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Wenn der Sinn des Lebens abhandenkommt

Ist die Midlife-Crisis bloss ein Luxusproblem – oder doch ein ernsthafter Zusammenbruch? Innenschau einer Mutter.

Während der Ferienzeit publizieren wir Texte, die besonders zu reden gaben. Dieser Beitrag erschien erstmals am 3. März 2020.

Das ist sie also: Die Midlife-Crisis. Foto: Getty Images

Es wurde Hochzeit gefeiert. Von Freunden. Was mittlerweile selten genug vorkommt. Denn seit ich die Vierzig überschritten habe, sind die Paare um mich herum vor allem damit beschäftigt, nach ihrer verloren gegangenen Leidenschaft zu suchen, die im Alltagssumpf stecken geblieben ist. Irgendwo zwischen Elternschaft, notorischer Überforderung und Geldbeschaffung. Oder sie versuchen ihre Unfähigkeit, miteinander zu reden, mit einem Paartherapeuten aufzuarbeiten.

Manche Paare stecken bereits schon in Phase zwei und erstellen Excel-Tabellen für die Trennungsvereinbarung. Sie füllen Wohnungsmiete, Krankenkassenprämien, Kitakosten und Betreuungszeit in Tabellenkästchen, um eine möglichst faire Lösung für den künftig getrennten Lebensweg zu errechnen. Familienleben in Zahlen – wie ernüchternd.

An diesem Abend aber sollte die Liebe gefeiert werden. Schön. Aber auch ganz schön sinnlos, denke ich, während ich am Champagnerglas nippe. Eine alte Bekannte, die neben mir am Tresen lehnt, sorgt auch nicht gerade für bessere Stimmung: «Wenigstens haben die noch was, woran sie glauben können», sagt sie in trockenem Berndeutsch. «Mein Sinn fürs Leben ist mir gerade gewaltig abhandengekommen.»

Wer bin ich? Was will ich? Und woran glaube ich eigentlich noch?

Das ist sie also: die Midlife-Crisis. Ein Ding, von dem ich immer angenommen habe, dass es nur Männer mit erhöhtem Stirnansatz und Bierbauch betrifft. Männer, wie einst die Freunde meines Vaters, die sich plötzlich die Haare färbten, einen schnittigen Sportflitzer zulegten und ihre Familien wegen einer Dreissigjährigen sitzen liessen. Warum sollte es also Frauen wie mich treffen? Frauen, die in ihrer Lebensmitte stehen und zwei, drei, vier Jahre nach ihrem vierzigsten Geburtstag plötzlich nicht mehr zu sich selber durchdringen. Die eines Morgens aufwachen, nur noch losheulen könnten und sich fragen: Wer bin ich? Was will ich? Und woran glaube ich eigentlich noch?

Dabei habe ich vieles richtiggemacht. Meine Möglichkeiten ausgeschöpft. Checklisten erfüllt. Ich bin Mutter geworden, ohne meinen beruflichen Werdegang zu vernachlässigen. Habe eine gute Ausbildung durchlaufen und Sprachaufenthalte im Ausland gemacht. Ich lege Wert auf gesunde Ernährung, setze unseren Kindern morgens Porridge mit Chiasamen vor die Nase und lasse mir Gemüsekörbe von lokalen Bauern nach Hause liefern. In meiner Freizeit grabe ich im Garten, übe mich in Yogaposen und töpfere Rakuschüsseln.

Ich bin angekommen. In einem Leben, das ich mir mit Anfang dreissig nicht anders ausgemalt hätte. Ich lebe urban, aber dennoch familienfreundlich. An meiner Seite weiss ich einen Mann, der so gar nichts mehr mit der Generation unserer Väter zu tun hat. Einen, der sich kümmert und nicht nur Geld nach Hause karrt. Einen Mann, der kranke Kinder bemuttern, kaputte Fahrräder flicken und zuweilen wie Marcella Hazan kochen kann.

