So halten Sie bis zur Schulöffnung durch
Lockdown-müde? Immerhin gibt es nun Daten, an die man sich klammern kann. Für Eltern mitunter den stärksten Halt gibt wohl der 11. Mai. Als ich den Tag in meiner Agenda verzierte, stellte ich allerdings fest: noch drei Wochen! Und auch wenn die Kinder dann wieder so etwas wie Normalität verspüren dürften, bleibt diese für Erwachsene noch einiges länger aus. Doch Vorsicht ist die Mutter der rückläufigen Corona-Fallzahlen, so viel ist klar. Wie aber soll man sich nach dem 36. Tag zwischen Bett und Esstisch weiter motivieren, auch für den 37., 38. und so fort? Zeit für eine Liste kleiner Lockdown-Lichtblicke, der unscheinbaren Glücksmomente, wohltuenden Erkenntnisse und angenehmen Begleiterscheinungen der letzten Wochen, also. Hier meine Favoriten:
1. Klares Wasser in Venedigs Kanälen, saubere Luft über China: Wir haben es gelesen. Am eigenen Leib gehört, oder eben gerade nicht, habe ich den sonst üblichen Verkehrslärm. Plötzlich alles so lauschig auf dem Balkon! Selbst die Schlafzimmerfenster können wir nachts offen lassen, ohne ab 5.30 Uhr aus den Träumen gerissen zu werden. Auch wenn die neue Lauschigkeit teuer erkauft ist: Sie werde ich vermissen, wenn das alles hinter uns liegt.
2. Da war dieser goldige Moment: Wir Eltern machten kurz Pause in der Sonne vor dem Haus, als der Kleine aus dem Fenster rief, er brauche Hilfe. Wir so: «Frag deine Schwester.» Er so, entnervt und umso lauter, sodass es in der nun ruhigen Strasse nur so echote: «Sie kann nicht, sie ist gerade in einer Viiidiokomfereeenz!!» Der Rest war Lachen.
3. Kindergeburtstag im Lockdown: Einsam? Jein. Die Tochter fand: «Noch nie haben mir so viele Leute gratuliert wie dieses Jahr.» Dazu hier der Videoanruf der Gotte, da zwei Gratulanten, die im Auto aufwarteten, dort eine von Freunden im Briefkasten deponierte Schoggi. Und natürlich die obligatorische Facetime-Konferenz mit Grosseltern, parallel zu Kerzen auf Schwarzwälder. Als uns vom schräg gegenüberliegenden Balkon der Nachbarsfamilie auch noch ein fünfstimmiges «Happy Birthday» über 40 Meter Luftlinie entgegenwehte, wärmte dies aber vollends unsere «social gedistancten» Herzen …
4. Zeit für tiefgründige Gedanken oder spannende Webinare? Haha! Auch wenn überall gepriesen wird, was man nun alles Sinnvolles machen kann: Wir kamen bisher genau … zu nix. Na, zu fast nix. Wer Kinder hat, weiss: Dinge, die jederzeit unterbrochen werden können, gehen. Zum Beispiel das Saugen der Zwischenräume in den Heizkörpern oder das Putzen der Fugen in der Dusche. Sauberer wurde unsere Wohnung zwar so ganz und gar nicht in den letzten Wochen. Aber punktuell konnten wir einige üble Versäumnisse der letzten Jahre beseitigen.

Fenster nach draussen: Die Einstellung gegenüber Handy & Co. hat sich in der Corona-Krise gewandelt.
5. Was passiert in Corona-Zeiten, wenn ein nicht Corona-bedingter Arztbesuch nötig wird? Eine Weile plagten mich Visionen, wie ich mit Köpfen unter Armen die Notfallstation aufsuche und mich dort jemand in Schutzkleidung rabiat nach Hause triagiert. Wie beruhigend, als wir bei beunruhigenden Symptomen eines unserer Kinder sofort und selbstverständlich zur Abklärung aufgeboten wurden. Top in Sachen Beruhigung war die Entwarnung. Aber in Zeiten, in denen so viele Gewissheiten verloren gehen, war ich auch umso dankbarer für das Gefühl: Unser Gesundheitssystem funktioniert, auch jetzt.
