Ist Verliebtheit ein Gefängnis?

M&W

Die grossen Gefühle enden oft in einer grosse Enttäuschung: Szene aus dem Film «Like Crazy». Foto: PD

Wann haben Sie sich das letzte Mal verliebt? Und war das gut oder eher unangenehm? Und wissen Sie noch, wann Sie das erste Mal verliebt waren? Vor ein paar Tagen las ich in einem Interview mit Alexa Chung, dass sie sich ihr ganzes Leben in der Gefahr befand, sich zu verlieben. Und jetzt ist sie 34, glücklicher Single (das sagt man doch so) und muss jedes Jahr auf etwa fünf Hochzeiten ihrer besten Freundinnen, die ihre besten Freunde heiraten, was ja so ist, wenn man einen grossen internationalen Freundeskreis hat, der über die ganze Welt verstreut ist und in dem sich alle kennen und mögen. Etwas, worum ich die Engländer generell beneide, die tauchen immer in so Freundschaftsgangs auf, das hätte ich auch so gern, überall auf der Welt an langen Tischen sitzen und man mag alle, jeden Einzelnen supergern. Stattdessen bin ich leider ein Einzelgänger.

Was ich allerdings leider sehr gut kenne, ist das ständige Verliebtsein. Ich glaube, es ging auf diffuse Art bei mir mit etwa zehn Jahren los, auch wenn man damals gar nicht wusste, wozu das Gefühl gut sein soll, aber man fand einen Bestimmten gut, und da die Besten in den Klassen damals schon alle zugewiesen waren, war das Verliebtsein in dem Alter kein Einzelschicksal. Es wurde nicht besser. Man kann sagen, ich war von da an bis vor vier Jahren nonstop verliebt, streckenweise in mehrere Typen gleichzeitig. Es gab den Zustand des Nicht-Verliebtseins nicht, und das Verliebstsein war so anstrengend, dass ich deswegen unfassbar froh bin, dass seit vier Jahren endlich etwas Ruhe eingekehrt ist, und ich auch an etwas anderes denken kann, nämlich an mich.

Wie eine Manie

«Ich kenne niemanden, der sich so viele Gedanken um sich selbst macht wie du», sagte diese Woche eine Freundin zu mir. Ich war wirklich erschrocken, als sie das sagte. An was soll man denn sonst denken, dachte ich erst. Und dann fiel es mir ein, ich hatte mein ganzes Leben an irgendwelche Typen gedacht, und zwar Tag und Nacht, keine Gelegenheit, vollkommen frei an mich zu denken, weil man ja immer daran dachte, was der andere nicht machte, warum nicht machte oder hätte tun sollen. Kann jemand verstehen, dass es befreiend ist, endlich mal nicht verliebt sein zu müssen? Verliebtheit als Manie, als ständiges Gefängnis und dann plötzlich – plopp – ist man frei. Alexa meinte, sie habe etwas Angst, bei der nächsten Hochzeit den Brautstrauss zu fangen. Ich habe Angst, nächste Woche jemanden zu treffen, den ich wieder supertoll finde, und das ganze Drama geht wieder los. Vielleicht sollte ich mir einfach eine Glatze rasieren.

24 Kommentare zu «Ist Verliebtheit ein Gefängnis?»

  • Diego d.c.V. sagt:

    Gefährlich! Eine Glatze kann unheimlich sexy sein! Also mich macht das ganz „wuschig“
    🙂
    Beim Rest stimme ich 100% zu!

  • marsel sagt:

    Woher kommt das wohl, dass sich eine „glückliche Single-Frau“ so viele Gedanken um sich selbst macht? Wenn ich glücklich bin mach ich mir über gar nichts Gedanken.
    Und (sich selber) eine Glatze hilft nicht gegen das Verlieben, höchstens dagegen, dass das Gegenüber sich auch verliebt 😉 .

