«Ich spreche lieber von Chancengerechtigkeit»

Wer macht das Rennen? Schüler auf dem Pausenplatz vor dem Schulhaus in Stampa im Bergell. Foto: Arno Balzarini (Keystone)
Herr Eberle, die Schweiz hat seit längerem ein Problem mit Chancengleichheit im Bildungssystem – warum scheint sich diesbezüglich so wenig zu verändern?
Es handelt sich tatsächlich um ein schwierig zu lösendes Problem, das nicht nur die Schweiz hat. Ich spreche allerdings lieber von Chancengerechtigkeit anstelle von Chancengleichheit. Denn es ist ein Fakt, dass nicht alle Menschen gleiche Chancen beispielsweise auf einen Maturabschluss haben können. Es gibt Unterschiede beim Bildungspotenzial, welche teilweise auch genetisch bedingt sind. Aber genau diese Potenziale sollten möglichst unabhängig von der sozialen Herkunft, vom Geschlecht, der Hautfarbe oder von körperlicher Behinderung maximal entwickelt werden können. Chancengerechtigkeit wäre also dann gegeben, wenn bei gleichem Entwicklungspotenzial die gleichen Förderchancen für die damit erreichbaren höchsten Bildungsabschlüsse vorhanden sind. Dabei ist eine bereits wichtige Förderphase jene der vorschulischen Entwicklung eines Kindes. Und gerade in dieser wichtigen Zeit ist die Förderung nicht überall optimal gegeben und sehr mit dem sozialen Status einer Familie verknüpft. Das ist die eine Seite.
Und die andere?
Die Eltern in Sachen Unterstützungsangeboten mit ins Boot holen zu können – gerade solche aus sozial tieferen Schichten. Denn oftmals werden staatliche Bildungs-und Förderprogramme von den Eltern als Eingriff in die Privatsphäre und die persönliche Freiheit wahrgenommen. Es stellt also eine grosse Hausforderung dar, bereits in der frühkindlichen Erziehung von aussen Einfluss nehmen zu können. Aber es gibt durchaus Lichtblicke: In Basel-Stadt etwa, wo bereits 2013 eine obligatorische Sprachspielgruppe für fremdsprachige Kinder eingeführt wurde. Oder auf nationaler Ebene mit der aktuellen parlamentarischen Initiative «Chancengerechtigkeit vor dem Kindesalter». Diese hat zum Ziel, dass die Kantone bei der frühkindlichen Förderung durch staatliche und private Akteure unterstützend wirken sollen. Mit der verlangten Anschubfinanzierung könnte man unter anderem auch Kitas unterstützen.

Franz Eberle bekleidete nach Lehr- und Forschungstätigkeiten an der Universität St. Gallen die Professur für Gymnasial- und Wirtschaftspädagogik an der Universität Zürich. Dort war er u.a. Direktor der Abteilung Lehrerinnen- und Lehrerbildung Maturitätsschulen des Instituts für Erziehungswissenschaft. Seit 2020 ist Eberle Mitglied des Schweizerischen Wissenschaftsrates. Foto: PD
Reden wir über den Übertritt ans Gymnasium. Gerade der Kanton Zürich scheint diesbezüglich die Selektion auf die Spitze zu treiben. Unzählige Schüler und Schülerinnen besuchen alljährlich Kurse an privaten Lerninstituten, die viel Geld kosten, um die Prüfung zu bestehen. Provokativ gesagt: Schaffen es also vorwiegend Kinder aus reichem, akademischem Elternhaus ans Gymi?
