Best of: Warum wir Mütter trinken

Nervige Gspäändli und endlose Warterei: 9 Gründe, warum das Elterndasein eigentlich nur leicht angetrunken auszuhalten ist.

In dieser Woche publizieren wir Texte, die im vergangenen Jahr besonders zu reden gaben. Dieser Beitrag erschien erstmals am 6. September 2019. Prosit Neujahr!

Alkohol als Selbstmedikation: Nicht nur in Serien trinken Mütter gerne Wein. Foto: «Wine Country»/Netflix

Es ist gleichermassen verpönt wie verbreitet: Mütter, die während der Zeit mit den Kindern Alkohol trinken. Kaum ein Spielplatz ohne Bar, wo nicht gespritzte Weisse in diskreten Limogläsern über den Tresen gehen; kaum eine Mutter, die die Uhrzeit, ab der ein Bier getrunken werden darf, nicht den aktuellen Umständen anpasst; kaum eine Serie, in der sich die Mütter nicht verschämt ein Glas Rotwein einschenken, sobald das Kind Mittagsschlaf macht. Beobachtungen zufolge handhaben es Väter ähnlich – aber ziemlich sicher ist, dass sie sich nicht so missbilligende Blicke gefallen lassen müssen wie Mütter mit Drink.

Diese Mütter jedenfalls sind in den allermeisten Fällen weder verantwortungslose Schlampen noch sozialer Abschaum, sondern – im Gegenteil – oft besonders gut funktionierende Mitglieder der Gesellschaft, die Alkohol als Selbstmedikation wählen, um trotz Kindern geistig gesund zu bleiben. Denn mit einer gewissen dezenten Promille im Blut lässt sich vieles von dem, was Kinder von einem verlangen, einfach sehr viel leichter geben. Denn das wollen wir ja: ihnen alles geben. Weil wir sie lieben. Aber ein bisschen Hilfe hilft halt.

1. Die Gespräche

Seien wir ehrlich: Nicht viel von dem, was Kinder bis etwa sechs Jahre erzählen, ist interessant. Natürlich gerät aus Versehen mal etwas Naiv-Poetisches in den Schwall, aber das Allermeiste hat einen Informationswert von null. Das Schlimmste: All die Witze ohne Pointe, über die man sich aber leicht angeschickert viel überzeugender ganz doll amüsieren kann.

2. Die anderen Eltern

Die, die eben keinen Alkohol brauchen, weil sie es so, so schön finden, ihren Kindern dabei zuzusehen, wie sie Sand in die Ohren eines anderen Kindes füllen und weil sie die Gespräche über Gaggifanten und Furzoparden mit geschärften Sinnen geniessen wollen. Die, die ihre Kinder ständig fotografieren und posten müssen, weil die Welt an dieser Herzigkeit genesen soll.

3. Der Geräuschpegel

Kinder sind einfach unfassbar laut. Sie schreien ständig. Sie heulen ständig. Sie trampeln und stampfen und trommeln und posaunen und quietschen. Mit jedem Schluck tun die Ohren ein bisschen weniger weh.

4. Der Dreck

Kinder können bis ins Teenageralter nicht essen, Zähne putzen, Hände waschen, spielen oder einfach existieren, ohne dass es eine verdammte Sauerei gibt. Wie soll man denn nicht dauergenervt sein bei all der Putzerei? Genau, Alkohol.

5. Die Freunde

Kinder haben bestenfalls Freunde und allerbestenfalls sind die okay. Wenn nicht, muss man aushalten, dass total blöde, hässliche, nervige Kinder einem die Regale ausräumen und den Kühlschrank leerfuttern, und das eigene Kind wird in dieser Gesellschaft oft auch nicht unbedingt toller. Also schöntrinken? Absolut.

