Von Paar zu Paar

Wie kann eine Beziehung einen Seitensprung überleben?

Nach einer Affäre brauchen Paare viel Geduld, weiss Therapeutin Felizitas Ambauen. Das alleine reicht aber noch nicht.

 

Schuldzuweisungen, Misstrauen, Scham: Nach dem Fremdgehen ist in Beziehungen meist der Wurm drin. Illustration: Benjamin Hermann

Sind Sie selbst in der Beziehung schon mal fremdgegangen? Oder betrogen worden? Hat es in Ihrer Familie schon mal unerlaubte Affären gegeben? Oder kennen Sie jemanden im Freundeskreis, der betrogen hat oder wurde? Da ich vermute, dass spätestens jetzt fast alle mit dem Kopf nicken, schauen wir mal etwas genauer hin.

In unserer Kultur wird Fremdgehen immer noch als ein Defizit an der bestehenden Beziehung begriffen und/oder mit einem fehlerhaften Charakter der Betrügenden assoziiert. Es haftet Unmoralisches, ja beinahe schon etwas Beziehungskriminelles daran. Und trotzdem ist das Vorkommen von Aussenbeziehungen beständiger als jede Ehe. Warum ist das so?

Untreue hat einen hohen Preis

Aussenbeziehungen sind alltägliche Gäste in meinen Paartherapien und verursachen den Betroffenen schlaflose Nächte und heftige Schmerzen. Das Thema ist komplex und die psychologischen Motive, die beim betroffenen Paar vorliegen, nicht auf den ersten Blick erkennbar. Darum lohnt es sich, hinter die Kulissen zu schauen, um zu verstehen, warum das Thema Untreue so hartnäckig zu monogam vereinbarten Beziehungen gehört.

«Nur weil ich Untreue nicht verurteile, heisst es nicht, dass ich sie gutheisse!», sagt die Paartherapeutin Esther Perel. «Und nur, weil eine Affäre eingegangen wurde, obwohl es nicht geplant war, heisst es noch lange nicht, dass man deswegen gleich die bestehende Beziehung in den Müll kippen muss!», sage ich jeweils zu meinen Klientinnen und Klienten. Auch wenn Beziehungen eine Affäre durchaus überleben können, würde ich sie trotzdem nicht zur Persönlichkeitsentwicklung empfehlen. Denn der Preis, den Paare für eine unerlaubte Affäre bezahlen, ist hoch.

Sogar Mietverträge sind besser definiert als Beziehungsregeln

Haben Sie mit Ihrem Partner die Regeln Ihrer Beziehung und die Grenzen des Erlaubten schon mal besprochen? Viele machen das nämlich nicht und sind im Nachhinein sehr überrascht, dass ihr Beziehungskonstrukt vom Partner nicht gleich erfasst wird. Denn Monogamie ist kein starres Gebilde und muss daher von jedem Paar selbst definiert werden. Und gerade in diesem Aushandeln liegt grosses Potenzial, die eigenen Bedürfnisse kennen zu lernen und die Beziehungsform danach auszurichten. Gerade auch für Paare, die es mit der Monogamie versuchen wollen! Doch was, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist?

Ein Antiserum gibt es nicht

Noch nie in der Geschichte waren wir emotional so abhängig von unseren Partnern wie heute. Wir definieren gar unser Lebensglück darüber – wir sind sozusagen unsere Partnerschaft. Das erklärt zu einem Teil auch, wieso eine Aussenbeziehung so sehr als Verrat aufgenommen werden und so zerstörerisch für unsere Identität sein kann. In der Praxis sehe ich Leute, deren Reaktion auf eine aufgedeckte Affäre ähnlich ist wie nach einem traumatischen Ereignis. Will man das als Paar überstehen, muss man sehr genau hinsehen und verstehen wollen! Dazu gehört:

  • Den Schmerz aushalten
  • Echte Reue spüren
  • Wiedergutmachung anstreben
  • Die eigenen Bedürfnisse kennen lernen und ernst nehmen
  • Die Beziehung dementsprechend (neu) definieren
  • Viel Geduld und Demut haben

Der Stachel einer aufgedeckten Affäre ist auch deshalb so giftig, weil sie die ganze Beziehung infrage stellt – die Vergangenheit sowie auch die Zukunft. Und es gibt kein Antiserum, das dieses Gift auf die Schnelle neutralisieren könnte. Es ist harte Arbeit. Aber man kann daran wachsen.

