Drogen konsumieren für Fortgeschrittene

M&F

Entrückte Seligkeit: Junge Frau an einem Musikfestival. Foto: Omer Messinger (Getty Images)

Man ist nie zu alt für Drogen – zumindest, wenn man gelernt hat, mit ihnen umzugehen. Mit Drogen zu experimentieren, ist hingegen ein Privileg der Jugend. Im Alter hält man sich lieber an das, was Genuss ohne allzu viel Reue verschafft.

Wer sich dennoch das ganze Spektrum an Drogenerfahrungen offenhalten möchte, kann dazu auf die Sekundärdroge «Lesen» ausweichen. Denn es gibt zahlreiche Drogenbücher, die sich so rauschhaft lesen, als würde man selber konsumieren. Nur dass man ein Buch schaudernd und mit klopfendem Herzen zuklappen kann, wenn es einem zu viel wird.

Hier ein kurzer Überblick über meine Drogen-Bibliothek, die ich mir über die Jahre angelesen habe. Die Klassiker wie «Wir Kinder vom Bahnhof Zoo», oder «Fear and Loathing in Las Vegas» habe ich weggelassen und mich auf neuere oder unbekannte Bücher konzentriert. Alle habe ich selber getestet und für gut befunden. In den Kommentaren dürfen Sie die Drogen-Bibliothek gern ergänzen.

Marc Lewis: The Biology of Desire – why Addiction is not a disease (2016)

Marc Lewis verbrachte seine Jugend in den wilden Sechzigerjahren und probierte jede Droge, die ihm in die Finger kam – mit einer Vorliebe für Heroin. Er lebte 15 Jahre als Süchtiger, bis er Ende Dreissig die Drogen aufgab, ein Studium der Neurobiologie begann und untersuchte, was Sucht im Hirn bewirkt. Besonders reizvoll an seinem Buch ist, dass er Sucht sowohl aus der Perspektive des Betroffenen wie auch des Forschers beschreiben kann.

Edward St Aubyn: Patrick Melrose-Reihe

Die Hauptfigur Patrick Melrose ist das Alter Ego des Autors – und hat ein schweres Drogenproblem. Aufgewachsen in einer wohlhabenden, aristokratischen Familie, wurde Melrose als Kind vom sadistischen Vater missbraucht. Seine medikamentenabhängige Mutter schaute weg. Später entwickelt Melrose eine schwere Polytoxikomanie, bei der das Heroin im Vordergrund steht. Hier stehen die Drogen aufgrund von Selbstmedikation im Vordergrund – und natürlich St Aubyns literarisches Talent, das diese Reihe zu einem exquisiten Lesegenuss macht.

Benedict Cumberbatch als Patrick Melrose in der gleichnamigen Serie. Foto: PD

Bill Clegg: Portrait eines Süchtigen als junger Mann (2011)

Bill Clegg ist jung, gut aussehend und erfolgreich als Literaturagent. Er hat bloss eine Schwäche: Crack. In seiner Suchtbiografie beschreibt er literarisch bestechend den Kreislauf der Sucht, den er trotz eines umsorgenden und unterstützenden Umfelds einfach nicht zu durchbrechen weiss, bis es ihn beinahe das Leben kostet.

Benjamin von Stuckrad-Barre: Panikherz (2017)

Sein ADHS treibt das deutsche Wunderkind des Journalismus in alle möglichen Süchte, Alkohol, Essstörungen und schliesslich Kokain. In einer Tour de Force führt er uns durch seine Suchtbiografie, an deren Ende er von Udo Lindenberg wundersam gerettet wird.

Alexander Wendt: Kristall – eine Reise in die Drogenwelt des 21. Jahrhunderts (2018)

Eine eigentliche Kulturgeschichte der Drogen, die Wendt mit einem journalistischen Ansatz und sehr unterhaltsam erzählt. Es geht darin um die Frage, warum sich wann welche Drogen wo verbreitet haben. Wendt streift alle wichtigen Drogenthemen der vergangenen 100 Jahre – etwa die Geschichte der Prohibition, den gescheiterten «War on Drugs» und aktuelle zaghafte Versuche, Drogen wieder zu entkriminalisieren.

Crystal-Meth-Konsument in den USA. Foto: Keystone 

Norman Ohler: Der totale Rausch – Drogen im Dritten Reich (2015)

Ein mitreissender Abriss über die Bedeutung und Verbreitung harter Drogen im Dritten Reich. Dabei wartet Ohler mit vielen interessanten Thesen auf. So soll Rommels Blitzkrieg nur deshalb möglich gewesen sein, weil die Soldaten mit dem Amphetamin Pervitin gefüttert wurden. Und Hitler höchstpersönlich soll massenhaft Opioide und anderes konsumiert haben, weshalb auch sein persönlicher Leibarzt zu einer wichtigen Figur im Dritten Reich wurde.

