Die besten Jahre? Die 90er!
Von all den Jahrzehnten, die ich in meinem Leben mitgemacht habe, waren die Neunzigerjahre das Beste. Das mag biografische Gründe haben: In den Neunzigern zog ich von zu Hause aus, begann mein Studium, baute mir einen Freundeskreis auf und war ansonsten frei, zu tun und zu lassen, was ich wollte. Glücklicherweise waren die Neunzigerjahre ein Jahrzehnt, das dafür sehr viele Möglichkeiten bot. Deshalb hier ein paar Dinge, welche die Neunziger grossartig machten.
1. Techno
Die ersten Ausläufer der Techno-Bewegung erreichten mich in Form von Kassetten, die ein WG-Mitbewohner mitbrachte. Er erzählte von Liebe, Freude, Kreativität, Ekstase und einer neuen Generation, die sich in stillgelegten Industriegebäuden und Kellern versammle, total Underground. Neue Musik, neue Drogen, neue Outfits und Ausdrucksformen, neue Sexualität – über allem schwebte das Versprechen von Aufbruch in eine völlig neue Zukunft. Leider erfüllte sich das Versprechen nicht, sondern es passierte, was immer passiert: Die naive Hoffnung einer ganzen Generation wurde kommerzialisiert und fand ihren Niederschlag in der heutigen Clubkultur. Trotzdem wäre Zürich heute eine ganz andere Stadt ohne die Techno-Subkultur der Neunzigerjahre.
2. Sexy Times
Die Neunzigerjahre waren das frivole Jahrzehnt, aber die Entdeckung der Sexualität war moralisch viel unbelasteter als heute. Viagra wurde erfunden, Silikonbusen sorgten für Furore, es war das Jahrzehnt der ersten Sextapes von Stars, und plötzlich wusste jeder, was unter einem Brasilian Waxing oder einem Wonderbra zu verstehen ist. Der amerikanische Präsident Bill Clinton versuchte sich gerade aus seiner Affäre mit Monica Lewinsky herauszureden, während die Damen in der Serie «Sex and the City» die Vor- und Nachteile verschiedener Vibratorenmodelle – und verschiedener Lover diskutierten. In den Neunzigern wurden die ersten grossen Aidskampagnen geschaltet, Hand in Hand ging die Enttabuisierung von Homosexualität und homosexueller Kultur.
3. Technik-Optimismus
Die ersten Mobiltelefone und die ersten E-Mail-Adressen tauchten auf – das war alles noch neu und aufregend, die negativen Seiten noch nicht absehbar. Überhaupt vibrierten die Neunziger noch vor Optimismus, die Wirtschaft eilte von einem Höhepunkt zum nächsten. Zwar nahm die Angst vor dem Millenniums-Crash gegen Ende der Neunziger zu, doch wir waren noch weit entfernt von der technologischen Disruption, die uns gleich nach der Jahrtausendwende erreichen und alles durcheinanderwerfen sollte.
4. Der Aufbruch der Frauen
Feminismus wurde sexy, und das Versprechen, böse Mädchen würden überall hinkommen, schien sich endlich einzulösen – zumindest in Teilen. Endlich eroberten starke Frauenfiguren die Leinwände und teilweise auch die Chefsessel. «Thelma and Louise» verkörperte als Film die Vorstellung dieser neuen Freiheit, in der Popmusik waren es die Spice Girls, und Madonna machte vor, wie man als Businessfrau im Musikgeschäft die Hosen anbehielt. Aus heutiger Sicht waren diese Anfänge unvollständig und zögerlich – strukturell blieb vieles beim Alten. Auf der anderen Seite schien der Kampf der Frauen um Anerkennung viel lustvoller als heute, da die neue Biederkeit den ganzen Gender-Diskurs eingeholt hat.
29 Kommentare zu «Die besten Jahre? Die 90er!»
Ich vermisse die 90’er nicht. Die Wirtschaft ging in der Schweiz nicht von Höhepunkt zu Höhepunkt. Ich ging zum Glückstudieren, die Kollegen waren nach der Lehre Arbeitslos. Ich vermisse ebenso wenig die Drogen, die Gewalt und die Kriminalität. Ich vermisse das Zürich dieser Zeit nicht. Ich bin schlichtweg froh, dass ich heute auf dem Weg zur Arbeit nicht mehr an Junkies vorbeilaufen muss.
Stimme vollkommen bei. Der Artikel ist so was von beschönigend.
Miitlerweilen glaube ich, das das beste Jahrzehnt individuell bedingt ist ! Für mich war es eindeutig die ’70iger. Für mein Kinder aller Wahrscheinlichkeit nach die ’10. Es ist das Jahrzehnt, wo man die Fesseln der Kindheit ablegt und die grosse weite Welt und ihre tausend und abertausende Möglichkeiten kennen lernt.
