Das letzte Ei

Die italienische Schauspielerin Monica Bellucci gebar im Alter von 45 Jahren ihre zweite Tochter. Foto: Alessia Pierdomenico (Reuters)

Letzte Woche bekam ich einen Anruf aus einer längst verdrängten Zeit. Meine ehemalige Club- und Partyfreundin S. war in der Stadt und wollte bei mir etwas abgeben für eine Freundin, die wiederum nicht in der Stadt war. Und da wir seit Jahren keinen Kontakt hatten, fragte ich sie etwas aus. Zu meiner Verwunderung sagte sie: Wir gehen nachher zu P. die Babysachen abholen.

Wtf ? P. , auch sie eine respektierte Grande Dame aus der Techno-Ära, hatte letztes Jahr mit 44 (für mich) überraschend ein Baby bekommen, ein Wunschkind, wie sie mir verriet. Ich sehe P. seitdem nicht mehr so oft, und wenn, dann ist das Wunschkind immer dabei.

«Ich bin doch schon 47!»

«Was willst du mit Babysachen», fuhr ich S. an. «Ich bin doch schwanger!» Stille. Ich rechnete nach: S. und ich gehörten damals in den langen schönen Nächten in Clubs nicht zu den jüngsten Gästen, eher zu den älteren, die sich aber nahtlos bei den jüngeren eingegliedert hatten.

«Wie alt sind wir nochmal?», fragte ich sie zur Sicherheit. «Ich bin doch schon 47!», rief die Arme, etwas erschöpft. Und? Einfach schwanger geworden? «Nein», rief sie, jetzt noch erschöpfter, «es hat zwei Jahre gedauert, und war schon richtig Stress». Ich musste lachen, sich zwei Jahre lang bemühen um schwanger zu werden, wie lustig, wo man doch sein ganzes Leben alles getan hatte, um genau das zu vermeiden.

S. war die Freundin, die wir morgens nach dem Club gerne mit zu uns nach Hause nahmen, mein damaliger DJ-Freund, und ich, denn eines der vielen ungeschriebenen Ravegesetze besagt: Man lässt nach dem Raven niemanden allein, der nicht alleine sein wollte. Sie sagte immer, ihr seid zu zweit, und da wir sie beide sehr mochten, nahmen wir sie mit zu uns und hörten weiter Musik, tanzten und hatten wirklich sehr viel Spass.

Zwei Jahre lang besamen lassen

Jetzt stand sie mit ihrer Kugel in einem XXL-Ringelpulli vor mir – und ich hatte plötzlich Angst, ich könnte jetzt auch eins wollen, und müsste mich zwei Jahre lang besamen lassen. Schnell drückte ich alle inneren Knöpfe, die man drücken muss, um zu testen, ob man etwas will.

Um ehrlich zu sein (ja, Sie sitzen alle schon in den Startlöchern, ich weiss), ist S.‘ Konzept auch meins gewesen, früher, als ich noch dachte, ich will irgendwann sicher Kinder, weil mans einfach so macht, als Mensch. Erst in Ruhe selber das Leben auskosten, und wenn es wirklich nichts mehr zu verpassen gibt, dann mit dem allerletzten Ei ein Kind bekommen und das im Alter und in Ruhe grossziehen.

Aber ich will in meinem Leben auch nie wieder eine Schule betreten und Lehrer sprechen müssen. Und ich will generell nur machen was ich will: essen, schlafen, reden, lieb sein. Hinzu kommt, dass ich, wie man vielleicht schon etwas bemerkt hat, mehr als überfordert bin damit, seit drei Jahren die komplette Verantwortung für mich selbst zu tragen.

Also kein Kind. Ich war erleichtert, dass mir das jetzt erspart bleibt – was für ein Drama, wenn ich das jetzt auch noch gewollt hätte. Ich nahm S. in den Arm: «Ich freue mich so für dich. Du hast alles richtig gemacht.»

