigene Befindlichkeit aus Männersicht zum Thema plazieren und gut ist.
Naja, beim TA-„Stadtblog“ schreiben nur männliche Autoren. Und da wurde erst kürzlich das Älterwerden aus Sicht eins Mannes beschrieben: „50 ist das neue 50“ von Réda El Arbi. Sehr amüsant und offenbar treffend. Der Eintrag hat an die 100 Kommentare generiert.
Erwachsen werden ist ja auch ein Frauenthema: Die meisten Männer, ausgenommen sportpapi, werden nie erwachsen, die gehen vom Stadium Jungs übergangslos zum wütenden alten Mann: Zuerst freut junge Mann sich an seinem Porsche wie ein Kind, um danach wütend zu sein auf die Abzocker Strassenpolizei.
Manche setzen hier Erwachsen mit Verantwortungsbewusstsein oder Vernunft gleich: Auch so würde ich behaupten, die meisten Männer werden nicht erwachsen.
weil es schmerzvoll ist und Männer grundsätzlich Schmerzen meiden…wir werden ihnen die Angst hier nehmen. LG-WK
Hm. Was soll ich jetzt davon halten? 🙂
Es gibt so etwas wie „erwachsen“ nicht. Es hört noch nicht mal der ganze Körper auf zu wachsen. Man macht ein Leben lang eine Entwicklung durch, die einen weiter bringt oder nicht. Jedes Jahr, jede Erkenntnis, jeder Erfolg, jedes Scheiter, ja jedes Erlebnis verändert uns.
doch. mit dem „erwachsenwerden“ gehen selbständigkeit und verantwortung einher. meist auf kosten der (persönlichen) freiheit. und hier liegt die krux-; bzw. ist diese entwicklung vielfach der auslöser für die „midlife-crisis.“ ab einem gewissen alter lebt man vorzugsweise bewusst(er). andernfalls beginnt man zu hadern und man landet plötzlich wieder beim start. jedoch ohne den goodwill, welcher einem von der gesellschaft in jungen jahren entegengebracht wird. man sollte die potenz der peinlichkeiten dem (fortgeschrittenen) alter anpassen, finde ich.
Das ist das Schlaueste, was ich seit langem in Kommentarspalten gelesen habe.
adoleszenz vs alter = schnellzug vs bummler = zeit (haben) vs vergänglichkeit.
einen vorteil hat das älterwerden auch für den mann. das blut befindet sich hauptsächlich in den regionen, wo es benötigt wird. (also im hirn).
Erwachsen ist für mich jemand der (oder die) die Welt und die damit verbundenen Pflichten und Beschränkungen innerlich akzeptiert hat. Sei es, für Kinder zu sorgen, Gesetze zu befolgen, die Erwartungen der Gesellschaft zu erfüllen, etc. Das hat mit der seit der Geburt verstrichenen Zeit nicht viel zu tun, ebensowenig mit Bildung, Einkommen oder Sozialstatus. In diesem Sinne werde ich voraussichtlich nie erwachsen. Ich denke gar nicht daran, Dinge hinzunehmen und zu tun, „was man in meinem Alter tut“ sowie anderes ebenso altersgerecht zu lassen. Ein 10 Jahre jüngerer Kollege meckert immer, dass bunte Turnschuhe und Hoodies „in meinem Alter“ gar nicht mehr gehen. Cabrio, Snowboard und MTB auch nicht. Ich lasse ihn reden und mache was ich will.
Cool – frag ihn doch mal, warum das nicht mehr geht ! Auf die Antwort wäre ich echt gespannt. Vermutlich kommt sowas flaches wie in Deinem alter macht man das nicht mehr. Und danach nichts gehaltvolles mehr.
Ich fühlte mich erwachsen, seit ich Kinder habe. Vorher war ich immer eher flatterhaft-jugendlich: Eine Stelle, eine Wohnung, eine Stadt gefällt mir nicht? Wechseln! Nächsten Monat kein Geld? Egal!
