Rückfall in die Steinzeit der Kommunikation

Warum wir unter Stress mit unseren Kindern oft nicht so reden, wie wir gerne möchten.

Plötzlich übernimmt das Stammhirn das Kommando, und es kommt zum hässlichen Streit. Foto: iStock

Unsere Tochter mag keine Ortswechsel. Müssen wir in Eile irgendwohin, kann sie das so unter Druck bringen, dass beim Anziehen ein kleiner Gefühls-Tsunami über sie hereinbricht. Wenn wir hingegen genug Zeit einplanen und sie mit Sätzen wie «Ich bin sicher, dass du es schaffst. Soll ich dir vielleicht mit der Jacke helfen?» begleiten, kann jene Herausforderung durchaus ruhig über die Bühne gehen.

Als ich aber kürzlich zu einem wichtigen Termin und sie zu einer Freundin gehen sollte, fehlte genau diese Zeit und innere Ruhe, um auf jene Weise auf ihr prompt einsetzendes Gebrüll zu reagieren. Stattdessen sah ich mir zu, wie ich hilflos schnaubte: «Gopf, jetzt mach nicht schon wieder so ein Theater! Vorwärts, ich muss los.» Das Ganze natürlich in einem Ton, der ein aufgewühltes Kind endgültig ins Kreisch-Nirwana katapultieren muss.

Obwohl ich also genau wusste, mit welchen Worten ich das Drama hätte stoppen können, um rechtzeitig zum Termin zu kommen, spuckte ich jene Sätze aus, von denen ich haargenau weiss, dass sie alles nur noch verschlimmern. Warum zum Teufel tu ich das also? Bin ich doof?

Stressalarm im Stammhirn

Nein, bin ich nicht. Aber stolze Besitzerin eines Stammhirns. Oh, ich will mich nicht beklagen. Mein Stammhirn ist grossartig. Aber in hektischen Situationen sollte es die Klappe halten. Tut es aber nicht. Im Gegenteil. Denn kommen wir Menschen in Stress, übernimmt dieser nach uralten Mustern konstruierte Teil unseres Gehirns als erster das Kommando, und dies im selben Modus wie vor Millionen von Jahren, als es seine Aufgabe war, uns vor hungrigen Säbelzahntigern zu schützen.

Dummerweise erkennt es an heutigen Situationen nämlich einzig den Modus «Stress». Ob dessen Quelle ein aufgewühltes kleines Mädchen oder besagter Säbelzahntiger ist, unterscheidet es erst mal nicht. Stattdessen bietet es uns in seinem urzeitlichen Drang, uns das Leben zu retten, fürsorglich drei Reaktionsmuster an: Flüchten, kämpfen oder tot stellen. Und da unsere heutige Waffe die Kommunikation und nicht mehr die Steinschleuder ist (hoffe ich zumindest), greift es dort auf die sicheren Werte alt erprobter Worte zurück und lässt manchmal Sätze aus uns herausspucken, die wie Autobahnen in unserm Gehirn einbetoniert sind. Umso mehr, wenn wir solche seit unserer eigenen Kindheit in uns tragen.

Wollen wir hingegen die kleinen, feinen Trampelwege neuer Kommunikationsformen in einem Stressmoment begehen, brauchen wir entweder ein sehr ausgeglichenes Gemüt oder müssen uns angewöhnen, kurz innezuhalten, um uns bewusst für den kleinen Trampelweg des besseren Wissens anstelle der A1 blöder, alter Worte zu entscheiden. Denn mit diesem Zurückkehren zur eigenen Basis kann es uns durchaus gelingen, Konflikte zu lösen, ohne Verlierer zu hinterlassen.

Neue Trampelpfade

Was aber, wenn dies nicht gelingt? Weil wir gerade selber etwas neben der Spur laufen? Das ist auch kein Weltuntergang. Denn eine tragfähige Beziehung verträgt durchaus den einen oder andern dummen Streit. Trotzdem war ich traurig, als ich schlussendlich zu meinem Termin stapfte. Über das unglückliche Auseinandergehen mit meiner Tochter und das blöde Gefühl, das auch die Versöhnungsumarmung nicht recht aufzuheben vermochte.

Doch genau in diesem blöden Gefühl liegt der Schlüssel, dass es nächstes Mal anders enden kann. Nicht in einem verurteilenden «Mensch, das habe ich wieder mal ganz schlecht hingekriegt!», sondern im Bedauern darüber, wie es gelaufen ist, und im Gedanken, wie es hätte sein können. Denn mit dem Repetieren von Sätzen im Kopf, mit welchen ich auch hätte reagieren können, erstarkt der Trampelpfad, bis er als A2 in unserem Stammhirn selbst in der Hektik abrufbar wird.

