Freitagsfrage

Meine Tochter kifft. Was nun?

Eine Mutter findet Marihuana im Rucksack ihrer Tochter und weiss nicht, wie sie reagieren soll. Unsere Erziehungsberaterin hilft – mit zwei Geschichten.

Vertrauen versus Sorgen: Auch liberal eingestellten Eltern fällt das Gespräch über Drogenkonsum schwer. Illustration: Benjamin Hermann

Liebe Daniela, ich habe Gras im Rucksack meiner Tochter (15) gefunden. Obwohl ich Marihuana gegenüber grundsätzlich liberal eingestellt bin, mache ich mir Sorgen und weiss nicht, ob ich sie darauf ansprechen soll. Veronika

Liebe Veronika

Ich kann Ihre Sorge und die damit verbundene Frage sehr gut nachvollziehen. Mein erster Gedanke war: «Was hat sie am Rucksack der Tochter gemacht?» Eine mögliche Verletzung der Privatsphäre Ihrer Tochter würde die Ausgangslage verkomplizieren, denn: Wie spreche ich etwas an, das ich bei einem Vertrauensbruch entdeckt habe? Ihre Frage bekäme dadurch eine neue Dimension. Ich möchte Ihnen daher zwei Geschichten erzählen. Sie handeln von den Eltern Maria und Pete sowie ihrer Tochter Anna.

Die erste Geschichte

«Hast du noch etwas für den Geschirrspüler, Anna? Ich lasse die Maschine laufen», ruft Maria ihrer Tochter Anna zu. «Ja, in meinem Rucksack liegt die Brotdose von gestern!», erwidert diese. Maria entdeckt im Rucksack neben der Dose auch ein Beutelchen mit Gras. Sie ist verwirrt und beschliesst, vorerst nichts zu sagen und sich zuerst zu überlegen, wie sie reagieren soll. Obwohl sie Marihuana gegenüber liberal eingestellt ist, macht sie sich Sorgen: «Ist das nicht schädlich für Jugendliche?» Auf der Seite des BAG findet sie viele Informationen dazu und bei Saferparty werden Risiken und Nebenwirkungen kurz und knapp erläutert. Von Langzeitrisiken wie einer psychischen Abhängigkeit ist da die Rede, von der Gefahr eines Realitätsverlustes oder einer Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses.

Aus eigener Erfahrung ist ihnen klar, dass Jugendliche sehr geschickt darin sind, Dinge vor ihren Eltern zu verheimlichen.

Für Maria wird immer klarer, dass sie Anna darauf ansprechen möchte. Abends bespricht sie ihren Fund mit ihrem Mann Pete. Auch für ihn ist ein Gespräch der richtige Weg – wie Maria möchte er aber nichts dramatisieren. Gemeinsam besprechen sie, wie sie die gute Beziehung zu Anna erhalten und stärken können. Sie überlegen, worin ihre Sorge genau besteht – denn noch wissen sie nicht wirklich, ob und wie viel Anna kifft oder wie das «Gras» sonst in den Rucksack gelangt ist. Zuerst wollen und müssen sie die Situation klären. Falls Anna tatsächlich kifft – und das tun laut der Schweizerischen Gesundheitsstiftung Radix 40 Prozent der 15- Jährigen –, wissen Maria und Pete, dass sie Anna das Rauchen nicht werden verbieten können. Aus eigener Erfahrung ist ihnen klar, dass Jugendliche sehr geschickt darin sind, Dinge vor ihren Eltern zu verheimlichen, wenn sie wollen.

Das bringt sie zum Thema, ob und welche Verantwortung sie als Eltern übernehmen sollen und können. Und wie ist es mit dem Gesetz? Maria weiss, dass das Bundesgericht im vergangenen Jahr entschieden hat, Jugendliche im Besitz von weniger als zehn Gramm nicht mehr zu verzeigen, sondern wie die Erwachsenen zu büssen. Maria und Pete wollen mit diesem Gespräch Anna stärken, sodass sie eigenverantwortlich Entscheidungen treffen kann. Das ist leichter gesagt als getan. Pete gibt zu bedenken, dass Jugendliche nur bedingt in der Lage sind, über Konsequenzen ihres Tuns nachzudenken, weil ihr Gehirn stark im Umbau ist. Das hat er in einem Buch von Jesper Juul gelesen.

