Corona-Tagebuch

Das grosse Fremdeln

Nach einem Monat Lockdown will unser Papablogger die Grosseltern wieder mit einbeziehen. Doch was, wenn das Baby sie nicht mehr erkennt?

Kenn ich nicht! Nach der Quarantäne müssen sich Baby und Grosseltern neu kennen lernen. Illustration: Benjamin Hermann

Mittwoch, 15. April

«Wer ist dieser fremde, alte Mann?», fragt sich wohl mein Sohn und heult kräftig los. Ich will ihn trösten, habe aber nur mässig Erfolg. Er scheint Angst vor dem Mann zu haben, der vor ihm steht, und fängt jedes Mal an zu weinen, wenn er ihn anschaut. Ich versuche, die Situation kleinzureden – denn der Fremde ist mein Vater, der seinen Enkel gerade zum ersten Mal seit mehr als einem Monat sieht. Meine Mutter versucht, den Kleinen aufzumuntern. Sie lacht, aber es ist eher ein gequältes Lachen. Die Reaktion bereitet ihr Sorgen. Was, wenn der Kleine uns nicht mehr akzeptiert?

Wir hatten es befürchtet, ja fast schon erwartet und insgeheim doch gehofft, dass es nicht eintreten würde: das sogenannte Fremdeln. Unser Sohn ist mit seinen achteinhalb Monaten genau in einem Alter, in dem viele Kleinkinder anfangen anhänglich zu werden und nur noch enge Bezugspersonen an sich heranlassen. Manchmal sind sogar Väter von der Abgrenzung betroffen. Bei mir ist das zum Glück bislang nicht der Fall. Die Grosseltern, die Corona-bedingt lange weg waren, bekommen das Fremdeln jedoch deutlich zu spüren.

Fremdeln wir etwa selbst? Scheint fast so, als hinterlasse der Lockdown auch bei uns Spuren.

Nach äusserst strengen Wochen mit Homeoffice und gleichzeitiger 24/7-Kinderbetreuung haben meine Frau und ich entschieden, die selbst auferlegten Quarantänemassnahmen zu lockern und die Grosseltern wieder mit einzubeziehen. Ihr Drängen, wieder am Leben des Kleinen teilhaben zu wollen, wurde immer grösser. «Nach den Ostern hält uns dann nichts mehr», hiess es Ende letzter Woche. Und so gaben wir nach, auch, weil wir die Kita momentan für das grössere Risiko halten, was eine mögliche Ansteckung betrifft.

Als die Entscheidung gefallen war, freuten wir uns auf die baldige Entlastung. Schnell wich die Vorfreude aber einem Gefühl von Verlust. Wir merkten, dass es uns gar nicht so leicht fällt, unseren Sohn nach so langem und engem Kontakt abzugeben. Fremdeln wir etwa selbst? Scheint fast so, als hinterlasse der Lockdown auch bei uns Spuren.

«Das wird schon. Es braucht einfach einen Moment», beschwichtigt meine Mutter. Und sie hat recht. Nach ein paar Stunden, dem ersten Essen, Schlafen und Spielen am neuen Ort, hat sich der Kleine schon viel besser an die Umgebung gewöhnt. Als er laut lachen muss, atmen die Grosseltern erleichtert auf. Ich auch, denn ich weiss: Er ist hier in guten Händen (die natürlich frisch gewaschen sind).

Corona-TagebuchDurch Homeschooling und Homeoffice sind sich Eltern und Kinder zurzeit so nahe wie nie. Im Mamablog berichten wir von Montag bis Freitag um 17 Uhr vom ganz normalen Wahnsinn aus dem Lockdown: von Kindern, Schule, Arbeit, Patchwork, Beziehungen, Social Distancing und kleinen Errungenschaften im neuen Alltag. Wie es in Yannick Wigets vier Wänden weitergeht, erfahren Sie nächsten Mittwoch. 