Dass der Anteil von Kindern von Akademikern am Gymi überproportional grösser ist als von Kindern aus unteren Schichten ist statistisch tatsächlich erwiesen. Zu den Aufnahmeprüfungen ist aber zu sagen: Die gibt es auch in anderen Kantonen wie beispielsweise in St.Gallen. Dort allerdings ist der Anteil der Akademikerschicht kleiner als jener in Zürich und deshalb der Druck auf einen Platz am Gymnasium kleiner. Die Fragen bleiben aber überall die gleichen: Welche Aufnahmekriterien und Instrumente sind für einen Übertritt ans Gymnasium am fairsten zu bewerten? Sind es die Erfahrungsnoten, die künftig wieder mehr Gewicht erhalten werden? Oder würden sich vielleicht Übertrittempfehlungen von Lehrpersonen besser eigenen? Auf den ersten Blick würde man annehmen, dass persönliche Empfehlungen von Lehrerinnen und Lehrern geradezu perfekt sind, um Chancengerechtigkeit zu erzielen. Auf den zweiten Blick zeigen aber Untersuchungen, dass solche Empfehlungen ebenfalls sozial selektiv wirken. Dass also Lehrpersonen Kinder aus oberen Schichten trotz gleicher Leistungsfähigkeit – die mit standardisierten Tests nachträglich gemessen wurden – häufig besser bewerten als Kinder aus unteren Schichten.
Warum ist das so?
Die meisten machen das nicht absichtlich. Aber Notenmessungen müssen oft nach unscharfen Kriterien erfolgen und sind dann scheingenau. Dabei fliesst auch das Gesamtbild eines Kindes in die Leistungsbewertung mit ein – also auch das Wissen über seine Herkunft. Und offenbar trauen bei solchen Einschätzungen viele Lehrpersonen Kindern aus bildungsnahen Schichten mehr zu als solchen aus fernen. Ausserdem können sich Eltern aus oberen Schichten in der Regel besser durchsetzen und reden gerne mit. Bei Eltern aus unteren Schichten lässt sich zudem oft feststellen, dass der gymnasiale Weg nicht unbedingt als erstrebenswert gilt. Nebst der Unschärfe der Notengebung spielen also auch noch andere Faktoren eine Rolle.
«Es kann nicht sein, dass teure Vorbereitungskurse der Schlüssel zum Gymi sind.»
Dann sind also Aufnahmeprüfungen gar nicht so ungerecht?
Nach meiner Einschätzung mindestens so gerecht wie andere Verfahren. Allerdings müsste man innerhalb der Schule ein paar Dinge verändern. So kann es nicht sein, dass teure Vorbereitungskurse für Vermögende der Schlüssel zum Gymi sind – das Unterstützungsangebot für die unentgeltliche Vorbereitung an öffentlichen Schulen sollte deshalb unbedingt ausgebaut werden.
Müssten auch die Testverfahren überdacht werden?
Auf jeden Fall. Es sollten nicht nur solche Tests zur Anwendung kommen, in denen man mit möglichst viel Lernaufwand besteht. Ein gutes Beispiel dafür liefert etwa der Eignungstest fürs Medizinstudium. Dieser ist weniger auf in kurzer Zeit erlernbares Fachwissen denn auf allgemeine kognitive Fähigkeiten ausgerichtet. Solche kognitiven Fähigkeitstest wiederum sind aber weniger prognosevalide. Denn spätere Schulleistungen hängen aber nicht nur von allgemeinen kognitiven Fähigkeiten ab oder von Intelligenz. Sondern mehr noch von bisher erworbenen Fachkompetenzen, von guten Lernstrategien, der Bereitschaft sich anzustrengen, einer guten Einstellung zur Schule sowie einem guten Selbstkonzept. Lernende mit hohem Potenzial und aktuell tiefen Fachkompetenzen sind sogenannte «Underachiever»,, die bei Fachtests durchfallen mittels ergänzenden kognitiven Fähigkeitstests aber erkannt werden können. Frühere Förderfehler zu korrigieren, stellt allerdings eine grosse pädagogische Herausforderung dar. Aufnahmetests bleiben also ein anspruchsvolles Geschäft.
