«Homosexualität wird verschwiegen»

M&F

Homosexualität hat keinen Platz im orthodoxen Judentum: Szene aus dem Film «Eyes Wide Open». Foto: PD

Nennen wir ihn Moissele. Moissele ist 50 und lebt seit elf Jahren mit Jan (43) zusammen. Sie wohnen in der Agglomeration einer Schweizer Grossstadt in einem Eigenheim. Jan ist aus der reformierten Kirche ausgetreten, Moissele wuchs mit zwei Brüdern in einem streng religiösen jüdischen Haushalt auf und ist heute noch latent gläubig.

Wann hast du gemerkt, dass du schwul bist?
Als Teenager, so zwischen 14 und 17. Ich erschrak nicht. Ich dachte, das sei jetzt halt so.

Woher wusstest du überhaupt, was Schwulsein ist, in jener Zeit war das noch nicht so Thema?
Meine Familie ist streng religiös, aber nicht weltfremd. Und ich ging nicht in eine jüdische Schule, sondern in eine öffentliche. Ich bekam also auch alles mit, was meine Schulkollegen so diskutierten.

Unter orthodoxen Juden gibt es wahrscheinlich gleich viele Schwule wie in anderen Kreisen. Wie geht man damit um?
Es wird unter dem Deckel gehalten und verschwiegen. Oder der Bursche wird kurzerhand verheiratet – und dann sind beide unglücklich.

Versuchte deine Mutter auch, dich mit jüdischen Fräuleins zu verkuppeln?
Also tatsächlich gingen alle davon aus, dass ich eh als Erster heiraten würde. Ich will nicht eingebildet klingen, aber mir lagen die potenziellen Schwiegermütter zu Füssen. Und die Töchter dazu.



Ist deine Mutter wie die «Mamme» aus «Wolkenbruch»?
Nein, gar nicht. Sie trägt zwar auch eine Perücke und mein Vater eine Kopfbedeckung, meistens einen Hut, er hat aber keine Seitenlocken. Und ich hatte auch nie welche.

Du hast den Film nicht gesehen, aber das Buch gelesen. Deine Meinung?
Vieles stimmt, auch Klischees wie zum Beispiel, dass alle einen Nissan Previa fahren. Das ist so. Das ist typisch!

Wie hast du dich gegenüber deiner Familie geoutet?
Das war ein schleichender Prozess, der sich über fünf, sechs, sieben Jahre hinzog. Man wusste es irgendwann, man bekam es halt mit, aber man spricht nicht darüber. Bis heute nicht. Meine Familie glaubte am Anfang wohl, es sei nur eine Phase. So mit 14 hatte ich mal zwei Jahre lang eine Freundin, eine Jüdin. Die Beziehung ging ein bisschen komisch auseinander. Da dachten sie wohl, ich sei deswegen enttäuscht und wolle mich ein bisschen ausprobieren.

Konntest du mit deinen Brüdern reden?
Nein, beide sind sehr religiös. Sie leben koscher, die Kinder gehen in jüdische Schulen.

Jan ist ein «Goi», ein Nichtjude. Was sagen sie zu ihm?
Sie kennen ihn nicht. Einer hat ihn mal kurz gesehen. Aber das harmonierte nicht. Meine Eltern trafen ihn mal an einem Anlass, quasi auf neutralem Grund. Und so benahmen sie sich auch: neutral. Ich will Jan auch gar nicht mit zu meinen Eltern nehmen. Das käme nicht gut, für beide Seiten nicht. Jan ist ein Schatz von einem Mensch, aber die Diplomatie fehlt ihm, und wo ein Fettnäpfchen ist, tritt er zielsicher hinein.

Was ist für jüdische Eltern schwerer zu verkraften, eine Schickse als Schwiegertochter oder ein «Feigele», ein schwuler Sohn?
In orthodoxen Kreisen wohl die Schickse.

Wäre es etwas einfacher, wenn Jan auch jüdisch wäre?
Nein.

Kennst du Jans Familie?
Dort bin ich völlig integriert. Es sind eher einfache Leute, und Jan lebt sein Schwulsein halt auch offen, seit er 15 ist. Er ist ja jünger als ich und hatte es schon ein bisschen einfacher.

