Hat das Partyleben ein Verfallsdatum?
Ich will die Welt vibrieren sehen, dafür hatte ich schon immer eine Schwäche. Ich habe Menschen vibrieren sehen und die Membranen der Boxen, vom Sound, zu dem sie tanzten, in Kellern und Katakomben, auf Bahnbaustellen und in besetzten Häusern, manchmal so sehr, dass mir das eigene Vibrieren fast verging. Es waren lustige, manchmal heroische, dann wieder abgefahrene Partynächte, nach denen man blinzelnd ans Tageslicht stolperte und Gedanken über die nähere Zukunft in weiter Ferne lagen. Damals waren diese Erfahrungen noch mehr als das Klischee, das sie heute sind.
Wollte man die Typologie von Frauen in der Midlifecrisis heranziehen, gehöre ich zu der ersten Kategorie von Frauen, die sich früh vom Partyleben verabschiedet haben. Wenn die Freundinnen sich für den Ausgang aufbrezelten, stand ich am Wickeltisch, und wenn sie von ihren Abenteuern nach Hause wankten, leistete ich dem Kind auf dem Spielplatz Erste Hilfe, während es mein neues Lederblouson vollblutete.
Party machen – was heisst das?
Nun brezeln sich meine Kinder jeden zweiten Freitagabend für den Ausgang auf und wenn die Kinder bei ihrem Vater sind, kann ich endlich auch wieder Party machen: «Mich jung, sexy, begehrt fühlen. Crazy sein», wie Wäis schreibt. Nur: Will ich das eigentlich noch? Kann ich das? Die Frage ist doch, was das überhaupt heissen soll: Party machen.
Das Wort war ja schon von jeher ein Euphemismus für Exzesse mit Sound, Menschen und Rausch. Und natürlich habe auch ich Menschen gekannt, die sich mit Drogen kaputt gemacht haben. Manche haben sich gut gefangen, andere weniger. Gern spielen sie sich dann als Moralapostel auf und lästern über das Vergnügen der anderen.
Den Exzess richtig handhaben
Kann man so sehen, aber ich sehe auch hier die Vorteile der Erfahrung. Man kann sich fragen, wozu denn überhaupt. Ob man nicht irgendwann daraus herauswachsen sollte. Als ich in meinen Dreissigern mit Kindern beschäftigt war, während mein halber Freundeskreis von Party zu Party zog, wäre ich zwar oft gern dabei gewesen. Aber ich entdeckte auch meine eigenen Exzesse, die bedeutend sozialverträglicher sind: Auch in der Liebe, im Sport, bei der Arbeit kann man Rausch erfahren. Dafür ist man nie zu alt.
Man muss die Exzesse nur richtig handhaben, besonders jene, die eben weniger sozialverträglich sind. Dazu gehört zum Beispiel exzessives Binge Watching, soziale Medien oder eben Party machen. Die Faustregel: Wenn es zur lästigen Gewohnheit wird, zu sehr an der Substanz zehrt oder nicht mehr mit Freude verbunden ist, sollte man es sein lassen.
Letztlich sollte es mit Genuss zu tun haben. Viele Menschen verlieren mit zunehmender Erfahrung ihre Fähigkeit zum Genuss und zur Freude. Aber das ist ein Talent, und man sollte es kultivieren.
Was meinen Sie?
31 Kommentare zu «Hat das Partyleben ein Verfallsdatum?»
vernünftiger, wohlgeordneter, gemässigter exzess ist wie spasshaben sollen irgendwie widersprüchlich
oder wollen müssen
Tina, ich weiss nicht, ob Sie Kinder haben. Meiner (manchmal schmerzlichen) Erfahrung nach geht halt ungezügelter Exzess nicht gut, wenn man Verantwortung für Kinder oder Jugendliche hat. Schon gar nicht als Alleinerziehende. So hat sich dosierter Exzess (z.B. wenn man am anderen Tag ausschlafen kann) sehr bewährt. Ich mag hier eine Zeile von Curses tollem Lied „Widerstand“ zitieren: „…mir ist egal wie viel du feierst und trinkst, wenn am nächsten Tag für die Kinder gesorgt ist, ist das kein Ding“.
