Schluss mit dem schlechten Gewissen

Dauernd daheim, aber doch keine Zeit? Die Corona-Krise wird für Familien zur Herausforderung. Fotos: iStock
Hier köchelt das Risotto, da will ein E-Mail sofort beantwortet sein, dort verzweifelt die Tochter, die nun den Unterrichtsstoff zu Hause wälzt, an nicht funktionierender Technik. Derweil entbrennt im Kinderzimmer ein Streit, weil der Kleine nicht einsehen will, dass auch die Mittlere etwas für die Schule tun sollte. Und während ich noch zu schlichten versuche, werfe ich die Waschmaschine an, damit wieder T-Shirts im Schrank sind, studiere an einer knappen Deadline herum und daran, wie lange ich noch welche haben werde, und notiere gleichzeitig, dass keine Kinderzahnpasta mehr da ist. Kein Wunder, dampfts im Hirn etwas ungut. Genau wie nun – Mist, das Risotto! – in der Pfanne. Dass ich es da gerade nicht schaffe, dem Kleinen zuzuhören, der mir nun dringend etwas erzählen will, muss ich nicht extra erwähnen. Auch nicht das schlechte Gewissen, das mich – zack! – überkommt, als ich es, abwesend nickend, realisiere.
Nur ein Beispiel für die Kombi aus Multitasking, «mental load» und Schuldgefühlen, die das Elternleben oft zuverlässig begleitet wie Rüeblibreiflecken die Beikostzeit – und dies wohl in guten wie in Corona-Zeiten. Wenn auch in letzteren auf andere Art. Vieles stürzt gerade ein wie eine schön aufgestellte Reihe von Dominosteinen. Termine, Pflichten, alles nicht mehr aktuell. Je nach Beruf muss jetzt laufend, teils tiefgreifend umdisponiert werden. Daneben fallen Kinderbetreuungsstrukturen flach, im gröberen Stil. Je nach Alter der Kinder ist Hilfe beim Fernunterricht gefragt – oder Stubenkoller an der Tagesordnung. Unnötig zu erwähnen, dass finanzielle Ängste oder gesundheitliche Sorgen um Angehörige, vielleicht auch um sich selbst, nicht gerade dazu beitragen, rundum entspannt zu bleiben.
Ein unbekömmlicher Cocktail
Wenn dann noch so ein ungutes Gefühl den Nacken hochkriecht – weil man weniger Zeit für die Kinder hat, oder auch mehr und es trotzdem nicht schafft, zuzuhören, weil was vergessen ging oder man nicht immer mit bester Laune reagiert –, wird dem unbekömmlichen Cocktail noch das Schirmchen aufgesetzt.
Darin, Schuldgefühle zu haben, sind Eltern ja anscheinend allgemein ziemlich gut: 23-mal pro Woche, so eine amerikanische Studie, empfinden sie Gewissensbisse. Viel? Nun, würde ich jedes Mal mitzählen, wenn mir mein Über-Ich zuraunt, ich sollte jetzt besser Apfelschnitze hinstellen, als den Kindern schon wieder die Guetzli durchzulassen, käme ich sogar locker über den Durchschnitt.
Gerade Frauen stressen sich häufig mit einem überhöhten Mutterideal.
Eine eindrückliche Liste mit rund 40 Gründen für elterliche Schuldgefühle ist im Buch «Gespräch über Schuld und Schuldgefühle in der therapeutischen Beratung» des Berner Psychotherapeuten Jürg Kollbrunner zu finden. Von «zu autoritär zu sein» bis «zu nachgiebig zu sein», von, eben, «nicht richtig zuzuhören» bis «zu selten zu lachen»: Es scheint, es gibt wenig, worüber man sich als Eltern kein schlechtes Gewissen machen kann. Vielleicht sind, so vermute ich, Mütter noch etwas stärker davon betroffen. Was nicht heissen soll, dass es keine Väter gibt, die ob vermeintlichen Erziehungspatzern in Schuldgefühlen baden. Doch stressen Frauen sich immer noch häufig mit einem reichlich überhöhten Mutterideal. Und werden gestresst. «Der Druck auf Mütter ist nie grösser gewesen», sagte Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm in der «Aargauer Zeitung».