Darum finde ich die so oft verpönten jammernden Mütter völlig in Ordnung – vorausgesetzt, das Jammern gilt der Frage, was es braucht, damit die Kommunikation das nächste Mal anders wird. Denn nur über den Weg der eigenen Gefühle, Sehnsüchte und das Reflektieren von ebendiesen lassen sich neue Autobahnen trainieren und damit der nächsten Generation einen anderen Umgang beibringen als die wenig hilfreichen Muster, die wider allen neuen Wissens in vielen von uns eingeprägt sind.

In diesem Sinne: Lass uns zusammenarbeiten, liebes Stammhirn. Ich weiss, dass wir es besser können.

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32 Kommentare zu «Rückfall in die Steinzeit der Kommunikation»

  • pinkpoet sagt:

    Wenn einem das passiert – und es passiert wohl sehr vielen von uns – dann wäre es an der Zeit, sich mit der eigenen Herkunft, Familie zu befassen. Wieviel emotionalen Stress mussten wir als Kinder über uns ergehen lassen und haben ihn so internalisiert, d.h. er ist in unserem Unbewussten gelagert als mögliches Programm. Das wird dann bei Auftauchen gewisser Muster automatisch abgerufen – und nur ein Aussenstehender kann uns effektiv darauf aufmerksam machen, uns bewusst machen, WAS DA AUBLÄUFT MIT UNS. – Ist aber immer eine Chance, Licht in dieses dunkle Unbewusste zu bringen. Da schlummert ja noch mehr…

  • Amanda sagt:

    Ich glaube, in einem anderen Blog erwähnte die Autorin, dass ihre Tochter vergangenen Sommer eingeschult wurde.
    Es wäre interessant zu erfahren, ob das Problem des Ortswechsels unter Zeitdruck auch in der Schule besteht und – falls ja – wie die Lehrpersonen damit umgehen.

  • Stefan W. sagt:

    Ist es denn so schlimm, wenn man mal genervt ist? Gehört es nicht auch zu einer gesunden Entwicklung des Kindes, dass es lernt, dass andere Menschen von manchen Verhaltensweisen genervt sein können, und dass dies dann wiederum Reaktionen auslösen kann? Der Vorteil, wenn so eine Reaktion von den Eltern kommt ist, dass dadurch die grundsätzliche Qualität der Beziehung nicht in Frage gestellt wird. Viel schlimmer ist es doch, wenn das Kind erst im Schulalter oder gar erst in der Lehre kapieren muss, dass die eigene Freiheit da aufhört, wo man anderen auf die Nerven geht.

  • PhunkyMonkey sagt:

    Ein Beitrag, bei dem eine Frau eine Situation beschreibt, bei welcher sie ein wenig die Kontrolle verliert. Aber als Bild zur ganzen Story wieder ein Mann… entlarvend, sorry – könnt oder wollt Ihr es einfach nicht lassen geschätzte Redaktion??

  • Pat Sibler sagt:

    Kleines Kind brüllt und schmeisst Dinge in der Gegend rum und will sich nicht ankleiden. Lösung: Kind (im Pyjama) und Kleider unter den Arm packen, ins Auto oder den Kinderwagen legen – und los geht’s. Das Kind wird mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht im Pyjama am Ziel ankommen wollen. Wiederholungen sind wenig wahrscheinlich – aber sehr wahrscheinlich ist der Feuersturm, der jetzt über mich hereinbricht. Mir egal. Ist nicht mein Kind, und ich habe gesehen, dass es funktioniert, dass das Kind nicht zum Massenmörder geworden und die Mutter ganz entspannt ist.

  • Tunia sagt:

    Vielen Dank der Autorin für diesen Artikel! Toll geschrieben und so wahr.

  • Tamar von Siebenthal sagt:

    Wenn man denn weiss, dass das Stress beim Kind auslöst, warum sagt man denn nicht einfach eine halbe Stunde vorher, was jetzt ansteht?