  • Maria und Pete planen folgendes Vorgehen: Anna sachlich über den Fund informieren. Ihr mitteilen, dass sie gerne mit ihr darüber
    sprechen möchten, wie sie miteinander mit der Situation umgehen wollen, weil sie sich Sorgen machen.
  • Miteinander vereinbaren, wann sie darüber sprechen wollen – das gibt auch Anna Zeit, sich darauf vorzubereiten. Anna Offenheit und Gesprächsbereitschaft signalisieren, damit sie keine Angst vor dem Gespräch haben muss. Die eigenen Themen ankündigen und Anna ermuntern, sich zu überlegen, was ihre Themen sind.
  • Das Gespräch sachlich und offen gestalten. Die eigenen Gedanken und die eigene Haltung ansprechen und den Eindruck vermeiden, dass sie Anna verurteilen. Hören, was Anna zu berichten hat, und gemeinsam entwickeln, wie es weitergehen kann. Allenfalls miteinander Regeln entwickeln.
  • Anna zeigen, dass sie das gegenseitige Vertrauen erhalten möchten. Signalisieren, dass sie stets für sie da sind, auch wenn sie vielleicht nicht alles toll finden, was sie tut.
  • Falls Anna sich nicht einlassen kann: Auf die Internetseite Feel-ok.ch und die Jugendhotline 147 aufmerksam machen. Dort kann sich Anna mit neutralen Personen unterhalten oder mit Peers chatten.

Die zweite Geschichte

Maria ist allein zu Hause. Als sie im Zimmer ihrer Tochter Anna deren Rucksack entdeckt, kann sie der Versuchung nicht widerstehen. Sie durchsucht den Rucksack, entdeckt ein Beutelchen mit Gras und erschrickt. Einerseits ist sie froh, das Gras gefunden zu haben, andererseits weiss sie, dass sie damit die Vertrauensbasis zwischen ihr und ihrer Tochter gefährdet. Nun ist sie in der Klemme: Wenn sie den Fund und ihre Sorgen anspricht, muss sie gleichzeitig ihre Schnüffelei zugeben. Abends bespricht sie das Dilemma mit ihrem Mann Pete. Er plädiert dafür, Anna trotzdem darauf anzusprechen. Damit möchte er ihr zeigen, dass sie ihnen wichtig ist. Maria und Pete entscheiden sich für folgendes Vorgehen:

  • Bei Anna ein Gespräch ankündigen. Zu verstehen geben, dass das Gespräch für die Eltern schwierig ist, weil sie etwas gemacht haben, das nicht in Ordnung ist.
  • Das «Schnüffeln» und ihren Umgang damit ins Zentrum des Gesprächs stellen.
  • Davon entkoppelt – allenfalls in einem zweiten Gespräch, je nach Emotionalität und Verlauf – über das Marihuana sprechen.

Für Maria ist es nicht einfach, den Vertrauensbruch einzugestehen. Schweigen ist für sie jedoch keine Option, da das Schnüffeln und der Fund im Moment zwischen ihr und Anna stehen, sodass sie ihr nicht offen begegnen kann. Wenn sie möchte, dass Anna offen mit ihnen über schwierige Dinge spricht, dann muss sie das auch vorleben. Maria möchte zeigen, dass sie Verantwortung übernimmt. Und sie möchte sich entschuldigen.

Liebe Veronika, ich hoffe, dass Ihnen die beiden Geschichten dabei helfen, eine kluge Entscheidung zu treffen.

Ich wünsche Ihnen dafür alles Gute.

Daniela

Brauchen auch Sie einen guten Rat? Schreiben Sie uns. Gerne nehmen wir Ihre Erziehungsfragen unter blogs@tamedia.ch entgegen.

20 Kommentare zu «Meine Tochter kifft. Was nun?»

  • Anh Toàn sagt:

    Ich würde den Marihuana Konsum meiner Kinder wohl an meinen zu rasch schwinden Vorräten erkennen. Ich wäre auch überrascht, wenn sie den vor mir verstecken würden, ich verstecke meinen auch nicht, genauso wenig wie den Konsum von Alkohol. Was wäre das Leben ohne die kleinen Fluchten? Letztlich geht es nicht um Substanzen, und wenn schon ist THC insbesondere verglichen mit Alkohol deutlich weniger gefährlich, es geht um Suchtverhalten und schädliche Konsumformen: Man muss/soll das Zeugs ja nicht rauchen, und noch mit Nikotin mit extrem hohen Suchtpotential kombinieren, man kann sich ja auch einen Tee kochen.