6. Gellende Panikschreie der Tochter, weil ihr wundersamerweise erst spätabends einfällt, dass sie die Mathi-Ufzgi für den Folgetag verschlafen hat: Unter normalen Umständen an der Tagesordnung. Nicht so jetzt. Bei allem Stress mit Homeschooling: Unsere Abende dieser Tage sind voll entspannt. Ufzgi-Abschaffung? Wo kann ich unterschreiben?
7. Apropos Schule: Ja, es «plingt» und «plingt» vor lauter Schulmails in der Inbox, es flattern analoge Couverts voller Übungsblätter in den Briefkasten, auf eigens dafür erstellten Websites müssen Aufgaben «abgeholt» oder freie Projekte eingetragen werden, und überhaupt überlege ich jetzt, ob ich mir für nach den Osterferien zusätzliche Screens zulegen soll, um die Übersicht zu behalten. Doch unter dem Strich formt sich beim Fernaustausch mit den Lehrerinnen und Lehrern auch und vor allem der Eindruck: Da sind Menschen, die kümmern sich nicht nur um den Bildungserfolg unserer Kinder, sondern auch um deren Wohlbefinden! Grosses Dankeschön!
8. Das Handy, Stein vieler An- oder Zusammenstösse zwischen Eltern und Kindern … und plötzlich erscheint die digitale Vernetzung in neuem Licht! Bisher auf der Akzeptanzskala nah bei «des Teufels», hat sie sich sprunghaft zu «sozial überlebenskritisch» verschoben. Unvergesslich auch das Strahlen im Gesicht der noch handylosen Mittleren, als sie ihr Teams-Passwort bekommt und mit der Freundin das erste Katzenbild austauschen kann. Unsere gesamtfamiliäre Bildschirmzeitkurve ist zwar so exponentiell angestiegen, wie es die Corona-Fallzahlen Gott sei Dank nicht schafften, unsere Entspanntheit ihr gegenüber aber auch.
9. Trotzdem lassen wir nicht alles durch. Beim Reinplatzen ins Teenager-Zimmer, wo ich doch mal nach Stunden unterstellten Gamens den Stecker ziehen wollte, trau ich meinen Augen kaum: Da steht die Grosse, ein altes Hemd übergestreift, und macht sich konzentriert mit Acryl an Leinwand zu schaffen! Auch wenn es bei ihr (bisher) beim einmaligen Musenkuss blieb – nicht wie bei den Kleineren, die sich kreuz und quer durch den Lockdown basteln –, rüffelte ich mich gerührt für meine billige Unterstellung und dachte: Was so ein Lockdown alles hinkriegt …
10. Die eine Tochter will dringend einen Lockenstab, die andere «braucht» notfallmässig Glitter für die Herstellung eines Wunderslimes, und auch der Kleine hält mit diesem und jenem materiellen Bedürfnis wacker mit. Ach wie schön, wenn man den Wind für einmal so simpel wie einfach aus dem geblähten Segel ihrer Konsumwünsche nehmen kann mit einem unschuldig gehauchten: «Du, die Geschäfte sind halt leider alle grad zu!»
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4 Kommentare zu «So halten Sie bis zur Schulöffnung durch»
Klingt alles nach happy family. Etwas malen hier, etwas Törtchen da…und alle wacker den Countdown mitzählen.
Wie muss das für Familien zu lesen sein, die in der jetzigen Situation keine Muse haben die Daten in der Agenda anzumalen…und mit echten Sorgen und Existenzängsten dastehen?!
sehr schön beschrieben…..
In den meisten Punkten geht’s uns ähnlich. Den mir wichtigsten möchte ich noch anfügen: Unsere Kinder haben gelernt, sich alleine zu beschäftigen und verzichten auch mal völlig freiwillig und gerne aufs Abmachen oder Skypen/Chatten. Es ist eine innere Ruhe und Unabhängig von Zerstreuung eingekehrt – eine unbezahlbare Erfahrung.
Bei allem, was ich als Vater und Partner einer Kindergärtnerin mitkriege, frage ich mich öfters denn je, weshalb ich einen Schein brauche, um dies oder jenes tun zu dürfen, nur: Kinder kriegen dürfen alle ohne Ahnung ungefragt und ungeniert, was eigentlich verantwortungslos.
Wer mittels Lockdown mitkriegt, dass Kinder Erziehung benötigen, hat nochmal Schwein gehabt. Umso mehr das Kind, dass doch noch Erziehung erfährt, bevor’s durchs Leben erfährt, wie was läuft oder eben ganz und gar nicht – Corona sei Dank, wer hätt‘s gedacht…