Erwachsen werden hiess dann: An Morgen denken, Beständigkeit statt Spannung, Haus statt Wohnung. Wurzeln schlagen, Sicherheit statt Chancen. Traurig? Nein, nicht unbedingt. Zumal mir, wie auch der Autorin, die Dinge, die ich früher tat, nicht mehr so viel bedeuteten, und die Verschwendung von Zeit immer weniger wünschenswert wird. Gelangweilt habe ich mich zuletzt irgendwann in den 80er Jahren.
So schwierig ist das nicht. Erwachsen ist, wer in der Lage ist, die Verantwortung für die eigenen Entscheidungen zu übernehmen. Das hat mit nächtelang Durchtanzen oder Hoodies tragen schon mal gar nichts zu tun…
Erwachsenwerden ist ein interessantes Thema. Für mich ist das vor allem ein innerlicher Prozess, obwohl selbstverständlich die Aktivitäten sich auch verändern. Ich verbringe ebenfalls keine Nächte mehr in Clubs, was ich vermisse, mir jedoch der Gesundheit wegen nicht mehr leisten kann. Jedoch geniesse ich die Reife, die mit einem differenzierteren, bewussteren Umgang mit Gefühlen einhergeht. Ich bin diesen nicht mehr so unterworfen, wie früher. Die Hochs müssen nicht mehr himmelhoch sein, die Tiefs sind glimpflicher und schneller überwunden. Die damit einher gehende Gelassenheit macht frei. Es erschliessen sich neue Kapazitäten, und ein klareres Bewusstsein entsteht. Das schätze ich enorm. An meiner Jugend vermisse ich lediglich Anmut und Schönheit ein bisschen. 😉
Oh wie toll! So ein Blog dürfte spannend werden. Ich freue mich und hoffe natürlich, dass der Versuch gelingt. Der Start ist schon mal gelungen wie frau konstatiert: es kommentieren fast nur Männer und erhoffen sich so einiges, Mesdames! 😉
Also ich kann nur sagen, dass das Erwachsenwerden so seine Tücken hat, sich Zeit lässt, um im ungünstigsten Augenblick voll zuzuschlagen. Mein Aha-Erlebnis kam während der Autoprüfung und die Beherrschung des Autos. Dann die damit zusammenhängende Verantwortung gepaart mit Alkoholgenuss beim Ausgang oder den folgenden Einladungen. Das funktionierte irgendwie nicht auf Anhieb. Naja, kaum hatte ich das einigermassen im Griff, folgte die nächste Falltüre …
Wer bis 50 noch nicht erwachsen wurde, muss nicht mehr:
Man ist erwachsen, wenn man das wurde, was man nie sein wollte.
nach Tom Waits: „I don’t wanna grow up“
Man ist erwachsen, wenn man spart auf einen Kurs, in welchem man (wieder, als Kind / Teenager konnte man es) lernt, im hier und jetzt zu sein.
Aus Text und Kommentaren glaube ich entnehmen zu können, dass das „Erwachsenwerden“ praktisch ausschliesslich als ganz persönliche Angelegenheit aufgefasst wird. Gesellschaftliche Normen spielen also heute offensichtliche keine so grosse Rolle mehr. Während man früher einen definierten sozialen Status als Erwachsener lebte, welcher gewisse Handlungen und Vorlieben automatisch ausschloss, lässt man sich heute nicht mehr in eine Schublade stecken. Die wahre Herausforderung ist also, wie man ohne Überforderung mit den neuen gesellschaftlichen Freiheiten umgeht. Das Alter ist nebensächlich geworden, resp. ist nur noch eine Frage der physischen Leistungsfähigkeit. Sind wirklich alle so souverän und losgelöst von gesellschaftlichen Konventionen?
Das Alter ist unwichtig. Ich fühle so, wie ich immer gefühlt habe mit allem, was dazu gehört.