Ich habe also den Jackpot geknackt. Wo liegt eigentlich mein Problem? Nicht mehr zu wissen, worauf ich hoffen, träumen, hinarbeiten kann?

Hauptsache, man glaubt

Wahrscheinlich. Denn es ist die Vorhersehbarkeit, die mich mit Leere erfüllt, immer wenn ich über das Leben nachdenke. Dieser Tunnel, der unausweichlich vor mir liegt: Kinder, die heranwachsen und ihrer Wege gehen, Tränensäcke, die der Schwerkraft endgültig nachgeben, und Eltern, die älter und älter werden und damit die Endlichkeit des Lebens in greifbare Nähe rücken lassen.

Klar, es könnte schlimmer sein. Deshalb schäme ich mich auch für meine Midlife-Crisis. Denn primär sollte ich vor allem verdammt dankbar sein! Oder besser gesagt #blessed und #grateful, wie es viele meiner Altersgenossinnen tagtäglich via Instagramposts in die Welt hinausbrüllen. Untermauert von Bildern ihrer hübschen Kinder, blühenden Gärten und Handlettering-Werken.

Sie scheinen an sich zu glauben: Teilnehmende eines Meditationskurses. Foto: Getty Images

Ich bin verdammt neidisch auf diese positive Lebenseinstellung. Wie ich auch neidisch auf alle Mittvierzigerinnen schaue, welche mit der Esoterik Freundschaft geschlossen haben. Die von Glücksgefühlen durchströmt werden, wenn sie singend und händehaltend an Sandstränden sitzen, in Achtsamkeitsseminaren tief in sich hineinatmen oder expressiv im Wald zu schamanischen Trommelrhythmen tanzen. Immerhin scheinen sie wieder zu glauben. Ist ja letztendlich vollkommen egal an was, oder?

Zurück zu meinem jungen Ich?

Der kosmische Weg wird wohl aber kaum je meiner werden. Viel eher noch die Sache mit dem getrimmten Körper. Den Body also diszipliniert hintrainieren, bis er den perfekten Shape erreicht hat – im Fitnessstudio, beim Joggen oder Yoga. Oder im besten Fall in einer Kombination. Mal ehrlich: Haben Frauen in der Mitte ihres Lebens je besser ausgesehen als heutzutage? Schauen Sie hin, Sie finden sie etwa unter #stayfocused oder #dailyworkout.

Unsere Tage sind gezählt. Die Tage, an denen sich Männer nach uns umdrehen werden. So zumindest unsere Vermutung.

Sie kriegen viele Likes für ihre Arbeit. Was ja letztlich auch der Sinn der Sache ist: Die Welt soll Notiz nehmen. Soll sie als attraktive Frauen wahrnehmen und beklatschen. Denn unsere Tage sind gezählt. Die Tage, an denen sich Männer nach uns umdrehen werden. So zumindest unsere Vermutung. Bevor wir also die Fünfzig erreicht haben und uns gänzlich in unsichtbare Wesen verwandeln werden, geben wir körperlich noch mal richtig Vollgas.

Oder ich besinne mich auf meine wilde Seite. Auf die Seite, die einst mein junges Ich bestimmte. Das war zumindest zeitweilen meine Methode, aus der Krise herauszufinden. Die bewusst undisziplinierte Variante. Diese Art von Aktionismus geht allerdings meist mit einer Menge an ungesunden Substanzen einher und endet nicht selten zu später Stunde in irgendwelchen Kellerclubs im Kreise von Fünfundzwanzigjährigen.

Für Menschen, die normalerweise bereits im Januar über die Sommerferienplanung im Familienresort nachdenken, ist das beinahe schon eine Revolution. Aber keine, die langfristig irgendwo hinführt – und letztlich doch sehr an die Klischeetypen mit gefärbten Haaren in Sportflitzern erinnert.

Wie also Sinnhaftigkeit zurückerobern? Was sind Ihre Methoden?