  • Niklas Meier sagt:

    Die Krux an der „modernen“ Kindererziehung.
    Alles gewalt- und wertefrei kommunizieren, Kinder selbstwirksam belassen, usw.
    Und dann im Stress verliert man/frau die Beherrschung und die Fassade bricht zusammen.
    Wenn man/frau immer nach Möglichkeit authentisch agiert, wird ein Kind auch einen genervten Anschnauber nicht als tragisch empfinden.
    Man/frau sollte dazu übergehen, nicht alles was das Kind macht als toll, grandios, einzigartig und speziell, oder einfach als Ausprägung der Persönlichkeit des Kindes zu deklarieren. Man/frau kann einem Kind sagen, dass das Verhalten in den eigenen Augen nervt. Oder dass etwas absolut unerwünscht ist.
    Hilft dem Kind und den Eltern (nicht beim Hippsterelternstammtisch, das ist mir klar)

    • sottosopra sagt:

      Sie denken etwas zu fest in festen Kategorien. Hier die Hipstereltern, dort die bürgerliche Erziehung. Sehr wohl macht es Sinn dem Kind zu sagen, was einem als Eltern nicht passt, oder wieso ein bestimmtes Verhalten nicht angebracht ist. Aber man sollte dies begründen können. Ein: „Das ghört sich nit“ hilft dem Kind auch nicht weiter.

  • Maike sagt:

    Wie wär es denn, wenn Se Ihrer kleinen Prinzessin mal beibringen würden, das es Zeiten gibt, wo man es gemächlich angehen lassen kann und das es Zeiten gibt, wo alles flott gehen muss ?
    Werden Sie diese softe Art auch beibehalten, wenn die Tochter zur Schule geht und deswegen nicht um 07:00 sondern um 05:00 aufstehen, damit alles harmonisch verlaufen kann ?
    Eins kann ich Ihnen aber versichern – es gibt keine (gleichberechtigte ) Zusammenarbeit mit dem Stammhirn ! Das Stammhirn ist immer der Chef. Wenn das feuert, springen sie. Nur so konnten wir bisher überleben.

    • Muttis Liebling sagt:

      Wenn Mensch oder Tier willentlich das Stammhirn beeinflussen könnte, wäre das das Aus für die jeweilige Art. Umgekehrt erreicht auch keine Afferenz des Stammhirns die Neocortex.

      Was den neurobiologischen Inhaltsanhauch angeht ist der Blog wenig empfehlenswert.

  • Sportpapi sagt:

    Im Stress wird die Autorin also ehrlich und gibt zu, dass sie das Verhalten des Kindes eigentlich nervt.
    Kann ich verstehen.
    Ob es besser wird, wenn man diese herausfordernden Situationen einfach immer umschifft?

    • Maike sagt:

      Herausfordernde Situationenmmer umschiffen – wie soll denn das bitte gehen ???

    • Anh Toàn sagt:

      „Ob es besser wird, wenn man diese herausfordernden Situationen einfach immer umschifft?“

      Ganz sicher gibt es diese herausfordernden Situationen nicht, wenn es gelingt diese zu umschiffen. Dann wäre es ja schon mal besser,

      Man könnte diese herausfordernden Situationen auch provozieren und das ganze dann Hochsteigern, damit das Kind üben kann, damit umzugehen:

      Hat ein Kind Angst vor Wasser, schmeisst man es rein und drückt es unter Wasser. Wiederholen so oft wie notwendig, bis die Angst weg ist.

      • Tamar von Siebenthal sagt:

        @ Anh Toan

        Echt jetzt? Würde ich sowas je bei jemanden beobachten, wäre eine Anzeige so sicher, wie die Nacht, welche auf dem Tag folgt und die KESB hielte dort Einzug.

      • Niklas Meier sagt:

        Anh Toàn, es ist mir (und wohl auch allen anderen Lesenden) klar, dass Sie keine Andern Meinungen dulden.
        Ihr Sarkasmus ist aber völlig deplatziert und ausserdem äusserst grenzwertig formuliert.
        Ein Wunder, dass so etwas freigeschaltet wird.

      • Anh Toàn sagt:

        Ich dulde andere Meinungen, äussere nur meine deutlich.

        Kommt bei mir auch vor, dass ich ungeduldig werde, wenn er nicht die Jacke anziehen will, die richtig ist. Aber er will ja nur zeigen, dass er die richtige aussucht. Und wenn ich ihm dann Zeit lasse, hängt er die zuerst ausgesuchte (aus meiner Sicht falsche) Jacke zurück, und nimmt die richtige, und das dauert halt, er ist halt noch klein, dreieinhalb Jahre alt. Aber lasse ich ihm die Zeit nicht, lernt er nichts ausser Frust. Wird er schon noch lernen, aber er muss nicht alles von mir lernen, nicht wahr?

        Ich versuche, meistens gelingt es mir, alle Zeit mit ihm als Freizeit zu betrachten. Ich habe keinen Stress. Ich habe eine Priorität und die ist er, meine Zeit mit ihm.