Konsultierte deine Familie auch einen Rabbi?
Nicht, dass ich es wüsste. Was hätte der auch sagen sollen? Sie konnten mich ja nicht in ein Kloster stecken.

Und die Gemeinde deiner Eltern?
Einige wissen Bescheid, andere nicht. Direkte Reaktionen gab es nie. Es sagt dir nie einer etwas ins Gesicht. Ich lebe ja schon lange weit weg in einer anderen Stadt. Und ich lernte früh, mich in zwei Welten zurechtzufinden, weil ich ja in eine öffentliche Schule ging. Ich passe mich an. Unter Juden trage ich eine Kopfbedeckung, wenn es nötig ist. Aber ich besuche eher selten eine Synagoge, weil ich als Kind ständig hinmusste.

Wie hältst du es mit den religiösen Geboten?
So ein bisschen. Ich esse zum Beispiel nur koscheres Fleisch und benutze dafür immer die gleiche Pfanne. Aber mein Freund bekommt trotzdem sein Schweineschnitzel. Einfach nicht aus meiner Pfanne. Das verstehe ich unter Toleranz. Man kann nicht nur Toleranz von anderen erwarten, man muss sie auch geben. Ich bin in Einklang mit meinem Leben, auch in religiöser Hinsicht. Und ich möchte auf einem jüdischen Friedhof begraben werden, wenn es einmal so weit ist.


Moisseles Musikwunsch zum Text: Omer Adam feat. Arisa – «Tel Aviv»

31 Kommentare zu ««Homosexualität wird verschwiegen»»

  • Michael sagt:

    Finde die unverkrampfte Art wie Ruth B. mit dem Thema umgeht, toll. Weiterso, gut das sie nicht in die sterotypischen Berichterstattung eingeschlagen ist. WEITER SO:

    • Laila sagt:

      Die Berichterstattung ist so lange stereotyp – und vielleicht gehört dieses Interview auch dazu – bis auch über andere eher geschlossene Communitys (Albaner, Orthodoxe Christen, Hindus) berichtet wird.
      Sonst ist es nichts anderes als ein Vorführen des Juden. Sehr zeitgemäss, dass muss man Ruth B. hingegen lassen.

      • Asta Amman sagt:

        Auch über die von Ihnen genannten Gruppierungen würde ich diesbezüglich gerne mehr erfahren. Aber ein Vorführen von Juden sehe ich in diesem Artikel nicht. Er ist wohl dem grossen Publikums-Interesse am Wolkenbruch-Film geschuldet. Und deshalb durchaus legitim.

  • Reincarnation of XY sagt:

    Danke. Religion jedweder Art ist archaisch und repressiv. Wenn sie es nicht ist, ist das allein der Aufklärung geschuldet.
    Dennoch lernen die Kinder in der Schule, dass Religion jedweder Art einfach mal pauschal „gut“ ist, sozusagen die Wurzel unserer humanistischen Ethik.

    Ich finde es stossend, dass sich praktisch niemand an dieser offensichtlichen Unwahrheit stösst. Praktisch jede Religion unterdrückte Homosexuelle, Frauen und Andersdenkende. Und zwar so lange, bis es ihr säkulare Staaten nicht verboten.
    Warum wird dieser leicht nachweisbare Fakt nicht in unseren Schulen unterrichtet?
    Aber genau wie in dieser Geschichte: es wird einfach nicht darüber geredet. Einfach so tun als wäre alles in Ordnung.

    • Martin Frey sagt:

      Es ist immer die Religion, respektive ihre Ausübung. Alle streng gelebten Religionen, nicht nur die abrahamitischen, sind intolerant, tendenziell abgrenzend-aggressiv und nicht selten homophob.
      Trotzdem haben Religionen immer auch irgendetwas „gutes“. Beim Christentum zb. die 10 Gebote die Milliarden Menschen als Leitschnur im Leben dienten, um nur ein Bsp. zu nennen. Welches letztendlich die Bilanz der Weltreligionen unter Strich ist, scheint mir eine offene und spannende Frage. Sicher nicht nur „gut“ aber auch nicht nur „böse“, insbesondere wenn man alles bis hin zu architektonischen und kulturellen Meisterwerken mit einbezieht. Zudem, wir wissen nicht, wie zivilisiert und humanistisch unsere Welt ohne Religionen wäre.
      Was klar ist: Religion muss Privatsache sein und bleiben.

