Du, ich und Corona

Diskussion, nein danke! Wer seine Beziehungsmuster kennt, hats im Lockdown leichter. Illustration: Benjamin Hermann
Paare, die sich als glücklich bezeichnen, haben für sich eine gesunde Mischung aus Nähe und Distanz gefunden. Diese Mischung ist nicht für jedes Paar gleich; relevant ist, ob das betroffene Paar sich damit gut fühlt und die Mischung je nach Situation selbstständig anpassen kann. Nun ist allerdings ein ungebetener Gast bei uns allen eingezogen: Corona. Und mit dem Virus wurde Dichtestress in unseren vier Wänden verordnet. Doch was hat sie eigentlich mit uns angestellt, diese Dritte im Bunde unserer Paarbeziehung? Und was haben Höhlenmenschen und unsere Schwiegereltern damit zu tun?
Psychische Grundbedürfnisse unter Druck
Wir alle streben grundsätzlich nach Selbstwirksamkeit und Autonomie. Wir wollen unser Handeln und unseren Radius möglichst eigenmächtig bestimmen können und entscheiden, wann wir wie lange und mit wem wohin gehen. Eine Freiheit, die es so vorübergehend nicht mehr gibt. Auf die neue Fremdbestimmung, die die Krise mit sich brachte, reagierten nicht alle Paare gleich – viele fühlten sich wie in die Enge getrieben, und uralte Reaktionsmuster wurden getriggert.
Seit Beginn des Lockdown führte ich auf Instagram eine wöchentliche, nicht repräsentative Umfrage mit jeweils etwa 200 Teilnehmenden durch. Die Antworten zeigten: Gerade zu Beginn nahm der gefühlte Stress bei Paaren stark zu. Fast 90 Prozent fühlten sich gestresster und unzufriedener in der Partnerschaft im Vergleich zum Normalzustand. Die meistgenannten Herausforderungen waren gereizte Partner und die fehlenden Rückzugsmöglichkeiten. Auch in den Onlinesitzungen mit meinen Klientinnen und Klienten zeigte sich dieses Bild. Durch die Anwesenheit der Kinder und die Zusatzbelastung durch Homeoffice und Homeschooling nahmen die Möglichkeiten zur gesunden Emotionsregulation zusätzlich ab.
Das Steinzeitgehirn übernimmt die Kontrolle
Kommen wir in Stress und werden Situationen unüberschaubar oder geraten ausser Kontrolle, übernimmt ein uralter Teil unseres Gehirns das Kommando, der darauf ausgelegt ist, unser Überleben zu sichern. Unsere eigene Sturmwarnung quasi. Ist diese aktiv, bekommen wir einen Tunnelblick, und unser präfrontaler Cortex, der für überlegte und differenzierte Entscheide zuständig ist, wird gehemmt. Heisst, wir reagieren so steinzeitlich wie ein Höhlenmensch und haben lediglich die Wahl zwischen Kampf, Flucht und Erstarrung.
Diese Reaktionsmuster waren zwar sehr hilfreich, wenn wir vor Jahrtausenden mit einem Säbelzahntiger konfrontiert waren oder uns vor einem Wolfsrudel verstecken mussten. Stecken wir zu Hause alle unter einem Dach und wollen möglichst entspannt durch die Wochen kommen, stehen sie uns dagegen eher im Weg.
Mein Schatz, der Höhlenmensch?
Diese drei Bewältigungsmuster – Kämpfen, Flüchten, Erstarren – kennen wir bereits von früher. Unsere Beziehungsschemas wurden mitunter von Konfliktbewältigungsstrategien geprägt, die wir von unseren Eltern abgeschaut haben – und die vermutlich ebenfalls oft im Höhlenmenschen-Modus waren. Haben sie sich bei Stress vom Kind zurückgezogen, wodurch sich dieses verlassen fühlte, wird dieses Kind als erwachsene Person vermutlich ähnlich empfinden, wenn der Partner sich bei Stress abwendet. Reagierte ein Elternteil auf Stress mit unerklärlicher Wut und wälzte die Schuld auf das Kind ab, wird dieses als Erwachsener vielleicht selbst versuchen, anderen die Schuld für die eigenen Gefühle zu geben. Wir reinszenieren also oft das Verhalten unserer Eltern auf uns als Kind in den Beziehungen zu unseren Partnern. Nicht selten haben wir dadurch das Gefühl, die Schwiegermutter sitze anstelle des Freundes oder der Freundin mit uns am Tisch. (Kleiner Tipp am Rande: Unterlassen Sie nach Möglichkeit, in diesem Moment auf diese Ähnlichkeit hinzuweisen. Es ist nicht Erfolg versprechend!)