Buchtipps

  • «Midlife-Crisis – Eine philosophische Gebrauchsanweisung» von Kieran Setiya: Klug und humorvoll zugleich. (Erschienen im Insel-Verlag, ca. 28 Franken)
  • «Love and Trouble» von Claire Dederer: Zwischen trostlosem Alltag, Ehe und Muttersein entdeckt die Journalistin, dass das wilde Mädchen von damals noch in ihr steckt. (Erschienen bei Goldmann, ca. 12 Franken)

Die Autorin schreibt anonym.

38 Kommentare zu «Wenn der Sinn des Lebens abhandenkommt»

  • Frieda sagt:

    Ich kommentiere eigentlich nie etwas, aber dieser Beitrag und die Kommentare ärgern mich. Wie wäre es, wenn Sie aufhörten, nur um sich selbst und Ihre (Klein-)Familie zu kreisen? Nichts gegen Yoga, aber glauben Sie wirklich, dass Sie den Sinn des Lebens im Meditationsretreat oder im Töpferkurs finden? Gehen Sie raus, engagieren Sie sich, geben Sie etwas zurück. Sie sind unglaublich privilegiert (was nicht bedeutet, dass Sie nicht hart gearbeitet haben). Viele von uns arbeiten sich dumm und dämlich und erreichen niemals das, was Sie haben. Deswegen müssen Sie sich weder schlecht fühlen, noch gefühlsduselige Insta-Posts verfassen. Tun Sie einfach etwas, dass nicht nur Ihnen selbst und Ihren engsten Vertrauten hilft. Engagieren Sie sich – sozial, politisch, ökologisch – wie auch immer!

  • Karin Keller sagt:

    Ich glaube, denn Sinn des Lebens muss man nicht suchen, sondern selber kreieren… was ganz lustvoll sein kann…

  • 43iger Mami sagt:

    Dieser Text könnte eins zu eins von mir sein, die Lösung habe ich allerdings such noch nicht gefunden…

  • W.Grab sagt:

    Wer sich zu viele Gedanken macht zu Sinn, Pläne, Erfolg, Ziele, verpasst das Leben. Fragen Sie nicht nach dem Warum, wie, wozu, wann. Sie werden, wenn überhaupt nur stark vereinfachte, unbefriedigende Antworten bekommen.
    Stellen Sie einfach fest: ich lebe und leben Sie.
    Das Leben ist reiner Zufall. Denken Sie nur an die vielen erfolglosen Samenzellen, die zu Ihrer Zeugung führte, zu den Lebensumständen, in denen Sie leben. Vergessen Sie den Flop von gestern, Sie können nichts mehr ändern. Machen Sie sich keine Gedanken für Morgen. Es wird sowieso anders sein. Verpassen sie nicht, heute zu leben. Sie sind einzigartig und haben eine einzigartige Chance, die nie mehr kommt: Sie leben.
    Wenn Sie meinen, sie müssten doch planen und aus den Fehlern lernen: Ist das Hamsterrad Ihr Leben?

  • Hannes H. Müller sagt:

    Es gibt keinen Sinn des Lebens. Geniessen kann man es trotzdem. Mit oder ohne schnittige Flitzer.

  • Peter sagt:

    Löschen jeglicher Social Media-Accounts. Gewinn: Mehr Zeit, sofortiges Ende mit sämtlichen – sowieso gefakten – Vergleichen und dem dazugehörigen Stress.
    der Selbstwert hängt nicht von Likes ab. Definitiv nicht!
    Einschalten des gesunden Menschenverstandes und nicht jeder Sau hinterherrennen, welche durchs Dorf getrieben wird. Verzichten auf Chhia-Samen, Gemüselieferungen vom Bauer, Urbangardening, Bodyoptimierung und sämtlichen seltsamen Trends, gescheiter die 5 gerade sein lassen.
    Und es ist doch sowas von egal, ob Mann einem auf den Po starrt oder nicht.
    Erbärmlich ist der Satz: Mit 50 sei man unsichtbar!

