Eine verrückte Lockdown-Party

Ein bisschen Spass muss sein: Die Teenies können auch einmal alleine zu Hause gelassen werden. Illustration: Benjamin Hermann
Donnerstag, 9. April
Man sollte sich ja nicht verrückt machen lassen – nur ein kleines bisschen, so weit nämlich, dass die Vorsichtsmassnahmen auch eingehalten werden. Ich bin eine pragmatische Person. Ich glaube, man kann Risiken vermindern, gänzlich ausschalten kann man sie nicht. Deshalb erlaube ich meinen Kindern nach wie vor, ihre Freunde zu treffen. Und ich selbst habe mir nach drei Wochen Lockdown ein Herz gefasst. Ich wollte meinen Partner und ein paar Freunde sehen, denn allein geht der Mensch zugrunde. Also stieg ich eines Samstagmittags in einen Zug nach Zürich. Es war eine höchst surreale Erfahrung.
Man sollte sich nicht verrückt machen lassen, aber ein bisschen verrückt ist es schon. Zunächst kostete es mich ziemlich viel Überwindung, meine beiden Teenies zu Hause zu lassen und etwas für mich zu tun. Ist das überhaupt noch legal?, fragte ich mich, ist es vertretbar?, während ich durch die menschenleeren Strassen lief. Ich kam mir vor wie in einem Katastrophenfilm: Trams leer, Bahnhof leer und der Zug zum Glück auch leer. Entsprechend legte sich auch bald meine nervöse Spannung, bis im Tram in Zürich plötzlich eine Frau auf mich zutrat. Ich dachte, sie würde mich nach dem Weg fragen, stattdessen wollte sie Geld.
Was, wenn sie mir ihre Coronaviren ins Gesicht geblasen hatte?
Ich gab ihr ein paar Münzen – und brach kurz darauf in Panik aus. Sie war näher als einen halben Meter an mich herangekommen. Sie hatte mich angesprochen. War ihre Aussprache nicht ein bisschen feucht gewesen? Was, wenn sie mir ihre Coronaviren ins Gesicht geblasen hatte? Ich machte mir Vorwürfe: Sollte sie mich angesteckt haben, wären bald auch mein Partner, meine Kinder und deren Freunde und Familien angesteckt. Zum Glück stellten sich meine Sorgen als unbegründet heraus. Ich bin nach wie vor kerngesund.
Und der Ausflug hat sich gelohnt. Es kamen Freunde zu einem Corona-Dinner, wir waren fünf Leute, und alle waren so ausgehungert nach menschlicher Gesellschaft, dass wir assen und tranken und am Schluss um die Tische tanzten wie Verrückte. Ein bisschen verrückt ist das alles ja schon. Eine so ausgelassene Stimmung in so kleiner Runde habe ich kaum je erlebt. Ich kam mir vor wie eine historische Figur aus den 1920er-Jahren, den goldenen Zwanzigern, als der Aufbruch in eine neue Zeit zum Greifen nahe schien und damit die Bereitschaft, ausgelassen zu feiern.
Ja, liebe Leute, es sind die Zwanzigerjahre, es sind unsere Zwanzigerjahre, und wir werden das Beste daraus machen – mit oder ohne Coronavirus. Und wir werden alle ein bisschen verrückt werden, aber es lohnt sich. Bleiben Sie einfach gesund.
Corona-TagebuchDurch Homeschooling und Homeoffice sind sich Eltern und Kinder zurzeit so nahe wie nie. Im Mamablog berichten wir von Montag bis Freitag um 17 Uhr vom ganz normalen Wahnsinn aus dem Lockdown: von Kindern, Schule, Arbeit, Patchwork, Beziehungen, Social Distancing und kleinen Errungenschaften im neuen Alltag. Den nächsten Eintrag von Michèle Binswanger lesen Sie am nächsten Donnerstag. Schöne Ostern!