      • Christoph Bögli sagt:

        @Frey: Kennen Sie denn die „10 Gebote“ bzw. die originalen Verse, aus denen diese (etwas willkürliche) Liste destilliert wurde? Ich vermute eher, dass das wie bei jenen angeblichen „Milliarden Menschen“, nicht wirklich zutrifft. Den meisten, selbst vielen angeblichen Christen, kommt beim Thema 10 Gebote doch nur irgendwas von wegen „du sollst nicht töten“ in den Sinn. Dabei dreht sich das Ganze mindestens zur Hälfte um weitgehend lächerlichen Unsinn bzgl. Gott-Monopol, Sabbat, etc. Brauchbar/realitätsnah sind höchstens die Punkte zum Töten/Stehlen, wobei sich gerade die Religiösen selbst kaum daran halten. Ich bezweifle darum stark, dass die eigentlichen „10 Gebote“ sonderlich relevant sind, das ist nur eines dieses Märchen um die Religion als nützlich darzustellen.

        • Reincarnation of XY sagt:

          Martin Frey – selbstverständlich gibt es in der Religion auch Gutes. Sie ist ein Ausdruck des menschlichen Geistes, der uns letztlich auch zu Aufklärung und Fortschritt befähigt hat.
          Aber so sehr wir auch die griechischen Denker schätzen, so verheerend wäre es, wenn wir die 4 Säfte Lehre immer noch als Grundlage der Medizin nennen und sie pauschal als „gut“ bezeichnen würden.

          Die 10 Gebote z.B. nennt man pauschal als „gut“, obwohl die ersten 4 per Todesstrafe Glaubens- und Gewissensfreiheit verbieten. Nicht nur das, mindestens 7 der 10 Gebote sind mit der Todesstrafe belegt (z.B. für Teenager bei Ungehorsam gegen Eltern).
          Kaum jmd. fände das wirklich gut. Aber es zeigt, wie effektiv der Katechismus ist, dass dennoch alle die 10 Gebote pauschal für „gut“ befinden.

        • Martin Frey sagt:

          Grundsätzlich haben Sie recht, meine Herren. Aber wie oft in Religionsfragen ist die Auslegung (Im Christentum würde man von Exegese reden) entscheidend. Oder modern formuliert, man nehme daraus das, was einen gut und richtig scheint und integriere es ins heute Leben. Nur so hat Religion m. E. auch zukünftig seinen Platz.
          Ein Teil der 10 Gebote, da pflichte ich bei, zählt nicht dazu (vielleicht war auch das Bsp. nicht ganz geglückt). Insbesondere drückt da auch der strafende AT-Gott etwas durch…
          Trotzdem, die Punkte: am 7. Tag sollst du ruhn, nicht stehlen, ehebrechen, töten, falschaussagen, nicht nach anderem Besitz verlangen, deine Eltern ehren, haben durchaus nach wie vor eine gewisse positive Allgemeingültigkeit als Richtschnur. Falsch zumindest ist daran wenig.

          • Reincarnation of XY sagt:

            Danke MF – das Beispiel war schon ganz passend, hörte ich gerade kürzlich von einem kirchenfernen Freund …. (PS der Gott des NT ist ebenso strafend und genau genommen noch brutaler. Im AT strafte er nur mit dem Tod. Im NT mit ewiger Folter.)

            Ich stimme mit ihnen überein, dass man durchaus nützliches aus den alten Schriften grosser Geister nehmen kann. Ich halte es mit Paulus, der sagte: „Prüft alles, das Gute behaltet.“ Nur ist das nicht das Wesen der Religion. Das ist vielmehr Ketzerei.
            Was die Exegese betrifft. So ist diese meist nicht mehr als Schummelei. Die Exegese begann erst mit dem Siegeszug der Aufklärung humanistisch zu sein. Auch das sind Fakten, die man sehr leicht verifizieren kann.

