Corona-Tagebuch

Eine Prise Optimismus

Alles ist und bleibt anders – auch nach dem Lockdown. Dennoch verspürt unsere Mamabloggerin schon heute eine leise Vorfreude.

Ungeahnte Talente und verpasste Chancen: Die Hausarrest-Zwischenbilanz ist durchzogen. Illustration: Benjamin Hermann

Donnerstag, 16. April

Seit Ostern spürt man es – eine Art freudige Erwartung, eine vorsichtige Spannung oder je nachdem ängstliche Unruhe. Die Aussichten, dass sich die Corona-Massnahmen bald stufenweise lockern werden, wecken bei mir so etwas wie verspätete Frühlingsgefühle. Obschon es keine Rückkehr zur Normalität geben wird, wie wir sie vorher kannten. Dennoch wird es einfacher sein, sich ans neue Normal heranzutasten, als weiter im Lockdown zu verharren. 

Noch ist es allerdings nicht so weit, noch geht es darum, durchzuhalten. Deshalb wage ich einen kleinen Rückblick auf die letzten Wochen und was ich getan habe: Wie Sie wissen, habe ich die Freiheiten ausgenutzt, die uns der Bundesrat im Lockdown gelassen hat. Ich habe Freunde getroffen aber nur im kleinen, erlaubten Rahmen. Ich habe meine Mutter zu ihrem achtzigsten Geburtstag vor einer Woche besucht mit dem gebotenen Abstand von zwei Metern. Ich habe die Naherholungszone kaputtspaziert und bin an einem Samstagnachmittag mit einem postapokalyptischen Gefühl durch die leere Bahnhofstrasse gelaufen. Ich habe im stundenlangen Telefonieren ein mir bislang verborgenes Talent entdeckt, den Leuten Mut zu machen und sie aufzumuntern. Ich habe Gratisarbeit geleistet, um den Leuten zu helfen, und die ungläubige Freude für diese simple Geste war besser als Geld. Ich habe aus meinen alten Mamablog-Beiträgen ein eigenes Buch gemacht und meinen Angehörigen geschenkt. Ich habe mich zu täglichen Hangout-Sitzungen mit meinen Arbeitskollegen getroffen und mich dabei erwischt, wie ich den am Bildschirm erscheinenden Köpfen zum Ende der Sitzung zurufen wollte: Nein, geht noch nicht, ich mag euch besser, als ich es je für möglich gehalten hätte. Vor allem konnte ich es vermeiden, mich täglich mit Alkohol gegen den Stress dieser Ausnahmesituation zu sedieren. Na also, geht doch.

Allzu oft tigerte ich rastlos durch die Wohnung.

Andere Dinge sind mir jedoch nicht gelungen. Mein kleiner Lesezirkel, den ich für meine Familie geplant hatte, ist nicht zustande gekommen. Auch den Frühlingsputz habe ich noch nicht erledigt oder nur in Teilen. Es ist mir nicht gelungen, das Französisch des Sohnes aufzubessern. Und auch mein vor dem Lockdown schon ziemlich weit gediehenes Buchprojekt habe ich keinen Zentimeter weiter gebracht. Dabei hatte ich davon fantasiert, mit dem fixfertigen Manuskript in den Händen aus dem Lockdown zu stürmen, letztlich aber tigerte ich allzu oft rastlos durch die Wohnung, anstatt mich an den Schreibtisch zu setzen und das Ding in die Mangel zu nehmen.

Das ist meine Bilanz, aber sie erzählt nicht die ganze Wahrheit. Die Wahrheit ist, dass viel mehr sich verändert hat, subtil und unterschwellig doch noch sind wir zu nahe und deshalb nicht in der Lage, diese Veränderungen konkret wahrzunehmen und zu benennen. Irgendwann werden wir aus der Zukunft und vom neuen Alltag aus zurückblicken und sagen: Dort, mit dem Coronavirus hat das begonnen, wer hätte das damals gedacht? Natürlich wird nicht alles erfreulich sein, denn wann ist es das schon? Aber als unverbesserliche Optimistin glaube ich daran, dass auch nicht alles schlecht sein wird, bloss anders. Und auch wenn ich weiss, dass Optimismus dieser Tage schlecht ankommt, halte ich mich daran fest.