19 Kommentare zu «Eine verrückte Lockdown-Party»
Nach drei Wochen muss man unbedingt wieder Freunde treffen? Und dabei nicht einmal die Distanzregeln einhalten, sondern sogar zusammen tanzen? Nach drei Wochen schon? Ich war letzten Freitag auch am Geburtstag meines Bruders, zusammen mit meiner Mutter und eigentlich wäre ich am liebsten gar nicht gegangen. Aber ich bestand auf die Einhaltung der Abstands- und Hygiene-Regeln. Wir sassen an einem grossen Tisch draussen, so dass das möglich war. Ich fuhr alleine im Auto hin. Aber das war die einzige Ausnahme. Ich bin seit 1,5 Monaten im HomeOffice zuhause und treffe niemanden persönlich bis auf die erwähnte Ausnahme. Auch meinen Geburtstag im Mai werde ich nicht feiern, höchstens per Skype. Was ist verdammt nochmal so schwer daran, sich einfach mal ein paar Wochen oder Monate zurückzunehmen?
Für diese Aktion gibt‘s nur ein Wort: DUMM!
Dieses „bleibt gesund“ ist ziemlich zynisch nach dem Text, oder? Eine Verlängerung dieses Zustandes ist dank solchen Aktionen nicht ausgeschlossen. Aber was sind schon Sterbegefahr aufgrund des Virus, gefährdete wirtschaftliche Existenzen oder ungenügende Schulbildung mehrere 100‘000 gegenüber einem partylosen Zustand der Autorin….einfach nur wow…
Zumal: Infiziert oder nicht infiziert ist keine Frage von Gesundheit. Man kann gesund und infiziert und nicht infiziert und trotzdem nicht gesund sein. Bleiben Sie symptomfrei, darf man wünschen. Ideal ist es, infiziert zu werden und dennoch nicht zu erkranken. Journalistisch ideal ist sich artikulieren zu können und nicht Strassensprache zu benutzen.
Wirklich kaum zu fassen, 13.
Aber das ist genau das Problem. Es gibt zu viele Leute, die das Problem nicht mal im Ansatz verstanden haben, aber gleichzeitig nicht nur alles für übertrieben halten, sondern auch noch mit einer Selbstverständlichkeit davon ausgehen, dass Regeln, Vorgaben und Gefahren sie nicht betreffen. Oder anders formuliert, die nicht erkennen, dass sie Teil des Problems sind.
Ein Stück weit verorte ich die Problematik aber auch daran, dass viele Laien höchstens einen virtuellen Eindruck von den Gefahren erhalten. Schönstes Frühlingswetter, gesund wirkende Leute die draussen sind, wo also ist das Problem? Bund und Kantone wollen um jeden Preis Unruhe und Panik verhindern, was etwas zur Lasten des Bewusstseins für die Ernsthaftigkeit der Situation geht.
Weil viele hinter verschlossener Tür ihren Egoismus nicht zügeln können für Ca. 6 Wochen Ihres Lebens, kann die Mehrheit nicht sobald einen normalen Sommer in der Schweiz geniessen. Geschäfte gehen Bankrott, Leute werden arbeitslos & Risikopatienten fürchten sich. Warum steigen die Fallzahlen wohl immer noch? Wegen Leuten wie ihnen! Ich hoffe das Selbstmitleid, das sich hier einstellt hat, kann zukünftig auf Flüchtlinge, Hungernde und Unterdrückte projeziert werden.
‚Nach drei Wochen Social Distancing …‘
Wie man hört und sieht nimmt die soziale Distanz zwischen Menschen und Gruppen derzeit eher ab als zu. Es wird viel mehr telefoniert und Videokonferenzen halten Einzug selbst ins private Leben. Soviel Sozialität ist fast eine neue Qualität. Nur körperlich muss man Abstand halten, keinesfalls aber sozial.
Wenn Sie ein Fest feiern, dafür im Zug nach Zürich reisen und Ihren Kindern erlauben, Ihre Freunde zu treffen, dann tun Sie das bitte ohne dieses Aufsehen. Wir haben noch einige Wochen vor uns.