          • Reincarnation of XY sagt:

            Echte Exegese wäre objektiv zu erforschen, wie der Text ursprünglich gemeint war und von den damaligen Zuhörern verstanden wurde und NICHT wie man den archaischen Text mit unseren modernen Erkenntnissen in Einklang bringt. Und dann noch zu der absurden Behauptung kommt, dass der Text schon immer diese moderne Deutung gehabt habe, die geschichtliche Realität vollkommen ignorierend.
            Wir sollten alle ein Interesse an einer redlichen Aufklärung haben. Die guten Ideen der Religion, mussten weiterentwickelt werden und der grosse Durchbruch geschah durch Menschen, welche sie als Richtschnur ablehnten. Das sind Fakten. Deswegen ist es falsch ihr unsere humanistischen Werte pauschal zuzuschreiben und sie pauschal „gut“ zu nennen.

          • Martin Frey sagt:

            „Ich halte es mit Paulus, der sagte: „Prüft alles, das Gute behaltet.““
            Das finde ich sehr treffend, RoXy. Ich denke sogar, das ist der einzige Weg, Religionen so in eine moderne Welt zu transferieren, dass sie weiterhin Bestand und ihre Berechtigung haben können. Neulich hat ein kanadischer Psychologieguru sinngemäss formuliert: „Ich weiss nicht ob Gott existiert. Aber ich verhalte mich so, als gäbe es ihn.“
            Ob man dem Exegese sagen will oder nicht, alle Weltreligionen brauchen dringend eine Neuinterpretation in einen zeitgemässen Rahmen, das Christentum ist da vielleicht ein Stück voraus. Die Hauptprobleme, die aus Religionen entstehen, entstammen ja davon, dass man alte, archaische Texte (zu) wortwörtlich nimmt. Bis hin dazu, so leben zu wollen, wie der jeweils eigene Prophet.

          • Reincarnation of XY sagt:

            Das müssen die religiösen Leader auf jeden Fall tun, MF.
            Ich persönlich glaube, wir sollten uns endlich davon emanzipieren. Eine Spiritualität, welche mit unseren heutigen naturwissenschaftlichen und psychologischen Erkenntnissen übereinstimmt, ist besser, logischer und vernünftiger, als eine die sich stets mit einer Religion abgleichen muss, aus einer Zeit, wo wir es noch nicht besser wissen konnten.

            Mit der Aussage des besagten Psychologen kann ich wenig anfangen. Denn sobald „Gott“ nicht dogmatisch ist, ist er lediglich gerade der, wofür ihn der Einzelne hält. Somit ist er keine Richtschnur. Der Mensch lebt besser, wenn er selbst Verantwortung für seinen Lebensstil übernimmt, aus wohlüberlegten, eigenen Überzeugungen handelt.

  • Markus Kohler sagt:

    Da geht es um ein absolutes Randthema. Es gibt etwa 20’000 Juden in der Schweiz, etwa 3000 sind orthodoxe Juden. Ergo gibt es nicht mehr als 30-45 schwule orthodoxe Männer in der Schweiz. Es war so gesehen toll, dass man für den Artikel überhaupt einen gefunden hat.

    • Hans Wanderer sagt:

      Man geht von 3-10 Prozent aus.

      Bei 3% und 3000 Leuten wären das immernoch 90 Leute.

      • Thomas Trachsel sagt:

        Seriöse Soziologen gehen von 1.3% homosexuellen Menschen aus. Die Zahl ist in den meisten Kulturen erstaunlich stabil.

        • Martha M. sagt:

          Das ist so nicht richtig. Seriöse Soziologen gehen davon aus, dass sich gegenwärtig regelmäßig in westlichen Ländern um die 1.x% in Befragungen selbst als „homosexuell“ identifizieren, und dass die Identifikation ggü. Dritten gesellschaftlich voraussetzungsvoll ist. Seriöse Soziologen weisen nach, dass die Zahlen dem gesellschaftlichen Wandel unterliegen und somit von weiteren äußeren Faktoren zur jeweiligen Erhebungszeit abhängig sind. Seriöse Soziologen gehen weiterhin davon aus, dass es keine verlässliche Methode gibt, sexuelle Orientierung zu messen, da die Ergebnisse zwangsläufig auf Selbstauskunft beruhen. Seriöse Soziologen untersuchen fernerhin, warum bestimmte Bevölkerungsteile ein Interesse daran haben zu betonen, dass die Gruppe der Homosexuellen besonders klein sei.