Soziale Selektivität
In der Schweiz lassen sich die Bildungswege und der Erwerb von Abschlüssen mit hoher Wahrscheinlichkeit anhand weniger Informationen über sozioökonomische Ressourcen und das Bildungsniveau des Elternhauses vorhersagen. Mit dem Phänomen der sogenannten sozialen Selektivität beschäftigt sich der Schweizerische Wissenschaftsrat SWR bereits seit einigen Jahren. Insbesondere mit den damit verbundenen negativen Auswirkungen auf individuelle Bildungsverläufe, die Volkswirtschaft und auf das Schweizer Bildungs-, Forschungs- und Innovationssystem.
Ausführliche Empfehlungen des SWR zur sozialen Selektivität finden Sie hier.
Vielleicht wäre es sinnvoller, eine Selektion zu einem späteren Zeitpunkt zu treffen? Damit Kinder möglichst lange in einem Klassenverbund zusammenbleiben und von einander profitieren.
Im Hinblick auf noch nicht ausgeschöpfte Entwicklungspotenziale wäre es sicher sinnvoller, dass nicht alle bereits ab der 6. Klasse fürs Gymi parat sein müssen. Richtet man den Blick aber auf eine möglichst frühen Zusammenzug der Besten im Sinne einer optimalen Begabtenförderung, erachte ich es als nachteilig. Ein Konflikt also. Deshalb muss, wer es nicht aufs Langzeitgymnasium schafft, nach der 2. oder 3. Sekundarschulstufe eine reelle Chance aufs Gymnasium erhalten. Es braucht deshalb in der Sekundarschule eine optimale individuelle Förderung. Die Lehrpersonen sollten sich auf keinen Fall dem «reduzierten» Niveau anpassen, wenn die sogenannten Zugpferde weg sind, sondern genug Sensibilität aufweisen, diejenigen zu erkennen, die das Potenzial fürs Gymnasium aufweisen. Und vielleicht noch ein letzter Punkt: Es darf keine zu kurze und selektive Probezeit geben. So wäre ich dafür, diese im Kanton Zürich auf ein Jahr auszudehnen.
Die Kinder sollen sich also während Monaten dem Druck aussetzen die Gymiprüfung zu bestehen und dann müssen sie nochmal während einem ganzen Jahr im Probezeitmodus ausharren – ist das sinnvoll?
Ein neues Leistungsumfeld braucht Zeit um sich anzupassen und Lücken aufzuholen. Ist diese zu kurz, droht eine übermässige Durchfallquote. Aber es stimmt: Der Druck, in dem es sich über einen längeren Zeitraum zu beweisen gilt, besteht. Doch bleibt das Gymnasium auch nach der Probezeit eine selektive Schule.
«Lehrpersonen kommen meist nicht aus einer sozial tieferen Schicht.»
Wie bereits angesprochen, spielen Lehrerinnen und Lehrer eine wichtige Rolle, wenn es um die Chancengerechtigkeit geht. Wird das Lehrpersonal während ihrer Ausbildung tatsächlich genügend für diese Thematik sensibilisiert?
Das Thema ist durchaus Teil der Ausbildung, die Sensibilisierung aber noch nicht optimal. Es ist etwa enorm wichtig, dass die Lehrpersonen zur Vermeidung von Urteilsfehlern über eine sehr gute Diagnosefähigkeit verfügen. Denn nur wer gut diagnostizieren kann, vermag auch optimal zu fördern und Vorurteile gegenüber Lernenden abzubauen. Das lässt sich beispielsweise mit Microteachings üben. Kurze Unterrichtssequenzen, die videographiert und anschliessend ausgewertet werden. Vorurteilbehaftetes und selbstwertabträgliches Verhalten kann so aufgedeckt für künftiges Unterrichtsverhalten korrigiert werden.
Oft fehlt der Lehrerschaft aber der Zugang zu Schülern aus unteren Schichten, da sie mit dem vorherrschenden Habitus in betreffenden Familien nicht vertraut sind, oder?
