Wie man verlieren lernt

Das langweiligste Spiel der Welt und trotzdem ein Meme: Uno. (reeb0k2008/flickr.com / Foto: via Sizzle)
Wer Familie hat, der tut vieles, was er sich als kinderloser Mensch niemals hätte vorstellen können. Er beschäftigt sich jahrelang mit der Konsistenz menschlicher Exkremente, näher als ihm lieb sein kann. Er rennt mitten in der Nacht mit einem fiebernden Kind zum Notfallarzt. Und er spielt Gesellschaftsspiele.
Ich brauchte eine Weile, bis ich daran Gefallen finden konnte. Als Kind spielte ich oft mit meinen Geschwistern und Erwachsenen Gesellschaftsspiele. Aber irgendwann fühlt man sich dafür zu alt oder zu cool. Vielleicht weil solche Spiele daran erinnern, wie langweilig einem als Kind werden konnte. Lange erschien mir der blosse Gedanken daran als mentale Folter. Aber von all den Dingen, die zu tun ich mir nie hätte vorstellen können, bevor ich Kinder bekam, gehören Gesellschaftsspiele zu der angenehmeren Sorte. Oder könnten dazu gehören.
Kinder sind als Gegner naturgemäss lange nicht besonders ernst zu nehmen. Man weicht also auf Spiele aus, bei denen das keine Rolle spielt. Uno gehört deshalb zu den beliebtesten Familienspielen, der Zufall spielt die Hauptrolle, gewinnen oder verlieren ist unwichtig, Hauptsache, das Gemeinsame zählt. Nicht erstaunlich also, dass Uno zu den langweiligsten Spielen überhaupt gehört. Man will ja schliesslich gewinnen, am besten gegen einen ebenbürtigen Gegner. Hier ist Memory die erste Wahl, denn das Kindergedächtnis funktioniert für dieses Spiel schnell genauso gut, wie das eines Erwachsenen. Aber wirklich lustig wird es erst, wenn die Kinder auch komplexere Spiele besser beherrschen. Oder wirklich lustig fand ich es bis vor kurzem.
Wachsende Synapsen versus schrumpfendes Gehirn
Mit meiner Tochter spiele ich seit Jahren regelmässig Spiele wie Set, oder dreidimensionales Vier-Gewinnt; Spiele, bei denen man räumlich denken und schnell kombinieren muss. Als wir mit dieser kleinen Tradition begannen, hielten sich Siege und Niederlagen etwa die Waage. Nur seit etwa eineinhalb Jahren hat sich das geändert. Wo ich sie früher mit Leichtigkeit dominierte, zerstört sie mich heute nur noch. Es ist, als könnte ich ihren Synapsen beim Wachsen zusehen – eine beängstigende Vorstellung, nur übertroffen vom Gedanken, dass mein eigenes Gehirn elendiglich schrumpft. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass ein erwachsenes Gehirn dafür effizienter arbeitet.
Natürlich kostet die Tochter ihre Siegesserie aus – und das soll sie auch. Ich tröste mich mit den wenigen Gelegenheiten, wenn ich besonders frisch und sie müde ist und es mir doch gelingt, sie zu schlagen. Verlieren fällt wohl niemandem besonders leicht, besonders nicht gegen Geschwister oder den Partner. Man kennt die Dramen in Jassrunden, wenn Pärchen gegeneinander antreten und das in entnervenden Beziehungskrisen endet. Kein schönes Bild. Erstaunlicherweise ist es einfacher, gegen das eigene Kind zu verlieren, auch wenn die Metaphorik dieses Bildes schmerzhaft ist. Älter werden heisst, verlieren lernen. Vielleicht ist das der Preis für beglückende gemeinsame Erfahrungen. Aber so lernt man es wenigstens mit Gewinn.
36 Kommentare zu «Wie man verlieren lernt»
Warum gerade dieses Bild? Man merkt den pädagogischen Holzhammer.
Pädagogischer Holzhammer? Möchten Sie das erklären?