  • Daniel Pasetti sagt:

    Seit langem dass ich etwas emotional inteligentes in den Medien lese … bravo für die Courage 😉

  • tststs sagt:

    „«Ich kenne niemanden, der sich so viele Gedanken um sich selbst macht wie du», sagte diese Woche eine Freundin zu mir. Ich war wirklich erschrocken, als sie das sagte. An was soll man denn sonst denken, dachte ich erst.“

    Jetzt verstehe ich endlich, was es mit dem „wird endlich erwachsen“-Aspekt dieses Blogs auf sich hat…
    Und dementsprechend: Ständiges über und an sich denken – aka das geistig-masturbative Äquivalent zum Selfie – ist wirklich Anzeichen für Teenagerdasein.

  • Ralphi sagt:

    Sie wissen anscheindend nicht was wahre Verliebtheit ist und haben es auch nie anscheinend selbst erfahren…..

  • trix sagt:

    Bei mir ists umgekehrt. Ich habe Angst, dass ich mich gar nie mehr verlieben kann! Seit ich Single bin (etwa 3jahre) gehts mit dem verlieben irgendwie nicht mehr. Wobei ich gestehe, dass es 2 Männer geschafft haben, mich während dieser Zeit zu flashen. Leider beide Beziehungsunfähig.
    Liegts daran, dass ich vom Ende meiner Ehe und der Scheidung traumatisiert bin?? Immerhin gehts mir gut. Ich habe genug zu tun (Kinder, Arbeiten usw)und leide auch nicht unter meinem Singlestatus.

    • Reiner Zufall sagt:

      Keine Angst, das klappt schon mit dem Sich-verlieben. Ich habe auch das „Trauma“ einer gescheiterten langjährigen Ehe inkl. Scheidung hinter mir und erziehe meine Jugendlichen als Vater seit Jahren selbst. Eigentlich ist der Alltag übervoll. Und trotzdem hat es plötzlich gefunkt. Es war nicht geplant, wohl aber anlässlich eines Dates doch etwas herausgefordert. Es ist dann einfach passiert und das Pflänzchen steht jetzt ganz am Anfang seiner Wachstumsphase. Das Beste aber ist, dass es sich mit 52 Jahren genauso anfühlt wie mit 18.

  • Shekina Niko sagt:

    Frau Kiani, Verliebtheit kann durchaus ein Gefängnis bzw. eine Sucht sein. Ich empfehle Ihnen zu diesem Thema Anne Wilson Schaefs erhellendes Buch „Die Flucht vor der Nähe. Warum Liebe, die süchtig macht, keine Liebe ist“.

  • Belo Zibé sagt:

    Normalerweise hält der Chemie- Cocktail im Hirn der rosarote Wolken und Schwebezustand verursacht, 24-36 Monate an.Danach findet man sich in der Wirklichkeit wieder.Das ist vielen sehr unangenehm und sie suchen Gelegenheiten für einen neuen »Schuss«.In den unzähligen Käseblättchen lässt sich das an prominenten Beispielen wunderbar studieren-während einer WC Sitzung versteht sich.

    • Reiner Zufall sagt:

      Rosarote Wolken sind wunderbar. Wenn man sich aber dabei ein ganz kleines Bisschen Realismus bewahrt, ist deren allmähliches Verschwinden überhaupt nicht unangenehm, finde ich

  • andy sagt:

    Liebe Frau Kiani
    Gehen Sie doch nicht so „hart“ und rein theoretisch mit Ihrem Leben und Schicksal um. Seien Sie doch einfach locker und nehmen Ihr Leben gelassener. Gemäss Buddhismus z.B. ist das Ego (ich) völlig inexistent. Alles Input kommt immer von aussen und wird über unsere Sinne aufgenommen. Nun meine Erfahrung zeigt, dass die insgeheim erhoffte Liebe mit Worten rational nicht wirklich wahrhaftig erfasst oder umschrieben werden kann. Auch die variantenreichsten begnadeten Schreiber und Dichter etc. sind bei solchen Themen maximal interessant oder erregend zu lesen. Das Leben und auch die Liebe „funktioniert“ auf einer Ebene die tiefer gefühlsmässiger Verbundenheit von Anfang aufbaut. Oft spüren Paare (Singles) diesen Zauber schnell und intensiv. Bis auf weiteres… Viel Freude

  • Jessas Neiau sagt:

    Es gibt sehr viele Menschen, die Gefängnisse mögen, zeitweilig ganz sicher. Mit allem, was dazugehört. Dabei ist nichtmal so wichtig, ob sie sich innerhalb oder ausserhalb des Gefängnisses befinden.