Wie definiert man denn genau das Erwachsen sein ? Wenn man die 37 überschritten hat ? Wenn man eine Familie hat und ernähren kann ? Wenn man in Paris gewesen ist ? Einmal im Sansiro Stadion gewesen ist ? Gitarre spielen kann ? Haus gebaut ? Baum gepflanzt ? Den Ärmelkanal durchschwommen hat oder nach Amerika gerudert ist ?
Je älter man wird, desto mehr häufen sich Erfahrungswerte an, das man jede neue Situation immer mehr abwägt. Ade du sorglose Jugendzeit. Und das ist lästig. Vielleicht ist man erwachsen, wenn man alles vorher bedenkt und nicht mehr spontan handelt.
Ich (Frau, 51) freue mich auf diesen Blog. Es ist ja schon so, dass wir uns immer noch als Mädchen fühlen und doch die ersten Enkel winken. Hat das Potential zur besten Zeit des Lebens!
Genau dieses Thema Mädchen-Frau werde ich ausführlich auseinandernehmen! Herzenssache.. LG
Vielleicht müsste man (!) zuerst definieren was Erwachsen werden denn heisst. Etwas er-wächst in mir. Eigenverantwortung einerseits gehört genauso dazu wie ein kindliches Vergnügen in sich zu bewahren. Ich hatte als Kind keine Möglichkeit mit meiner Eisenbahn zu spielen. Mein Erziehungsberechtigter tat es. Ein leben lang hat es mich auch nicht interessiert…bis…ja bis ich Ziehvater eines Kleinkindes (männlich) wurde. Da kaufte ich ihm eine Eisenbahn…und…nein, er darf spielen. Wir spielen mit Freude zusammen. Doch manchmal wenn er schläft, so wie andere an den Kühlschrank gehen, lasse ich die Eisenbahn laufen zum eigenen Vergnügen. Bin ich jetzt nun dadurch nicht Erwachsener? In mir ist wieder etwas er-wachsen aus vergangener Zeit. Per Definition genügt es mir!
Notes of Dirty Old Women, also. Hank, warum bist du nur so früh gestorben..?
Zu diesem spannenden Thema ein passender Spruch von Albert Einstein: „Am Anfang gehören alle Gedanken der Liebe. Später gehört alle Liebe den Gedanken.“
Ich bin definitiv bei „später“ angekommen seit wenigen Jahren. Aber es gefällt mir dort. Und die Liebe schliesse ich ja nicht aus. Sie wird einfach anders.
Also, ihre Eltern heirateten in den zwanzigern. Dann sind sie in den dreissigern geboren und also etwas über 80 Jahre alt. Da brauchen sie nicht mehr erwachsen zu werden. Geniessen sie ihr Greisenalter bedingungslos. Viel Spass dabei.
nein, meine Eltern bekam mich in IHREN 20ern. Nicht 1920. Liebe Grüsse!
Tolle idee, aber wie alt sind denn die Autorinnen?
So alt wie Sie, liebe Sarah und ein paar Jahre jünger… LG
„Erwachsensein“ bzw. „Erwachsenwerden“ heisst, sich bezüglich seiner relevanten Lebensumstände eine gewisse Einsicht machen und danach gemäss dieser Einsicht handeln zu können. Erwachsen ist sozusagen ein Synonym für „mündig“. Was Sie hier im Artikel beschreiben ist demgegenüber das, was allgemein unter dem Begriff „gesetzt“ zu verstehen ist. Nur weil man (noch) gerne hin und wieder mal ausgeht, ist einem deswegen nicht das Erwachsensein abzusprechen; egal ob man 18, 35 oder 50 ist. Möglicherweise sind Sie im jungen Erwachsenenalter stecken geblieben, aber keine Sorge, erwachsen sind sie seit Jahrzehnten. Wären Sie es nicht, würden Sie sich über all diese Dinge überhaupt keine Gedanken machen.
Ich bin sehr gespannt was noch kommt….ein guter Start auf jeden Fall 😉
Danke, ich bin auch sehr gespannt!