Richtig. Denn meist kommen Lehrpersonen selber ja auch nicht aus einer sozial tieferen Schicht. Deren Werte und Sprachgebrauch sind ihnen deshalb fremd, und sie wissen oft auch nicht wie die Förderbedinungen der häuslichen Umwelt des Kindes ausschauen. Diese Lebenswelt gilt es deshalb kennen zu lernen, um wiederum die Diagnosefähigkeit zu schärfen. Lehrpersonen sollten zudem öfters mal ihre intuitiven Annahmen hinterfragen.
Wie meinen Sie das?
Ein Beispiel: Lehrer neigen bei Übertritten gefühlsmässig dazu, einer Schülerin mit knappen Noten plus einer grossen Leistungsbereitschaft die besseren Chancen einzuräumen, als einer Schülerin mit zwar gleichen Noten aber tieferer Leistungsbereitschaft – was subjektiv nervt. Das erachte ich als einen Fehler, da objektiv das Leistungspotenial eher im zweiten Fall nicht ausgeschöpft ist.
«Leider fliesst das meiste Geld im Bildungssektor ‹oben› rein.»
Weshalb legt die Frühbildung eines Kindes die Grundsteine für einen späteren Erfolg in der Schule?
Weil im Gehirn wesentliche Grundlagen der späteren kognitiven Entwicklung bereits vor dem sechsten Lebensjahr ausgebildet werden. So zum Beispiel der Spracherwerb. Dabei spielt der Anregungsgehalt der nächsten Umwelt eine ausschlaggebende Rolle. Und da genau da liegt die Krux, weil das soziale Umfeld von Kindern in diesem Alter eben sehr unterschiedlich anregungsreich ist.
Wäre es also wünschenswert, wenn Kitas mehr Geld zur Verfügung hätten und Kindergärten eine Tagesstruktur aufweisen würden, um Kinder aus einem schwächer gestellten Umfeld besser zu fördern?
Auf jeden Fall! Doch leider fliesst das meiste Geld innerhalb des Bildungssektors «oben» rein. Dabei wäre es äusserst wichtig, wesentlich mehr in die frühkindliche Bildung zu investieren, um die eigentlichen Grundsteine für eine bessere Chancengerechtigkeit legen zu können. Davon würde letztlich auch Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft profitieren.
38 Kommentare zu ««Ich spreche lieber von Chancengerechtigkeit»»
Zuerst wird über optimale Förderung verschiedener Kompetenzen geredet, weil die Autoren tatsächlich zugeben müssen, dass die kognitiven Fähigkeiten nicht gleichverteilt sind. Aber eben: wer kognitiv schwach ist, ist vielleicht in anderen, handwerklichen Bereichen hervorragend. Oder in der Kreativität.
Und dann beginnt der Text auf das übliche Geschwafle über das Gymnasium abzugleiten. Richtig langweilig und der ewig gleiche Schmarrn.
Und wenn Ihr ein Problem der Chancengleichheit seht, dann gebe ich Euch einen Tipp: Hört auf soviele unqualifizierte Zuwanderung sozial schwacher Schichten aktiv zu fördern (Flüchtlingswesen, Familiennachzug, etc.). Das Problem hat sich ja in den letzten Jahren verschärft aus diesem Grund. Ist halt nicht nachhaltig. Fragt die Franzosen und Berliner.
In der Klasse meines Sohnes (Bezirksschule, Kt. AG) stammen die 7 besten Schüler
3 -> aus der Schweiz
1 -> Kosovo
1 -> Indien
1 -> Türkei
1 -> China/Schweiz
Und am Ende der Rangliste sind auch Schweizer Kinder zu finden….
Der Fokus auf das Gymi in diesem Artikel nervt mich gewaltig. Die Berufsmatura wird gar nicht thematisiert, was aber für einen Vergleich mit dem Ausland enorm wichtig ist. Zudem ist die Durchlässigkeit unserer Systems derart ausgestaltet, dass alle Schüler, -innen einen geeigneten Weg zu einem Studium finden, so wie denn wollen. Eine höhere Gymiquote hat im Übrigen eine Qualitätsabnahme zur Folge, ist also kein sinnvoller Weg.