Wenn der Spieler auf dem Foto Asiate, Inuit oder Skandinavier gewesen wäre, hätten Sie nichts geschrieben. Wieso ist es ein Problem, einen schwarzen Uno-Spieler abzubilden?
@Hans: Das Bild ist ein Meme. Ich erkläre den Witz mal. Hier haben wir den harten HipHop-Gangster, der das Kinderspiel Uno spielt.
Allen Iverson ist kein Hip Hop-Gangster, sondern war Profibasketballer bei den Philadelphia 76ers 😉
nicht zu verwechseln mit einer memme. 😉
Kein Hip Hop, Allen Iverson war Basketballer!
Witz voll gelungen. Ich fand das lustig.
Beste Grüsse
O.R.
Beim abgebildeten UNO-Spieler handelt es sich um Allen Iverson — einen legendären Basketballspieler.
Das ist der Ex-Basketballstar Allan Iverson. Habe nur wegen ihm den Artikel angeklickt, dann wird er nicht erwähnt.. 🙁 ..
Beim abgebildeten Uno-Spieler handelt es sich um Allen Iverson, einen Basketballspieler, der 2016 in die Hall of Fame aufgenommen wurde.
Danke liebe Leser und Leserinnen, dass ihr mich da aufklärt. Hatte ich tatsächlich nicht gewusst!
Der „Harte“ HipHop-Gangster trägt eine Ersatzunterhose unter dem Käppi, wie hart kann er schon sein? 🙂
Zurück zum thema: finden sie doch ein anderes spiel, Oder machen sie es wie Politiker: Nehmen Sie ein bekanntes spiel, und ändern immer dann die Regeln, wenn sich ihr Kind auf die alten eingeschossen hat.Betrügen sie es so hinterlistig wie sie können, eine bessere Vorbereitung fürs Leben wirds nicht geben.
Ach, sie meinen dass Betrügen die geeignete Form ist Kinder zu erziehen? Entweder Sie haben selber keine Kinder, denn dann wüssten Sie dass Kinder das sowieso dauernd die Spielregeln ändern, oder Ihnen ist in Ihrer Kindheit schreckliches angetan worden. Da kann man Ihnen nur gute Genesung wünschen.
Im Spiel zu verlieren sollte man als Erwachsener eigentlich so gut gelernt haben, dass einem das Verlieren gegen die eigenen Kinder nichts ausmacht, sondern im Gegenteil mit Stolz erfüllt. Aber wen das Verlieren stört, der kann ja vorzugsweise Gesellschaftsspiele spielen, bei denen man gemeinsam ein Ziel verfolgt. Davon gibt es auch genügend.
Mit meinem Vater habe ich mich ein Leben lang im Schach gemessen. Er hat es mir beigebracht. Später haben wir im Verein zusammen gespielt. Die Auswärtspartien mit der Mannschaft haben uns zusammen gebracht und das wett gemacht was die Rechthaberei der Pubertät fast zerstörte. Wenn der Vater später zu Besuch kam konnten wir stundenlang spielen, meistens Blitzschach mit der Uhr. Als er dann den Hirntumor bekam (Glioblastom, inoperabel) haben wir vor dem Brett gesessen und überlegt, was die Figuren bedeuten und uns Geschichten dazu ausgedacht. Eigentlich haben wir sonst nie geredet aber erstaunlich viel Zeit zusammen verbracht. Wenn ich heute einmal online eine Partie spiele schaut er mir noch immer vom Himmel über die Schulter.
Ich finde es noch ein interessantes Thema. Als Kind habe ich irgendwann keine Spiele mehr gespielt, weil meine Brüder dermassen ehrgeizig waren und so eingeschnappt, wenn sie mal verloren haben, dass mir daran jeder Spass verging. Eine meiner Töchter ist total spieleversessen und hat mir (nach jahrzehntelanger Abstinenz) beigebracht, dass es auch ganz anders geht: fröhlich, lachend, ehrgeizig, aber nicht verbissen und mit Gelassenheit. Ihr (um einiges jüngerer) Bruder jedoch fängt jetzt an, wie früher meine eigenen Brüder für unsere Begriffe viel zu viel Ehrgeiz in die Sache zu legen. Er verdirbt uns regelmässig die Laune mit seinen Täubeleien und Wutanfällen – ich habe keinen Schimmer, wie man das ändern könnte….. Ist das eine Charaktersache?