      • Anh Toàn sagt:

        Sind wir zu dann zu spät, bei einem Termin, habe ich es nicht geschafft, ihn richtig zu „timen“, bin halt Anfänger, tut mir leid. Ich lasse ihm die Zeit die er braucht. Der Weg ist das Ziel und klar, ohne Ziel gibt es keinen Weg. Aber das Ziel ist nicht der der Termin, sondern mein Kind: Sind die Prioritäten klar, hat man keinen Stress. Stress entsteht aus Zielkonflikten.

      • Anh Toàn sagt:

        Anmerken möchte ich noch, was mir als Muster aufgefallen ist:

        Je mehr ich ihn dränge, umso länger dauert es letztlich. Je geduldiger ich bin, desto schneller geht es: Wenn ich denke, ich bin knapp dran, kommen mir drei Minuten wie eine Ewigkeit vor. Und dann dränge ich ihn und dann gibt’s Theater und dann werden zehn daraus oder es geht gar nichts mehr). Ich muss mich seinem Tempo anpassen, schneller können wir nicht sein.

      • Sportpapi sagt:

        @AT: Die Tochter mag ja keine Ortswechsel. Also wäre es ganz konsequent und stressfrei, darauf ganz zu verzichten…
        Persönlich glaube ich, dass es eine Zeit zum Spielen gibt, mit oder ohne Eltern. Aber auch Momente, wo es auch mal nach dem Willen der Eltern gehen muss, weil nun mal Zeitdruck da ist. Der sich nicht immer vermeiden lässt (sonst müsste ich immer konsequent das Spielen noch viel früher abbrechen).

      • Anh Toàn sagt:

        @Sportpapi: ja die Tochter mag keine Ortwechsel aber „Wenn wir hingegen genug Zeit einplanen und sie mit Sätzen wie «Ich bin sicher, dass du es schaffst. Soll ich dir vielleicht mit der Jacke helfen?» begleiten, kann jene Herausforderung durchaus ruhig über die Bühne gehen.“

        Man muss nicht auf Ortswechsel verzichten, nur darauf, sie dabei zusätzlich unter Druck zu setzen. Und wenn dann manche Ortswechsel frei von Druck völlig unbelastet und locker über die gehen, gibt es auch keinen Grund mehr für die Tochter, Ortswechsel nicht zu mögen.

      • Siegrist Carmen sagt:

        Anh Toàn: Wenn ein Kind Angst vor Wasser hat, und Sie schmeissen es rein und drücken es noch unter Wasser, ist das für das Kind doch lebensbedrohlich, und schlussendlich ein Trauma fürs Leben.
        Ich bin absolut entsetzt über diese Idee, und ich hoffe ganz fest, dass Sie dies und Ähnliches Ihrem Kind nie antun werden. Ist auf diese Weise mit Ihnen selbst in Ihrer Kindheit umgegangen worden? Im Stress greifen wir nämlich auf das zurück, was wir selbst erlebt haben, auch wenn wir diese Verhaltensweise nicht schätzen.
        Also für mich ist Ihr Vorschlag nicht akzeptabel.
        Ich kenne zu viele Erwachsene, die heute noch unter solchen Erziehungsmethoden Ihrer Eltern oder vom Heim leiden.

  • Roxy sagt:

    Guter Beitrag. Wir müssen also lernen, unser Stresslevel zu senken.

    • Muttis Liebling sagt:

      Noch tiefer als jetzt?

      • Reincarnation of XY sagt:

        Wir reden hier ja nicht von tiefenentspannten Grossvätern wie Ihnen, sondern von Eltern, die in Stresssituationen ausrasten.

      • tststs sagt:

        Hier könnten Sie, RoXY, wieder einmal Ihren Buchtipp bringen: Die Meinung der anderen.

        Habe es inzwischen gelesen und kann den Tipp weitergeben….

      • Muttis Liebling sagt:

        Stress ist ein differentieller Mechanismus, d.h. die Amplitude ist nicht vom Mittelwert, vom Level, abhängig. Sie können das Level bis unmerklich höher als Null senken und erleben dennoch nicht weniger Stress. Das einzige was nutzt ist Resilienztraining, dann kann der Stresslevel auch gegen Unendlich gehen.

      • Roxy sagt:

        Danke für die Rückmeldung tststs!

  • Konrad Staudacher sagt:

    Vom Rückfall in die Steinzeit zum Aufbruch in eine erfrischend Liebe-volle Kommunikation zwischen Eltern + Kind … Ich gratuliere der Autorin zum Einblick in ihren stimmigen Umgang mit der Sprache direkt am Objekt.

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