Soziale Selektivität ist ein Fakt oder sollte einen sein. Zuviele unanständige Chefs welche nicht gut erzogen wurden und dann das Personal herabsetzen wollen welches kultiverter ist und eine bessere Mentalität hat.
En Sprichwort sagt doch „Man sollte nicht über sein Schatten springen“.
Heute ist es warscheinlich weniger so weil die Firmen die Qual der Wahl haben.
Ich habe jedoch Leute mit einfachem Hintergrund gekannt, die höflich und respektvoll waren.
Ein sehr informativer Beitrag, obwohl diese Diskussion schon vor wenigen Monaten geführt werden.
Leider sieht es so aus, dass die Elite kein Interesse daran hat, Kindern aus der Unterschicht Zugang zu einer höheren Bildung zu ermöglichen und die meisten Eltern aus der Unterschicht kein Interesse daran haben, dass ihre Sprösslinge auch nur einen Tag länger als obligatorisch eine Schule besuchen. Eltern aus der Unterschicht haben leider meistens ein Interesse daran, dass ihre Kinder, welche sie völlig freiwillig bekommen haben, möglichst jung selber Geld verdienen und ihnen nicht mehr auf der Tasche liegen.
Als Unterschichtkind wurde ich selber kleingehalten. Ja, wenn man von Kind auf immer wieder zu hören bekommt „du chasch das eh nöd“, dann glaubt man das eines Tages wirklich.
„Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform….“
Leider ist die Volksschule nicht in der Lage, Diskriminierungen der Lernenden zu verhindern, wie es die Bundesverfassung vorsieht. Im Gegenteil, jeder Kanton diskriminiert/selektioniert nach Belieben.
‚Herr Eberle, die Schweiz hat seit längerem ein Problem mit Chancengleichheit im Bildungssystem – warum scheint sich diesbezüglich so wenig zu verändern?‘ Warum? Weil die Mehrheit der Bevölkerung einverstanden ist mit dem bestehenden selektiven Schulsystem, das festgefahren ist, unterstützt wird vom Lehrplan 21, der das delikate Thema Selektion den Kantonen überlässt. Alarmierendes Beispiel: Illettrismus. Mehr als 20% der Schulabgänger/innen verfügen über ungenügende Fähigkeiten in Lesen und Schreiben. Nach 11 Jahren Unterricht (davon 2 Jahre Kindergarten). Ausser millionenschweren Werbekampagnen am Fernsehen: ‚einfach besser‘, geschieht nichts.
Mein Franz-Lehrer sagte immer: man muss nicht alles beim ersten Lernen können, nur einmal mehr lernen, als vergessen muss man wollen und können.
Fakt ist einfach, dass die Zürcher Selektion für alle Kinder nicht Kinderwürdig ist. Es gäbe ja auch die Möglichkeit, eine höhere Gymnasialquote wie in anderen Kantonen zuzulassen, so dass die Selektion etwas später erfolgt. So haben aber auch diejenigen Kinder mit Potenzial eine Chance, die eben nicht von einer optimalen Gymivorbereitung profitieren. Zürich könnte sie das leisten, wenn man die Rechtsbürgerlichen nicht immer knausern liesse.
Man muss mal von dem hohen Ross herabsteigen, das man nur mit einer Matura und einem Professorentitel ‚was ist‘. Ein guter Handwerker ist ebenso goldes Wert. Aber damit kann man als Eltern natürlich nicht angeben. Das habe ich ganz deutlich in meinem Kreis gespürt, weil meine eine Tochter ihrer Leidenschaft hinterher ist und ’nur‘ Bautischlerin geworden ist – und das noch nicht mal hier sondern in Schweden.
Wie ich den damit klarkomme, wurde ich gefragt, das sie ’nur‘ eine einfache Tischlerin sei, während Mama und Papa doch einen Doktortitel hätten….
Eine gute Ausbildung kann auch vor der Matura enden und in einem Handwerk enden.
Das ist wahr. Kinder von intellektuellen Eltern machen gerne eine ganz andere Berufsbahn.