    • Florian Hofstetter sagt:

      Stimmt, es ist toll dass jemand für diesen Einblick gefunden wurde. Auch dass es sich um ein Randthema handelt, stimmt grundsätzlich. Mit Nummern zu arbeiten finde ich allerdings schwierig, denn gerade in hochreligiösem Umfeld wird sich kaum einer dazu bekennen. Aber wenn man die 5%-Faustregel nimmt, dann wären es bereits 150. Immer noch nicht viel – aber für jeden Betroffenen wohl wichtig genug.

  • Bastos sagt:

    schade und traurig ist der Kontakt zu den Eltern nicht in Harmonie – dies ist schlimm und nicht die Veranlagung

  • Robert F. Reichmuth sagt:

    Also, im Osten wie im Westen, enttäuschend wenig Fortschritt. Hatte einen Onkel in einem vergleichbarem – stockkatholischen Umfeld.
    .
    Ja, Aufklärung hilft – nicht immer – aber immer öfter!

  • Laila sagt:

    Können Sie sich ein solches Interview auch mit einem Moslem (z. Bsp. aus der albanischen Community) oder einer orthodoxen Person (z. Bsp. Eritreer) oder mit einem Hindu (aus Sri Lanka) vorstellen?
    Oder wird der Jud vorgeführt?

    • Florian Hofstetter sagt:

      Es gab schon Berichte über schwule Moslems, zB aus Albanien, soviel ich weiss auch in diesem Medienhaus. Aber das mit dem ‚vorführen‘ finde es ich nun doch etwas weiter hergeholt….

    • Daniel Finqui sagt:

      ich als jude fühle mich absolut nicht vorgeführt. finde den artikel sauber geschrieben, und der wahrheit entsprechend.
      denke, wenn sich ein moslem findet, kann man sicher gerne ein interview führe. Wäre das was für Frau B ????

      • Ruth Brüderlin sagt:

        Aber sicher wäre das was. Ich würde auch gern mit der Mutter von Moissele sprechen. Man könnte einen schönen grossen Artikel machen, in dem unterschiedlichste Exponenten zu Wort kommen. Nur würde das den Rahmen eines Blogs definitv sprengen. Die Bemerkung von Laila mit dem «Jud vorführen» lässt mich etwas ratlos zurück.

        • Martin Frey sagt:

          Danke dass Sie mitkommentieren, Fr. Brüderlin. Nebenbei, ich mag Ihre Beiträge und auch das feinfühlige Interview in diesem Beitrag sehr.
          Ich bin selber nicht Jude, aber ein Stück weit verstehe ich Laila. Aus jüdischer Sicht wird man (leider) immer wieder auf tausend Dinge reduziert und quasi in Sippenhaft genommen, vom Nahostkonflikt über nachrichtenlose Vermögen bis zu den Orthodoxen. Nur zu oft schlägt man (aber explizit nicht Sie, Fr. Brüderlin!) den Sack und meint den Esel. Bzw. erwähnt Juden, obwohl es tausend andere Bsp. gäbe.
          Die Orthodoxen sind innerhalb der jüdischen Gemeinden eine eher kleine, teils auch von anderen Juden als skurril wahrgenommene Minderheit. Viele Juden haben mit ihnen so wenig gemein wie Nicht-Juden, werden aber hier automatisch etwas gleichgesetzt.

        • Martin Frey sagt:

          Was ich ebenfalls sehe: die mindestens so intoleranten und sehr viel grösseren muslimischen Gemeinden werden bei solchen Themen interessanterweise oft ausgespart. Obwohl gerade seitens Islamisten Schwule nicht nur geächtet sondern nach Leib und Leben getrachtet werden.
          Oder anders gesagt, geächtet und von der Familie verstossen zu werden ist schlimm genug. Aber da gäbe es noch, wie erwähnt, ganz andere, dramatischere Schicksale zu recherchieren. Die Frage ist daher aus jüdischer Sicht schon legitim, weshalb ausgerechnet eine der wenigen jüdischen Betroffenen als Beispiel für religiöse Intoleranz derart prominent Erwähnung findet.

