Moderni Ziite

Krieger von heute: Familien kämpfen sich in der Krise ohne Struktur und neuer Technik durch den Alltag. Foto: Getty Images
«Ich säg, vieles lauft verruckt i dene moderne Ziite», singt der wohl meistunterschätzte Musiker des Landes. Und: «Kämpfe wie en Chrieger, muess immer starch bliebe, i dene moderne Ziite. Egal wos no hie gaht – jou – ich weiss, ich bliib starch.» Diese Zeilen stammen von Phenomden, dem Adliswiler Reggae-Genie mit jamaikanischem Geist. Kennen Sie nicht? Hinhören! Phenomden war in den letzten Wochen der Überflieger meiner ganz persönlichen «F***off-Corona-Playlist». Sein Lied im Ohr, seine Poesie, seine Zuversicht, sein Flow: Da passt alles, da trifft jede Zeile den Nerv der Zeit. Und wie klingt der Soundtrack bei Ihnen, in diesen «Moderne Ziite»?
Bitte entschuldigen Sie, mir wird gerade klar, dass das kein Musik-, sondern ein Mamablog ist. Oder ein Papablog. Oder ein Homeoffice-Blog, einer, der in diesen «Moderne Ziite» einfach irgendwie zustande kommt. Auch wenn wir inzwischen auf einer Art Trampelpfad in Richtung Normalität rumirren: Es sind immer noch Zeiten der Ungewissheit, Zeiten der Unordnung, Zeiten, in denen jede und jeder auf seine Art und Weise kämpft «wie en Chrieger» – mit der wiederholten Gestaltung des Kinderprogramms, mit dem Spagat zwischen Arbeit und Betreuung, mit den Fallmaschen im eigenen Nervengewand. Oder vielleicht sind Sie auf der Suche nach Erholung, nach Tankstellen der Ruhe. Ja, ich weiss, ich klinge wie Mike Shiva, wenn ich solche Töne anschlage. Aber eben, wie und wo finden Sie ganz persönlich Ruhe und Entspannung?
Zwischen pseudo-autoritärer Fassade und Windelturbo
Ansage an Junior Anfang Lockdown: «Solange wir hier zusammen auf dieser einsamen Home-Schooling-Insel gestrandet sind, nennst du mich während des Unterrichts Herr von Bergen. Und wir sprechen Hochdeutsch. Und wenn du was melden willst, dann hebst du die Hand. Klaro?» Junior sitzt vor einem Berg Hefter, Blätter und Stiften, schaut mich an und grinst. «Ach, noch was: Kopf auf der Tischplatte aufstützen verboten!» Junior grinst weiter. Okay, schon nach meiner ersten holprig-hochdeutschen Pädagogen-Predigt bröckelte meine pseudo-autoritäre Fassade aufs rote Tischtuch. Wir einigten uns darauf, dass wir uns zwar locker, aber gewissenhaft an die ungewohnte heimische Schulsituation gewöhnen wollen. Rückblickend hats geklappt. Meistens. Nicht immer. Immer öfter. Ab und zu. Wie hat es bei Ihnen funktioniert?
Und die Kleine. Chaos pur. Ein Windelturbo, der kaum zu stoppen ist. Kaum zu toppen auch nicht, schon gar nicht durch einen unsichtbaren Käfer: «Terrible Two» auf internationalem Level. Irgendwie süss, irgendwie witzig – manchmal tierisch mühsam. Wenn sie nicht gerade «Sirup!» fordert, schreit sie nach «Chipsli!». Nachdem der angebotene Apfel in hohem Bogen durch die Lüfte segelt und zum Glück knapp vor der Glotze (!) am Boden ausrollt, versucht der Alte vergeblich, sich in diesen riesengrossen, mit Bier gefüllten Swimmingpool zu visualisieren. Verdammt, wir sind erst gerade aufgestanden, der innere Belastbarkeitszeiger zielt bereits deutlich Richtung dunkelorange Zone, und ich stehe schon bald massiv unter Explosionsverdacht. Was tun Sie in solchen Momenten?
Der Alltag wird zum Bananenjoghurt
Ja, tja, eben, sowieso und überhaupt – ich wünsche Ihnen weiterhin viel Glück, auf der Suche nach brauchbaren Zeilen innerhalb dieses Artikels, dieser Gedankenfetzen. Schon klar, manche mögen das Gelesene gar als «belanglos» kritisieren. Einverstanden, dieser Schreiberguss ist unstrukturiert, ziellos, wirr und ähnlich stringent, wie ein Bananenjoghurt. Vielleicht aber passt er einfach zum Alltag der letzten Wochen. Zu meinem schon, zumindest phasenweise. Aber ich bin sicher, dass auch ich künftig … Sekunde, mein Chef ruft an, ich muss.
Ja, es sind «Moderni Ziite», so läuft es derzeit nun mal, und es ist in Ordnung so, weil unter dem Strich ist eines klar: Egal, was kommt, «ich weiss, ich bliib starch» und kämpfe weiterhin «wie en Chrieger». Und Sie?
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5 Kommentare zu «Moderni Ziite»
Genau so ging es mir auch in den letzten zwei Monaten. Mittlerweile darf ich ab und zu wieder ins Büro. Endlich wieder etwas ALLTAG endlich wieder etwas ROUTINE endlich wieder etwas STRUKTUR.
In diesen Zeiten wird deutlich, wer eigentlich nichts zu sagen hat.
Was die Medien bieten hat kaum Substanz. Da werden ein paar Zahlen aufgebauscht, dort einige abgebauscht.
Investigativer Journalismus? Wirklich intelligente und kritische Fragen? Interessante Diskussionen? Fehlanzeige.
Auch hier im MB verschwindet das Leben mehr und mehr. Kaum ein Blog der eine Diskussion auslöst. Bedeutungsloses wird einfach täglich wiederholt.
… Und wenn schon CH-Reggae dann Famara
Geniessen statt kämpfen: Das Gegenteil zum Krieger kommt von Fanta 4: „Lass die Sonne rein“: „Leb und fühl‘ im Augenblich, hör‘ auf zu viel zu denken. Sag dir alles was passiert, passiert nur für mich allein, deshalb ist es wunderschön, also lass die Sonne rein.“
Der Stress mit der Situation kommt daher, dass man die Situation nicht akzeptieren will/kann, aus der Diskrepanz zwischen der Realität und unserer Vorstellung, wie es sein soll. Solange man diese Diskrepanz selber reduzieren kann, ist es befriedigend, dies zu tun. Wenn dies aber nicht geht, ist es frustrierend, sich eine andere Realität zu wünschen.
Fanta4 ist definitiv auch besser.
Ihr Gedanke ist interessant und führt letztlich zum allseits bekannten „Gelassenheitsgebet“.
Der Wille zur Gestaltung vs. das Akzeptieren der unabänderlichen Realität. Hier gilt es das vernünftige Mass zu finden. Wo ist es feiges zu früh aufgeben? Wo ist es halsstarriges kämpfen gegen Windmühlen?
Lass die Sonne rein – gut gecovert ! Aquarius – Let the sunshine in von 1969