29 Kommentare zu «Das letzte Ei»

  • Philipp M. Rittermann sagt:

    ….wenn das so weitergeht entwickle ich mich – oh schreck – noch zum kiani-fan.
    sie hat die konsequenz, die vielen frauen fehlt. und genau das bringt einem weiter. ich nenne das „eine gesunde emanzipation.“

    • tina sagt:

      noch im halbschlaf rittermann? fürs nächste mal: erst aufwachen, dann schreiben. viele männer kriegen das auf die reihe.
      soooo viele frauen gibt es ja nicht, die mit 47 noch ein kind bekommen. um konsequenz geht es dabei nicht

      • Philipp M. Rittermann sagt:

        richtig interpretieren, tina. ich spreche von frau kiani, nicht von frau „s.“ dazu äussere ich mich nicht.

        • tina sagt:

          ach, wie kam ich auch nur darauf, einen zusammenhang zum blog zu interpretieren. man sollte ja herrn rittermann langsam kennen…. also dann sorry, wird nicht wieder passieren

  • Maria Bröser sagt:

    Mir geht es genau so. Ich bin zwar noch zu jung für Kinder allgemein, aber Kinder kommen nicht in meinen Lebensplan, wie das viele Frauen noch vor der Beendigung ihrer Ausbildung planen, bevor ich mein Leben gelebt habe. Andererseits finde ich die Torschlusspanik der meisten Frauen ab 30 einfach lächerlich. Eine Freundin, sie ist 37, scheint jede Woche bei einem Fruchtbarkeitsspezialisten zu sitzen und es gibt scheinbar keinen anderen Lebensinhalt mehr als das Produzieren von Nachkommen – auf Teufel komm raus. Es wäre grundsätzlich wünschenswert, wenn man das Kinderkriegen etwas mehr dem Zufall überlässt – oder es einfach entspannter angeht…!

  • CoffeeToffee sagt:

    Mir war immer klar, dass ich 2 Kinder haben werde, und glücklicherweise hat es auch geklappt (dass das nicht immer so nach Plan läuft wurde mir erst viel später klar). Und die 20 Jahre Party dazwischen möchte ich nie und nimmer missen; eine fantastische Zeit! Und ja, die allerjüngste Mutter bin ich somit nicht… bekomms trotzdem auf die Reihe.

  • Samuel Huber sagt:

    Aha, die bahnbrechende Erkenntnis ist also: Wer Kinder kriegt, wird erwachsen (oder sträubt sich dagegen), wer keine kriegt nicht. Wow, hätte ich nicht gedacht…

    • Wäis Kiani sagt:

      Nein, davon ist bei mir nicht die Rede… auch bei den anderen nicht. Man kann sehr gut Kinder bekommen und nicht erwachsen sein, da gibt es genug Beispiele. LG-WK

      • Samuel Huber sagt:

        Danke für Ihre Antwort. Das stimmt (leider, ist man geneigt zu sagen, lässt es dann aber weg). Offensichtlich habe ich somit Ihren Beitrag nicht verstanden. Können Sie mich da aufklären? Irren ist schliesslich männlich, äh, menschlich.

        • Wäis Kiani sagt:

          Die Aussage ist: es ist sehr erwachsen sich selbst und seinen eigenen Bedürfnissen ehrlich und klar gegenüber zu stehen und zu wissen ob Kinder wirklich ein Herzenswunsch sind oder nur ein Weg aus der Langweile und Orientierungslosigkeit. Freiheit ist ja bekanntlich viel anstrengender als ein von Pflichten eng strukturiertes Dasein. LG-WK

          • Samuel Huber sagt:

            Das kann ich unterzeichnen. Allerdings hoffe ich nicht, dass Sie allen (Frauen), die „mit dem letzten Ei“ schwanger werden, unterstellen, dies geschehe nur aus Langeweile und Orientierungslosigkeit.

            Übrigens, Freiheit ist nur anstrengend, wenn man sie gebraucht. Wer Freiheit mit Faulheit (im Sinne der Abwesenheit von Pflichten) verwechselt, der führt kein sehr anstrengendes Leben.