In meinem Coiffeusalon ist eine Coiffeuse, Schweizerin, Tochter zweier Psychologen, einfach Coiffeuse und es gefällt ihr ! Why not ?
Ausser dem Lohn.
‚Weil im Gehirn wesentliche Grundlagen der späteren kognitiven Entwicklung bereits vor dem sechsten Lebensjahr ausgebildet werden.‘
Die Veränderungen im Gehirn sind am 3 Geburtstag weitgehend abgeschlossen, aber die unterschiedlichen Gehirnentwicklungen spielen für Lernen nur eine untergeordnete Rolle. Man kann auch mit einem halben Gehirn ein Genie werden. Das Hirn ist unheimlich plastisch und mehr als 10% davon werden für den Normalbetrieb nicht gebraucht.
Sehr spannendes Interview, das vor allem durch die sehr differenzierten Aussagen besticht. Mit dem Nachteil natürlich, dass damit keine klaren Lösungen aufgezeigt werden.
Gut auch, dass Integration und Heterogenität für einmal nicht nur als Chance beschrieben wird, sondern auch als Nachteil bei der Begabtenförderung. Und vielleicht wäre es auch für andere Leistungsgruppen sinnvoller, in homogeneren Gruppen zu lernen.
@Sportpapi
Viele Eltern ziehen bewusst aus den Städten weg um ihrem Kindern bessere Bildungschance zu ermöglichen in Gemeinden in denen der Ausländeranteil tiefer und damit die Homogenität in der Schule höher ist.
Aus dieser Aussage muss ich folgern, das Kinder von Ausländern dümmer sind als die Kinder der Schweizer ? Warum aber gibt es dann so wenige Fachkräfte in der Schweiz, wenn das alles solche Cracks sind ? Und warum arbeiten dann so viele Ausländer hier in der Schweiz an exponierten Stellen ? Irgendwas geht da nicht auf.
@Nico Meier: Zumindest für die Stadt Zürich gilt das jedenfalls nicht. Hier gibt es einen massiven Zulauf, ein enormes Schülerwachstum, was einen kaum zu bewältigenden Bedarf an neuem Schulraum erfordert.
Gleichzeitig hat sich die Ausländersituation völlig verändert. Noch immer gibt es einen grossen Ausländeranteil an den Schulen, wovon Deutsche mit Abstand die grösste Gruppe stellen.
Niemand will Chancengleichheit, darum gibt es nationale Grenzen, vererbbares Privateigentum usw. usw.
Wieso meinen Sie, das Sie mit Ihrer Meinung gleich für den Rest der Welt sprechen zu können ?
Die grosse Mehrheit will nationale Vorrechte, vererbte genauso wie finanzielle Vorrechte für ihre Kinder. Man will sich gegen unten distanzieren. Kritisieren tun dies die unten, aber die haben nichts zu sagen, (die unten in der Schweiz haben weder Stimm- noch Wahlrecht, und die, welche nicht reingelassen werden, weil es nicht unsere Eigenen sind, haben noch weniger zu sagen. Die sind „niemand“. Wer Jemand ist, will jemand bleiben, und das geht nur, wenn es niemands gibt.
Chancengleichheit ? Chancen haben alle dieselben, es ist nur die Frage ob sie genutzt wird oder nicht. Die Selektion zwischen besser und schlechte kommt irgendwann, wenn nicht in der Primarschule, dann Sek oder Oberstufe oder allerspätestens im Berufsleben, da aber gnadenlos.
Unser Problem ist die zu hohe Migration, viele fremdsprachige Kinder, welche das Niveau teils bedenklich senken. Mit dem Absenken der Anforderungen, damit die nicht deutschsprachigen Kinder mitkommen, leiden alle Andern. Sprecht mal mit Lehrlingsausbildern von grösseren Firmen in Städen, diese haben immer mehr Mühe Lernende mit dem passenden Wissensniveau und Interesse zu finden. Die Lernenden werden aus der ganzen Schweiz rekrutiert und ein Grossteil sind Abiturenten aus Deutschland.