«Ich will lebendig sein!»

Doch warum gehen wir überhaupt fremd, wenn wir es doch gar nicht wollen und es uns so viel Schmerz zufügt? Diese Frage diskutiere ich mit meinen Paaren intensiv. Und erstaunlich oft kommt dabei das Thema Lebendigkeit auf. «In der Affäre fühle ich mich begehrt, elektrisiert, gesehen, jung, berauscht – lebendig eben!» Und so kommen nicht wenige zum Schluss, dass sie durch die Affäre weniger aus der bestehenden Beziehung und vor dem Partner ausgebrochen sind als vor der Version ihrer selbst, zu der sie in der Beziehung geworden sind. Diese Erkenntnis kann eine sehr aufklärende Wirkung haben! Auch für den betrogenen Part, der realisiert, dass das Fremdgehen kein böswilliger Akt gegen ihn persönlich war.

Eine Affäre kann sowohl Totengeläut als auch Weckruf für eine Beziehung sein.

In einer Affäre wird also oft das ungelebte Selbst erfahren! Schaffen wir es, diesen Anteil in die Primärbeziehung zu integrieren, hat die Partnerschaft gute Aussichten. Kommt man zum Schluss, dass die bestehende Beziehung nur erhalten werden kann, wenn man darauf verzichtet, so sein zu können, wie man sein möchte, sieht es hingegen düster aus. Eine Affäre kann also sowohl Totengeläut als auch Weckruf für eine Beziehung sein.

Viel Arbeit mit offenem Ausgang

Wir reden in der Therapie übrigens nicht darüber, wer schuld ist, dass es zur Affäre gekommen ist, sondern darüber, welche Bedürfnisse in der Partnerschaft nicht mehr gesehen und genährt wurden, sodass eine Affäre so attraktiv wurde. Wir reden über Impulskontrolle und Hedonismus und warum es schwierig ist, kurzfristigen Verführungen zu widerstehen, obwohl sie die langfristigen Motive bombardieren. Wir reden über ungeteilte Aufmerksamkeit und Interesse, über Wertschätzung und Intimität. Darüber, dass man wie eine Pflanze austrocknet, wenn man zu wenig bekommt, und es sich schliesslich anderswo holt. Wir reden über Fantasien, über Sex und über Lust. Wir schauen der Verletzung und dem Schmerz direkt in die Augen. In seiner ganzen Hässlichkeit.

Und wir suchen nach den Dingen, die das Paar immer noch verbinden. Wir handeln aus, ob beide bereit sind, das Commitment noch einmal einzugehen. Diese Arbeit kann eine heilsame Wirkung haben. Sie kann das Wohlwollen und die Zugewandtheit wieder stärken. Kann die Beziehung auf eine höhere Ebene bringen. Kann! Denn es ist eine unbequeme Arbeit, in der man sich mit den Abgründen seiner selbst und der Beziehung auseinandersetzt, um besser zu verstehen, wie man an diesen Punkt gelangt ist. Es ist ein Prozess mit offenem Ausgang – was für die Beteiligten oft am schwierigsten auszuhalten ist. Einige Beziehungen zerbrechen daran. Andere – so provokativ sich das auch anhört – werden durch eine Affäre in ihrer Paarbeziehung gestärkt.

Fehltritte bedeuten nicht das Aus einer Beziehung

Zu akzeptieren, dass Beziehungen nicht so gradlinig verlaufen, wie wir es uns wünschen, kann Druck wegnehmen. Sowie auch Abschied zu nehmen von der Idee, bei der ein Fehltritt das Aus einer Beziehung bedeuten muss, weil entweder der Betrügende einen schlechten Charakter hat oder die Betrogene aus Selbstachtung die Beziehung beenden muss, um nicht das Gesicht zu verlieren. Könnten sich die Paare vielleicht darauf einigen, dass sie zwar nicht gänzlich verhindern können, dass Affären vorkommen, und trotzdem anstreben, dass es möglichst nicht passieren sollte?

Auf diese Weise würde das Paar gemeinsam im Boot sitzen und in die gleiche Richtung steuern, ohne die Augen vor einem schrecklich gefürchteten Betrug zu verschliessen. Oder sich gar genötigt fühlen, das Boot versenken zu müssen, falls es dennoch vorkommen sollte.

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13 Kommentare zu «Wie kann eine Beziehung einen Seitensprung überleben?»