Oft nur Selbstgeisselung
Wie soll frau sich da nicht fühlen wie ein Mutter-Fail, wenn sie mal, meinetwegen, die Kinder fünfzehn Minuten länger als allgemein für gut befunden vor dem TV lässt? Aber im Elternleben – und jetzt ganz besonders – sind oft Nerven und Pragmatismus gefragt. Wenn da halt mal der Bildschirmzeit-Rekord, oder die ein oder andere sonstige Regel, geknackt werden … «jä nu». Natürlich tragen Gewissensbisse auch dazu bei, dass wir unser Verhalten reflektieren. Und wenn wir die Kinder stundenlang anschreien oder tagelang vor Horrorfilmen parkieren, sollten wir das ändern. Aber wenn wir normalerweise eigentlich als Mütter oder auch Väter ganz «okay» sind und trotzdem dauernd dieses nagende Gefühl spüren, es nicht gut genug zu machen, dann ist das nicht mehr Selbstreflexion, sondern Selbstgeisselung.
Lieber sollten Eltern sich doch öfters vergegenwärtigen, was sie immer wieder schultern. Und dass, auch wer sich top organisiert, gut aufteilt und auf Wesentliches beschränkt, stets noch genug Möglichkeiten haben wird, um etwas, vielleicht auch nur vermeintlich, zu verbocken, zu vergessen oder anbrennen zu lassen. Wer es da schafft, (zu) ambitionierte Erziehungs- oder Haushaltsansprüche, ob von aussen oder verinnerlicht, zu hinterfragen und vielleicht gar situativ zu kippen, verdient ein Schulterklopfen. Jedenfalls kein schlechtes Gewissen!
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11 Kommentare zu «Schluss mit dem schlechten Gewissen»
Ich bin alleinerziehende Mutter, Deutschlehrerin im Stundenlohn (also nur Lohn, wenn ich unterrichte) beim grössten Kursanbieter der Schweiz. Der Vater des Kindes zahlt nur das Minimum an Alimenten (beteiligt sich mit keinem Rappen an z.B. Schikauf, Velokauf, obwohl er eine leitende Stelle hat). Ich bin also auf Lohn angewiesen. Seit der Information, dass alle Schulen bis 4.4. geschlossen sind, habe ich bislang nur 2 unkonkrete E-Mails erhalten, wie es nun weitergehe: wir müssen warten…, von Lohnfortzahlung keine Spur…Da ich ja selber Lehrerin bin und den Lernstoff eines 10-jährigen Schülers noch ganz gut beherrsche, mache ich auch gern nun die Lehrerin für meinen Sohn. Nur würde ich es fair finden, wenn die Eltern wenigstens einen Lohnanteil der Lehrer erhalten würden.
Soweit ich weiss, haben Sie als Stundenlöhnerin ein Recht auf den Durchschnittslohn der letzten 6 Monate. Die Sozialbehörde in Ihrer Wohngemeinde kann Ihnen Auskunft geben und ggf auch Gelder auszahlen.
Lg Tamar
Warum diese Selbstkasteiung? Lehrer und Kitapersonal müssen täglich mit solchen Situationen zurechtkommen, dass mehrere Kinder gleichzeitig nach Aufmerksamkeit verlangen und um Hilfe bitten. Auch diese können nicht 20 Kinder auf einmal bedienen.
Für die schulischen Aufgaben empfehle ich einen Plan, wer wann an den PC und sich in ein ruhiges Zimmer zurückziehen darf und wenn die Kinder am Nachmittag Guetzli essen, setzt man ihnen halt am Abend Äpfel vor. Wenn möglich einmal pro Tag in den Wald (sofern nicht alles überbevölkert), mindert Streitigkeiten im Kinderzimmer. Ansonsten durchhalten, durchhalten, durchhalten….