            Danke für Ihre Rückmeldung

          • Wäis Kiani sagt:

            nein, niemals! Manchmal wollte man immer schon und hatte keine Zeit / kein Geld/ keinen passenden vater..ach, es gibt eine Million Gründe, spät Kinder zu bekommen. Manchmal wollte man nie und hat plötzlich Lust, weil der richtige Partner da ist, manchmal geschieht es auch als Altershobby, so hätte ich es gesehen, hätte ich jetzt noch eins gewollt. Die Erfüllung der reifen Jahre…LG-WK

      • Ralf Schrader sagt:

        Der Vorredner schrieb, man wird durch Kinder erwachsen, nicht man ist erwachsen, wenn man Kinder bekommt.

        In der schriftlich belegbaren Menschheitsgeschichte war es üblich, erst Kinder zu bekommen und dadurch u.a. erwachsen zu werden. Nicht umgekehrt, erst erwachsen und dann Kinder.

        In der Entwicklungspsychologie gelten 2 Kriterien als die für erwachsen sein. Eigene Kinder und eine stabile soziale Prognose, sei es als Hausfrau oder als sicher berufstätig.

        Praktikantin als Mutter macht ebenso wenig erwachsen wie kinderlose Führungskraft. Kann aber trotzdem sein.

  • beatrice sagt:

    was mir auffällt in diesem blog: gewisse damen haben extrem mühe mit dem älter-werden und sträuben sich dagegen, dass es schon fast peinlich ist

  • Hans Minder sagt:

    Kinder hatten frühre die Aufgabe, ihren Eltern bis deren Tod eine lebenswerte Zeit zu ermöglichen. Eltern hatten umgekehrt die Aufgabe, ihren Kindern bis zu deren Selbstständigkeit Geborgenheit, Liebe und Erziehung zu bieten. Dieses „gegenseitige-Opfer-Prinzip“ gilt auch heute, obwohl Staat/ Altersvorsorge eine Umschichtung vornehmen. Kinderlose Menschen sollten auch ihren Beitrag zur Kindserziehung leisten (als Onkel/Tante, Lehrer, Sozialhilfe, spirituelle Hilfe) und sich nicht nur selbstbezogenen Aufgaben widmen. Wären alle Paare kinderlos, gäbe es keine Köche, Ärzte, Heizungsinstallateur… mehr, die den Rentnern ein funktionierendes Leben ermöglichen. „Kinder oder nicht?“ ist nicht die Frage, sondern „welchen Beitrag möchte ich leisten? Eher ein Onkel/Sozialarbeiter oder ein Vater?“

    • frank sagt:

      Hans, muss immer ein bisschen schmunzeln, wenn jemand so tut, als wäre Kinder in die Welt stellen das Grösste. Kinder sind toll. Aber Tiere können das ja auch, also scheint mir das eher was vom einfachen zu sein.

      Eine Gesellschaft kennt ja noch andere Errungenschaften. Wenn Sie ein Konzert hören gehen und es geniessen, musste das erste jemand komponieren und spielen. So gibts viele Dinge, die wohl von höherer kultureller Leistung sind als Zeugen und Säugen.

      Eine Gesellschaft, in der das Denken oder Handeln (etwa im Sinne wie Hannah Arendt den Begriff des Handels gebraucht) weniger zählen als das Zeugen, ist eine arme und primitive Gesellschaft.

      • Hans Minder sagt:

        Frank, danke. Obwohl ich heute in der Stadt im Service-Sektor arbeite, bin ich halt im ländlichen Gebiet aufgewachsen. „Grass-Root“ Beobachtungen zeigten mir, dass ein Bauernhof permanent Früchte trug, wenn eine jüngere Generation (Kinder der Familie oder Kinder eines Neu-Zuzüglers) den Betrieb irgendwann übernahmen. Wo dies nicht stattfand, da ging der Betrieb ein. Auch wenn die Welt heute viel komplexer ist, hat sich dieses Axiom grundsätzlich nicht verändert. Kinder sind unglaublich anstrengend, teuer und ein Freiheitsraub ohne Gleichen (nebst vielem Positiven). Allerdings trocknet ohne Sie unser Futter-/Betreuungstrog irgendwann aus. Somit betrachte ich Kinder nicht als eine Wahl, sondern auch als Notwendigkeit. Allerdings muss nicht jeder selbst Kinder haben, um hier anzupacken.

