Best of: Sorry, aber es geht auch ohne Stillen
Heute publizieren wir einen Text, der in den vergangenen Monaten besonders gut bei unseren Leserinnen und Lesern angekommen ist. Er erschien erstmals am 14. Februar 2020. Frohe Ostern!

Schoppenkind, na und? Stillen wurde fälschlicherweise zum Synonym mütterlicher Fürsorge. Foto: iStock
Mein Kleiner war drei Monate alt, als er das erste Mal nicht mehr mitmachte. Er lag neben mir auf dem Sofa. Ganz klar hatte er Hunger. Aber statt zu trinken, schrie er nur die Brust an. Alles Zureden und Streicheln half nichts, er fand einfach keine Ruhe mehr. Ich hielt es erst für einen Einzelfall. Aber die Schreianfälle wurden häufiger, vor allem tagsüber. Nachts kam er dafür öfter. Ich fühlte mich unfähig. In der Öffentlichkeit stillte ich bald nur noch, wenn es nicht anders ging. Zu Hause begann ich abzupumpen, und er trank dieselbe Milch aus dem Schoppen, die er an der Brust verschmähte.
Dass ich beim Stillen einmal so verzweifelt, ja frustriert sein würde, hatte ich nicht erwartet. Ich hatte Glück gehabt, nach der Geburt genügend Milch, der Kleine hatte keine Mühe beim Saugen, und die Brustwarzen taten nur ein paar Wochen weh. All das war in der Stillberatung, in den Ratgebern, im Bekanntenkreis Thema gewesen. Dass ein Baby aber plötzlich die Brust verweigert, war mir neu. Erst als ich Freundinnen davon erzählte, kamen die Geschichten ans Licht. Da trank ein Baby nur noch, wenn es geföhnt wurde. Ein anderes verlangte nach dem Fernseher. Und eines trank tagsüber gar nicht mehr. Fast alle Mütter, mit denen ich sprach, hatten irgendwann abgepumpt, und einige hatten das Stillen nach einer Weile entnervt aufgegeben.
Die Wunderkräfte des Stillens
Dass man das erst zu hören bekommt, wenn man selbst mitten in einer Stillkrise steckt, ist symptomatisch. Stillen ist zum Synonym für die mütterliche Fürsorge geworden. Wer sich kritisch äussert, macht sich verdächtig. Die Tabuisierung ist eine Nebenwirkung der Wunderkräfte, die dem Stillen heute zugeschrieben werden. Klar, Stillen wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlen, und es hat ein paar eindeutige Vorteile: Es schafft intime Momente, stärkt die Immunabwehr, und wenn der Nachwuchs mitspielt, ist es auch wirklich praktisch.
Tatsache ist doch: Auch Schoppenkinder besuchen die Universität.
Ob aber alles stimmt, was Studien sonst noch festgestellt haben wollen? Werden gestillte Kinder wirklich intelligenter, sozialer, schlanker, stressresistenter, erkranken später seltener an Krebs? Der Beweis ist nicht leicht zu führen. Man muss das soziale Milieu und die Genetik aussen vor lassen, also Zwillinge oder Geschwister vergleichen. Eine US-Studie, die das getan hat, sah viele postulierte Effekte nicht bestätigt. Der Mainstream aber ist blind für solche Kritik. Wenn es um die eigenen Kinder geht, wollen wir alle nur das Beste und sind anfällig für Übertreibungen. Ganze Industrien leben davon. Man muss sich nur vor Augen halten, dass vor wenigen Jahrzehnten noch Pulvermilch als gesünder galt als Muttermilch. Heute gilt das Gegenteil.
Hinter beiden Paradigmen aber steht eine Lobby. An der Universität Zürich gibt es seit ein paar Jahren einen Lehrstuhl für Muttermilchforschung. 20 Millionen Franken hat eine Stiftung dafür bereitgestellt. Dahinter steckt eine Familie, die ihre Millionen mit Milchpumpen verdient.
Hollywoodreife Mutter-Kind-Idylle
Das ist kein Votum gegen das Stillen. Nur gegen den Hype, der darum gemacht wird, gegen das Dogma, dass Stillen alternativlos sei. Denn all das schadet den Müttern. Nicht nur jenen, die nicht stillen können und die mit dem scheusslichen Gefühl konfrontiert werden, sie könnten nicht recht für ihr Kind sorgen. Auch allen anderen Müttern, die irgendwann aus beruflichen oder anderen Gründen auf Pulvermilch wechseln. In Europa hören drei von vier Frauen in den ersten sechs Monaten mindestens teilweise mit Stillen auf. Sie sollten es ohne Schuldgefühle tun können.