Genau, Maike, jeder hat da sein Jahrzehnt, als die Post abging.
Und in Zürich gab es viele Hanf-Shops, die gutes Gras mit anständig THC verkauften. Beim Treffpunkt am HB wurde mit Ecstasy gedealt und die Polizei schaute zu. Damals erinnerte die Stadt an Madrid nach dem Tode Francos. Erlaubt (oder sagen wir geduldet) war, was Spass machte. Die 90er waren der liberale Zenit, der Wind der Freiheit fegte wie ein Sturm durch die Gesellschaft.
Geblieben ist davon leider nichts. Von mir aus hätte das 21. Jh. gar nicht beginnen müssen.
Wenn Erich Kästner diesen Blog geschrieben hätte, wären die 1920’er als das beste Jahrzehnt dargestellt worden. Janis Joplin hätte, allein schon der Kürze ihres Lebens wegen, die 1960’er genannt und bei 3 sec. Konfrontation mit Madonna resigniert zur Flasche gegriffen. Soviel Business mit so wenig Musik ist frustrierend für jeden richtigen Künstler.
Doch wenn man nicht vorzeitig gesunden Leibes geistig verstorben ist, ist das 6. Lebensjahrzent das Beste. Man hat die Pflichten des Berufes und der Familie hinter sich und darf nur noch Kür laufen. Falls man überhaupt noch Kür laufen kann. Wenn man es kann, liegen vor einem die berauschenden Weiten der Philosophie und der Poesie und man entdeckt: Alles andere war nur öde Pflicht. Selbst die Familie.
Das 6. Jahrzehnt ? Also für mich sicher nicht ! Dazu fehlen mir die Musiker, die mittlerweilen im Himmel jammen. Im Publikum dort auch einige gute Freunde. Die generelle Unbedarftheit der Welt ist auch weg. Wir haben zwar den Zustand von grossem Wohlstand erreicht, aber früher, als wir noch Träume hatten die es zu erreichen galt, war das Leben für mich deutlich lebenswerter.
Es ist auch deprimierend zu sehen, wie die Ziele, für die wir auf die Strasse gegangen sind – generell ein friedliches Miteinander von Ost und West – jetzt wieder mit Füssen getreten werden. Und wie es scheinbar niemanden interessiert. Hat denn die Jugend kein Interesse daran, ihre Zukunft zugestalten oder interessiert sie nur ihr Level auf Fortnite und die Anzahl der Likes auf ihren social accounts ?
Sie verwechseln das 6. Lebensjahrzent mit dem 6. in 2010-2020. 2018 ist/ war uniformer als 2017 und 2017 langweiliger als 2016. So geht das weiter.
Es wird ja immer erzählt, die Welt würde komplexer. Tatsächlich passiert das Umgekehrte. Es wird immer einfacher und langweiliger. Alles ist vorhersehbar geworden, nichts passiert ohne jahrelange Ankündigung.
Morgen passiert das Gleiche, wie heute und in 10 Jahren auch nichts anderes. Heute jung zu sein, bedeutet, absehbar keine Zukunft zu haben. Seit 20 Jahren ist in der Schweiz nichts ausser Zufall passiert und in den nächsten 20 Jahren ändert sich das nicht.
Es gibt nichts, was Anlass gibt, sich ein Morgen anders als das Heute zu denken. Deshalb planen junge Leute heute in 24h- Zeiträumen.
Rolf : eine Horror was sie da schreiben.
Völlig falsch… die besten Jahre waren die unbeschwerten Achtziger….
Die 90er? Von da an gings nur noch bergab, v.a. kulturell – von Grunge mal abgesehen, aber der stammte aus den 80ern, genau wie Techno (was in 70ern wurzelt und wenn mans genau nimmt sogar in den 20ern), Rap gabs im Underground schon in den 60er. Blondie haben ihn als erste Weisse in den 70ern aufgenommen (The Kinks schon 1969). Sex talks? Feminismus? Sowas von 68. Die 90er waren v.a. ein Niedergang, wie sie seit Mitte der 80er schon eingeleitet wurde. Es war die Zeit der Wirtschaftskrisen, das Nein zum EWR (obwohl ich damals auch dagegen war) führte zu Auslagerungen, Arbeitslosigkeit und A-Städten auch in der CH. Die Zersiedelung war auf einem Höhepunkt angelangt, der Irak-Krieg spaltete die Politik. Einzig, da gebe ich der Autorin recht: Internet/Handys. Und: die 00er waren schlimmer!
War doch eine schöne Zeit als noch nicht jedeR Zweite im Alltag dummdämlich auf sein Smartphone starrte und die Leute noch richtig miteinander reden mussten von Angesicht zu Angesicht und nicht via Maschinen.