  • Sonusfaber sagt:

    Das Wichtigste für mich in einer Beziehung ist, dass ich mich von meiner Partnerin begehrt fühle. Ich muss spüren, dass sie gerne meine Partnerin ist, sie mich mag, lieb hat, ich ihr Liebster bin. Mehr brauche ich im Grunde nicht. Dann hätte ich auch nichts dagegen, dass sie sich von Zeit zu Zeit einen Abstecher gönnt – denn so was versüsst einem das Leben, macht ihn glücklicher.

    Das heisst: Lieber eine sexuell untreue Partnerin, die mich wirklich liebt und mich ihre Liebe auch spüren lässt, als eine treue, die kaum noch Gefühle für mich hat.

    Zudem: Auf gar keinen Fall möchte ich wissen, dass meine Partnerin mit anderen Männern schläft. Aus Prinzip nicht. Was sie in meiner Abwesenheit tut, geht mich nichts an. Und umgekehrt.

  • Claude Jaermann sagt:

    Es ist von ‚fremdgehen‘ die Rede, von ‚betrügen‘ und von ‚Affären‘ … wäre es nicht auch an der Zeit, unseren Wortschatz und unser Beziehungskonzept zu überdenken? Weshalb limitieren wir uns immer wieder, wenn es um Liebe (und ich bin mir bewusst, dass dieses Wort arg strapaziert wird und für jeden etwas anderes bedeuten kann) geht? Wenn sie uns in irgendeiner Form begegnet, wäre es doch wunderschön, für dürften eine Erfahrung machen. Egal, ob körperlich, sinnlich, geistig oder erotisch … Und wie schön wäre es, wenn wir offen darüber kommunizieren können und uns und unsere Bedürfnisse wahrhaftig teilen …

  • P Glotz sagt:

    Stellt euch eine Beziehung vor, in der es das Wort „fremdgehen“ nicht gibt. Keiner besitzt den anderen, beide sind frei Erfahrungen zu machen, die Erfahrungen werden kommuniziert und die Beziehung kann wachsen. Wer sagt denn, dass man nur 1 Menschen lieben kann. Der Pfarrer vielleicht, eure Eltern vielleicht.
    Meine Erfahrungen sind heftig und gut und meine Beziehung zu meiner Liebsten wird immer besser. Ein Traum, den leider nur ganz wenige Menschen leben können.

  • Stephan Herzog sagt:

    Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass in jeder Ehe / Beziehung vor allem Vertrauen, Dialog, Freizeitaktivitäten, Harmonie, Verständnis braucht.
    Bei einem Jobwechsel lernte ich auch eine verheiratete Frau kennen, die in einer identischen familiären Situation (Fassadeleben !!) war. So kamen wir uns Näher und die Beziehung dauerte einige Jahre. Wir erlebten wunderschöne Jahre, aber sie wollte sich von Ihrem Ehemann nicht trennen, erwartete es jedoch von mir. In der Zwischenzeit leben die Kinder und ich getrennt von der Mutter / Ehefrau, und wir leben wirklich besser. Ich habe mich aber auch von der Beziehung getrennt. Sie wollte aufgrund von Sicherheit (Geld) nicht ihr Leben führen und teilt ihren Frust mit ihrem Mann.Hinzu kommt, dass sie auch Job unzufrieden ist.

  • R. Berner sagt:

    Wir führen eine offene Beziehung, reden über unsere Bedürfnisse und Gefühle und haben nach mehr als 30 Jahren noch immer das Gefühl, dass wir in einander das Beste für einander gefunden haben. Wer jetzt meint, dass wir mehrmals pro Jahr in fremde Federn hüpfen täuscht sich. Tun wir nicht. Wir sprechen aber darüber, wenn der eine mal Lust auf jemand anderes hat. Die Welt und die Beziehung gehen deshalb nicht unter. Nicht einmal verliebt sein in einen Fremden hat unsere Beziehung auseinander getrieben, weil wir beide nach jeder Episode dachten, das wir doch am besten zueinander passen. Zentral in unserer Beziehung ist aber das Vertrauen und dass sich jeder frei äussern kann was er braucht, will und wie es in ihm aussieht.

