Das Bermudadreieck für Freundschaften

Freunde sind alles: Filmstill aus «Peter’s Friends». Foto: PD

Dass das mittlere Lebensalter unaufhörlich mit kleinen, unangenehmen Überraschungen aufwartet – die erste Darmspiegelung, Ohrenhaare oder eine plötzliche Vorliebe für Radio SRF 1 –, daran habe ich mich gewöhnt. Doch kürzlich las ich etwas wirklich Beunruhigendes: Das mittlere Lebensalter sei das Bermudadreieck für Freundschaften.

Die Gründe sind klar. Freundschaften drehen sich mit zunehmendem Alter nicht mehr um Ausgang, Freizeit oder Liebesleben. Man muss keinen Kumpel mit Herzschmerz mehr trösten, sondern ist mit Scheidungen, Fehlgeburten oder Tod konfrontiert. Dazu kommt die schwindende Zeit füreinander; eigene Kinder saugen am meisten ab, aber auch pflegebedürftige Eltern und die Karriere sind zeitintensiv. Wenn man dann einen Drink braucht, tuts auch der Arbeitskollege.

Doch Freundschaften sind buchstäblich lebenswichtig. Laut einer australischen Studie verlängern sie das Leben. Menschen mit Freunden im Alter haben eine geringere Sterblichkeit als solche ohne Freunde. Freundschaften sind sogar gesünder als ein gesunder Lifestyle. Wie die Wissenschaftler herausfanden, sterben ältere, gesunde Menschen ohne Freunde in der Tendenz früher als solche, die rauchen und trinken, aber ein reges Sozialleben haben. Und: Familie und Kinder haben weder einen positiven noch einen negativen Einfluss auf die Lebenserwartung – nur Freundschaften.

Freundschaften sind nicht selbstverständlich

Die Erklärung dafür ist so spannend wie witzig. Offenbar ist unser Gehirn so angelegt, dass es Stress und andere negative Emotionen im Beisein eines Freundes besser verarbeiten kann. Die Wissenschaftler wähnen den Ursprung dieses Phänomens in der grauen Vorzeit, als unsere Vorfahren angesichts eines wilden Tiers die Flucht ergreifen mussten – es sei denn, sie erhielten Hilfe von anderen Menschen.

Aber ich schweife ab. Was ich sagen will: Freundschaften sind nicht selbstverständlich. Dass sie im Unterschied zu Familienbanden freiwillig und ohne sexuelle Interessen geschlossen werden und man einander nichts schuldet, ist das Schöne an ihnen – aber auch das Gefährliche, weil sie dadurch leicht zerbrechen können.

Ich habe das Bermudadreieck der Freundschaften bisher schadlos befahren. Aber vielleicht ist der Begriff sowieso irreführend. Er klingt nach unheimlichem, unerwartetem Schiffbruch. Doch gute Freundschaften sind nicht dem Sturm des Zufalls überlassen. Auch wenn sie freiwillig eingegangen werden, brauchen sie Unterhalt – oder um bei der nautischen Metaphorik zu bleiben: ein stabiles Gefährt.

Dieses Wochenende ko-veranstalte ich wie jedes Jahr ein grosses Fest, an dem Kinder für einmal zu Hause bleiben müssen. Manchmal fragen die Gäste, ob ich meinen Geburtstag feiere, der jeweils in die Sommerferien fällt. Nein? Wieso denn das Fest? Es brauche für ein Fest doch keinen Anlass, sage ich dann nonchalant. Obwohl es diesen sehr wohl gibt: meine Freunde.

10 Kommentare zu «Das Bermudadreieck für Freundschaften»

  • Marcel Weberling sagt:

    Spricht mir aus der Seele. Besten Dank für perfekte Analyse.

  • CoffeeToffee sagt:

    Rauchen, Trinken und Freunde- ich werde ein langes und erfülltes Leben haben, yeah!