Sarah Hepola: Blackout – Die Nächte, an die ich mich nicht erinnern kann, sind die Nächte, die ich nie vergessen werde (2015)

Ihren ersten Schluck Bier nahm sie mit sechs, ihren ersten Rausch hatte sie mit zwölf. Danch trank sie beinahe 20 Jahre voller Begeisterung, gern auch bis zum Blackout. Bis sie sich eingestehen musste: Entweder ich höre jetzt auf, oder es endet böse. Ein sehr unterhaltsamer Einblick in eine weibliche Alkohol-Biografie.

Cat Marnell: How to Murder your life (2017)

Sie wollte nur eines: Beauty-Redakteurin bei Vogue werden. Aufgrund einer schweren ADHS-Störung bekommt sie als Teenager das Medikament Adderall verschrieben und entwickelt daraufhin eine schwere Polytoxikomanie, bei der sie sich einfach alles einwirft, um weiter ihre Leistung erbringen zu können. Das Buch hat zwar einige stilistische Mängel, liest sich aber trotzdem in einem Zug weg.

Cat Marnell an einem Promi-Anlass 2012. Foto: Getty Images

Ayelet Waldmann: A really Good Day – How Microdosing Made a Mega Difference in My Mood, My Marriage, and My Life (2017)

Waldmann ist Anwältin und vierfache Mutter, leidet aber an einer Vielzahl psychischer Störungen, von Angst über Depressionen bis zu krankhaftem prämenstruellem Syndrom. Eines Tages liest sie über LSD-Microdosing-Experimente im Silicon Valley und beschliesst, dass sie das auch ausprobieren möchte. Das Buch ist das Protokoll eines Selbstversuches und bietet viele interessante Informationen zur Geschichte von LSD – und eben über die Erfahrungen mit Microdosing.

Johan Hari: Drogen: Die Geschichte eines langen Krieges (2016)

Hari zeichnet den Weg der Drogenprohibition beziehungsweise des amerikanischen «War on Drugs» detailliert nach. Er besucht Dealer in den USA, Europa und Kolumbien, redet mit Drogenfahndern aus aller Welt, untersucht die Ökonomie der Drogenflüsse und kommt zum Schluss, dass es für Drogen nur eine Lösung gibt: Entkriminalisierung.

26 Kommentare zu «Drogen konsumieren für Fortgeschrittene»

  • Maike sagt:

    Interessant bei der Definition von Drogen und deren eventueller Schädlichkeit ist doch, ob der Staat davon profitiert oder nicht. Tabak und Alkohol sind unbestrittene Drogen, aber deren Verwendung hat einen anerkannten Status. Vermutlich weil der Staat sehr viele Steuern durch sie einnimmt. Canabis hingegen ist eine verdammungswürdige Droge, der man Einhalt gebieten muss. Da gibt es für den Staat ja auch nicht, wo er abkassieren kann. Bis jetzt zumindest.
    Beo Crack, Heroin kassiert der Staat zwar auch nicht ab, aber deren absolut schädliche Wirkung auf den menschlichen Organismus wird wohl niemand bestreiten.

    • Einzelkind sagt:

      Einen Unterschied gibt’s aber noch: ich kenne sehr viele Leute regelmässig Alkohol oder Tabak konsumierende Leute, die allesamt ganz normal ticken. Hingegen handelt es sich bei ausnahmslos allen mir bekannten Personen, die regelmässig kiffen, um ganz schräge Freaks…! Kann mir keiner angeben, dass Cannabis keine negativen Wesensveränderungen bewirkt!

      • Rüdiger sagt:

        Bei Drogen (Alkohol, Psychopharmaka, Weed, Heroin usw.) geht es immer in 9 von 10 Fallen schlecht aus. Der Mensch könnte mehr von seinem Potenzial ausschöpfen, wenn er nicht zu Drogen greifen würde. Da können all die Alkis noch so konformer als die Kiffer daherkommen. Drug Addict = Drug Addict

  • Tom sagt:

    Drogen sind schlecht, man soll sie nicht verherrlichen. Ein Leben ohne Drogen ist ein besseres Leben. Alle Drogen sind Flucht und Illusion. Man konsumiert sie, weil sie einen dazu zwingen, weil der Körper danach verlangt, weil sie anhängig machen.

    • Tim sagt:

      Es stimmt nicht das alle Drogen abhängig machen. Dies mag für Alkohol, Heroin oder Tabak zutreffen. MDMA oder LSD haben das Problem der körperlichen Abhängigkeit nicht.