doch ich habe kinder und ja klar, so gesehen ist das schon wahr. ich für meinen teil bräuchte allerdings nach etwas, was ich exzessiv party machen nennen würde mehr als einen tag um für kinder sorgen zu können. liegt aber sicher am alter :). ich meinte etwas anderes mit meiner bemerkung aber bin gerade im erklärungsnotstand :). sorry
@shekina niko
Begriffe wie gemässigter oder dosierte Exzess ergeben rein sprachlich keinen Sinn. Der Exzess zeichnet sich doch eben gerade darin aus, das man etwas übertriebenes, massloses macht. Insofern wäre ein dosierter Exzess quasi der Normalzustand(?)…
Ich meinte mit „dosiert“, dass ich es halt nicht mehr dreimal pro Woche krachen lasse, wie früher, sondern nur noch ca. einmal alle 14 Tage.
‚gemässigter exzess‘ ist wie jungfräuliche Empfängnis.
Man muss nur täglich die Todesanzeigen in der Zeitung lesen. Die Nicht- Party- Typen sterben inzwischen jenseits der 90, die anderen um die 70. Damit konkretisiert sich der Begriff des Verfallsdatum.
Freu dich, das Beste kommt noch! Die Kinder ausgeflogen, du immer noch fit und fröhlich, weil du ja schon früh Mama warst und entsprechend früh vom Mamaservice entbunden bist. Jetzt bist du frei das Leben zu feiern, wie es dir behagt. Über die schlimmen Fallstricke springst du routiniert dank deiner Lebenserfahrung. Wir sehen uns im Ausgang!
Sie schreiben richtig, dass es um den Genuss geht.
Ich denke, man kann langfristig nur das geniessen, was man auch im Griff hat. (Kontrolle)
Wer z.B. den Alkohol nicht im Griff hat, muss irgendwann ganz damit aufhören, weil er ihn sonst zerstört (von Genuss ist dann längst keine Rede mehr). Ebenso ist es mit dem Rauchen, dem Party machen, dem Sport, der Arbeit, … was auch immer. Ich muss es im Griff haben. Ich muss eine Grenze ziehen können.
Dazu braucht es Selbstkontrolle und eine vernünftige Vielfalt. Wessen Leben NUR aus Party besteht oder NUR aus Sport, NUR aus Arbeit… der ist unausgewogen und versucht auf ungesunde Weise seine Defizite zu übertünchen. Das kann nicht gut gehen.
Richtig Partymachen hat weniger mit dem alter zu tun, als mit dem charakter: ist man ein kontrollfreak gehts halt nicht.
Was Party machen heisst, definiert jede Generation und auch jeder einzelne etwas anders. In meiner Jugend (‚7’0) war Partymachen von 2000 – 0100 in Discos mit Freunden rumhängen, möglichst cool sein und wenn möglich, jemanden abschleppen. Meine Töchter gehen um 0000 erst los, vorher treiben sich zu viele ‚Kinder‘ rum.
Mit meinen Freunden aus Schulzeiten und deren Anhang machen wir auch heute noch Party. Chips und Cola-Whisky ist parat, die Musik der ’70iger ist laut und die die es haartechnisch noch können, headbangen vom feinsten.
:))
Wenn ich mal 85 bin, gehe ich mit dem Rollator ins Einkaufszentrum: dann fahre ich irgendwo, wo die Aktionen aufgetürmt haben, das ganze Gebilde über den Haufen. Da werde ich dann noch einen Kaffee bekomme, alle werden freundlich sein, sich gut fühlen am Abend, weil sie dem verwirrten alten Mann ein wenig beistanden: Und ich denk mir dann: Keiner ist zu alt zum Pogo tanzen!