Sie sollten den Ball flach halten und Energie sparen.
In Konfliktsituationen, in denen die Sirenen aktiviert sind, ist es besonders wichtig, sich den Unterschied zwischen Ursache und Auslöser unserer aktuellen Gefühlslage bewusst zu machen. Nur zu gern schieben wir die Schuld an unseren schwierigen Emotionen auf unsere Partner und möchten ihnen unsere Emotionsregulation delegieren. «Würde er sich nur anders verhalten, wäre ich nicht so unzufrieden!» – «Soll sie doch machen, dass es mir gut geht, und sich so verhalten, dass ich mich umsorgt fühle!»
Es geht vielleicht sogar so weit, dass wir die ganze Beziehung infrage stellen, da wir uns so ungut fühlen. Doch unsere Partner sind in diesem Fall lediglich die Auslöser von alten Erfahrungen und Mustern. Die Ursache liegt meist in der Herkunftsfamilie. Schon diese Einsicht allein kann viele Situationen entspannen.
Nicht mehr Geschirr zerschlagen als nötig!
Meinen Klientinnen und Klienten gebe ich für die aktuelle «Lockdown-Zeit» vor allem einen Ratschlag: Halten Sie den Ball flach, und sparen Sie Energie. Trotz aktueller Unzufriedenheit sollten jetzt keine Grundsatzentscheide über die eigene Beziehung gefällt werden. Zumindest, wenn die Beziehung vor Corona stabil und zufriedenstellend war. Es geht jetzt primär darum, das Ding unfallfrei über die Bühne zu bringen. Die Ansprüche an die Partnerschaft dürfen gern für ein paar Wochen runtergeschraubt und die Toleranz nach oben korrigiert werden. Wir sollten darauf vertrauen, dass sich der alte Zustand nach und nach wieder einstellt, sobald wir unsere Häuser wieder vermehrt verlassen können.
War die Beziehung allerdings schon vor Corona in der Krise, sieht es ein wenig anders aus. Dann lohnt es sich besonders, in Ruhe hinzuschauen, was im Argen liegt. Aber auch damit sollte man wenn möglich warten, bis man von der Paartherapeutin wieder in persona empfangen werden kann.
Partnerschaftlicher #coronabenefit statt Stress
Unsere angelernten Beziehungsmuster können uns also ordentlich ein Schnippchen schlagen. Aber eine andere Fähigkeit hilft uns, dies auszugleichen: Wir sind unglaublich anpassungsfähig! Und so dürfen wir darauf vertrauen, dass wir uns relativ bald mit schwierigen Situationen abfinden, neue Lebensstrategien entwickeln und uns am Schluss sogar unter unwirtlichsten Konditionen wohlfühlen können. In der oben erwähnten Umfrage fühlten sich nach vier Wochen fast 90 Prozent der Teilnehmenden nicht mehr gestresst als normal, und fast 70 Prozent erlebten die Paarbeziehung wieder als befriedigend.
Viele Paare fühlen sich heute gar so ungestresst wie lange nicht. Bepflanzen ihre Balkone, lesen Bücher, kochen liebevoll, backen Sauerteigbrote, treiben Sport vor dem Computer und bringen – paradoxerweise – alte Sozialkontakte per Skype auf Vordermann. Wer hätte Mitte März gedacht, wie rasch wir aus der Not des Lockdown eine Tugend machen und Platz für partnerschaftlichen #coronabenefit entsteht?
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