Noch vor kurzem hätte ich die Autorin für ihr „egoistisches“ und „unsoldarisches“ Verhalten verurteilt. So wie ich es bisher getan habe, wenn ich mitbekommen habe, dass in manchen Wohnungen meiner Nachbarschaft die Besucher ein- und ausgehen wie bisher. Doch langsam ändert sich meine Haltung. Langsam dämmert mir, dass wir wohl um eine Immunisierung der Gesellschaft ohne Impfstoff nicht herumkommen werden, auch wenn der Preis dafür furchtbar hoch sein wird. Und ich fange an, eine gewisse Dankbarkeit für die mutigen Freiwilligen zu empfinden. Und vielleicht bin ich der wahre Egoist.
Was soll mutig daran sein, absichtlich andere zu gefährden, während man weiss, selber nicht gefährdet zu sein. Ansonsten wäre es ja auch mutig, mit einem LKW mit 100 einen Veloweg entlangzurasen.
Nein, zwischen mutig und hochgradig asozial gibt es einen Riesenunterschied.
Uns fällt es auch nicht leicht aber unsere Kinder verzichten aus Solidarität gegenüber der Risikogruppe und unseres Gesundheitssystems auf Kontakte, wir Eltern übrigens auch. Sonst bringt das Ganze ja nichts. Solidarität, Rücksichtsnahme und die eigenen Bedürfnisse mal hinten anstellen sind dafür Werte die sie hoffentlich aus dieser Zeit mitnehmen.
„Zum Glück stellten sich meine Sorgen als unbegründet heraus. Ich bin nach wie vor kerngesund.“ Eines der grossen Probleme dieses Viruses: man kann infiziert und ansteckend, aber völlig ohne Symptome sein. Und wenn schon Leute treffen, dann bitte mit Abstand halten.
Es gibt nur zwei Worte dazu : Rücksichtslos und Asozial
wieso?
5 Personen sind erlaubt, alle sind jung und vorsichtig waren sie auch.
Einfach unglaublich; diese selbsternannten „Blockwarte“ überall.
Dumm. Wahrlich ein grosses Vorbild!
@ Martin
Unglaublich sind diese asozialen Ignoranten welche meinen, für sie gelten die Regeln nicht. Die anderen dürfen dafür dann noch weitere lange Wochen in Insolation dahunvegetieren.
In meinem Bekanntenkreis ging genau daselbe Szenario nicht so gimpflich ab. Toll, nöd wahr?
Das war dann aber ein grosser Tisch…5Personen/2m Abstand??
Ich habe mich sehr geärgert über diesen Blog. Momentan geraten viele Menschen in finanzielle Schwierigkeiten, Kinder sagen ihre Geburtstagsparties ab, Risikopatienten haben Angst um ihr Leben… Ich finde ALLE sollten sich jetzt an die Regeln halten. Aus Solidarität und nur deshalb finden meine Parties momentan per Videochat statt und schreiben meine Kinder ihren Freunden nur noch Briefe. Es ist nicht so schlimm, wirklich. Wenn sie das anders machen, dann behalten sie es bitte für sich, ich finds nämlich gerade ziemlich demotivierend.
@Martin: Erlaubt ist in der Schweiz noch vieles. Auch, zum Beispiel, die Ferien im Tessin zu verbringen.
Aber ich finde es auch nicht toll, wenn wir uns als Familie ohne jegliche Risikopersonen seit Wochen strikt an alle Empfehlungen halten in der Hoffnung, dass der Spuk dann schnell vorbei geht. Und andere finde, so ein bisschen Risiko geht schon, auch wenn sie damit keineswegs nur sich selber gefährden.
Und jetzt will Frau noch Lob für Ihren Egoismus und Rücksichtslosigkeit? Genau wegen solchen wird der Lockdown verlängert. Ich komme mir echt dumm vor, auf Besuche von Familie und Freunden zu verzichten und mein Sohn muss seit 6 Wochen ohne Ausgang und Urlaub im Militär festsitzen, während andere schön ihre Lockdown-Parties feiern und sich noch cool dabei vorkommen.