Dazu gabs noch einige illegale Flüsterbars in Zürich, wo man meist dieselben Leute getroffen hat, dito in den Clubs, die damals noch nicht alle so vollkommerzialisiert waren.
Einzig der Dr. Blocher hat uns damals die Party etwas versaut mit seiner EWR Jahrhundertlüge, dem knappen 50.3% Nein und der darauffolgenden Nachkriegsrekordarbeitslosigkeit um 1997 rum. Aber zum Glück kam dann ja die Dot.com Phantasyblase und die Situation hat sich wieder entspannt.
Vor Jahren erschien ein Buch zum Thema, welches das glücklichste Jahrzehnt im Leben einer Person ist. Dazu wurden hunderte von Leuten befragt.
Es stellte sich heraus, dass es die dreissiger Jahren im eigenen Leben sind – auch wenn es finanziell nicht immer rosig aussieht, die Kinder lärmen usw. In den zwanziger Jahren ist man noch unsicher, ab 30 ist man unabhängig und lebt sein eigenes Leben.
Die vierziger Jahre werden dem Beruf geopfert.
In den fünfziger Jahren kommen die ersten Wehwehchen und Boböli.
Dann folgen die sechziger Jahre: diese wurden als die zweitglücklichste Periode bezeichnet. Man ist rüstig und ab der Pensionierung vor allem „frei“.
Beste Grüsse
O.R.
Es waren die zweite Hälfte der 80er und die erste Hälfte der 90er – glaube ich.
In der zweiten Hälfte der 90er kann ich rückblickend schon den Beginn dieses völlig absurden 21. Jahrhunderts erkennen.
Zürich wäre die genau gleiche Stadt ohne die Techno-Subkultur der Neunzigerjahre.
Ohne die Beatles und Rolling Stone’s kann kein Jahrzehnt mithalten. Dort begann sich die Jugend zu emanzipieren, was sich in den folgenden Jahrzehnten niederschlug.
Ui, ja! Nichts ist zum Glück politisch, so mögen’s vermutlich die Inserenten in der Vorweihnachtszeit. Die wilden Neunziger wurden in Zürich nicht durch kulturautonome Proteste der Achtziger ermöglicht und sie wurden auch nicht durch eine im Frust-Establishment gelandete Esther Maurer wieder abgeschafft. Vielmehr waren sie vermutlich die Errungenschaft von ganz wilden „Sex and the City“ Zuschauerinnen am Kaminfeuer, weshalb das Bild ideal den cyberkulturellen Underground von damals illustriert. Und die ersten Frauenrechtlerinnen sind sicherlich in den Neunzigern auf die Strasse gegangen – offensichtlich haben sich einige TA-Autorinnen inzwischen mit dem postfaktischen Zeitalter arrangiert 😉
Die Neunzigerjahre waren ein einziger, verdammter Existenzkampf, zum Teil Woche für Woche und Arbeitsstunde um Arbeitsstunde: Die Rezession und trotzdem hohe Zinsen haben damals zu einer unmöglichen Situation auf dem Arbeitsmarkt geführt, auch und vor allem in den Bereichen Grafik, Druck und Kommunikation- nebst der Schwerindustrie, natürlich. Aber geile Partys feiern konnte man, das stimmt: Irgendwie musste man ja den nicht selten bitteren Berufsalltag vergessen..! So verschissen der Broterwerb war, so geil war die Partyszene. Insofern verbinden mich äusserst ambivalente Gefühle mit den Neunzigern.
Die 90er waren toll ausgelassen und naiv. Fin de Siècle eben. Die technische Revolution, der Umbruch von analog zu digital setzte viel unbeschwerte Energie frei. Musik, Grafik, Kunst etcetera. Alles wurde davon befeuert und entwickelte sich rasend schnell. Ab ca. 2000 war das dann vorbei und die Dinge wurden nur noch im Centimeter Bereich bewegt. Seit längerer Zeit ist die Kreativwirtschaft nun am recyceln und zoomt auf Veränderungen im Milimeterbereich. Dafür schwemmt die digitale Überwachung immer schneller die Demokratie den Mainstream runter.
„Auf der anderen Seite schien der Kampf der Frauen um Anerkennung viel lustvoller als heute, da die neue Biederkeit den ganzen Gender-Diskurs eingeholt hat.“
Metoo und der ganze Hass auf die Männer (Männer seien ‚Müll‘, ‚giftig‘ etc) ist nicht Sexy. Weshalb sollte Männerhass (Misandrie) sexy sein?
Sich hingegen für Rechtsstaatlichkeit und die Unschuldsvermutung einsetzen, sich gegen mediale Hetze zu engagieren, das ist sexy.
Die 90er Jahre waren noch echt liberal im Gegensatz zum heute verklemmten linksliberalen Zeitgeist. Eine gute Zeit!
