Wenn eine Schwangerschaft die Freundschaft bedroht

Sex nach Eisprungberechnung, auszehrende Hormonkuren: Ein unerfüllter Kinderwunsch ist schmerzhaft. Wird die beste Freundin zudem schwanger, belastet das die Beziehung.

Belastete Freundschaft: Eine schwangere Frau zeigt ihrer Freundin Ultraschallbilder. Foto: iStock

Wir waren süsse siebzehn und Au-Pairs in je einem gottvergessenen Tessiner Dorf, als Paula und ich uns in der Italienischschule kennen lernten. Dort setzte uns der Lehrer nach zehn Minuten auch gleich wieder auseinander, weil unser sofort einsetzendes Geplapper den Unterricht zu empfindlich störte. Keiner ahnte, dass dies der Anfang einer langen und tiefen Freundschaft werden sollte und wir über Jahrzehnte in der gleichen Leichtigkeit weiterplaudern würden.

Bis diese Leichtigkeit mit Mitte dreissig ins Stocken geriet – als ich schwanger war und sie nicht. Keine grosse Sache, könnte man meinen. Doch es war eine äusserst grosse Sache, denn Paula wünschte sich seit Jahren vergeblich ein Kind.

Ich kann mich gut an unsere provenzalischen Zeltferien mit zwanzig erinnern, wo wir Ravioli auf dem Feuer kochten, billigen Rosé tranken und darüber sinnierten, was wir uns vom Leben alles wünschen. Ich hatte keine klaren Vorstellungen. Paula hingegen schon. Ein Mann und Kinder sollten es sein.

Während ich mich in den folgenden Jahren durch das Chaos des Lebens trieb, lief bei ihr alles wie am Schnürchen: Sie lernte einen tollen Mann kennen – der zu meinem Leidwesen im Ausland wohnte –, verliess für ihn die Schweiz, heiratete und baute mit ihm ein schönes Haus mit Kinderzimmer, das darauf wartete, mit Leben gefüllt zu werden.

Das Gefühl, dass etwas mit ihr nicht stimmte, wuchs, und keiner konnte es ihr nehmen.

Doch dem war nicht so. Monat für Monat kamen die scheusslichen Tage der Menstruation und liessen uns so manches Telefongespräch über ihre Verzweiflung führen. Auch darüber, dass ihr an jeder Ecke scheinbar mühelos dick gewordene Bäuche entgegenblitzten, während sich ihrer leer anfühlte, was sie viel zu oft heimlich weinen liess. Ich war ihre Verbündete in der Machtlosigkeit, hoffte und litt mit ihr und gehörte zum Glück nicht zu «denen».

Denn obwohl, oder gerade eben weil ihr alle Fachleute versicherten, dass bei ihr und ihrem Mann nichts gegen eine Zeugung spricht, stellte Paula ihre Weiblichkeit immer mehr infrage. Das Gefühl, dass etwas mit ihr nicht stimmte, wuchs, und keiner konnte es ihr nehmen. Immer schneller drehte sich ihr Baby-Karussell. Zermürbender Sex nach Eisprungberechnung, Torturen erfolgloser Inseminationen und auszehrende Hormonkuren bestimmten ihren Alltag. Als dann die endlich erstandene Bewilligung zur Adoption in Haiti mit einem furchtbaren Erdbeben endete, das sämtliche Adoptionsverfahren stoppte, mündete auch der Traum eines adoptierten Kindes in einer Sackgasse. Die Kinderlosigkeit wurde zu ihrem grossen Lebensthema, das ihr unendlich viel Kraft raubte.

Meine Schwangerschaft traf ihren Schmerzpunkt

Und dann wurde ich schwanger. Ich weiss noch gut, wie einer meiner allerersten Gedanken Paula galt, als ich den positiven Test in den Händen hielt. Ich wusste, wie sehr es sie treffen würde, dass ich, ihre beste Freundin, die so lange keinen Kinderwunsch verspürt hatte, nun nach seinem plötzlichen Erscheinen so schnell schwanger geworden war. Es zerriss mir das Herz, sie mit meiner Schwangerschaft mitten in ihrem Schmerzpunkt zu treffen.

Wann und wie ich es ihr gesagt habe, weiss ich nicht mehr. Hingegen kann ich mich sehr gut an die für uns so atypische verlegene Bemühtheit während meiner Schwangerschaft erinnern. Ich versuchte das Absurde und gab mich bei unseren gemeinsamen Treffen möglichst «unschwanger», und sie bemühte sich, Interesse an meiner Schwangerschaft zu zeigen, obwohl es ihr dabei den Magen umdrehte. Wir waren nicht mehr uns selbst, sondern verdrehten uns gegenseitig, im hilflosen Versuch, einander zu schützen. Unsere Treffen und Anrufe wurden selten und seltener und lösten umso grössere Ängste aus, einander zu verlieren.