    Zum Erwachsen werden gehört der Umgang mit Ambivalenz: „Drogen“ sind nicht nur schlecht, sind kein Teufelszeugs, Rausch ist manchmal geil, immer Rausch ist doof!

  • Markus Kohler sagt:

    THC-Besitz und Konsum sind illegal, es spielt keine Rolle, ob nur Ordnungsbussen oder schwerere Strafen verhängt werden. Daher ist die Frage, ob es legitim sei, dass die Eltern Taschen durchsuchen völlig deplatziert. Es geht nicht um irgendwelche harmlosen pubertären Anwandlungen, sondern schlichtweg um eine Gesetzeswidrigkeit und um den Konsum einer Substanz, die im Jugendalter nicht unproblematisch ist. Die Eltern müssen mit sofortigem Verbot reagieren. Wer das nicht macht hat wohl selbst ein Substanzenproblem.

  • Carolina sagt:

    Als eine meiner Töchter ihren ersten Freund hatte, ist mir eines Tages dieser unnachahmliche süssliche Geruch an ihr aufgefallen. Ich bin etwas ausgeflippt, gebe ich offen zu. Alle psychotherapeutischen und sonstigen angelernten Verhaltensregeln sind aus dem Fenster geflogen und ich habe sie, auch pädagogisch unrichtig, angeschrien. Habe ihr gesagt, dass ich Kinder und Jugendliche behandle, die ihre rechte Hand dafür geben würden, mit ihren Möglichkeiten ausgestattet zu sein. Mein Verhalten war natürlich völlig übertrieben, das wussten wir wohl beide in dem Moment, aber sie hat mir später gesagt, dass sie seitdem nie wieder einen Joint angefasst hat.
    Ich bin nicht besonders stolz auf mein Verhalten, aber ich glaube, sie hat gespürt, dass ich absolut authentisch war.

    • Martin Frey sagt:

      @Carolina
      Manchmal funktioniert so etwas vielleicht genau deshalb, WEIL man sich nicht an die ausgetrampten, pädagogisch wertvollen oder psychotherapeutisch einstudierten Pfade hält. Alles andere wird nämlich vom Teenager erwartet, eine solche hochemotionale Reaktion jedoch weniger. Und zumeist funktionieren Engramme über Emotionen besser, insbesondere auch nachhaltiger.
      Meine beste Drogenprävention damals war ein Gang mit meinem Vater zu Riviera und Platzspitz. Bilder, die bleiben.

    • Röschu sagt:

      „…aber sie hat mir später gesagt, dass sie seitdem nie wieder einen Joint angefasst hat.“
      Ja, das hätte ich an Stelle der Tochter ganz bestimmt auch gesagt – unabhängig davon ob es der Wahrheit entspricht.

      • Carolina sagt:

        Das stimmt natürlich, ganz so naiv bin ich auch nicht. Aber zumindest können wir heute, ca 10 Jahre später, offen über das Thema sprechen – und den Freund ist sie subito losgeworden.

  • fufi sagt:

    Ich weiss nicht, was wirklich schlimmer ist: Dass die Kleine ein paar Gramm Gras mit sich rumträgt, oder dass die Frau Mamma in ihrem Rucksack rumschnüffelt (wirklich nur da?).
    Aber ich weiss, was ICH schlimmer finde.

    • Martin Tscharner sagt:

      Habe ich auch gedacht, schnüffeln bei seinen Kindern, egal ob Rucksack, Laptop, Pultschublade, das geht gar nicht!

      • Martin Frey sagt:

        Nur so rein hypothetisch, würden Sie das auch sagen, wenn per Zufall eine blutige Spritze aus dem Rucksack rollen würde? Was würden Sie dann tun?

      • fufi sagt:

        @Martin Frey
        Nein, wenn die Spritze per Zufall(!!!) rausrollen täte, würde ich sehr wohl was sagen.
        Aber sagen Sie bitte: In welchem Jahr leben Sie? Die „Zeit der blutigen Spritzen“ ist längst Vergangenheit!