    • alam sagt:

      Erbärmlich ist die Unsichtbarkeit nicht unbedingt. Männer kennen dieses Phänomen weniger. Für Frauen ist aber eine gewisse Art von Unsichtbarkeit ab ca. 50 Tatsache, kann aber auch eine grosse Erleichterung sein. Vor allem geht es darum, nicht mehr ständig als „Beute“ wahrgenommen, bewundert, taxiert oder kritisiert zu werden. Frauen, die in diesem Alter auf Partnersuche sind, leiden allerdings sehr darunter.

  • Zora sagt:

    @Carolina:
    … es geht nicht um Bungee Jumping oder eine nicht gemachte Australienreise. Das, was bereut wird, sind die nichtgelebten Begabungen und die unterlassenen Versöhnungsversuche mit nahen Menschen etc.
    s. Bronnie Ware:

    https://www.bing.com/videos/search?q=5+dinge%2c+die+menschen+bereuen&docid=608024965207362654&mid=94F7E965BECEA2606B1594F7E965BECEA2606B15&view=detail&
    FORM=VIRE

  • 13 sagt:

    Dieses Bereuen oder das Gefühl haben, etwas zu verpassen, hängt in erster Linie mit Erwartungen zusammen. Wir erwarten heute immer mehr, das absolute Glück, das perfekte Leben und sind schliesslich alles andere als glücklich. Wer einerseits das Gefühl hat, alles erreicht zu haben, was er sich gewünscht hat (Partnerschaft, Familie, Job etc.) und trotzdem stets das Gefühl hat, dass etwas fehlt, der sollte seine Erwartungen überdenken. Downsizing ist gut, aber nicht nur materiell, sondern auch was die Wünsche angeht. Wenn man diesen immer nachjagt, hat man das Gefühl stets auf etwas hinzuarbeiten, das man dann doch nicht erreicht, denn es ginge sicher noch besser. Eine grundsätzliche Zufriedenheit trotz einigen Wolken reicht aus.

  • Esther sagt:

    Ich habe immer sehr viel und mit Freude gelesen. Keine Romane, keine Krimis, sondern viele Sachbücher über vieles das mit interessierte. Sei es Botanik, Biodiversität, Aomatherapie, Psychologie, Biografien interessanter Leute, viel über Tiere, Reisebücher, Religion, und nun Klimaänderung.

    Niemals habe ich mich gelangweilt in meinem Leben.

    Ich habe mal ausgerechnet wie viele Bücher dies alles ausmacht : pro Monat, pro Jahr x meine Lebensjahren = da bin ich zu 800 Bücher gekommen !
    Lange habe ich nur Abends im Bett lesen können weil ich arbeitete.
    Nun, hole ich nach !
    Manchmal haben mir Leute das Leben sauer gemacht aber mit meinen Psychologiebücher habe ich dies auch überstanden ! Meistens war es Eifersucht. Ich muss zugeben ich habe auch Persönlickeit, aber ich bin eine liebe !

  • Marco sagt:

    Ich habe das grosse Glück, mit 39 keine besonderen Lebensziele zu haben. Ausser mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel zu verdienen. Alles, was ich wollte, hab ich bereits vor 10 Jahren erreicht. Ich geniesse. Freizeit, Freunde, Freundin. Essen. Schlafen. Freu mich auf alles, was noch kommt: Playstation 5. Neue Star Wars und Marvelfilme. Bessere VR-Brillen. Reisen. Und wenn das bis mit 99 bei guter Gesundheit so weitergeht, bin ich völlig zufrieden. Manchmal bin ich völlig baff, wie viele im Leben einen Sinn brauchen. Als wäre das blosse Atmen und Existieren bereits eine Anstrengung.

  • maia sagt:

    @Roger: Wobei eben entscheidend ist, die Partnerin da überhaupt mitmacht.
    In der Regel wir das, was Chris Fogg und viele viele andere Väter leisten ja in der Regel überhaupt nicht wertgeschätzt. Im Gegenteil: Oft hört man von Müttern die Klage, dass die Väter überhaupt nichts zum Familielleben beitragen….. – oder wie kürzlich hier auch geschrieben wurde – keinerlei Opfer für die Familie bringen würden.