Doch dem war nicht so. Denn mitten in unseren vorsichtig geführten Small Talks platzte immer mal wieder einer von uns den Kragen, und sie oder ich sagte: «Mann, ist das eine schräge Situation!» und «Wie ist das alles wirklich für dich?». Diese Ehrlichkeit hat uns gerettet.

Als mein Sohn zu Welt kam und sie ihn zum ersten Mal in den Armen hielt, weinten wir beide. Sie wurde sein Gotti.

Zurück zur Leichtigkeit

Heute verreisen wir jedes Jahr gemeinsam ein paar Tage mit meinen Kindern. Ich musste erst lernen, ihr mein Muttersein zuzumuten, ohne zu überlegen, was das allenfalls mit ihr machen könnte. Mittlerweile geschieht dies mühelos, und ihre Perspektive auf meine Themen als Mutter sind für mich enorm bereichernd.

Paula hat sich Stück für Stück mit ihrem Schmerz auseinandergesetzt, bis sie ihn loslassen und ihre Kinderlosigkeit akzeptieren konnte. Sie ist ein wunderbares Gotti und meine Kinder und sie geniessen die gemeinsame Zeit immer sehr.

Und wir beide? Wir stossen jedes Mal erneut auf unsere Freundschaft an, die durch den Mut, uns dieser Herausforderung zu stellen, um ein Vielfaches an Tiefe und Leichtigkeit gewonnen hat.

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16 Kommentare zu «Wenn eine Schwangerschaft die Freundschaft bedroht»

  • Roth Barbara sagt:

    Ihr beitrag handelt für mich vom auflösen von befangenheit:
    1985 habe ich meine basler freundin und den vater meiner kinder kennengelernt; sie ihren mann/vater ihrer kinder 1986. Die freundschaft und die paarbeziehungen haben über 3 jahrzehnte gehalten. 2015 ist ihr mann vor der haustüre tödlich verunglückt; sie trauert, bis heute.
    Wie hält unsere freundschaft? wie kann ich ihr von meinem, immer noch dauernden beziehungs- und liebesalltag erzählen, wenn ich weiss wie sehr sie dies vermisst? Indem ich den mut habe, sie zu fragen, ob ich darf. Und sie froh ist, dass ich meine befangenheit überwinden kann. Und wir beide froh und traurig sein dürfen. Gegenseitig beides. Je für uns selber, je füreinander. Und uns immer wieder mit-teilen.

  • Eveline sagt:

    So ein toller Text, danke vielmals! Was für eine mühsame Situation für Sie und eine bittere Situation für Ihre Freundin. Wie soll man sich von ganzem Herzen für jemanden freuen, der gerade alles bekommt, dass man selber immer wollte?! Schön, dass Paula das glernt hat 🙂

  • Salome sagt:

    Gerade heute habe ich mit meiner besten Freundin seit Kleinkindalter bei einem Dosenbier (2m Abstand natürlich eingehalten) über das Thema Kinder gesprochen. Wir sind beide in unseren 20igern und sprechen meist in scherzendem Ton über die Zukunft. Sie ist in einer Beziehung, ich nicht. Sie will Kinder, ich weiss es nicht. „Wenn ich zwei habe, dann musst du unbedingt mitkommen ins Mucki-Turnen. Denn da ist pro Elternteil nur ein Kind erlaubt“, sagte sie und wir beide lachten. Mal sehen, was die Zukunft bringt, aber ich habe ihr versprochen, ins Mucki-Turnen mitzukommen.

  • Sandra sagt:

    Ein schöner Text. Als ich im 6ten Monat schwanger heiratete, war alles gut zwischen meiner Trauzeugin und mir. Plötzlich zog Sie sich sehr zurück, ohne Erklärung. Ich dachte es hat mit meiner Schwangerschaft zu tun, erfuhr es aber erst viel später: sie war kurz nach meiner Hochzeit selbst schwanger geworden und hat dann im 4ten Monat ihr Kind verloren. Daher konnte sie mich als frische Mutter kaum ertragen. Es gab dann irgendwann eine Aussprache und heute ist alles wieder gut. Und mittlerweile ist sie auch Mutter geworden. Solche Konstellationen sind einfach schwierig, verstehe beide Seiten gut.

  • 13 sagt:

    Ein sehr schöner Artikel. Dass es sehr schwer ist, ist klar. Es sollte auch viel Verständnis da sein, wenn jemand sich vorübergehend zurückzieht, weil es schmerzt. Aber es ist ein unglaubliches Zeichen von Stärke, wenn man dafür anderen nicht grollt. Das sollte man auch anerkennen, wenn man selber das Glück hat, dass es ganz einfach geht.