  • andy sagt:

    Etwas noch zum Stichwort Gefängnis.
    Wenn Sie so wollen, ja. Es kann sowas wie ein Gefängnis sein.
    Wärter sind Sie aber auch nebst dem selbst auch Gefangener zu sein.
    Von daher kann so ein „Aufenthalt“ im Gefängnis doch sehr individuell geregelt werden. Allzu fahrlässig agierende Personen mustern sich rasch selber aus und erhalten dann oft ein wenig begehrenswertes Etikett aufgestempelt. Mehrheiten bewegen sich vermutlich doch eher im „anständig und treuen“ Bereich des räumlich freien Gefängnis, denke ich. 🙂

  • Eduardo sagt:

    Seltsam, dass Sie nichts über eine glückliche Liebe in Ihrem Leben schreiben, sondern nur von ständiger Verliebtheit. Wollten Sie sich nicht binden, brachten Sie den Mut dazu nicht auf, hatten Sie — sorry für diese Frage — keine Chancen?

    Und was ist vor vier Jahren denn körperlich und/oder seelisch passiert, dass das Verliebtsein offenbar recht plötzlich aufhörte?

    Ernsthaft verliebt war ich das letzte Mal mit 35, die Frau wollte aber über Freundschaft hinaus nichts von mir wissen und war fast empört über mein Liebesgeständnis: „Jetzt hast Du alles kaputtgemacht!“ — Na toll, so etwas hört man besonders gerne.

    Mit 48 wurde mir dann leider klar, dass mich Frauen meines Alters nicht mehr interessieren, und das war’s dann.

    Lasset die Shitstorm-Spiele beginnen … 😉

    • Reiner Zufall sagt:

      „mit 48 wurde mir dann klar, dass mich Frauen meines Alters nicht mehr interessieren“. Ich bin 52 und meine, dass die meisten Männer und Frauen desselben Alters weitgehend unsichtbar werden. Richtiggehend graue Mäuse, die sich jahrelang gehen liessen und nichts mehr aus sich machen. Sie verschwinden sozusagen vom Markt, und damit meine ich nicht die normalen Alterungsprozesse. Es gibt sie aber doch, die nach wie vor attraktiven Geschöpfe, die gut auf sich geachtet haben, wissen was sie wollen und mit guter Ausstrahlung alles andere als unscheinbar sind; auch trotz manchmal schwerem Rucksack des bisherigen Lebens. Eine solche habe ich nun getroffen und von Desinteresse kann auf beiden Seiten keine Rede sein.
      Also Kopf hoch und ab auf den Markt.

  • Sonusfaber sagt:

    Alles, was in diesem Artikel steht, trifft haargenau auf mich zu. Die ersten 50 Jahre meines Lebens habe ich in einem Zustand von fast permanenter Verliebtheit verbracht, was äusserst anstrengend gewesen ist, bisweilen sogar unerträglich. Stress ohne Ende. Dann die Wende vor drei oder vier Jahren – völlig wider Erwarten und aus mir unerklärlichen Gründen. Denn seither vermag es keine Frau mehr, auch nicht die hübscheste, mir den Kopf zu verdrehen bzw. aus der Ruhe zu bringen. Nicht einmal ein bisschen. In meinen Gedanken und Gefühlen hat es keine Frau mehr. Es ist eine Erlösung sondergleichen, eine richtige Gnade, eine Befreiung vom Wahn, ohne Liebe und Sex und Frauen nicht leben zu können. Denn nun kann ich mit Frauen verkehren und mich dabei so wohl fühlen, als wären es Männer.

    • Eduardo sagt:

      Könnte das nicht einfach an der bewussten oder vielleicht eher unbewussten Einsicht liegen, im Alter über 50 bei den begehrten schönen Frauen (junge bis noch recht junge) keine Chancen mehr zu haben, und an den dahingeschwundenen Lebens- und Beziehungsperspektiven in diesem Alter?