:-)))
Mit knapp 50 und Kinder draussen, hat unser Partyleben vor rund 5 Jahren wieder angefangen. Von Oktoberfeste bis Mausefalle etc. geniessen wir die Abende und wenn es sein muss, wird es im Sommer schon fast wieder hell bis wir aus dem Club sind. Natürlich nicht jeden Monat (da fehlt nur schon die Kondition), aber sicher mehrmals im Jahr.
Darf man ab einem gewissen Alter nicht mehr zwischendurch „die Sau rauslassen“?
die «sau raus lassen wollen» ist wohl etwas, wonach man in jedem alter lust hat. aber zumindest in zürich kommt es mir so vor, als sei «aus die maus», sobald sich die ersten falten zeigen… chapeau vor denen, die es dennoch wagen!
„Party machen – was heisst das?“
genau. Man muss kein versierter Sprachexperte sein, um sich beim Lesen des Textes genau dies zu fragen.
In Anlehnung an Binswanger bedeutet Party machen wohl fähig zu sein Genuss und Freude zu erleben. Moralisch akzeptiertes Party machen ist ausserdem sozialverträglich. – Oder?
vielen Dank für die erhellende Erklärung – aber die Frage war viel mehr grammatikalischer Natur: man „macht“ keine Party. Genauso wenig wie man „kalt hat“ sondern „es einem kalt ist“, „macht“ man keine Party, sondern „geht an eine“. Oder man „feiert“ einfach.
Also, der Duden meint, dass „Party machen“ in Ordnung ist. – Aber vielleicht irrt sich ja der Duden, etwa weil er zu exzessiv Party gema.. – äh: gefeiert – hat.
…Duden sagt „eine Party machen“, das ist aber etwas anderes als das umgangssprachliche „Party machen“.
Das „Party machen“ im Sinne von „feiern gehen“ finden Sie sicherlich auch im Duden, jedoch klar vermerkt als umgangssprachliches Hinterwäldlergerede – ergo nicht wirklich ein Stil, den man von Journalisten erwarten würde.
Meinen Sie das ernst, Herr Müller? Auch Sprache kann übrigens genossen werden und Freude bereiten. In diesem Sprachfall treiben Sie, mit Verlaub, Grammatik ad absurdum 🙁
„… Grammatik ad absurdum“ – dito.
Das ist doch kein Problem, Sie können sprechen, wie Sie wollen, ich hindere Sie sicherlich nicht daran. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass es kein korrektes Deutsch ist.
Danke für den inspirierenden Blog, Frau Binswanger! Ebenfalls jung Mutter geworden, schrumpfte bei mir seinerzeit der Ort, wo Genuss und Freude in meinem Leben Platz fanden, vorübergehend auf die gefühlte Grösse eines Staubkorns. Gerade als junge Mutter wollte ich doch die mit dieser Rolle einhergehenden gesellschaftlichen Vorurteile widerlegen! Zuoberst auf meiner to-do-Liste: Ich muss vernünftig erscheinen! Dabei liess ich aber völlig ausser Acht, dass es ziemlich unvernünftig ist, Genuss und Freude im Leben nicht einen angemessenen Raum zu geben! Carpe diem! – Pflücke den Tag mit der einen Hand, die Waagschale der Vernunft in der anderen!
Man darf auch nicht vergessen, dass klassisches „Party machen“ oft nur in der Theorie, Erzählung oder durch die Nostalgie-Brille wirklich lustig ist. In der Praxis rennen die meisten durch überteuerte Clubs auf der Suche nach etwas Aufmerksamkeit, dem Suff oder sonst einem Kick, den sie dann doch nicht finden oder woran sie sich hinterher nicht so richtig erinnern können. Alles in allem also meist doch eher harte Arbeit für allenfalls ein paar kurze Momente halbwegs ordentlichem Spass zwischen viel Banalität, Langeweile und schlechter Musik. Erinnerungswürdige Parties passieren vergleichsweise selten und oft eher unerwartet, weshalb Qualität da wenig mit Quantität zu tun hat. Und es längst nicht so toll ist, wie man meint, wenn Freunde vermeintlich von Party zu Party ziehen..