Corona-TagebuchDurch Homeschooling und Homeoffice sind sich Eltern und Kinder zurzeit so nahe wie nie. Im Mamablog berichten wir von Montag bis Freitag um 17 Uhr vom ganz normalen Wahnsinn aus dem Lockdown: von Kindern, Schule, Arbeit, Patchwork, Beziehungen, Social Distancing und kleinen Errungenschaften im neuen Alltag. Den nächsten Eintrag von Michèle Binswanger lesen Sie am kommenden Montag.

 

5 Kommentare zu «Eine Prise Optimismus»

  • Maike sagt:

    Optimismus in diesen Tagen zu haben und zu verbreiten ist ein ganz wichtiger Punkt. Viel zu sehr wird von allen Seiten Weltuntergangsstimmung verbreitet. Meist aber nur deswegen, um selber daraus Profit zu schlagen. Und da muss man voll dagegen halten. Klar, aktuell ist es schwierig und wie genau sich die Zeiten entwickeln, weiss man nicht. Ein genaues Auge muss man auf die Einschränkungen haben, die jetzt mit dem CV wichtig waren. Nach CV müssen viele wieder fallen. Aber da vertraue ich auf unseren Staat – wir leben schliesslich nicht in China oder Polen – das das auch geschene wird. Und wenn nicht, die FFF Kids haben es uns vorgemacht, was dann zu unternehmen ist.
    Vielleicht bewegt einen die jetzt sauberer Luft dazu, sein eigenes Verhalten mal auf den Prüfstein zu stellen

    • Michael sagt:

      Ich bin jetzt gut drei Wochen im Corona Home Office und stelle immer mehr einen Unterschied zum normalen Home Office fest.
      Jetzt hat sich der Firmenrechner auf meinem privaten Arbeitsplatz in meinem Zimmer breit gemacht und geht da auch nicht weg. Mein privater Rechner muss sich jetzt seinen angestammten Platz mit ihm teilen. Und egal was ich privat mache, die Firma ist optisch immer dabei.
      Da fällt das Abschalten deutlich schwerer. Ich bin ein leidenschaftlicher Softwareentwickler – aber konnte gut auf dem Heimweg ab- und auf dem Hinweg anschalten. Geht jetzt nicht so wirklich, es brummt immer was im Hinterkopf. Zumal ich mich auch nicht guten Gewissens auf mein Motorrad setzen kann, um Mal den Kopf frei zu bekommen. Hoffe auf ein baldiges Ende des HO…

    • Peter S. Grat sagt:

      Was haben uns die FFF Kids vorgemacht?

      Klar sind die Absichten gut, keine Frage. Aber die FFFKids leben dasselbe Leben wie wir mid-40er. Handy mit seltenen Erden, geschürft von Kinderhänden; Reisen als ob es kein morgen gäbe etcetc. Das ist ja das Glaubwürdigkeitsproblem, dass die FFF-Kids haben.

      Der Flieger nach down under letztes Jahr war voller junger Leute…..

      Klar, der von Menschen verursachte Klimawandel ist offensichtlich. Aber Leute die Wasser predigen und Wein trinken ändern nichts daran.

      • Maike sagt:

        Also die Kids die ich kenne, haben mit Sicherheit keine fetten SUVs in der Garage und fliegen gerne mal mit der Frau zum Shoppen nach Mailand oder gönnen sich Kreuzfahrten. Und wenn Sie wollen, das die Kids umweltbewusster leben sollen, dann müssen Sie ihnen das vormachen. SIE können nicht Wasser predigen und Schampus trinken lieber Peter !

      • Peter S. Grat sagt:

        Jein, liebe Maike.

        Mit den Zielen der FFF kann ich mich ja sogar noch identifizieren, darum geht es nicht. Greta Thunberg ist immerhin in die USA gesegelt (gut, ein Teil der Crew ist rüber geflogen), aber das mal wenigstens persönlicher Einsatz.

        Mich dünkt einfach, man kann schlecht Freitags von 10.00 bis 12.00 das Gegenteil von dem fordern, was man den Rest der Woche lebt. Vorbild sein ja, was aber nicht ganz so einfach ist. Immerhin schreiben auch Sie hier im Blog mit, also irgendein Device mit seltenen Erden brauchen Sie auch. Die Serverfarmen sind ja auch sehr energieintensiv.

        Item: Die Jugend könnte doch mal anfangen, nicht mehr nach Down Under zu reisen, wenn sie das von allen anderen fordern.
        Ich finde: wer fordert muss auch liefern, sonst ist er nicht glaubwürdig.

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