Dem Baby ist alles egal
Freitag, 24. April
Beebers schlabbert seinen Pastinakenbrei rund zur Hälfte in sich rein. Den Rest verteilt er gleichmässig über Gesicht, Kleidung, Boden und Eltern. So lief das heute, gestern, vor dem Lockdown und vermutlich auch danach.
Babys sind die dankbarste Kategorie Kinder, die man jetzt haben kann: Verbringen gerne Zeit zu Hause, weil ohnehin wenig wetterfest, und begnügen sich mit Mutti und Vati. Grosseltern, Nachbarinnen, andere Kinder, Onten und Tankel sind für Babys Glück höchstens nice to have.
Platz zwei der zufriedenen Kinder belegt die Teenagerin, die Tag und Nacht mit der Spielkonsole verbunden ist. Und solange sie in den Pausen mit geröteten Augen die Aufgaben der Schule löst, sind auch die Eltern glücklich. Zugegeben, ich weiss wenig über Teenager, weil ich selber keine besitze. Die meisten werden wohl durchaus unter der Isolation leiden, aber immerhin können sie selbstständig Kontakt zu Gleichaltrigen halten. Zum Beispiel mit diesen ominösen Sprachnachrichten, über die wir Altmillennials nur den Kopf schütteln.
Wir geben uns Mühe, ihn auch jetzt nicht zu isolieren.
Am schlimmsten trifft die Situation mutmasslich Kinder zwischen 3 Jahren und Smartphone. Unsere Kinderärztin sagte einmal, es sei für die Entwicklung wichtig, dass Kinder ab drei Jahren täglich Sozialkontakte zu Gleichaltrigen haben. Das blieb in meinem Grosshirn hängen, weil das beim Brecht damals nicht gegeben war. Seit der Einschulung hat er nun diese regelmässigen Kontakte – wenn gerade kein gefährliches Virus um die Häuser zieht.
Aber wir geben uns Mühe, ihn auch jetzt nicht zu isolieren. Ich berichtete hier bereits über die wenigen designierten Spielkameraden und den Brieffreund. Heute Morgen besuchten wir eine Mitschülerin, die Geburtstag «feiert». An der Haustür und mit etwa 4 Metern Abstand. Aber die Kinder konnten sich wieder einmal sehen und Gebasteltes übergeben.
Ich bin froh, haben die Behörden hierzulande das Wohl der Kinder im Auge und drücken ihnen kein strenges Kontaktverbot auf. Jaja, ich wiederhole mich in dieser Sache. Auch deshalb, weil das nicht selbstverständlich ist. Deutschland zum Beispiel handelt strenger und verbietet Kindern den Kontakt zu anderen Kindern. Das sorgt für viel schlechte Stimmung. Eltern berichten von tief betrübten Einzelkindern und sind wütend, wenn sie draussen Kinder von «unsolidarischen» Eltern sehen. Nachbarn schrauben in Siedlungen die Schaukeln ab oder rufen die Polizei, wenn doch zwei Kinder zusammen spielen.
Wie viel weniger ansteckend jüngere Kinder sind, bleibt noch zu klären. Was man aber schon mal sagen kann: Die Schweizer Kurve flacht mit grundsätzlich offenen Kitas und Kindern, die in kleinen Gruppen spielen, mindestens genauso gut ab wie die in Deutschland. Der pragmatische Umgang bei den Kindern stellt also offenbar kein massives Risiko dar. Ich bin zuversichtlich, dass auch die Wiedereröffnung des Präsenzunterrichts alleine keinen Rückfall verursachen wird.
«Schule?» Das Baby guckt etwas gelangweilt aus der explodierten Pastinake. Ihm ist das nun wirklich alles egal.
Corona-TagebuchDurch Homeschooling und Homeoffice sind sich Eltern und Kinder zurzeit so nahe wie nie. Im Mamablog berichten wir von Montag bis Freitag um 17 Uhr vom ganz normalen Wahnsinn aus dem Lockdown: von Kindern, Schule, Arbeit, Patchwork, Beziehungen, Social Distancing und kleinen Errungenschaften im neuen Alltag. Den nächsten Eintrag von Markus Tschannen lesen Sie am nächsten Dienstag. Wir wünschen Ihnen ein schönes Wochenende!
5 Kommentare zu «Dem Baby ist alles egal»
Der Vergleich mit Deutschland ist ja einfach.
Mit Spanien müsste man die Schweiz vergleichen!
Während Wochen durften die Kinder keinen Schritt vor die Haustüre machen.
Man stelle sich eine Familie mit Kindern in einer kleinen Wohnung in Madrid vor. Ganz neu dürfen die Kinder in Spanien jetzt wieder ins Freie: Für eine Stunde maximal mit einem Maximalabstand von einem Kilometer zum Wohnsitz.
Hier müssen wir den Schweizer Behörden ein grosses „Danke Schön“ aussprechen, dass sie nie versucht haben, solche Massnahmen zu forcieren, welche für die Einschränkung der Pandemie fast sicher irrelevant sind.
‚Deutschland zum Beispiel handelt strenger und verbietet Kindern den Kontakt zu anderen Kindern.‘
Wenn ich den Nachrichten meiner 3 Berliner Enkeln trauen darf, halten die sich nicht daran. Die spielen wieder fast normal miteinander. Folge ich epidemiologischer Logik, erworben nicht nur in der Facharztausbildung, auch noch in einem Zusatzstudium bei der WHO, sehe ich keine Grund, dass Kinder sich nicht untereinander anstecken sollten. Medizinisch passiert da ja nichts. Kinder erkranken nicht.
Auch wenn dann Kinder ihre Eltern 30 – 50 Jahre alten Eltern anstecken, ist das irrelevant. Im Gegenteil, es nutzt dem sog, Herdenschutz. Man muss nur die Grosseltern raushalten. Das ist einfach zu realisieren.
Studium bei der WHO? Ach ja, wie denn? Studieren kann man eigentlich nur an Universitäten und Fachhochschulen, nicht bei Sonderorganisationen der UNO.
Hmm, das würde ich nicht ganz unterschreiben. Hier drei Kinder zwischen 5 und 12 und das älteste leidet trotz smartphone und dem Umstand, dass sie täglich mind 1-2 Stunden telefoniert (video oder audio) mit Abstand am meisten. Die beiden Jüngeren leben einfach damit. Ist aber sicher mit Geschwistern, die dem Pastinakenbrei schon entwachsen sind, etwas anders 😉
Ja, meine These war etwas steil, dafür dass ich keine 12-jährigen habe. Mit dem Alter erweitert sich halt auch der Aktionsradius und wird jetzt umso stärker eingeschränkt. Der Brecht leidet auch nicht wirklich, zumindest nicht sichtbar. Aber etwas unausgeglichen ist er inzwischen schon. Vielleicht müsste ich es anders formulieren: Bei ~3 bis ~10-jährigen sind die Eltern stärker in der Pflicht, Sozialkontakte herzustellen, während die älteren Kinder das im Rahmen des Erlaubten selber regeln können.