Für mich waren es die siebziger Jahren ! Alles war noch einigermassen normal also ohne diesen heutigen Stress bei der Arbeit, und ganz ohne Natel und Internet ! Da konnte man sich noch amüsieren aber gesund, nicht mit Drogen und halbe Nacht draussen ! Man war viel fröhlicher als heute wo die Zukunft so düster ist. Das Klima und seine folgen werden das letzte Wort haben und es ist sonderlich dass leute immer noch Kinder zeugen, da sie ja keine Zukunft haben. Fehlende Information und meist oberflächliche Information haben zum Resultat dass manche denken dass die natur und das wieder ausschaukeln werde aber dem ist leider nicht so. Man lese seriöse Bücher über Klimawechsel, geschrieben von Klimatologen und Ozeanologen, dann weiss man Bescheid.
Ach das ist doch alles völlig subjektiv.
Ich liebe Erinnerungen, aber hasse Nostalgiker.
Wir hatten auch eine beeindruckende Zeit: Musikalische Neuanfänge im Underground, Revolutionen etc. – das gab es in jedem Jahrzehnt.
Und nicht wenige meiner damaligen Weggefährten leben nun auf ewig in der Nostalgie. Warum hasse ich Nostalgiker? Nicht, weil sie die Vergangenheit überhöhen und schönfärben, nein, sondern weil sie nicht mehr leben, im hier und jetzt.
Weil sie nicht erkennen, dass die Welt genau gleich lebt, wie sie damals lebte. Weil sie keine neuen Lieder mehr haben, weil sie nicht merken, dass es ihre Träume waren, welche ihr angehimmeltes Jahrzehnt besonders machten. Und hätten sie diese noch, wäre auch die Zehner Jahre ganz besonders.
Ich muss Michèle widersprechen: Die beste Zeit waren die wilden Siebzigerjahre: Heisse Rockmusik, tolle Mode, freie Liebe, keine Angst vor Schwangerschaft oder vor HIV, keine Probleme, einen Job zu finden und die Frauenbewegung startete durch.
Die Zeit von der Ablösung von den Eltern bis zur Verantwortungsübernahme (für eine Familie oder die eigene Altersvorsorge) wird von vielem dem uneingeschränkten Konsum unterworfen (Sex, Drugs, Music…). Wie der Song „Hotel California“ eindrücklich besingt, kann jeder Mensch jeder Zeit in dieses konsumorientierte Kalifornien einziehen, jedoch wird er dieses Biest niemals mehr los…
Sentimentale Rückblicke auf die Erlebnisse im Alter von 20-30 sind somit weniger an die äusseren Umstände gebunden, sondern an das sorglose Schwelgen im uneingeschränkten Konsum, ohne Verantwortung und Pflichten. Wer in jedem Lebensabschnit glücklich sein will, der wird durch solche Gedanken gebremst, da nur wenigen Menschen ein permanentes Konsumleben vergönnt ist.
Aus Sicht eines 80er Jahrgangs: 90er (bis zur Dotcomblase hin) waren die Fantasiejahre der naiven, wohlstandstrunkenen Verträumtheit – etwas, was es nachher nicht mehr gab, zumindest bis jetzt. Irre Ideen sind entstanden, die sich heute in absurder in Idioten-Politik niederschlagen. 00er: harte Krisenjahre (Dotcom und Finanzkrise in USA), 10er: Erholung von Krisen und Eintauchen in ein neues Level an Wettbewerb mit rationalem Funktionieren, Globalisierung, Multikulti und Rat Race, zunehmenden Technologiedynamiken (AI, Blockchain, Big Data, CRISPR bzw. Designerbabies ;-). Eigentlich spannend! Ziehe Fazit am Schluss…
Die schönste Zeit ist natürlich die unbeseschwerteste : die Jugend. Als alles noch offen war und man noch idealisieren kann. Nachher it’s fertig.
Für mich warem es die Jahre zwischen 1975 bis 1990. Da gab es keine Technoflut oder House oder Goa oder wie auch immer sich das nennt. Hip Hop war noch erträglich klein. Es rockte überall ohne Ende. Die weiblichen Stars waren auch angezogen Sexy. Man denke an Kim Wild, Nena, Debbie Harrry, Lee Aaron (die sich dann doch noch ausszog). Kein Vergleich zu Heute mit den unsexy Kim Kardashian, Rihanna oder Miley Cyrus. Dazu war man damals viel weiniger prüde. Die frauen gingen im Minirock ins Büro und am Abend im Ausgang waren sie sicherer. In der Badi waren viele Frauen oben ohne. Am FKK Strand gab esdamals auch junge s höne Leute. Heute muss man immer öfter Frauen in unhygienischen Burkinis ertragen.