      • Martin Frey sagt:

        @fufi
        Ich sagte ja „rein hypothetisch“
        Apropos: glauben Sie, es werde heute kein Heroin mehr konsumiert?

      • fufi sagt:

        @Martin Frey
        NEIN, ich WEISS dass noch immer Heroin konsumiert wird. Und Koks. Und Meth. Und.Und.Und.
        Aber heutzutage geht’s zumindest hierzulande etwas hygienischer zu und her als wie damals.

  • Rita Mancini sagt:

    Warum so kompliziert?
    Sucht- und Risikoverhalten wie Alkohol, Taback, Gamen, Medienkonsum, shoppen, arbeiten, Sex ohne Schutz usw. gehören alle in den regelmässigen offenen Austausch mit Jugendlichen.
    Dabei können gegenseitig Werte vermittelt werden und Diskussionen geführt werden.
    Und ja, schnüffeln geht gar nicht, kann aber vorkommen, dass man per Zufall etwas sieht, was man nicht sehen möchte, dann fragt man halt wir es dazu kommt, dass man eine solche Entdeckung macht. Spontan ohne Planerei. Das belastet nur. Jugendliche sind nicht auf den Mund gefallen. Der Dialog muss ja eh immer wieder gepflegt werden. Ohne geht es nicht.

    • Reincarnation of XY sagt:

      Das ist mir auch aufgefallen.
      „Wir wollen am Mittwoch den 25. nach dem Abendessen darüber reden“ – finde ich extrem seltsam.

      Und wie Rita finde ich, dass man halt sowieso in offenem Austausch über diese Themen sein sollte.
      Fehlt diese kommunikative Ebene wird es schwierig. Egal wie.

  • tststs sagt:

    Das wäre ein ganz toller Weg, wenn man die Drogenberaterin der Kinder ist.
    Aber man ist ein Elternteil und sollte dementsprechend (authentisch) auftreten.

    Aber was verstehe ich schon vom Umgang mit Jugendlichen…

    • Poison Ivy sagt:

      Lassen Sie sich nicht runter kriegen, tststs. Ich finde Ihre Beiträge gut und Sie bringen häufig interessante Inputs.

      Die selben Dauergäste hier, die Ihnen im Blog anfangs Woche erklärt haben, Sie könnten beim Thema Kinder nicht mitreden, quatschen sonst bei jedem möglichen Thema als unfehlbare Experten mit.

      Nur nicht aufregen.

  • Beat Gruber sagt:

    Die 2. Variante geht gar nicht. Ich denke das ist wirklich ein ganz starker Vertrauensmissbrauch. Warum nicht ganz unverfänglich das Thema „Joint“ beim Essen ansprechen. Ist das ein Thema in der Schule… Oder habe soeben einen Artikel gelesen etc.

  • P. Burri sagt:

    „…das Bundesgericht im vergangenen Jahr entschieden hat, Jugendliche im Besitz von weniger als zehn Gramm nicht mehr zu verzeigen, sondern wie die Erwachsenen zu büssen.“

    Der Besitz einer Menge von weniger als 10 Gramm Marihuana wird nicht gebüsst. Das Marihuana wird durch die Polizei sichergestellt und vernichtet. Eine Busse (bzw. bei Jugendlichen eine Verzeigung an die Jugendanwaltschaft) gibt es nur wegen des Konsums.

  • Martin Frey sagt:

    „… bei den 15-Jährigen rund 40% der Schüler und 16% der Schülerinnen angegeben, mindestens einmal in ihrem Leben gekifft zu haben.“
    Das ist nicht dieselbe Aussage wie „Falls Anna tatsächlich kifft, und das tun laut …. 40% der 15-Jährigen…“
    Darunter sind ganz viele die es einfach auch mal ausprobiert haben und es dann liessen, zudem wären es bei weiblichen Jugendlichen wenn schon 16% und nicht 40%. So aber entsteht ein vollkommen falscher Eindruck.
    Ansonsten, schwieriges Thema, ideologisch aufgeladen, und geprägt durch Abnabelungsprozesse und divergierenden Interessen die aufeinander prallen. Die Grundsatzfrage lautet wohl: inwiefern dürfen/sollen/können wir unsere Kinder davor schützen, eigene Fehler zu begehen, und ab wann muss dann halt doch eine Reissleine gezogen werden.

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