Ü-60 und ziemlich cool

M&W

Der Umgang mit älteren Frauen ist wohltuend entspannt: Szene aus dem Film «Grandma». Foto: PD

Hatte ich hier nicht schon mehrmals erwähnt, dass es schwierig ist, in dem Alterszeitfenster, in dem ich mich befinde, inspirierende Freundschaften zum gleichen Geschlecht zu pflegen?

Und ich sagte auch schon: Da platonische Freundschaften zu Männern rar werden, Freundschaften zu gleichaltrigen Frauen anstrengend und/oder langweilig sind, bleiben die sehr viel jüngeren (unter 30) und sehr viel älteren (über 60) Frauen. Bei den sehr viel jüngeren kommt bei mir neuerdings auch relativ schnell der Punkt, an dem ich mich langweile; ich scheine tatsächlich erwachsen zu werden, denn vor zwei, drei Jahren fand ich diese Freundschaften durchaus erquickend. Aber jetzt nervt der Mangel an Lebenserfahrung und das von allem noch so Beeindrucktsein dann doch. Die haben noch Hunger, während man selbst schon lange übersättigt ist.

Jetzt habe ich Bekanntschaft mit zwei sehr interessanten weiblichen Persönlichkeiten gemacht, älter als ich, weiser als ich, und das Beste: Haben schon mehr erlebt und gesehen als ich. Mehrere Ehemänner begraben, viele Kinder, eigene und angenommene, grossgezogen, und jetzt sogar stolze Besitzerinnen von Enkelkindern, ohne Omas zu sein. Ich muss sagen, ich habe mich schon lange nicht mehr so gut unterhalten und verstanden gefühlt wie in den paar Tagen, die ich mit meinen beiden neuen Freundinnen verbrachte.

Weder Gejammer noch Belehrungen

Es gab keinen Neid und keine Konkurrenz, trotz des Respekts, den man füreinander empfindet. Die Gespräche waren intelligent; wenn es politisch wurde, hatte ich Mühe zu folgen. Und es war erfrischend, dass wirklich keines der verhassten Themen auftauchte. Also keine eingebildete Erleuchtung durch Yogasucht, keine neuen Erkenntnisse, wie gesund Leinsamen und Quinoa sind, keine Avocado-Ernährungs- und Diättipps, nichts über Giftstoffe in der Nahrung, kein Gejammer wegen altersbedingter Figurprobleme, keine vorgegaukelte Sex- oder Vaginalsucht, kein Klagen über mangelnde männliche Zuwendung oder über Reisen mit dem «Liebsten», nichts über misslungene Kindererziehung. Kein Neidgeheule wegen Freiheitsberaubung durch familiäre Pflichten und künstlicher Geldknappheit wegen eingeschränktem Arbeitseinsatz.

Alles, was ich nicht hören will, wurde nicht besprochen. Stattdessen sprachen wir über den Zustand der Welt, was uns die #MeToo-Debatte angetan hat und wie wir aus dem Schlamassel wieder herauskommen, über Filme, über die Serie «Bad Bank», dass Ärzte korrupter sind als Banker, über meine Bücher und Bücher von anderen, die ich lesen soll. Auch über den Untergang der Mode, das internatinale Ende der «Vogue», und was man von Hedi Slimane bei Celine nächste Saison erwarten kann (nicht viel). Die beiden wissen einfach alles und schielen nicht auf mich. Ich fühle mich zwischen den beiden bescheiden, bodenständig und sicher, ohne die ständige Angst, etwas zu sagen oder zu tun, was bei der anderen unterschwelligen Hass hervorruft, der mir irgendwann als Dolchstoss in die Rippen antwortet. «Warum kommen die Frauen zwischen 30 und 50 einfach nicht miteinander klar?», fragte ich. «Und sie stehen noch nicht einmal dazu.»

Krieg im Stutenstall

«Ja, die, die am lautesten die #MeToo-Lanze brechen, sind die grössten Stutenbeisserinnen», sagte Freundin 1. «Als hätte man #MeToo als Alibi gebracht, um vor einem verlogenen Schutzschild die anderen in Ruhe wegbeissen zu können.» – «So ist es», sagt Freundin 2. «Und weil ihr alle besessen davon seid, Erfolg zu haben und berühmt zu sein. Deswegen steht ihr in dem Alter alle unter diesem Konkurrenzdruck. Bei uns in den 70ern wollte niemand berühmt sein, und Erfolg war auch deswegen nicht so wichtig. Wir haben geheiratet, und wer Geld hatte, hat nicht gearbeitet. Heute wollen alle Erfolg, auch die Reichen und die Superreichen, Paris Hilton und Kim Kardashian haben es vorgemacht. Deswegen stehen die Frauen heute unter einer so starken Konkurrenz, dass es gar nicht anders geht, als auf der Hut zu sein.»

Ich sage Ihnen, die älteren Damen haben die Antwort auf alle Probleme.