Tatsache ist doch: Auch Schoppenkinder besuchen die Universität. Frankreich, das eine der tiefsten Stillquoten überhaupt hat, steht beim Übergewicht viel besser da als der europäische Durchschnitt. Und Stillen ist in der Praxis längst nicht immer die hollywoodreife Mutter-Kind-Idylle, als die es dargestellt wird. Es kann einen zur Verzweiflung bringen. Das ist banal, aber man muss heute die Mütter daran erinnern.
Stattdessen wird von vielen, auch via soziale Medien, das Stillen leichtfertig verklärt und ein absurdes Meinungsdiktat installiert. Wie weit dieses unterdessen reicht, zeigt ein Besuch auf der Website eines Milchpulverherstellers. Dort wird man zuerst des Langen und Breiten über die Vorteile des Stillens aufgeklärt und dann allen Ernstes gefragt: Wollen Sie trotzdem fortfahren? So als wollte man für sein Baby Zigaretten kaufen.
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15 Kommentare zu «Best of: Sorry, aber es geht auch ohne Stillen»
Ich habe mich 7.5 Monate durchgekämpft.
Mein Arzt hat gesagt, sie könnte Diabetes bekommen und Allergien einwickeln wenn ich nicht stille. Alles war offen, ich hatte 3 schwere Brustentzündungen und weder Hebamme, Ärztin noch Stillberaterinnen konnten mir helfen. Abstillen habe ich eine Woche versucht, es hat nicht funktioniert.
Trotz Stillen hat meine Tochter Allergien entwickelt… Ich fänds gut, wenn man einfach mal aufhören würde mit falschen Aussagen die Mütter zu verunsichern. Das schadet am Ende Mutter und Kind.
Ich habe meine Kinder sehr lange gestillt, sie haben sich bestens entwickelt und sind gross geworden.
Meine Schwiegertochter konnte ihre Kinder nicht stillen, sie entwickeln sich prächtig und werden, so Gott will, leben und gross werden.
So what?
Sehr guter Artikel, dem ich nur zustimmenkann! Ich war 3 Wochen nach der Geburt meiner Zwillinge am Ende meiner Nerven, und das Stillen wollte einfach nicht funktionieren. Ich habe schweren Herzens abgestillt. Wie im Artikel beschrieben, hatte ich das Gefühl, die einzige auf dem Planeten zu sein, die damit Probleme hat und das nicht hinkriegt. Allerdings habe ich meine Entscheidung später nicht bereut. Mit dem Abstillen wurde alles besser, mein Mann konnte viel mehr mithelfen, ich konnte endlich ein paar Stunden am Stück schlafen und hatte nicht mehr den Psychostress, das Stillen hinkriegen zu müssen. Unsere Kinder sind heute fast 3 Jahre alt und kerngesund. Sie brauchen nicht unbedingt Muttermilch, sondern ausgeglichene Eltern.
Meine Freundin stillte nicht und ich konnte mein 2. Baby stillen. Wer bekam mit 3 Wochen
eine sehr starke Erkältung? Beide! Soviel zur Immunabwehr.
Stimmt … und wie: Ich konnte nicht stillen. Nur halb, hat keinen Sinn und belastet Mutter und Kind, meinte der Frauenarzt. Trotzdem … oder gerade deshalb?: Mein Sohn hatte keine einzige Kinderkrankheit, ist topfit und heute selbst Vater. Ich selbst habe nie darunter gelitten, sondern das Baby noch mehr geniessen können.
Danke für diesen Artikel.
Der Hebamme hatte ich vor der Geburt noch gesagt: Wenn es klappt mit stillen dann machen wir das, wenn nicht, dann nicht! Tja und dann sind die kleinen Lebenwesen da und man will nur das Beste und meint, dass sei Muttermilch und macht alles (!) damit das mit dem Stillen klappt. Ich hatte für die Zwillinge von Anfang an nicht genügend Milch und musste zusätzlich den Schoppen geben. Was es einfacher machte, da mein Mann in den Einsatz konnte. Gleichzeitig habe ich mich aber die ersten 6 Wochen gestresst, weil die Milch nie wirklich genug wurde! Eine Brustentzündung und ein meine-Brust-anschreiender-Sohn später, konnte ich dann endlich lockerer an die Sache. Habe bis Ende 5 Monat abgepumpt, inzwischen aufgehört. Ich denke, die werden auch gross…
„Stillen wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlen, und es hat ein paar eindeutige Vorteile: Es schafft intime Momente, stärkt die Immunabwehr, und wenn der Nachwuchs mitspielt, ist es auch wirklich praktisch.“ Einverstanden.
Stillen hat aber auch ein paar eindeutige Nachteile: Es stärkt die Vorstellung, dass ein Neugeborenes zur Mutter gehört und lässt den Vater aussen vor. Es rechtfertigt den Mutterschaftsurlaub und lässt den Vaterschaftsurlaub wie einen überflüssigen Luxus aussehen. Es stellt von Anfang an die Weichen für die spätere berufliche und familiäre Rollenteilung eines Paares.