    • Martin Frey sagt:

      Dem schliesse ich mich an, 13.
      Vielleicht noch ergänzt mit den Anmerkung, dass es für viele Leute, denen derartige Probleme in ihrer intimsten Lebensplanung noch nie untergekommen sind, schwierig ist nachzuvollziehen, was andere Menschen mit solchen Schicksalsschlägen (sei es unerfüllter Kinderwunsch, serielle Aborte, oder auch Totgeburten) durchmachen.
      Ein schöner, feinfühliger, nicht wertender Beitrag über ein schwieriges Thema. Zudem ein Willens- und Kraftakt beider Seiten, dass diese Freundschaft nicht daran kaputt ging.

  • Tamar von Siebenthal sagt:

    Leben ist das was passiert, während man Pläne macht.

    Die Erfahrung in meinem Bekanntenkreis haben gezeigt, dass ein Plan unabdingbar ist, wenn man ungewollt kinderlos ist, ansonsten die Beziehung zu Bruch geht. Ich kenne kein einziges Paar, welches mit Kinderwunschmedizin schwanger geworden ist und noch zusammen ist.

    Ungewollter Kinderlosigkeit kann zu einer alles füllender Manie werden, wo nichts anderes Platz hat, wenn man keinen anderen Weg sucht.

    Ich wünsche Ihnen weiterhin eine tolle Freundschaft.

    • Blüemlisalp sagt:

      In meinem Umfeld sind alle Paar, welche Reproduktionsmedizin beanspruchen mussten, noch zusammen (n = 4, alle ICSI).

      Umgekehrt kenne ich viele Paare wo es spontan geklappt hat, welche sich geschieden haben nach dem die Kinder kamen (n = ca. 8).

      Zudem ist mir Ihre Aussage nicht ganz klar: die Paare wurden ja schwanger, waren also nicht mehr kinderlos. Also sind es ja nicht kinderlose Paare, die sich getrennt haben.

      • Tamar von Siebenthal sagt:

        @ Blüemlisalp

        Meine Aussage bezieht sich auf den Umstand, dass Kinderwunschbahandlungen die Beziehung auffressen. Meist ist die Beziehung schon am Boden, wenn es dann endlich einschlägt. Das Projekt Kind ist gegessen und andere Gemeinsamkeiten hat das Paar nicht mehr.

        Normale Scheidungsrate liegt bei 50%, bei ungewollter Kinderlosigkeit halt viel höher.

      • Blüemlisalp sagt:

        Deckt sich wie gesagt nicht mit meinen Beobachtungen und Erfahrungen. Au contraire.

        Die Kinderwunsch-Eltern in meinem Umfeld sind allesamt sehr bewusst Eltern geworden, während es bei den anderen ohne viel zu überlegen geklappt hat, teilweise sogar versucht wurde, mit einem Kind die Beziehung zu retten.
        Und oftmals die Paare sich erst nachher bewusst wurden, dass sie jetzt ein anderes Leben haben. So kommt es halt nicht gut.

    • Stine sagt:

      Paare können genau so gut zusammen an einem unerfüllten Kinderwunsch wachsen.

    • Andrea sagt:

      Ich kann Ihnen als direkt Betroffene versichern, dass der gemeinsame Gang durch die extrem belastende Kinderwunschzeit auch zusammen schweissen kann.

      • Lisa sagt:

        @TdS: „Normale Scheidungsrate liegt bei 50%, bei ungewollter Kinderlosigkeit halt viel höher.“ Gibt es dazu eine wissenschaftliche Quelle oder ist das einfach ihr persönlicher Eindruck? Ich kenne etliche Paare, die nur durch medizinische Eingriffe ihren Kinderwunsch erfüllen konnten. Und ja, sind alle noch zusammen. Auch wenn der Kinderwunsch bei einigen teilweise und zeitweise wirklich an Manie grenzte. Ich erlebe diese Paare heute sogar als beziehungsstabiler – eben weil sie einiges miteinander durchmachten.

    • Walter Eggenberger sagt:

      @TdS: Dem muss und darf ich aus eigener Erfahrung widersprechen. Nach Jahren medizinischer Behandlungen, 3x Abort und einmal Abtreibung im 5. Monat aus medizinischen Gründen sind meine Frau und ich heute kinderlos überglücklich. Weder ein unerfüllter Kinderwunsch noch Reproduktionsmedizin schliessen aus, dass man für einen andern Weg Platz lässt. Im Gegenteil: Das Bewusstsein, es wirklich versucht zu haben, verhindert das Aufkommen von Reue. Es hat nicht sollen sein und es gibt nichts, dem man nachtrauern muss. Hätten wir auf die medizinische Hilfe verzichtet, wäre das heute anders.

  • Regina Hanslmayr sagt:

    Was für ein schöner und einfühlsamer Text! Vielen Dank dafür Sabine Sommer! Ich habe auch zwei Paulas in meinem Leben und es ist nicht immer leicht die richtigen Worte zu finden oder überhaupt Worte zu finden. Noch schwerer ist es, den Schmerz zuzulassen und zusammen auszuhalten.

  • tststs sagt:

    Jaja, das isch sLebe, s’chunnt guet und gaht denäbe 😉

    Danke für den Einblick!

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