    • P Glotz sagt:

      Schön geschrieben – mache genau die gleichen Erfahrungen. Und niemand versteht, den Zusammenhang, warum Offenheit eine Beziehung so enorm wachsen lässt.
      Achtung: offene Beziehung ist nicht ein Spaziergang. Und auch keine Beziehungsform für Menschen, die einfach in fremde Betten wollen.

  • Jonas Keller sagt:

    „Könnten sich die Paare vielleicht darauf einigen, dass sie zwar nicht gänzlich verhindern können, dass Affären vorkommen, und trotzdem anstreben, dass es möglichst nicht passieren sollte?“

    Als Single masse ich mir hier nicht an, darüber zu urteilen, wie einfach es ist, jahre- oder gar jahrzehntelange monogame Beziehungen zu führen. Dieser Ansatz scheint mir allerdings ein ziemliches destruktives Potenzial zu bergen. Schafft dieses (nicht nur nachträgliche) „vielleicht, einfach nicht zu oft“ nicht ein konstantes Misstrauen und kann zu einem Fremdgeh-Wettrüsten führen, weil niemand von beiden der oder die Dumme sein will? Wenn da ständig die Befürchtung ist, dass man selbst auf mehr verzichtet als der Partner – ist dann eine Begegnung auf Augenhöhe überhaupt noch möglich?

    • andy sagt:

      Auf jeden Fall.
      Solange sie miteinander auf Augenhöhe und ehrlich Bedürfnisse kommunizieren, lassen sich immer praktikable Lösungen finden ohne das die Beziehung zerfällt.

  • andy sagt:

    Theorie ist nicht Praxis oder Realität.
    Theoretisch müssten wir auch in einer Beziehung so frei bleiben dürfen wie als Single.
    In der Praxis funktioniert dies jedoch selten bis gar nicht.
    Liebe ist die Essenz (Gefühl), dass uns abhängig (süchtig) bis „seelisch krank“ machen kann. Eifersucht und Besitzansprüche und weitere absurde Ansprüche schränken Beziehungen oft bis hin zur völligen Zerstörung ein.
    In gesunden Beziehungen gibt jeder Part einen Teil der eigenen Seele zur optimalen Vereinigung auf.
    Sehr enges Zusammensein ist an persönlicher mentaler Herausforderung vielfach zu viel des Guten. Wer mit sich selbst zufrieden ist, hat die besten Voraussetzungen ein ähnlich reifes Gegenüber für Beziehung zu finden, denke ich.

  • Anh Toàn sagt:

    Meine Ex hat es ganz pragmatisch formuliert: Sie will es nicht erfahren, ich sollte gegebenenfalls ja nicht um ihre Absolution ersuchen. Was niemand wiess, macht niemanden heiss: Damit der Partner nichts erfährt, darf halt auch dessen und damit wohl auch das eigene soziale Umfeld (die Freunde) nichts wissen, zu leicht verplappert sich jemand irgendwo. Geht es nur um Lust, um Sex, um Abenteuer, Aufregung, Abwechslung ist das ja nicht so schwer zu vermeiden, dass es der Partner je wird erfahren. Eine „Affäre“ bezeichne ich nicht als Seitensprung. Seitensprung ist einmalig, Affäre ist eine Beziehung neben der eigentlichen Beziehung, das kommt früher oder später raus und zerreisst meistens auch den Betrügenden und dessen Komplizen, der häufig mehr sein will, als nur Affäre.

    • Patrik Peter sagt:

      Exakt. Das stellte ich bei allen meinen Beziehungen gleich zu Beginn klar: Ich will es nicht wissen, komm nicht zu mir weil Du ein schlechtes Gewissen hast und wenn Du damit nicht umgehen kannst, mach es nicht.

    • Sonusfaber sagt:

      Ich möchte es auch nicht erfahren!

  • Esther sagt:

    Das Leben eines Paares dauert jetzt jahrzente. Es scheinet also unweigerlich, dass ob bei der Arbeit, oder in einem Sportverband oder auf andere Weise, einer der beiden vielleicht die grosse Liebe oder zumindest eine vorübergehende Liebe trifft.
    Wenn es DIE richtige Person ist, kann es die Familie in Gefahr bringen, aber wenn es ein Abenteuer ist, muss man Dinge relativisieren.
    Man sagt ja „einmal ist keinmal“.
    Wenn sich die Situation wiederholt, ist es natürlich ernster, hat man einen Playboy geheiratet oder mangelt es ihm einfach zuhause an Liebe ?
    Dasselbe gilt natürlich für Frauen.

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