      Es stimmt auch nicht das alle Drogen Flucht sind. Gewisse Drogen wie Alkohol oder Opiode erlauben das. Andere wie MDMA und klassische Psychedelika können sehr wohl verwendet werden um die inneren Dämonen effektiv zu bekämpfen und überwinden.

      • Armin sagt:

        Das machen Sie sich nur vor mit der Bekämpfung der inneren Dämonen. Wenn Sie das subjektiv so empfinden, hat das Null Relevanz. Sie hätten Ihre Dämonen mit einer Gesprächstherapie wahrscheinlich effektiver bekämpft und wären in kürzerer Zeit weitergekommen. Ihre Dämonen gingen zurück, weil Sie älter wurden, mehr Erfahrungen haben und Erwartungen an sich selbst zurückgeschraubt haben. Das waren Sie und nicht die Droge! Sie zimmern sich eine Rechtfertigung für Drogenkonsum zusammen, der weder sinnvoll noch haltbar ist.

        • Tim sagt:

          Die MDMA assistierte Therapie für posttraumatische Belastungsstörung zeigt ausserordentlich gute Resultate so waren 68% der Teilnehmer mit Behandlungsresistenter PTBS 12 Monate nach der Therapie beschwerdenfrei.

          Studien mit Psilocybin, zeigen ähnlich gute Resultate mit Abhängigen von Alkohol, Tabak und Depressionen. Eine mögliche Erklährung ist, dass während einem Trip der Teil des Gehirns das für das Ego zuständig ist heruntergefahren wird und weniger Kontrolle über den Rest ausübt.

          Das ist natürlich gerade die gegenteilige als die um vielfaches gefährlichere Droge Alkohol wo insbesondere der Teil heruntergefahren wird, der für zukunftsgerichtete Entscheide verantwortlich ist.

    • Marco Muster sagt:

      Psychedelika machen weder abhängig, noch sind sie zwangsweise eine Flucht. Sie erweitern den Horizont, lassen einen über sich selber reflektieren, legen den konsumorientierten leistungsmenschen flach. Auch sie würden davon sicher profitieren. Auch wenn die Reise nicht immer einfach ist.

  • Wurmel sagt:

    Danke für die Liste. In der gleichen Sparte kann ich folgendes Empfehlen:

    Golfidis: „der Heroin Schuster“ Autobiographie eines Heroinjunkies. Super witzig geschrieben und sehr echt. Zum lachen und weinen.

    Caspar: „zone c“. Teil aus dem leben eines Crystal Meth Junkies. Starke Szenen. Sehr depro. Unglaublich real und guter Twist. Kurzes Buch!

    Uzler: „Party am Abgrund“ Autobiographie einer Frau die jahrelang der europäischen Freetekno Bewegung angehörte. Für alle Festivalgänger sehr spannend mit tiefen Einblicken in eine ziemlich undergroundige szene. Nimmt sich leider selbst beim schreiben des buches zu ernst. Daher eher trockener stil.

    Viel Spass

  • andy sagt:

    Orientierung an den Kranken mit Folgen wie AIDS, Hepatitis C oder „einfach nur“ psychischen Störungen sind mir keine Befriedigung. Sehe das Tragische des und der Leben auch ohne die literarische kommerz Begeilung und Abstumpfung genug im Alltag in den Gesichtern und Blicken etc.

  • Heinz sagt:

    Ich versteh diese Drogenfaszination nicht so wirklich. Als Raver in den 90ern habe ich alle diese zugedröhnten Gestalten zu genüge gesehen. Drogen sind was für Bünzlis.

    • Hans Hasler sagt:

      Amphetamine, Extasy etc sind für ich auch nicht wirklich faszinierend.
      Aber bei Opiaten kann ich die Faszination absolut nachvollziehen. Einmal genommen und Fazit: Absolut mega ober geil! Ich verstehe, dass man da abhängig werden kann. Und wie – daher gilt für mich auch: NIE WIEDER! einfach zu gefährlich.

      • Asta Amman sagt:

        @Hans Hasler: Da bin ich ganz bei Ihnen. Aber ein bisschen „klassische“ Literatur von nicht ganz so Widerstandsfähigen gönne ich mir gerne. Zum Beispiel von Klaus Mann, Friedrich Glauser oder Hans Fallada (Zitat: „Die Glückseligkeit ist transportabel geworden“).

  • Philipp M. Rittermann sagt:

    die wohl am meisten unterschätzte droge ist – (nein, nicht der alk) – die konsumgeilheit. verbunden mit statussucht, unersättlichkeit und schulden.
    konsum macht die gesellschaft gefügig, manipulierbar und strebsam. brot & spiele. das wussten schon die alten römer.
    man beginnt mal damit, und will stetig mehr. (wichtigstes merkmal einer sucht). drum gehen wir arbeiten müssen….
    täten wir das nicht, bräche der konsum ein und die existenzängste kommen. der konsum ist die geissel der modernen und wohlstandsverwahrlosten gesellschaft.