    • Maike sagt:

      ..diese Frauen verstehe ich nicht ! Mein Mann hat sich den Buckel krumm geschuftet, um mir und unseren Kindern eine komfortables Leben zu bieten: Es kam immer ausreichend Geld aus dem Automaten !! Und wie soll er z.B. in der Woche etwas signifilantes zum Familienleben beitragen, wenn er morgens um 07:00 das Haus verlässt und erst um 18:00 wieder daheim ist ??

      • maia sagt:

        „Mein Mann hat sich den Buckel krumm geschuftet,…..“ – und Sie haben einfach zugesehen? Und selbstverständlich hat er „etwas Signifikantes“ zum Familienlebenbeigetragen: „… um mir und unseren Kindern eine komfortables Leben zu bieten: Es kam immer ausreichend Geld aus dem Automaten !! “ – Ohne genügend Geld hätte wohl gar kein Familienleben stattfinden können.

    • 13 sagt:

      @ maia
      Ich weiss nicht, ob Sie mich meinen, aber nicht das gleiche Opfer und keinerlei ist ja kaum das Gleiche. Ich bin für jedee gute Diskussion zu haben, aber richtiges lesen ist Voraussetzung. Männer bringen im Normalfall andere Opfer als Frauen, indem sie vom Familienleben wenig haben und den berufliche Stress stemmen, allerdings auch die Lorbeeren ernten, wie die Frau zu Hause. Wäre schön, wenn in Zukunft, beide beides leisten und von beidem profitieren könnten. Ich gebe allerdings auch zu, dass ich nicht objektiv bin, weil für mich persönlich ein Hahsfrauendasein und ein Geldbeziehen vom Konto meines Mannes eine Horrorvorstellung wäre. Falls Sie nicht mein Posting meinten: entschuldigung!

  • Zora sagt:

    Mir hat der Zugang zur Spiritualität geholfen (Sie nennen es etwas verabscheuend Esoterik). Es gibt offenbar etwas, das uns übersteigt. Die Erfahrung, dass alles mit allem verbunden ist, befreit und verbindet mit dem grundsätzlichen Sinn des Lebens. So kann ein stilles, unspektakuläres Glück einziehen. Ein Glück, das keinen Gegensatz kennt, sondern sich in einer schlichten Daseinsfreude zeigt. Was überhaupt nicht heisst, dass frau dadurch unattraktiver wirkt oder mit 50 nicht mehr wahrgenommen wird. Ganz im Gegenteil.
    Eine schmerzhafte Midlifekrise war das Nadelör, die mir das ermöglichte. Zuerst musste ich meine naturwissenschaftlich geprägte Weltsicht erkennen und erweitern, mich nicht mehr ausschliesslich mit dem denkenden Geist identifizieren. Weite neue Welt!

  • Maike sagt:

    Mimimimi – der Sinn des lebens. Wieso soll unser Leben einen Sinn haben ? Wir wurden geboren und leben. Und das tun wir mehr oder weniger so, das wir damit zufrieden sein können. Herr Fogg beispielsweise scheint beruflich und privat gesettelt zu sein – wunderbar. Nun muss er sich darum keine Sorgen mehr machen und es kommen ihm die Gedanken, was man den sonst noch so tun kann. Anstatt sich Sorgen zu machen soll er doch froh sein, das das tägliche Leben ihm seine Neugier nicht abgewürgt hat und ihm diese Gedanken kommen.
    Wer sagt denn, das man immer so weiter machen muss wie bisher ? Wenn er was ändern will und sich dabei gut fühlt – go on, let’s do it !

