Gestatten, DJ Geronto

Michèle & Friends

Einmal DJ, immer DJ: Techno-Pionier Sven Väth weigert sich auch mit Mitte 50, abzutreten. Foto: Keystone

Nebst meinem Beruf als Journalist amte ich ab und zu als DJ. Kürzlich war ich in einer Bar mit einem kleinen Dancefloor gebucht. Irgendwann stand ein zirka 25-jähriger Typ vor mir und starrte mich an. Ich dachte, er interessiere sich für meine Mix-Künste, und lächelte ihn geschmeichelt an. Aber er starrte weiter.

«Was ist?», fragte ich.

«Brauchst du Hilfe?»

Ich hab als mittelalterlicher Plattenaufleger ja schon vieles erlebt in der DJ-Kanzel – zum Beispiel wurde ich mal von einer jungen Frau, die einen Musikwunsch hatte, gesiezt –, aber das hier schlug dem Fass den Boden aus.

«Nein», sagte ich schroff. Blöderweise versiebte ich eine halbe Stunde später wegen eines Absturzes des Laptops einen Übergang zwischen zwei Stücken. Sofort stand der Typ wieder vor mir und grinste mich grenzdebil an.

«Hau einfach ab», sagte ich so cool wie möglich und konzentrierte mich auf den nächsten Mix, wie ich mich noch selten auf einen Mix konzentriert hatte. Doch im Hinterkopf ratterte es: Ist man irgendwann zu alt, um DJ zu sein? Wollen die Jungen Gleichaltrige hinter den Plattentellern sehen? Was, wenn die inzwischen erwachsenen Kinder von Kollegen hereinspazieren? Finden sie mich cool oder peinlich?

Aber die eigentliche Frage ist ja eine andere: Wieso steht man mit Mitte 40 noch hinter den Plattentellern?

Reaktionen zwischen Neugier und Skepsis

Klar, wenn einer Tausende Franken für einen Auftritt kriegt, macht er es, weil es sein Beruf ist und er so die Rechnungen zahlen kann. Aber das ist bei mir nicht der Fall. Im Gegenteil: Ich würde wohl auch gratis auflegen. Denn beim DJing wird das Ego derart intensiv gestreichelt, wie es nur in wenigen anderen Lebenslagen der Fall ist. Andere Männer haben Affären mit jüngeren Frauen, ich offenbar mit Mischpulten.

Ist doch okay, finden Sie? Dann waren Sie noch nie mit 50 in einem Club. Da wird man im besten Fall neugierig angeguckt – bei einem ergrauten DJ weicht dieser Blick blanker Skepsis. Und es ist ja auch so, dass man als solcher oft Blut schwitzt. Das Selbstbewusstsein fehlt. Man hat die neusten Tracks nicht beziehungsweise keine Zeit, sich stundenlang mit ihnen auseinanderzusetzen.

Heisst das in der Konsequenz, dass man aufhören sollte? Platz machen sollte? Nein. Die Jungen sollen uns gefälligst eine Chance geben. Denn ein älterer DJ hat mehr Erfahrung in der Set-Dramaturgie und ein breiteres Repertoire. Überhaupt: In schwarzen Musikrichtungen wie Reggae oder Blues wurden ältere Musiker noch nie entsorgt. Im Gegenteil: Sie werden in Ehren gehalten.

Die Generationen verbinden statt trennen

Das Gerede über die Notwendigkeit von Abgrenzung und Selbstfindung von Jungen, das stets in Kolumnen gipfelt, die sich über Eltern lustig machen, die die gleiche Turnschuhmarke wie ihre Kinder tragen, habe ich noch nie ganz verstanden. Die Jugend hat ein unschlagbares biologisches Distinktionsmerkmal: Straffe Haut und volle Haare. Vielmehr braucht es – zumal im urbanen Raum – mehr Generationenverbindendes. Dass ausgerechnet Partys diese Funktion einnehmen könnten, ist doch ein reizvoller Gedanke. Ob er realistisch ist, ist eine andere Frage.

Vielleicht sollte ich mit gutem Beispiel vorangehen und dem jungen Grinser das nächste Mal kurzzeitig das Mischpult überlassen? Aber das ginge dann doch ein bisschen zu weit.

26 Kommentare zu «Gestatten, DJ Geronto»

  • Ralf Schrader sagt:

    ‚Wieso steht man mit Mitte 40 noch hinter den Plattentellern?‘

    Entweder verdient man damit Geld, dann legt man auch Bauklötze auf den Teller, so das bezahlt wird, oder man hat die Musik noch nicht für sich entdeckt. Warum arbeitet einer Mitte 40 noch auf dem Bau? Vermutlich, weil er nichts besseres kann.