  • DontJustStandThereAndNodTamely sagt:

    Stellen Sie sich Ihr Bindegewebe als 30Jährige und als 47Jährige vor. Die Gelenkkapseln. Die Bandscheiben. Die Muskulatur. Die Venen. Die Dauer der Regenerierung. Aber ein kleiner Knirps macht müde, alternde Eltern wieder munter. Es dauert alles nur ein bisserl länger und schmerzt etwas doller und man sieht dann nicht mehr so cool aus (eigentlich übel zugerichtet). So what. Ich kenne den besten Hautarzt, mein Rheumatologe ist eine Koryphäe, mein Physiotherapeut ein Star, mein Angiologe sowieso. Beim KiTa-Platz könnte es dann schwierig werden…dann doch lieber nicht. Ich kann Sie verstehen Wäis Kiani.

  • anjah sagt:

    es sind beiträge wie dieser, welches es immer mehr „normal“ erscheinen lassen mit fast 50 noch ein kind zu bekommen.
    ist es aber nicht! nicht im geringsten. es ist wider-natürlich (warum sonst hat es 2 jahre und wohl etliche arztbesuche gekostet) und ich wehre mich entschieden dagegen, so zu tun als ob es ganz alltäglich wäre.
    schade, dass ich mit dieser meinung zunehmend alleine dastehe und sie offenbar auch nicht mehr allzu laut äussern darf, ohne dann gleich von damen wie besagter frau s. kritisiert zu werden.

    • Wäis Kiani sagt:

      ja warum denn? warum denn nicht? wer mit 50 sich für ein Kind reif fühlt.. soll es amchen, dem Kind wird es nur gut ergehen wenn sich Mütter wirklich alles gut überlegt haben. LG-WK

      • Hans Minder sagt:

        @Wäis. Mit 50-zig braucht es meist IVF mit Hormonzuschüssen um noch schwanger zu werden. Ob die Hormonbehandlungen oder 35 Jahre Verhütungs-Pille nicht gesundheitsschädlich sind, dies wird nach wie vor in Fachkreisen debattiert. Auch haben die Eier der Frau mit 50-zig nicht mehr die selbe „Qualität,“ was ein höheres Behinderungs-Risiko für das Kind darstellt. Die Aufzählung könnte hier weiter gehen. Allerdings ist das Ergebnis das selbe: Um sich 35 Jahre lang im Leben auszutoben nimmt man in Kauf, dass ein Kind mit einer Behinderung aufwächst (sofern es nicht im Mutterleib brutal abgetrieben wird) oder dass die Eltern gesundheitshalber nicht mehr oder nur noch halb-gesund da sind. Eine Schwangerschaft mit 50-zig, aus der Sicht des Kindes betrachtet, wird zu einer heiklen Angelegenheit.

  • Julia Müller sagt:

    Ein interessanter Input zu diesem Thema, heute im „Tagi“ (2.- + 3.-letzter Absatz):
    https://www.tagesanzeiger.ch/kultur/buecher/als-schwarze-brauchst-du-eine-menge-glueck/story/25778083
    Das Schwierigste in dieser Frage ist m.E., dass man vor dem Kinderkriegen nicht weiss, wie das Kinderbekommen und Kinderhaben ist. Man kann es nicht ausprobieren. Es braucht Mut. Man muss sehr lange Verantwortung für jemanden anderen übernehmen wollen. Es bedeutet Arbeit, Sorgen, aber auch gleich viel Glück und Freude. Weder Einstellungen noch Gefühle seien statisch, sagt die Autorin im o.g. Link. Stimmt. Finde ich es unerwachsen, wenn jemand mit 30 keine Kinder will, aber mit 40 dann doch? Ich nicht. Für die Mutigen und Verantwortungsfreudigen: Gut vorbereitet Kinder zu haben, ist einfach nur genial.

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