    • Carolina sagt:

      ‚… Er soll doch froh sein, dass……‘ Sagen Sie einem Depressiven auch, er solle sich zusammenreissen?
      Oder einem Trauernden, es wäre jetzt dann mal gut?
      Es könnte doch sein, dass ein ’schwarzes Tuch‘ ein Hinweis darauf ist, dass mit seinem Leben – egal, wie perfekt es nach aussen hin aussieht – etwas nicht stimmt, etwas, das es zu erfahren gilt, dass man vielleicht herausfinden muss.
      Dabei muss man nicht helfen, ja, man muss noch nicht mal verstehen, um was es geht, aber man könnte sich mit lapidaren ‚Du solltest, man muss etc‘ doch ein wenig zurückhalten. Man kann ja auch einfach mal nichts sagen……

      • Lisa sagt:

        Wobei eine echte Depression etwas völlig anderes, eine echte Krankheit ist. Wir gehen aber viel zu lapidar damit um… „bin hüt äs bizzeli depressiv“ – das ist einfach das Hoch und Tief unseres Lebens und eigentlich völlig normal. Insgesamt denke ich, dass es uns in der Schweiz (und weiteren vor allem westlichen Ländern) einfach zu gut geht. Wir haben alles, wir dürfen alles, wir können alles und vor allem wir wollen alles. Und sind damit dennoch nicht zufrieden. Es fehlt häufig der Blick auf das Wesentliche, und ein bisschen Demut und Dankbarkeit wären manchmal auch nicht schlecht. Demgegenüber oft zu hohe Erwartungshaltungen – sowohl an sich selbst als auch an das Umfeld. Eben… uns gehts zu gut…

      • Muttis Liebling sagt:

        Depression ist eine Gesundheitsstörung, keine Krankheit. Um Krankheit zu sein, müssen 3 Minimalkriterien erfüllt sein:

        1. Subjektives Leiden.
        2. Objektivierung unabhängig vom Leiden.
        3. Soziale Einschränkung auf Grund des Leidens.

        Praktisch alle psychischen Störungen sind nicht unabhängig objektivierbar, also keine Krankheit.

        Der Mensch ist ein Doppelwesen mit einem nach innen gerichteten biopsychosozialen Selbst und einer nach Aussen wirkenden soziokulturellen Rollenhülle. Krankheiten sind im Selbst, Gesundheitsstörungen in der Rollenhülle lokalisiert. Ausser schwerer Schizophrenie scheint nichts im Selbst zu residieren. Zumindest gibt es bis heute keine Beweise dafür.

      • Carolina sagt:

        Man muss nicht an einer klinischen Depression leiden, um verzweifelt, melancholisch, traurig oder wütend zu sein. Und es ist – das kann ich Ihnen als Therapeutin und als Betroffene versichern – nicht möglich, dauernde Dankbarkeit für eine Situation zu zeigen, die, gemessen an den meisten anderen Menschen dieser Welt, gut und luxuriös ist. Das genau fördert ja die Zerrissenheit, wie Chris selber sagt – man meint, alles zu haben und trotzdem ist da das ’schwarze Tuch‘. Es spielt keine Rolle, ob es eine Depression ist oder ’nur‘ das Gefühl, im falschen Film zu sein: der Hinweis darauf, doch dankbar zu sein, fördert die Zerrissenheit noch. Die mentalen Probleme, wenn sie mal angefangen haben, lassen sich meistens nicht durch reine Willenskraft lösen. Deshalb verbietet sich eine Wertung.

  • Roger sagt:

    Das Schöne nach 40 ist, dass man weiss, was man NICHT mehr will. Auch diese Abhängigkeit bzw. Sucht von den Sozialen Medien sollte man überdenken. Braucht man diese wirklich für ein erfülltes Leben? Es ist wichtig, sich Freiräume zu schaffen, die nicht im vornherein verplant sind. Zudem sollte man sich mehr auf sein Bauchgefühl verlassen, als auf andere zu hören. Müssiggang und Gelassenheit (auch was das Altern anbetrifft) helfen auch für ein positives Lebensgefühl. Dafür muss man nicht EsoterikerIn sein. Happy days!