Mutterschaftsurlaub dient der Mutter zur Erholung nach Schwangerschaft und Geburt, was für einen Mann naturgemäss nicht nötig ist. Vaterschaftsurlaub würde dazu dienen, die Mutter zu unterstützen und hoffentlich auch eine tiefe Bindung zum Kind aufzubauen.
Der Mutterschaftsurlaub rechtfertigt sich nicht aus dem Umstand, dass eine Frau ihr Kind stillt. Der rechtfertigt sich aus der Tatsache, dass die Frau ein Kind geboren hat. Nun erlebt sie im Nachgang dieser Anstrengung Hormonumbrüche der schlimmeren Sorte, ist Infektgefährdet wegen der Wunde im Uterus und der noch offenen Portio („Kindbettfieber“). Deshalb ist der Mutterschaftsurlaub mehr als gerechtfertigt. Wenn Sie nun beklagen, wegen dieser 14 Wochen habe sich Ihr Rollenverständnis innerhalb der Familie unwiederbringlich Richtung Heimchen am Herd verschoben, ist Ihnen nicht mehr zu helfen. Da müssen Sie schon bessere Ausreden bringen.
Ich halte mal dagegen und sage, das Stillen ist nur das Mittel, nicht der Zweck. Die Rollenverteilung wird nicht durch das Stillen definiert, sondern dort, wo sie eh gewünscht ist, wird das Stillen vorgeschoben. Es gibt keinen vernünftigen Grund oder gar Beweis, dass die Rollenverteilung ohne das Stillen anders wäre. Schauen wir doch nur eine Generation zurück zu den Eltern der heutigen Jungeltern: Nie war die Stillquote so tief und die Hausfrauenquote so hoch.
Stillen ist kein Muss, sollte es nicht sein, aber hier eignet es sich nicht als Sündenbock.
Liebe Grüsse von einer Mutter, die lange gestillt hat und deren Mann in der Stillzeit Hauptbetreuer, da Teilzeit-Hausmann war
Ich habe nicht gestillt, da ich Medikamente nehmen musste. Ja, auch während der Schwangerschaft. Dann habe ich auch noch per Kaiserschnitt geboren und habe immer Teilzeit gearbeitet. Ich bin also eine 4-fache Rabenmutter. Wieso wollen andere überhaupt wissen, wie eine Mutter geboren hat, und ob sie stillt? Was geht sie das an? Nichts. Und interessiert mich deren Meinung? Nein.
@Stella, starke Aussage! 🙂
Sehr schön geschrieben!
Das selbe gilt auch für das Thema Kaiserschnitt. Auch dort wird betroffenen Frauen vermittelt sie und ihre Kinder hätten ein Manko…
Da bin ich ganz Ihrer Meinung, Frau Stoffel. Am Anfang hat meine Frau noch abgepumpt und so konnte auch ich meinen Teil dazu beitragen, dass die Zwillinge ihre Milch bekamen, während meine Frau durchschlafen konnte. Alsbald stellten wir auf Milchpulver um und es hat sehr gut funktioniert. Ob ein Kind klug wird hängt wohl viel mehr davon ab, wie viel man sich mit ihm beschäftigt und dass man die gestellten Fragen ernsthaft beantwortet. Wir haben zum Beispiel von Anfang an viel vorgelesen und das Ergebnis ist, dass sie mit ihren vier Jahren schon einen sehr grossen Wortschatz haben. Wir unterstützen sie in ihren Phantasiegeschichten, in dem wir sie durch Nachfragen dazu ermuntern, sich noch mehr auszudenken. Das schult logisches Denken, ganz ohne sophisticated Kindoptimierungsprogramme.
Hiermit möchte ich alle Mütter ermutigen, das Stillen sein zu lassen, wenn es wirklich nicht geht.
Unsere Tochter ist vor über zwanzig Jahren mit einem Oberschenkelbruch zur Welt gekommen. Das Stillen war ein stressiger Akt für mich und das Baby. Leider wurde auch mir eingebläut, dass stillen notwendig sei. Also habe ich es versucht und mich immer mehr gestresst. Nach gut zwei Wochen habe ich die Ärztin gebeten mir doch die Tablette zum Abstillen zu geben. Dies wurde mir ausgeredet. Ich habe dann mit Kampfersalbe abgestillt Unsere Tochter bekam Schoppen, schlief gut und entwickelte sich prächtig.
Sie hatte nie gesundheitliche Probleme (z.B. Hautprobleme), ist sportlich und nicht übergewichtig. Aktuell macht sie ein Medizinstudium.