  • Peter sagt:

    Gute Freunde sind sehr wichtig für ein ausgeglichenes Leben.. Ich bin seit über 25 Jahren glücklich verheiratet und meine älteste Freundschaft besteht seit über 40 Jahren. Mit diesem Freund habe ich Freud und Leid geteilt und auch Dinge, von die meine Frau nichts weiss. Und bei ihr ist es ähnlich – sie hat Freundinnen, die sie weit aus länger kennt als mich. Und ich bin mir sicher, die haben auch Dinge gewälzt, von denen ich nicht den blassesten Schimmer habe und nie haben werde. Und das ist gut so.
    Ich sehe dieses sogar bei meiner Katze. Die ist ein Freigänger – geht aber erst auf Piste, wenn sie von der Nachbarskatze abgeholt wird. Kurzer Nasenstüber zur Begrüssung und dann marschieren sie los.

  • Jessas Neiau sagt:

    Wer Freunde haben will soll auf Facebook gehen. Es gibt genug Beispiele für Leute, die WEGEN ihrer Freunde gestorben sind. Jung. Und genügend andere, die ohne Freunde trotzdem uralt geworden sind. Na und. Aber Hauptsache Studie.

    • Christoph Bögli sagt:

      Seltsame Einwände:
      1. Das notorische Einzelfallbeispiel ist und bleibt lächerlich wenn es um statistische Zusammenhänge geht. Natürlich wird man unter 7 Mia. Menschen auch einen Kettenraucher finden, der 100 Jahre alt geworden ist, das bedeutet trotzdem nicht, dass Rauchen nicht schädlich ist.
      2. „Freunde“ können natürlich auch einen negativen Einfluss haben, das ändert aber nichts an den gesamthaft positiven Effekten guter sozialer Kontakte.
      3. Facebook ist eher ein erweitertes Addressbuch für Bekannte und Kollegen, das zwar auch dazu dienen kann, mit Freunden zu kommunizieren – aber dazu braucht man halt erstmal richtige Freunde..

  • Ghisletta sagt:

    Nicht nur Freunde, auch die Kinder verlängern das Leben: https://www.stern.de/gesundheit/kinder-eltern-lebenserwartung-sterberisiko-7367598.html

  • Matthias sagt:

    Gerade eben dasselbe gemacht. Und dank meiner Freunde ist es ein wundervoller Abend bzw. Morgen geworden. Dank an alle, die dabei waren.

  • Gaby sagt:

    Sehr schön geschrieben. Auch wichtig: offen für andere bleiben, dann kann man auch im mittleren Alter noch neue Freunde finden. Nur die alte Clique zu pflegen könnte dann auch mal ein wenig eintönig werden. Und meine Erfahrung ist, dass eben nicht mehr alle meine alten Freunde zu mir passen, da wir uns ja alle immer auch verändern. Das ist dann auch ok.

    • doris sagt:

      Ich bin nach dem Lesen des Artikels einmal mehr ganz glücklich, zu den vielen jahrzehntealten Freundschaften immer viel Sorge getragen zu haben, auch wenn es mal den einen oder andern Zwist gab. Man freut sich, sich zu sehen, ist sich vertraut. Aber auch neue Freundschaften konnte ich nach Ü 60 eingehen, dank Weiterbildungen, Volkshochschule, sportliche Aktivitäten. Und den Kontakt mit alten Arbeitskollegen liess ich nie abbrechen. Freunde geben einem viel, es ist ein Geben und Nehmen und trägt einen.

  • tina sagt:

    habe nicht ganz verstanden, warum für den autor scheidung und tod offenbar nicht nichts mit herzschmerz zutun haben, und auch nicht, warum er denkt, dass man alten freunden nicht mehr beistehe wenn sie solche dinge erleben. im gegenteil, würde ich behaupten.
    ich hatte wirklich keine kapazität freundschaften gebührend zu pflegen. aber nun habe ich wieder etwas mehr luft für mich selber und dinge, die nicht unter der kategorie 1. priorität laufen und freue mich, wieder leute zu treffen, die ich in den letzten 20 jahren kaum mehr sah. es ist erstaunlicherweise, alsob man sich bereits 3mal getroffen hätte letzte woche :).
    ein jährliches fest hätte dabei nichts besser gemacht, würde ich sagen. aber natürlich spricht nichts gegen ein fest.

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