  • Chris Fogg sagt:

    Ich, Männlich 48 bin voll in der Midlife Krise. Habe alles. Familie, Kinder, eigenes Haus, genügend Geld. Und trotzdem ist da dieses grosse schwarze Tuch über meinen Gedanken, das einen grossen Schatten wirft. Wo bleibe ich, muss ich bis 65 weiter im Hamsterrad abstrampeln um den Lebensstandard zu halten?

    • Zora sagt:

      … Sie haben noch so schön Zeit, um aus der Komfortzone auszubrechen. Im Moment zwar schwerwiegend, aufs Ganze gesehen jedoch lohnend! Auf dem Totenbett bereut man – gemäss Literatur – vor allem das, was man nicht verwirklicht hat im Leben.
      Das schwarze Tuch hat durchaus seine Aufgabe – es ruft nach Licht in die Angelegenheit. Mir halfen damals div. Therapien; analytisch orientierte und körpertherapeutische.

      • Carolina sagt:

        Ich bin seit vielen Jahren Sterbebegleiterin und ich habe in all der Zeit noch nie, aber wirklich noch nie von einem Sterbenden gehört, dass er/sie so gern noch nach Australien gereist wäre oder Bungee Jumping gemacht hätte…..
        Aber was ich immer und immer wieder höre, ist der Kummer darüber, dass man mit den Menschen, die einem am liebsten sind, mit denen man eigentlich am meisten verbunden sein sollte, diese Verbindung eben nicht mehr hat.
        Ich würde also jedem Menschen, der in irgendeiner Weise an seinem Ist-Zustand leidet (egal, wie perfekt und schön und geordnet er nach aussen aussieht), sich dieser Herausforderung zu stellen, sich auf die Sucherei einzulassen. Das ist oft ein sehr schwieriger Prozess, erfordert Mut, aber es lohnt sich.

      • Dani sagt:

        Aus eigener Erfahrung gibt es versch. Vektoren fürs Unglücklichsein:
        a) Ziel- anstatt Prozessorientierung, dh Ziele werden verfolgt, obwohl der Prozess nicht als angenehm oder sinn-voll empfunden wird
        b) Konsum- anstatt partizipative Orientierung, denn machen lassen ist nie so sinn-voll wie selber machen.
        c) Leben in Abstrakt- bzw. Symbolwelten anstatt Sinneswelten, denn Statussymbole (wie tolle Jobbezeichnungen, gepimptes Insta-Profil, Luxusgüter, etc) kann man nicht fühlen und enstprechend stimulieren sie keinen der Sinne.
        d) sich in Rollen verlieren (Berufsrolle, Elternrolle, etc) und sich nicht mehr „zeigen“
        e) Angst Fehler zu begehen, denn Angst verhindert ein sinn-erfülltes Leben.
        Der Sinn des Lebens ist es (tiefere) Sinneserfahrungen zu machen, dh „sinn-voll“ zu leben.

      • tina sagt:

        danke carolina, der input kam jetzt genau richtig :). nachdem ich 20jahre strampelte, kann ich mich ja neuerdings um mich kümmern, merke aber, dass es mir bereits auf die nerven geht, um mich selber zu kreisen. wichtiger als was jetzt kommt, war das, was ich die letzten 20 jahre machte.

        chris, ich war so oft total am anschlag. ich hätte mir soooo gewünscht, mal an einen punkt zu kommen, wo es gut ist. wo nicht irgendein katastrophen-ausnahmezustand zu bewältigen ist. der haken ist halt, wenn man den punkt erreicht hat wo alles gut ist: was peilt man dann an? ich kenne einige leute, die haben alles richtig gemacht und alles lief gut. was fehlt ist etwas, wofür sie kämpfen. du kannst dir sagen: dein startpunkt ist beneidenswert gut. lass dir zeit

    • Roger sagt:

      Mein Rat an dich Chris: Downsizing, z.B. Verkaufe das Haus, zieh in eine Mietwohnung in der Stadt, verkaufe das Auto, dafür reduziere deine Arbeitszeit auf 90% oder gar auf 80%. Finde heraus, was dir Freude macht. Erfülle dir einen Traum, nimm dir mehr Zeit für dich. Überlege, was dir Wichtig ist und was nicht. Das Ganze natürlich in Absprache mit deiner Partnerin und deinen Kindern. Habe den Mut, dein Leben zu ändern. Nicht morgen, sondern jetzt! Alles Gute …

      • Hanspeter Fischer sagt:

        Sie müssen dann die Häme und das Unverständnis der Bekannten und weiterer Kreise
        ertragen können.