Vielleicht lautet die entscheidende Frage nicht „Party mit 50-zig Ja/Nein?“ Die Frage könnte lauten: „Party mit 50-zig, WESHALB?“
In der Jugend war die Party ein Vehikel, um sich selbst, die eigenen Grenzen sowie andere Menschen kennenzulernen.
Wer mit 50-zig ein erfülltes Leben lebt und zusätzlich Partys feiert, der entwickelt sich. Wer jedoch mit 50-zig Partys feiert um zu vergessen, zu kompensieren oder „einen Fix zwecks Milderung der nagenden Abnützung des Alltags zu kriegen,“ der bleibt oft in seiner Entwicklung stecken oder degeneriert. Hotel California als Song über den Excess in Los Angeles hält dies treffend fest:
She got a lot of pretty, pretty boys, that she calls friends
How they dance in the courtyard, sweet summer sweat
Some dance to remember, some dance to forget
Man kann sich das Leben auch schwer machen. Party war und ist für mich schon immer ein Anlass um einfach Spass zu haben ohne sich gross Gedanken um das Wie zu machen. Etwas übertrieben wegen ein paar wenigen Abenden im Monat gleich etwas von kompensieren etc zu philosophieren.
Partys oder Clubs waren für mich immer irgendwie ein Warteraum bzw. Rätsel. Ich stand da mit den Freunden und wartete. Ich wartete darauf, dass das auf das scheinbar alle warteten (etwas Grossartiges!) passieren würde. Was „das“ sein sollte? Das weiss ich bis heute nicht. Und passiert ist es auch nie. Man hopst etwas herum, zwischendurch ertönt ein gutes Stück Musik oder man hat eine Seichte Unterhaltung. That’s it. Am Ende das Abends war ich eigentlich immer enttäuscht. Es war teuer, es war laut, es war weniger gut als der „20:15 Blockbusterfilm“ auf Pro7… Warum zum Teufel habe ich das gemacht?
Natürlich versuchte ich es dennoch immer wieder, bis ich dann irgendwann damit aufhörte. Geblieben ist die Frage warum sich Menschen das antun. Irgendwann sollte man aufhören zu warten…
Exzesse glaubte man füher nur an Partys zu finden. Heute springen sie einen an jeder Ecke an, nur an Partys nicht mehr.
„Gemässigter, sozialverträglicher Exzess der nicht an der Substanz zehrt“ – so einen Quatsch habe ich noch nie gehört. Entweder man geht ins Kino und knuspert nicht zu laut um den Sitznachbar nicht zu stören. Oder man lässt die Sau raus, so dass man sich am nächsten Tag für sein unsoziales Verhalten schämen muss und drei Tage Kopfschmerzen hat. Glaube das hat nicht viel mit dem Alter zu tun. Flüsterknusperer bleibt Füsterknusperer, Partysau bleibt Partysau.
Hat das Partyleben ein Verfallsdatum? Keinesfalls! Freude, Ausgelassenheit, Lust gehören zu einem freudvollen Leben. Nur sollte sich das Leben nicht auf die Parties beschränken. Zum Leben gehört mehr, sonst wird das Leben trotzdem fad. Habe nachdem meine Kinder im Teenager Alter waren mit dem Tanzen angefangen. Und es hat mir brutal gut getan und meine Lebensfreude massgeblich verbessert. Gut ein paar Dinge sind zu beachten: Den Teenager beruhigen, dass er sich keine Sorgen machen muss, die Alten im gleichen Lokal antreffen zu müssen ist z.B. so eine Sache. Und als „älterer Sack“ hat man die Verantwortung in jeder Party-Lebenslage smart zu bleiben. Grenzenlose Ausgelassenheit ist der Jugend vorbehalten, ebenso Lokale mit jungem Publikum.