9 Kommentare zu «Das grosse Fremdeln»

  • Carolina sagt:

    Wer nimmt sich das Recht diese Familie zu verurteilen und sich über den Zeitpunkt zu beschweren?!
    Jeder soll sich mit seiner Familie arrangieren so wie es ihnen entspricht während man die auferlegten Massmahmen befolgt.
    Sollte es zum schlimmsten kommen, muss die Familie damit leben aber wenigstens haben sie als Familie gelebt und geliebt.

  • Maike sagt:

    Ist Euer erstes Kind oder ? Aber da macht Euch Mal keine Sorgen, auch wenn der Nachwuchs die Grosseltern einen Monat lang nicht gesehen haben, sie werden es wieder tun.
    Für die Kleinen sind das einfach ein paar Menschen, die öfters kommen. Sie wissen in ihrem derzeitigen Stand nicht das es sich um die Grosseltern handelt. Also macht euch darum man keinen Kopf.

  • Mina sagt:

    Es ist einfach unglaublich, dass dieser Artikel zum jetzigen Zeitpunkt veröffentlicht wird! Ein Schlag ins Gesicht für all die vielen, die auf das Treffen mit den Grosseltern schweren Herzens, aber aus gutem Grund verzichten. Es ist nach wie vor Lockdown und der Artikel setzt ein völlig falsches Zeichen. So ein Verhalten ist fahrlässig.

  • E. Baumann sagt:

    Ich finde es unglücklich, dass dieser Artikel zum jetzigen Zeitpunkt veröffentlicht wird.
    Wir alle sollen uns weiterhin an die Schutzmassnahmen halten.
    In dieser Zeitung jetzt über die Aufnahme der Betreuung durch die Grosseltern zu berichten setzt, finde ich, ein falsches Zeichen.

  • Helena Arber sagt:

    „Und so gaben wir nach, auch, weil wir die Kita momentan für das grössere Risiko halten, was eine mögliche Ansteckung betrifft.“ Es geht doch nicht um die Ansteckung des Babys, sondern um die der Grosseltern. Ich weiss, off-topic. Trotzdem sollte man mit solchen Aussagen auch als Blogger etwas zurückhaltend sein bzw. sie nochmals zu überdenken.

    • Lia sagt:

      Ja aber wenn die Eltern isoliert leben, sprich keine anderen sozialen Kontakte pflegen, strikt im Homeoffice arbeiten, sich die Einkäufe zum Beispiel heim liefern lassen, etc. dann waren jetzt alle Beteiligten einen Monat in „Quarantäne“ und konnten sich nicht bzw fast unmöglich (Null Risiko gibt es nie) angesteckt haben. Wenn der Kreis Grosselten, Eltern, Enkel geschlossen bleibt ist dies kein Problem. Wir ja auch so gemacht wenn man mit einer Person der Risikogruppe unter einem Dach wohnt. Wichtig ist, dass das Virus nicht in den Kreis eindringen kann.

      • Sandra Meier sagt:

        Das stimmt- wenn der Kreis geschlossen ist.. aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Familie Wiget sich die Einkäufe nach Hause liefern lässt..
        so setzt dieser Blog ein völlig falsches Zeichen! Wieviele andere vermissen ihre Grosseltern, Enkel, Eltern.. aber mit dieser Öffnung sollte man am längsten zuwarten!
        Unglücklicher Artikel in einer Tageszeitung!

      • Lisa sagt:

        Grosseltern sind nicht per se eine Risikogruppe. Meine Schwägerin ist vierfache Grossmutter – und erst 55 Jahre alt. Es gibt viele Grosseltern unter 65 Jahre. Dennoch ist dieser Blogbeitrag zeitlich falsch gewählt…

  • M. schmid sagt:

    Meines Erachtens wird mit diesem Beitrag ein falsches Signal zur Kinderbetreuung in dieser ausserordentlichen Lage gesendet. Wir alle sind aufgerufen die besonders gefährdeten Personen zu schützen, also insbesondere die Grosseltern, und den Kontakt zu meiden. Wenn der Autor nun schreibt „weil wir die Kita momentan für das grössere Risiko halten, was eine mögliche Ansteckung betrifft.“ hat er missverstanden wer in dieser ausserordentlichen Lage zuerst zu schützen ist.

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