      • Lisa sagt:

        @Hanspeter Fischer: Wenn es Häme geben würde, dann sind es zum einen die falschen Bekannten mit denen man sich umgibt. In meinem Umfeld werden Veränderungen eher positiv bis neutral aufgenommen. Und zum anderen sollte nicht im Vordergrund stehen, was andere denken, sondern was für sich selbst wichtig ist, was tut mir gut.

    • Claudia sagt:

      mein mann und ich sind auch am reduzieren… nicht zuviel konsumieren, dafür weniger arbeiten. er momentan 80% und ich 60%. kinder kommen jetzt in die ausbildung… wir überlegen uns, die pk rente schon ab 58 ausbezahlen zu lassen, damit er noch mehr reduzieren kann. zusätzliche freiheit ist so schön. in der kann man sich verwirklichen.

      • Roger sagt:

        Arbeit ist wichtig, wird aber (zusammen mit der Karriere) überschätzt. Besonders viele Männer definieren sich in erster Linie über ihre Arbeit, deshalb gibt es auch immer mehr Burnouts. Wenn man deswegen weg vom Fenster ist, sagt niemand Danke. Lieber weniger Besitz, dafür eine gute Work/Life Balance. Aber jeder muss selber wissen und entscheiden, was für ihn/sie wichtig ist.

    • Esther sagt:

      @Chris : vielleicht einmal eine Pause machen, eine richtige, ohne Internet und so ? Nachbarn von mir gingen 3 Monate nach Griechenland und hatten dort ein Haus auf dem Land, nahe dem See. Beide arbeiteten sehr viel.
      Nachher ging es viel besser und sie fanden sogar einen Monat hätte gelangt !

    • Carolina sagt:

      Stellen Sie sich dem ‚grossen schwarzen Tuch‘ – leichter gesagt, als getan, aber machen Sie es. Vielleicht in kleinen Schritten: fangen Sie an (wenn das einer der Gedanken ist, der aufkommt), ihre Frau und Familie an ihren Gedanken zu beteiligen, auch wenn es weh tut. Werden Sie – Achtung: Klischee – langsam authentischer und ehrlicher. Stehen Sie zu Ihrer Verwirrung und Ihrem Leiden. Versuchen Sie so weit wie möglich, Ihre Liebsten auf eine einigermassen schmerzlose Art und Weise an Ihrer Neuausrichtung zu beteiligen, ohne Vorwürfe an sie, wenn das Verständnis ausbleibt. Aber arbeiten Sie daran, möglichst wenig Schmerz zuzufügen, gleichzeitig aber Ihre eigenen Bedürfnisse herauszufinden. Sollte sich herausstellen, dass diese denen Ihrer Frau diametral entgegenstehen, ist das so.

      • Carolina sagt:

        /2 Diese mid-life-crisis (oder was auch immer es ist) geht meistens mit einem starken Gefühl der Fremdbestimmung einher. Sie müssen nicht alles zerstören, um wieder authentischer und für Sie selber bekömmlicher leben zu können. Sie können nur dann für Ihre Frau ein ebenbürtiger Partner und für Ihre Kinder ein wirklich authentischer Vater sein, wenn Sie auf Ihre innere Stimmen (oder eben das schwarze Tuch) hören.
        Wie gesagt, das kann dauern und sehr schmerzhaft sein, aber es lohnt sich meistens sehr – siehe das, was ich an Zora geschrieben habe……..

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