    • Carolina sagt:

      Laila, ich finde Ihre Sprache (‚Jud‘) verletzender als das Thema und die Art und Weise, wie sie behandelt wird. Würde es nach Ihrer Logik gehen, wäre eine kritische Berichterstattung über – zugegeben – Randthemen gar nicht möglich, denn es würde immer jemanden geben, der sich betupft/vorgeführt/ausgegrenzt etc fühlt.
      Wir alle wissen, dass Fanatismus in allen Religionen Auswüchse hat, die dringendst immer wieder publik gemacht werden müssen. Das ist das (leider sehr langwierige) A & O jedweder Aufklärung.
      Ach übrigens: ich bin Jüdin!

  • maia sagt:

    Mir ist nicht klar, um was es in diesem Artikel geht: Coming-out, Homosexualität, Judentum, oder einfach auf den „Wolkenbruch“-Zug aufspringen. Ich kann Laila sehr gut verstehen. Wenn es um ein Coming-out, oder Homosexualität in einem konservativen Ujmfeld geht, dann spielt die Religionszugehörigkeit überhaupt keine Rolle.

  • Peilcan sagt:

    Maia, was genau verstehst du nicht ? Der Film Wolkenbruch zeigt vieles auf, dass es bei Juden nciht einfach ist, sich aus dem von der gemeinschaft gesetzten Rahmen zu bewegen. Ruth B. hatte nun die gelegenheit, ein ähnliches Thema aufzugreifen, anstelle von Juden und Nichtjüdin, nun das andere Thema Judentum und Schwulsein. Finde ich auch interessant, da dies ja sonst auch eher ein Thema ist, wo geschwiegen wird. Weiter so

    • maia sagt:

      @Peilcan: Was unterscheidet denn nun – in Bezug auf die Schwierigkeit eines Coming-out – das Judentum von anderen konservativen, geschlossenen Gesellschaften?

  • Jennifer sagt:

    Das Thema Schwulsein wird allenthalben strapaziert. Allmählich wissen doch restlos alle, dass ein Coming-out nicht immer nur lustig ist, usw. usw. Es lässt sich anscheinend endlos darüber schreiben. Wenn der Moissele es mit seinem Freund guthat und zufrieden ist, gönne ich es ihm von Herzen. Man soll die Leute lassen wie sie sind, finde ich. Es gibt zahllose Gründe, warum man mit den Angehörigen auskommt oder eben nicht, und Schwulsein ist nur einer von vielen. Etwas Diskretion und Nichtdavonreden finde ich gar nicht so schlecht. Schwule Juden sind wohl besonders spannend. Wie wärs mit schwulen Eskimos, hm, Inuit? Im Iglu ist die Sozialkontrolle sehr stark ausgeprägt. Schwule Eskimos haben es noch viel schwerer als andere. Oder? Vielleicht muss ich das mal recherchieren. ; )

  • Martha M. sagt:

    Das ist so nicht richtig. Seriöse Soziologen gehen davon aus, dass sich gegenwärtig regelmäßig in westlichen Ländern um die 1.x% in Befragungen selbst als „homosexuell“ identifizieren, und dass die Identifikation ggü. Dritten gesellschaftlich voraussetzungsvoll ist. Seriöse Soziologen weisen nach, dass die Zahlen dem gesellschaftlichen Wandel unterliegen und somit von weiteren äußeren Faktoren zur jeweiligen Erhebungszeit abhängig sind. Seriöse Soziologen gehen weiterhin davon aus, dass es keine verlässliche Methode gibt, sexuelle Orientierung zu messen, da die Ergebnisse zwangsläufig auf Selbstauskunft beruhen. Seriöse Soziologen untersuchen fernerhin, warum bestimmte Bevölkerungsteile ein Interesse daran haben zu betonen, dass die Gruppe der Homosexuellen besonders klein sei.

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