Übrigens dürfen sich auch Eltern selber lieb sein und nicht jede unschöne Situation dahingehend deuten, dass nun die ganze „Erziehung“ flöten geht.
Weiterhin an alle viel Kraft und die Fähigkeit, auch in diesen Zeiten für schöne Momente zu sorgen und diese zu geniessen. Lachen ist wichtig und auch in einer Krise nicht verboten.
Herzlichst Tamar
sorry, wenn man der eigenen karriere und selbstverwirklichung willen, die kinder neben kindergarten und schule in kita und hort abschiebt, muss sich nicht wundern, dass die jetzt aufmerksamkeit fordern. es ist eigentlich ein ganz natürliches verhalten.
anstatt die kinder abzuschieben und dauernd an den männern rummeckern, hätten die frauen besser schon viel früher für home-office gekämpft. dann wäre es für die kinder selbstverständlich, dass es zeiten gibt, wo mama zwar da ist, aber nicht gestört werden darf. ich weiss von was ich rede; ich bin in einem schneideratelier gross geworden und habe, als ich mutter wurde, 15 jahre – trotz oder besser gesagt MIT kind – von zu hause aus gearbeitet.
diese journalistinnen, die da dauernd ihre überforderung der welt mitteilen müssen…
… erweisen der idee „home-office“ übrigens einen bärendienst! denn ich hätte als chef da auch kein vertrauen. diese geschichten, so lustig sie sich lesen, sind kontraproduktiv. es müsste jetzt geschichten her, in denen berichtet wie gut es eben klappt, dass auch nach corona mehr menschen home-office arbeiten könnten, wenn sie es wollen. wir haben mit corona, die chance unsere kranke arbeitswelt zu heilen und zu verändern. wir sollte diese chancen packen und wenn unsere chef sehen, dass wir die sache sehr wohl im griff haben, könnten wir mehr erreichen, als es die klimajugend je konnte und kann.
Oh mann, das Verständnis und die Solidarität trieft ja aus jeder Zeile Ihres Kommentars…
Und was soll dieser Habakuk:
„hätten die frauen besser schon viel früher für home-office gekämpft. dann wäre es für die kinder selbstverständlich, dass es zeiten gibt, wo mama zwar da ist, aber nicht gestört werden darf.“
Meine Eltern haben so gut wie nie im Homeoffice gearbeitet und trotzdem konnten sie uns beibringen, dass es Zeiten gab, da sie ihre Ruhe wollten.
Ich würde sagen, im Moment trennt sich die Spreu vom Weizen dahingehend, dass man schon deutlich merkt, wer seine Kinder prinzipiell versorgt und wer sie prinzipiell bespasst.
Und bei Männern ist das okay, wenn sie sich ’selbstverwirklichen‘ machen oder ‚Karriere‘ machen wollen ? Nur bei Frauen nicht ? Da frage ich mich doch, was für ein antiquiertes Frauenbild Sie doch haben.
Und zum Schluss noch die Klimajugend abgewatscht. Toll.
Noch zur Frage nach der Ansteckungsmöglichkeit bei Kindern, aus einem faz Beitrag:
„Dabei hat die aktuelle Studie aus Shenzhen zum Beispiel auch herausgefunden, dass sich Kinder genauso häufig mit dem Erreger anstecken wie Erwachsene, sie entwickeln allerdings nur leichte oder gar keine Symptome.“
Das ist der Grund für die Schliessung der Kindereinrichtungen. Kinder können die Infektion zwischen Erwachsenen und auf andere Kindern übertragen, ohne selbst auffällig zu werden. Deswegen muss man auch die Spielplätze dicht machen und gegenseitige Kinderbesuche ausschliessen.
Kinder sind im Fall aktueller Corona das ideale Virenkarussell.
„Gerade Frauen stressen sich häufig mit einem überhöhten Mutterideal.“ <– würde mich doch verwundern wenn Männer sich ab einem überhöhtem Mutterideal stressen würden.