Mich haben bei den Spielen ja immer die Mitspieler/innen gestört, die keinerlei Ehrgeiz gezeigt haben. Und die dann beispielsweise aus Monopoly ein Kooperationsprojekt gemacht haben.
Gehört doch dazu, dass man beim Spielen gewinnen will. Wie es auch dazu gehört, nach dem Spiel mit der Niederlage locker umzugehen (gibt ja meist mehr Verlierer als Gewinner).
ja sportpapi, so geht es meinen söhnen mit mir ;-). ich nenne es kamikaze spielen (insbesondere schach). das sei überhaupt nicht lustig, sagen sie
Ja, mit jemandem spielen, der nicht gewinnen will, und nicht nach der Spielidee spielt, ist überhaupt nicht lustig.
Aber man kann mit den Schachfiguren ja auch wie mit Playmobilen spielen, wenn man die Regeln noch nicht beherrscht…
hey nicht frech werden. ich beherrschte die regeln schon als 4. klässler- ich mag einfach keine strategiespiele, und mir ist es zu egal ob ich gewinne oder nicht, das ist alles
Eben, tina. Das ist wie wenn beim Fussballspielen einer ständig den Ball in die Hand nimmt, oder aufs eigene Tor schiesst.
Nicht lustig.
meine güte nein! ich habe nicht geschrieben, ich breche spielregeln.
ich bin nur nicht so versessen auf gewinnen und ich mag keine strategiespiele. ich spiele gern des spielens willen. gern unangestrengt. gern kurze, glücksabhängige spiele. geschicklichkeitsspiele. aber keine strategiespiele. und nein, ganz sicher nicht fussball :).
Lies noch mal genauer, SP. Ich habe überhaupt kein Problem mit Ehrgeiz bzw Gewinnenwollen, sondern mit dem Umgang mit dem Verlieren. Eingeschnappt sein, Wutanfälle bekommen und dumm tun …… Wie geht man damit um, wenn das eigene Kind ums Verr….. scheinbar nicht verlieren kann? Bei einem Spiel wohlbemerkt….
Und nein, meine Brüder können mir diese Frage auch nicht beantworten – ihnen ist es nach wie vor völlig egal, dass sie uns und anderen damit den Spass verderben.
Und ich habe nicht widersprochen, nur ergänzt. Anständig verlieren lernt man mit der Erfahrung. Auch aus der Reaktion der Mitspieler.
Aber es gibt eben schon Menschen, denen ist das Gewinnen sehr wichtig, und anderen überhaupt nicht. Beides ist je nachdem ein Problem. Weil das Spiel dann keinen Spass macht.
Eigentlich haben Sie sich Ihre Frage bereits selber beantwortet.
Sie beschrieben was Ihnen beim Spielen wichtig ist und was den Brüdern wichtig war. Gegebenenfalls könnten Sie bei diesen noch mal genauer nachfragen. Dann können sie besser Abschätzen ob etwas Charaktersache oder ein Zielkonflikt ist.
Liebe Carolina – versuch es mal mit Spielen, wo man als Team spielen muss ! So ein Spiel wäre z.B. Brandy Dog. Kostet zwar ein bisschen, aber das Geld kommt gleichzeitig einem Guten Zweck zugute.
Einfache Nummer – sucht Euch einfach Spiele aus, wo solche Rabauken im Team spielen müssen. Und sollte das nicht funktionieren, spielt ohne ihn. Kommte er dann angekrochen und will mitspielen, dann wird er eingewiesen, unter welchen Bedingungen er mitmachen kann. Hält er sich nicht dran – rauswerfen. Nicht auf der Nase rumtanzen lassen. Wehret den Anfängen.