  • Christoph Bögli sagt:

    Ach, es gibt immer einen Idioten im Raum, der irgendein tieferliegendes Problem hat und sich deshalb affig benehmen muss. Wäre der Autor nicht zu „alt“, dann wäre er vielleicht zu dick, zu klein, zu jung, zu weiblich oder was auch immer. Einfach ignorieren und gut ist. Im übrigen scheint mir die Frage selbst etwas altbacken. Muss man in Zeiten, in denen 70jährige ausverkaufte Hallen rocken, ernsthaft diskutieren, ob man mit Mitte 40 noch DJ sein „kann“? Da zählt doch nur, ob man die Musik liefern kann, wenn das gelingt, dann kann der Betreffend auch 70 sein. Zumal die meisten Leute DJs ja eh kaum als Person wahrnehmen wenn sie irgendwo versteckt hinter Mischpulten stehen..

    • Reincarnation of XY sagt:

      Ganz meine Meinung.
      Und all dieses Gerede, dass man sich gefälligst nicht „Jugendlich“ zu benehmen habe, ist auch nur von Leuten, die irgendwo ein Problem mit sich selbst haben.
      Man soll einfach das zu tun, was man gerne macht und jeder lebensfrohe Mensch wird dann den Daumen nach oben halten.
      Wer sich an Leuten stört, die das tun, was ihnen Spass macht, der ist ein miesepetriger Loser, der eben selbst nicht tut, was er eigentlich gerne würde.

      Also, nur weiter so Keep on rockin‘ – oder meinetwegen clubin‘ . Ganz egal, wir sollte unsere Leidenschaften ausleben und uns von keinem Loser einreden lassen, wir seien jetzt zu alt dafür.

    • Ralf Schrader sagt:

      Der Psychiater und Schriftsteller Walter Vogt hat in seinem Buch über das Altern, dass auch ‚Altern‘ heisst, geschrieben: Ab 50 taugt ein Mann nur noch für Poesie und Philosophie.

      Ich würde das abändern, wer sich ab 50 noch für etwas anderes als Poesie und Philosophie interessiert, läuft Gefahr, vor dem Erwachsenwerden zu sterben.

      Man darf das weit fassen, viele Alltagsmusik vom Volkslied bis zum Pop kann von poetischen Texten und philosophisch angehauchter Komposition begleitet sein. Man muss zu Nietzsche nicht nur Wagner hören (obwohl das natürlich immer die beste Wahl ist).

      Aber Tanzmusik und Beschäftigung mit Flachwassern wie Wirtschaft oder Politik sollte es dann nicht mehr sein.

      • Anh Toàn sagt:

        „..wer sich ab 50 noch für etwas anderes als Poesie und Philosophie interessiert, läuft Gefahr, vor dem Erwachsenwerden zu sterben.“

        Nöh, wer bis 50 noch nicht erwachsen wurde, muss nicht mehr.

      • Regula Habig sagt:

        Sie können zu Nietzsche nicht Wagner hören, weil Nietzsche Wagner nicht leiden mochte …

  • Michael sagt:

    Was einen guten DJ ausmacht ist nun wirklich nicht das Alter sondern ob er mit seiner aufgelegten Musik die Massen noch erreicht ! Wenn er das schafft, kann er es noch mit 50 – 60 – 70 machen. Die Stones sind ja auch noch auf Tournee…..

  • Urs M. sagt:

    Hm, mal keine Frau die abschätzig behandelt wird? Kennt ihr tatsächlich noch andere Themen als Frauenunterdrückung? Muss ein Irrtum sein bei der Themenwahl.

  • tina sagt:

    was kann ich dafür, dass mein sohn die exakt gleichen turnschuhe (ja gut, 7 nummern grösser) gekauft hat? ER hat die gleichen wie ich. nicht umgekehrt. ich trug schon vor 100 jahren converse. nein, ich mache nicht auf jugendlich, ich trage einfach immer noch gern, was ich gern trage. und haare gefärbt habe ich schliesslich auch schon als teenie. #nichtmeinproblem

  • Andreas sagt:

    Diesen Altersrassismus kenn man vor allem in der Schweiz. Gilt ja für alle Berufe. In Südamerika gehe ich als 50+ in jeden Club oder Electronica, gehe mit Twens surfen oder werde von denen zu Parties eingeladen. Die besten Freunde sind alle 20 Jahre jünger und rufen mich für einen Rat bei jeder Lebenskrise an. Auch “ältere” Frauen gehen in Salsa Clubs tanzen, ohne abwertende Blicke oder dumme Sprüche. In der Schweiz würde man sofort sagen, ich kann kann nicht alt werden oder hätte eine Krise. Auf Besuch in der Schweiz habe aber das Gefühl man will mir über die Straße helfen, “Senioren” bleibe unter sich und bei jeder Aktivität schwingt “das macht man nicht” mit, weil es immer darum geht was Andere denken könnten.