      Bis 35, 40 kann man sich ja noch eine tolle gemeinsame Zukunft, unbeeinträchtigt von den Schrecken des Alters, vorstellen, über 50, spätestens 60 ist das jedoch leider vorbei.

      • No Fear sagt:

        Natürlich! Hat er irgendwas anderes gesagt? Geht mir genauso?

      • Reiner Zufall sagt:

        Kann ich nicht bestätigen. Bin 52 und auf mich trifft genau das Gegenteil zu. Und wohlgemerkt mit einer gleichalten Frau, wobei wir gerade erst beginnen, uns richtig kennenzulernen.
        Ich hoffe, diese Gefühle und Gedanken halten bis zum Lebensende an. Ich möchte auf keinen Fall einen Zustand erreichen, wie von Sonusfaber beschrieben. Ich möchte auf keinen Fall befreit werden vom oben genannten Wahn.

  • sara sagt:

    Hmm ich lehne mich da etwas weit zum Fenster raus, aber könnte es nicht auch etwas mit den Hormonen, die da kommen und gehen, etwas zu tun haben? Ich weiss es nicht.

  • Marcel Zufferey sagt:

    Zugegeben, das Verliebtsein selber ist schwierig, mitunter belastend und eigentlich ziemlich unangenehm, vor allem in jungen Jahren. Die gelebte Liebe aber, über die Jahre gereift und gefestigt, auch und vor allem dank diverser Krisen, ist einfach unschlagbar schön, weil man auch ein seelisches Zuhause hat. Die Ruhe einer langjährigen Liebe, die Vertrautheit und die Gewissheit, sich nicht für jemanden verstellen und verbiegen zu müssen, sondern einfach so sein zu dürfen, wie man ist, ist Balsam für Seele und Herz.

    • Christoph Bögli sagt:

      Das ist so. Allerdings hat gerade darum, entgegen all dem Hollywood-Romantik-Gesülze, Liebe nur sehr wenig mit Verliebtheit zu tun, ausser dass sich gelegentlich die eine aus dem anderen entwickelt. Ansonsten ist Liebe in vielerlei Hinsicht sogar das Gegenteil von Verliebtheit.

      Entsprechend scheint mir auch, dass permanent Verliebte oft gerade mit Liebe, Bindung und Vertrauen nicht wirklich zurecht kommen bzw. sich nicht darauf einlassen können oder wollen. Weshalb es dann einfacher scheint, dem nächsten blindwütigen Verliebtheits-Kick nachzurennen und jede/n fallen zu lassen, sobald die Verliebtheit etwas abflaut und man sich mit der vermeintlich zu nüchternen Realität auseinander setzen müsste.

  • Anh Toàn sagt:

    „ich hatte mein ganzes Leben an irgendwelche Typen gedacht, und zwar Tag und Nacht, keine Gelegenheit, vollkommen frei an mich zu denken, weil man ja immer daran dachte, was der andere nicht machte, warum nicht machte oder hätte tun sollen.“

    An den Typen hätten Sie gedacht, wenn Sie gedacht hätten, was Sie für ihn tun sollen oder sollten oder hätten müssen oder nicht sollen. Sie aber denken, was der Typ hätte sollen für Sie, und damit an sich, die ganze Zeit.

    Wie Penny in Big Bang Theory die Frage, was Sie für ihren Freund tue, der doch sie glücklich machen müsse:

    Ich lasse ihn mich glücklich machen.

    (Solange frau jung und hübsch ist, kommt sie so zurecht)

    • Anh Toàn sagt:

      Schön formuliert fand ich diesen Gedanken bei Fanta 4 „Sie ist weg“:

      „Denn wann immer ich dachte, ich tu alles für sie,
      war, was immer ich machte, für mich irgendwie.
      Mit dieser Philosophie fuhr ich einwandfrei, sorgenfrei
      an ihr vorbei.
      Ich schätze, bin ein bisschen hochgeflogen, ungelogen,
      und hab sie dabei mit mir selbst betrogen“

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