Im Prinzip sehe ich das auch so – und ja, wir spielen auch Teamspiele, da ist es tatsächlich marginal besser. Und interessanterweise scheint Sohnemann in der Schule überhaupt nicht mit Nicht-Verlieren-Können aufzufallen, weshalb wir dann immer dazu neigen, ihm die paar Male durchgehen zu lassen. Meistens endet es so (wie bei meinen Brüdern anno dazumal), dass wir ihm sagen, er solle verschwinden und könnte wiederkommen, wenn er sich abgeregt habe – aber dann ist die Stimmung meist dahin.
Für die Männer in meiner Familie ist dieses Verhalten eben kein Problem, was er natürlich spürt. Deshalb meine Frage: Charakter, Geschlecht oder was? Ja, ich weiss: wahrscheinlich eine Mischung:-)
Nein! Das ist kein harter Hip-Hop-Gangster, sondern Allen „the answer“ Iverson, einer der bekanntesten NBA Spieler aller Zeiten. Know your memes;)
Ich bin kinderlos, aber wenn mal das eigene Kind Schach so richtig draufhat, dann nehme ich an, sitzt man schnell mal als Tölpel da…
Asso, mit Gesellschaftsspielen habe ich, haben „wir“ nie ganz aufgehört: Als Studenten spielten wir noch Risiko oder Monopoli, vor dem Ausgehen, mit erweiterten Regeln insbesondere bei Monopoly, Baurechten, Joint Verntures, Krediten. Danach spielten wir in einer (für mich Teilzeit-) WG nach dem Abendessen ums Abwaschen, auch die Gäste wurden nicht ausgenommen. Anfangs die CH-Urform von UNO („Tschau Sepp“), als sich Gäste beklagten, sie seien mangels Kenntnis des Spiels benachteiligt, wechselten wir auf ein reines Glückspiel. „Tschau Sepp“ bringe ich auch Vietnamesen bei.
Unser knapp 2 Jähriger, redet noch nicht mal, aber kann das Spiel, „wir laufen einen Parcours“ so gestalten, dass er gewinnt: Er kriecht unter den Stühlen durch, ich schaff’s nur viel zu langsam hinterher.
Als die Kinder noch klein waren habe ich auch gerne Sogo mit ihnen gespielt, und wenn heutzutage Besuch kommt ist dieses Denkspiel stets attraktiv weil es die meisten nicht kennen (im Gegensatz zu Schach das viele abschreckt). Zum Trost: Bis ins hohe Alter bilden wir täglich 1400 neue Neuronen aus – Sie als intelligenter Mensch werden dies gewiss gesund nutzen.
Als die Kinder noch klein waren habe ich auch gerne Sogo mit ihnen gespielt, und wenn heutzutage Besuch kommt ist dieses Denkspiel stets attraktiv weil es die meisten nicht kennen (im Gegensatz zu Schach das viele abschreckt). Zum Trost: Bis ins hohe Alter bilden wir täglich 1400 neue Neuronen aus – als intelligenter Mensch kann man das gewiss gesund nutzen.
Freuen Sie sich, dass Ihre blitzgescheite Tochter sie überflügelt und Sie eines Tages nicht mehr gebraucht werden! Meine Tochter hat eine Behinderung und wird mich brauchen, bis ich nicht mehr helfen kann. Dann werde ich darauf vertrauen müssen, dass sie in einer staatlichen Institution glücklich sein kann..
Das Verlieren explizit lernen. Muss das jemand hier wirklich? Ist das Verlieren nicht auch schon fast eine Konstante im Leben, mit der es gilt den richtigen Umgang zu finden. Also nicht verzweifeln. Neue Hoffnung schöpfen und vielleicht dieselben Fehler nicht wiederholen. Ausgiebig geprüfte Seelen und Herzen werden stark und gross, denke ich.