    • Ralf Schrader sagt:

      In der Schweiz sollte man parallel zum alt auch noch erwachsen werden.

    • Serdar Tasci sagt:

      Ist leider wahr. Auch im südlichen Europa hat es in den Clubs 18 bis 60 jährige Besucher, keiner muss sich verstecken und keiner muss sich schämen. Aber bei uns in der Schweiz ist allerspätestens ab 40 nur noch der Besuch in einer Bar erlaubt. Deshalb liebe ich Ibiza!

  • Sportpapi sagt:

    Es gibt ja auch noch die Ü40-Parties…

    • Chris Schmidlin sagt:

      Korrekte Bezeichnung unter Jungen ist Gammelfleischparty. Habe ich (62) jedenfalls gehört.

      • Andreas sagt:

        Auch Zombie Night oder Spitex Turnen : )
        Meine Mutter fuhr mit 20 eine Royal Enfield, bis 82 fuhr sie noch auf einer Harley mit und jetzt mit 86 flippt sie bei Ferraris immer noch aus wie ein 12jähriger am Autosalon.
        Es gibt 25jährige, die sind schon tot und wissen es nicht und es gibt 80jährige die sind noch voller Leben. Ich will Letzteres sein und was verbitterte Leute denken ist mir egal. Sven Väth fetzt auch noch.

      • Sportpapi sagt:

        Dafür hat es dort noch DJs, die richtige Musik spielen…

  • marsel sagt:

    Wer mit dem Laptop aufkreuzt ist eh ein armseeliger DJ, vergleichbar mit einem Koch, der mit der Mikrowelle vorgekochtes aufwärmt.

    • Doris sagt:

      Bin ganz einig mit Marsel. Was zählt, ist das Feuer, das Mitgehen, die Liebe zu den einzelnen Musikstücken, und das kommt beim genannten DJ sicherlich auch herüber. Mit Laptop, da fehlt einfach der Schwung, die Bewegung. Vinyl ist sinnlich.

  • Eduardo sagt:

    Die meisten im Publikum bei derartigen Konzerten sind halt meist recht jung, und für die wirken Leute über 35 bereits alt.

    Ich kann mich noch erinnern, dass die meisten Lehrer für mich als Schüler im Grunde ebenfalls schon alt waren, obwohl, wie ich zu meiner Verblüffung erst Jahrzehnte später auch anhand des Internets herausfand, manche sogar noch keine 30 waren.

    Als Elvis mit 42, John Lennon mit 40 und Bob Marley mit 37 starben, war das für mich mit 18, 21 und 22 nicht zu früh, sondern für diese älteren Herren durchaus angemessen, denn für mein Gefühl hatten sie die für sie relevante Zeit bereits weit hinter sich gelassen und zählten zum alten Eisen 😉

    Verständlich, denn im Alter bis ca. 24 hat man noch das süsse täuschende Gefühl, selbst ewig zu leben.

  • Peter Meier sagt:

    Machen Sie doch was Sie gerne machen. Aus meiner Erfahrung was man gerne macht, macht man auch meistens gut. Wenn Sie dann nicht mehr gebucht werden, können Sie dann sowieso nichts mehr machen. Es ist nichts schöneres als zusehen wie jemand voll bei der Sache mit Enthusiasmus und Liebe und Begeisterung und Neugier und fasziniert was daraus kommt erwartet etwas macht. Wenn man den Draht dabei hat zum Publikum kann nicht viel falsch laufen. Und wenn doch dann sind nicht nur Sie schuld aber auch ihr Gegenüber in diesem Falle die Barbesucher und womöglich auch die ganze Atmosphäre. Also ich würde mich nicht verlieren versuchen in Selbstzweifeln aber es gerne machen was ich auch immer tue und…es kommt schon gut.

  • Peter Meier sagt:

    Vielleicht☺

  • Peter Meier sagt:

    Und wenns gar nicht mehr geht dann ist man sowieso im falschen Film. Da bleibt einem nur noch gehen oder aufhören. Da war man zur falschen Zeit am falschen Ort und man kann sich verabschieden.

  • Peter Meier sagt:

    Nützlich kann dabei auch sein, wenn man sich nicht verstellt und den coolen nicht spielt wenn man total verkrampft ist. Das kommt nicht gut rüber. Jugendliche haben feine Nasen. Da kann dabei einer auf die Idee kommen Sie zu fragen ob Sie hilfe brauchen. Oder fängt sogar an, Ihnen versuchen zu helfen, ohne Sie oder Ihr Zustand im Vorfeld überhaupt abzuklären.

  • Peter Meier sagt:

    Ich wünsche Ihnen viel Glück und viel Spass weiter am Platten legen. Haupsächlich man hat etwas was einen nicht nur am Leben hält aber auch bereichert und auch irgendwie Sinn des Ganzen vermittelt und ergibt.

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