26 Kommentare zu «Ü-60 und ziemlich cool»

  • Linus sagt:

    Leider werden wir, inklusive Sie, nie diese „Coolness“ erreichen. Wir sind eine andere Generation, aufgewachsen in einer anderen Welt.
    Damit müssen wir uns arrangieren.

    • jane marple sagt:

      da haben sie recht. gottseidank bin ich Ü60!

    • R. A. Green sagt:

      Ich widerspreche Ihnen. Hier geht es um vitale und geistig fitte sog. „Alte“. Ü60 im biologischen Alter von 50 oder jünger! Das gibt’s. Es geht bei denen im Alltag nicht darum, „cool“ zu sein. Es geht darum, so lange es geht „bei den Leuten“ zu sein. Das heisst auch, sich mit Jüngeren umgeben. Das fordert, erhält einen geistig fit und „up to date“. Doch Ü60-mit-Menschen teilen sich überwiegend lethargisch zu „den Alten“ ein, die sich in eine altersgerechten Rolle einzufügen haben. Sie wollen die liebe Grossmutter oder der liebe Grossvater sein. Entsprechend kleidet man sich „altersgerecht“ in beiger Farbe… Wie grässlich! Solche Leute neigen dann eben auch dazu, mit etwas Neid vitalere Altersgenossen als möchtegerne-Coole abzustempeln.

    • Christoph Bögli sagt:

      Unsinn, es gibt in jeder Generation eine wohl gleichmässige Verteilung von entspannten bis obsessiv selbstbezogenen, kleingeistigen Menschen. Zu tun als wären Ü-60 irgendwas besonderes, ist lächerlich, da reicht ein Blick auf all die erzkonservativen, gehässigen Alten. Das ist keine Generationenfrage und auch keine Altersfrage, denn leider nimmt mit dem Alter weder die Weisheit noch die Coolness zu. Das sind Attribute, die man entweder hat oder halt eben nicht.
      Ich kenne übrigens in meinem jung-bis-mittelalten Umfeld eigentlich niemanden, der sich gross mit Yoga oder „Superfoods“ beschäftigt geschweige denn irgendwelche „Follower“ hat oder sich um „Influencer“ kümmert. Wenn man sich nicht nur in einer Blase aus affektierten Etwa-mit-Medien-Menschen bewegt, wüsste man das.

      • Ri Kauf sagt:

        Das finde ich auch, Christoph Bögli. Aber man ist schon nicht mit Weisheit und Coolnes geboren worden. Das muss man sich „erarbeiten“. Yoga/Meditation kann da helfen. Muss es aber nicht zwingend. Und vielleicht sind die Menschen, die in den 50ern geboren wurden, doch nicht so dem Erfolgszwang ausgesetzt gewesen, wie dies heute junge Leute sind…..

  • Albert Augustin sagt:

    Sehr geehrte Frau Kiani,
    Kompliment zu Ihrem Kommentar, einfach nur gut und auf den Punkt gebracht, auch aus meiner Sicht als etwa gleichaltriger Mann (Ü 70) !
    Sonnige Grüsse
    Albert Augustin

  • Martin Frey sagt:

    „Die beiden wissen einfach alles und schielen nicht auf mich.“
    Das ist, gerade aus der Warte des Cervelat-Promis, wohl der entscheidende Satz. Denn ich kann mir vorstellen, dass derartige unaufgeregte Souveränität, die sich weniger darum kümmert, wer wo wieviel Follower hat, sondern mehr, wer wieviel wozu zu sagen hat, wohltuend ist, da einem selten begegnend.
    Das umgekehrte dürfte eher die Regel sein.

  • jane marple sagt:

    ich (Ü60) suche schon lange nach erklärungen, was wohl schief gelaufen ist, seit wir damals BHs verbrannten, die EMMA lasen und alice schwarzer und ester vilar an den lippen hingen und die bücher von simone de beauvoir pflicht waren. ein paar ideen wurden rausgepickt und ad absurdum geführt, wie z.b. die männer dermassen in ihrem mannsein anzugreifen, dass viele heute schon gar nichts mehr mit frauen zu tun haben wollen und lieber auf eine feste bindung verzichten, als sich plötzlich in einer falle wieder zu finden. da es nur um karriere und den besten kerl auf dem markt zu kriegen geht, damit sich als erfolgreiche frau fühlen kann – ist diese übersteigerte stutenbissigkeit die folge. schade…

    • Lala sagt:

      Also Alice Schwarzer ist ein ziemlich gutes Beispiel für alles was so falsch lief…

      • Karl-Heinz sagt:

        Alice Schwarzer ist für mich keine Feministin: Alice Schwarzer ist eine Verlegerin und vermarktet sich ausschließlich selbst. Sie hat EMMA herausgegeben
        und sich auf Podien und TV-Talkshows aufgewärmt.
        Zu wichtigen und entscheidenden Themen hat sie sich zu oft herausgehalten.

    • Eve sagt:

      Es ist nichts schief gelaufen. Die heutigen Frauen fordern einfach etwas anderes ein als Ihre Generationen.