  • Claude Fontana sagt:

    @Maike,: Klar Profitiert der staat davon. Man kann damit Rüstungszweige unterhalten. Mexikanische Drogenbarone kaufen praktisch ausschliesslich amerikanische Waffen.In Afghanistan haut man den Taliban auf die finger weil die Opiumfelder erobern, oder Abfackeln (seit 1986, nicht 2001) trotzdem kommen in den USA immer stärkere „Präparate“heraus, die hier ganz klar verboten sind. „Dsuvia“ ist so ein neues Opiat, 10x stärker als Fentanyl. Der krieg in Afghanistan geht also weiter. Spice ein chemisch angereichertes Gras, dass sie tötet, wenn sie es dosieren wie „Gras“. was in England gerade unter Obdachlosen die „Enddroge“ ist. Tote brauchen keine Sozialgelder. usw. Es sind schon lange tolerierte Tatsachen, aber spass an der Repression hat man trotzdem.

  • David Bühlmann sagt:

    Dreamland von Sam Quinones beschreibt den Werdegang der aktuellen Opioid-Epidemie in den USA. Sehr empfehlenswert.

  • marsel sagt:

    Bücher über Drogen stelle ich mir in etwa so berauschend vor wie Bücher über Sex befriedigend sind.

  • sheesh sagt:

    DMT – The spririt molecule von Rick Strassmann

  • Marie Bornand sagt:

    Was ist mit der Pflanze „ayahuasca“ ? Die scheint stark im Trend zu sein. Aus Südamerika. Hat jemand Erfahrung ? Würde mich nicht getrauen da nie in meinem Leben Drogen genommen habe. Aber scheint interessante Effekte zu haben, Menschen sehen ihr Leben, was sie tun könnten oder verpasst haben, usw. und auch manchmal vorherige Leben. All dies hilft ihnen weiterzukommen. Heute Abend eine Sendung darüber im welschen Fernsehen, Sendung „Temps Présent“ 2. Teil.

  • Alexander Brand sagt:

    Ein paar lose & „nüchterne“ Fakten:
    18% der jährlich 60’000 Toten in der Schweiz gehen zulasten von Alkohol und Tabak.
    Bei 80% der schweren Gewalttaten gg. Leib und Leben ist Alkohol im Spiel.
    Die 24-Stunden-Spassgesellschaft macht nicht wirklich Spass, lenkt aber gut ab.
    Das offen zutage tretende Zerstörungspotential legaler Substanzen, inkl. Konsum-, Geltungs- und Status-Sucht, spricht für sich.
    Das brachliegende spirituelle und medizinische Heilungspotential illegaler Substanzen spricht Bände.
    Das menschliche Bewusstsein fusst auf der Wechselwirkung chemischer Substanzen und elektromagnetischer Impulse im Gehirn.
    Ein besserer Zugang zur linken Gehirnhälfte könnte nicht schaden.
    Es gäbe genug Geld auf der www_Welt um jedem Menschen eine würdevolle Existenz zu garantieren…

    • Jessas Neiau sagt:

      Es gibt nicht sehr viele Menschen, die auf eine „würdevolle Existenz“ grossen Wert legen oder jedenfalls viel von dieser Würde sehen lassen.

  • andy sagt:

    Kurz vor dem Tod im Spital werden alle Patienten Drogen süchtig. Mit Morphium rutscht man einfach schmerzfreier ins Nirvana. Bis dahin lebt es sich würdevoller mit dem sogenannten Bogen um alle Drogen.

  • Barbara sagt:

    …und wenn dann Ihnen plötzlich, mit einem Jugendlichen im Haushalt, ein paar kosmetischen Spritznadeln verschwinden, dann erleben Sie als Mutter den richtigen Schock, persönlich kann ich nur auf ..Bahnhof Zoo Literatur in Erinnerung zurück greifen und ein paar Codein Toluen Diazepammischungen mit Alkohol jedoch nie wirklich zum psychod. Drogenkonsum inkliniert, wünschenswert wäre es wenn sich Jugendarbeiter gründlich mit diesem Thema fortlaufend befassen und ernsthaft und konsequent bei Jugendlichen handeln würden. Motivation Ziel stabiles Zuhause ist ohnehin das a und o für eine halbwegs normale Entwicklung. Ihr Artikel ist sehr gut, ein Weckruf mehr in drogenintensiven Zeiten schadet sicher nicht.

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