Also wen die vielen fremdsprachigen Kinder das Niveau senken, ist doch die Chance bei der Selektion, die doch irgendwann gnadenlos kommt, umso besser für die eigensprachigen Kinder: Diese das Niveau senkenden haben doch dann keine Chance gegen die das Niveau hebenden?
„Unser Problem ist die zu hohe Migration“, ohne wäre alles gut und schön.
Förderung kostet Geld. Wer kein Geld hat, kann davon nicht profitieren, sprich, wird nicht gefördert.
Also ist die Aussage, dass nicht Alle die gleichen Chancen haben, schon richtig.
Lieber Peter, es haben eben NICHT alle dieselben Chancen! Lesen Sie einmal Studien zu den Erwartungen von Lehrpersonen, diese sind stark von der sozialen und sprachlich-kulturellen Herkunft der Familien der Kinder abhängig. Salopp kann man sagen, dass einheimische Kinder von den Lehrpersonen in ihrer Leistungsfähigkeit eher überschätzt, Kinder mit Migrationshintergrund dagegen deutlich unterschätzt werden. Dieser Teufelskreis setzt sehr früh ein und hat dann weitreichende Auswirkungen auf die Schulkarrieren, v. a. negative Auswirkungen auf die Schulkarriere der „ausländischen“ und sozial wenig privilegierten Schülerinnen und Schüler (Pygmalioneffekt: Kinder, denen man wenig zutraut, leisten letzten Endes auch weniger, leichte Überschätzung hingegen wäre förderlich).
@Tamara Carigiet
„Salopp kann man sagen, dass einheimische Kinder von den Lehrpersonen in ihrer Leistungsfähigkeit eher überschätzt, Kinder mit Migrationshintergrund dagegen deutlich unterschätzt werden.“
Das ist sicher ein Stück weit richtig, obwohl ich das für unprofessionell und daher ein Stück weit für ein Armutszeugnis halte. Fast schlimmer aber noch: nicht selten sehen das die Eltern der betroffenen Migrantenkinder auch so. Mit der Konsequenz, dass letztendlich niemand an das schlummernde Potential und die Entwicklungsfähigkeiten dieser Kinder glaubt. Bis sie es auch selber nicht glauben.
“ Salopp kann man sagen, dass einheimische Kinder von den Lehrpersonen in ihrer Leistungsfähigkeit eher überschätzt, Kinder mit Migrationshintergrund dagegen deutlich unterschätzt werden.“
Das ist, wie Sie es richtig feststellen, tatsächlich etwas salopp. Jede Wette, dass die Studien, die das belegen, von Leuten mit genauso vorgefassten Meinungen zum Thema gemacht wurden, mit dem gewünschten Studienergebnis (Migrantenkinder werden benachteiligt, Schweizer Kinder bevorzugt, das ist doch schon die Meinung der meisten Soziologen, bevor sie überhaupt eine Studienanordnung erstellen. Und diese wird dann solange zurechtgeboten, bis das gewünschte Ergebnis vorliegt. So funktioniert Sozialwissenschaft.)
Etwas wollte ich hier noch anfügen:
Von meinen Gymi / Unifreunden hat die erfolgreichste Karriere das klischeehafte Migrantenkind (beide Eltern aus Süd-Italien, napoletanisches Hinterland, Hilfsarbeiter / Reinigung, Bildungsfern, beide Eltern haben nie richtig deutsch gelernt) hingelegt.
Hallo Anh – siehts Du genau das wollte ich sagen, es gibt durchaus jene welche die Chance packen und etwas daraus machen. Aber der Wille muss da sein, ich kenne da auch Beispiele. Aber leider eben auch viele die nicht wollten oder andere Wege gingen.
Also wenn einer es schafft, hatten alle die gleichen Chancen? Nöh!
Aber wenn es einer schafft, trotz weniger oder mit gleichen Chancen, sind nicht alle doof.