    • Ri Kauf sagt:

      also so ein quatsch! ich bin auch ü60. wir haben die emanzipation bestimmt nicht ad absurdum geführt und männer dermassen bedrängt! so viel macht hatten wir gar nicht. was ist denn schon dabei, wenn männer keine feste bindungen mehr eingehen wollen? das ist sicher nicht das resultat Ihres ach so wahnsinnigen kampf gegen männer. im gegenteil. in den 70ern haben wir das ganze pseudo paar- und ehesystem aufgebrochen und hinterfragt. darum gibt es heute verschiedene möglichkeiten, sein leben zu gestalten.

  • Aguyar sagt:

    Ich (noch knapp 60-) versuch es mal plakativ: Schief gegangen ist, dass eure Nachfolgerinnen eben weniger emanzipiert waren/sind als ihr (Politik interessiert micht nicht, ich finde Mode wichtiger etc.)
    Oder noch plakativer: Ihr habt aus den Machos keine Softies gemacht, sondern wurdet selber zu Machas (der Begriff hat durchaus auch eine weibliche Form) und seid den Kerlen dadurch mindestens auf Augenhöhe begegnet.
    Ich mochte (und mag) Alice Schwarzer und Esther Vilar, aber ihre Nachfolgerinnen die meinen, Gleichberechtigung über Gender-Terminologie realisieren zu müssen, sind tatsächlich eine andere Generation. So nach dem Motto: Neusprech statt Freiheit und Gleicheit.

    • Ri Kauf sagt:

      Danke für Ihr Votum. Bin ziemlich gleicher Meinung. Frauen die einfach nur Männer kopieren bringen den Frauen keine Befreiung, sondern engen sie nur in die vom Patriarchat vorgegeben Korsetts ein. Ich kenne wenige Frauen, die wirklich ihr Ur-Frausein mit allen Konsequenzen leben. Das Problem ist, dass viele Frauen gar nicht wissen, was FrauSein überhaupt ist.

  • Monique Saulnier sagt:

    Frau Kiani, Sie machen Frauen Ü60, zu denen auch ich gehöre, ein Riesenkompliment! Danke! Durch Ihren Beitrag werde ich mir meiner Souveränität bewusst. Es ist so was von entspannend und befreiend, nicht von Trends, vom Aussehen abhängig zu sein. Ihr jüngeren Frauen, freut euch drauf.
    Zu bedauern sind allerdings die, welche mit allen Mitteln ihre Jugend behalten wollen. Stelle mir das sehr schmerzhaft und anstrengend vor.

  • keepcool sagt:

    vielen dank für den beitrag. ich bin noch viel älter und habe eine frau gleichen alters kennengelernt und wir habens gut. wir reden vom gleichen. wir lieben das gleiche. wir besuchen Ausstellungen, gehen an Konzerte und freuen uns auf das wiedersehen jeweils (weil wir getrennt wohnen). einfach geniessen . das alter geniesssen, die liebe, die leidenschaft, die zuneigung zelebrieren als hätten wir noch 100 jahre vor uns – haben wir nicht! und es ist trotzdem schönwunderschön.

  • Samuel Müller sagt:

    Tja, wie sagen die Engländer doch so schön: If you’re hotter than me, then I’m cooler than you.

  • Michelle sagt:

    Ich bin weder Ü60 noch U30, habe keine Probleme mit Frauen – welchen Alters auch immer – da ich unterschiedliche Weltanschauungen und Meinungen respektiere. Ich finde die #metoo- Debatte wichtig, weil ich selbst in den 1990er Jahren über 10 Jahre lang von einem einflussreichen Mann sexuell belästigt wurde und keine Chance auf Gehör, geschweige denn Hilfe hatte. Ich arbeite, um selbständig und unabhängig zu sein und weil ich meinen Job liebe.

  • Eve sagt:

    Ich möchte mal so altern wie in Grace and Frankie (Netflix).

    Das sagt schon alles.

  • Othmar Riesen sagt:

    NIcht nur die älteren Damen haben Antworten auf alle Probleme, die älteren Herren ebenfalls.

  • Andrea sagt:

    Die Frauen muss ich kennenlernen – Selbstsicher und mit erfrischender Coolness die Welt beobachtend. Grossartig!

  • andy sagt:

    Ich lasse mich seit Jahrzehnten von „gereifteren“ und „weiseren“ Jahrgängen (Freunden) gerne in jeglicher Hinsicht inspirieren und coachen.
    Habe im Prinzip gute Erfahrungen für meinen Weg mit bekommen.
    Es ist auch immer ein Geben und Nehmen.
    Die soziale Komponente ist im Alter genauso wichtig wie in jüngeren Jahren.

  • Michael sagt:

    Das schönste Wort dieses Beitrages ist – Stutenbeisserin. Frauen untereinander sind eben eindeutig anders als Männer untereinander. Wenn die Frauen miteinander nicht klar kommen, werde ich den Teufel tun zu versuchen, sie zu verstehen oder schlichtend einzugreifen. Kann Mann nur verlieren. Sie sollen selber sehen, wie sie klar kommen und mich aus dem Spiel lassen.

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