@Peter
In Basel ist es besonders schlimm mit dem Bildungsniveau. Zurzeit rekturiterten viele Betriebe in BS ihre Lehrlingen im AG und SO, da das Bildungsniveau der obligatorischen Schule in BS so desaströs sei berichten mir Freunde aus Basel.
Das war schon immer so. Auch bevor der Ausländeranteil so gross war, hatten die BS Schulen einen lausigen Ruf..
Basel-Stadt bildet natürlich das Schlusslicht. Die Lernenden kommen mittlerweile aus D mit Abi oder aus F mit Ihrem Bac und machen hier eine Berufslehre. Wer Kinder hat die Schulreif werden zieht ja meist auch aus der Stadt weg.
Früher gab es noch Basler Kinder in den betrieben, heute kaum mehr.
Wir hoffen, dass unsere Kinder es hier in BS ins Gymi schaffen. Mit der Matura steht ihnen dann alles offen und der kantonale Hintergrund spielt dann keine Rolle mehr.
Wollt jetzt mal wissen wie schlimm es in der Stadt ist, in der ich aufwuchs, mit dummen Kindern und schlechten Schulen:
Basel-Stadt hat eine Maturitätsquote deutlich über dem CH Durchschnitt, BL ist marginal höher,. Bei gymnasialen Maturitäten ist BS unter den Top 3, Berufsmaturitäten sind wenig in BS und viel in BL.
Vielleicht ist ja die gymnasiale Matur in BS viel einfacher als woanders, oder die Schulen sind da doch nicht schlechter und die Schüler nicht dümmer als anderswo.
Ich staune immer wieder über das gesammelte „Wissen“ in Kommentarspalten.
@Peter: Nein, einige haben jeweils nur eine Chance und andere sehr viele.
Einer Mitschülerin von mir wurden die Bücher einmal verregnet und ihre Eltern konnten sich neue nicht leisten, worauf die Bibliothek ihr ausleihen nicht mehr erlaubte.
Bei mir hätten die Eltern (bzw. die Versicherung) problemlos den Schaden übernommen und auch nach einem Bibliotheksverbot (wegen eigenem Fehlverhalten), hatte ich weiter leichten zugang zu Wissen (Bücher zuhause, eigener PC mit Lexikas, Bücher(gutscheine) von Verwandschaft…)
Herrlich ! Man stelle sich mal eine Schweiz ohne die ausländischen Arbeitskräfte im Niedrigstlohnbereich vor. Da müsste dann Frau Schweizer ihre 300qm Villa selber putzen und der Herr Schweizer auch schon mal den Teer selber auf die Strasse kippen, um sie zu samieren.
Ihr braucht diese Ausländer sehr dringlich, über die ihr so herzieht. Ohne sie heisst es ade Insel der Glückseeligkeit.
Maike : das ist jetzt mächtig übertrieben !
Natürlich brauchen wir Personal in der Krankenpflege, aber auch als Arbeiter, Strassen, Gebäude, Verkäuferinnen, Putzfrauen, usw.
Aber die Haute Ecole de St Gall sagte: „Nur jeder dritte Ausländer wird in der Schweiz wirklich benötigt“.
Die anderen sind da weil die Priorität der Schweizer nicht stimmt in den Firmen. Und weil die Schweizer eine Lehre machen und diese Arbeiten nicht zu tun brauchen.
Peter : total einverstanden mit ihnen.
Wir haben hier im Welschland noch ein anderes Problem : Studenten aus Frankreich haben ein viel tieferes Niveau als die Schweizer. Nach einem Jahr können / müssen sie aufhören weil sie nicht kompetent sind. Und diese Plätze wären für Schweizer nötig gewesen. Sie haben einfach ein „Bac“ gemacht und registrieren sich. Nach ein paar Wochen schon sieht man sie kommen nicht nach.
Peter : dazu kommt noch, wie sie es sagen, das grosse Problem mit der Sprache. Warum studieren die nicht in ihrem Land ?