6. Die Egozentrik

Schau mich an! Hallo! Hallo! Hallo! Schau mal! Schau, wie toll ich das kann! Nicht wahr, ich mach das toll? Wie toll mach ich das? Hat das schon mal jemand toller gemacht als ich? (Nein, es hat noch nie in der Geschichte der Menschheit auf der ganzen Welt jemand toller Joghurt gegessen als du. Prosit.)

7. Die Langsamkeit

Alles … dauert … ewig. Bisschen angetrunken, ist man selber auch langsamer.

8. Der Ekel

Rotzverschmierte Nasen, Popel in den Haaren, eingespeichelte Essensreste überall, vollgekackte Windeln, ohne Rücksicht platzierte Fürze, Schorf auf dem Kopf, Sabber.

9. Die Sorgen

Kinder verletzen sich ständig, sie fallen einfach so hin, sie gehen weg, ohne was zu sagen, sie wollen nichts von dem essen, was auf den Tisch kommt, aber alles, was auf der Strasse liegt und giftig aussieht. Sie sind am Leben. Auf dieser Welt. Wir wissen, was noch alles auf sie zukommt. Grosser Kloss, runterspülen.

Die Autorin schreibt anonym.

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14 Kommentare zu «Best of: Warum wir Mütter trinken»

  • David Gehle sagt:

    Zum Weiterlesen: „Die Radiotrinkerin“ von Max Goldt

  • KasparS sagt:

    Absolut zutreffend. Ein Punkt fehlt: Eltern müssen ihr Ego dermassen zur Seite stellen, dass es pro dissoziativ ist. Geht, aber zehrt an den Nerven. Die dann im Umgang mit den kleinen fehlen. Und was gibt da einen zweiten schnauf? Hejo. Ein kleiner apero.

  • Elisabeth sagt:

    Wo gibt es denn Spielplätze mit Bars? Ich war offenbar am falschen Ort. Immer.

  • Claudia F. sagt:

    Und die verbiesterten selbstgerechten Antworten einiger Frauen hier zeigen doch deutlich warum dieser Artikel geschrieben wurde… Und warum die Autorin eben ab und zu Alkohol braucht. Unfassbar, da schreibt jemand im ironischen Stil, sehr lustig über all das was eben wahr ist – jeden Punkt kann ich bestätigen,!… Und dann kommen spassbefreite Moralapostel daher, die wahrscheinlich aber auch im wahren Leben alles und jeden kritisieren.!
    Waaas? Kaiserschnitt? Pah!
    Waaas, du stillt nicht?
    Waaas, du gehst arbeiten?
    Waaas, du kaufst den Kuchen?
    Waaas, du kochst nicht täglich frisch?

  • Thomas Hürlimann sagt:

    Ja genau Sonja
    So kann ich das auch. Zeit mit sich selbst verbringen.
    Braucht schon noch viel, um einen ganzen Tag alleine zu verbringen.
    Aber es lohnt sich, gerade heute, danach taucht man wieder in das Alltagsleben zurück und freut sich auf die nächste Chance es wieder zu tun.

  • David Klein sagt:

    Ich kann diese «Autorin» nur bedauern. Klar, der Text soll humorvoll gemeint sein, als Satire gewissermassen, so wie der WDR das unlängst vormachte. Aber wer sich für seine Kinder nicht interessiert, ihnen nicht zuhören will, sich von ihnen genervt, gestresst, angeekelt fühlt, sollte doch am besten gar keine bekommen. Ich geniesse (fast) jeden Augenblick mit meinen Kindern und dass ich irgendwann nicht mehr für sie da sein kann, treibt mir die Tränen in die Augen. Ich trinke übrigens keinen Alkohol, nie, und nehme ausser Zucker keine Drogen. Hundehalter brauchen eine Marke, Angler einen Schein. Wann kommt endlich der Elternführerschein..?

    • Albina.Salvadore sagt:

      Bin auch Deine Meinung David, diese Mütter die Wein trinken müssen um ihre Mutter Aufgaben erledigen zu können, sind einfach unreif und schwach.
      Unsere Kinder wachsen so schnell und werden so schnell Erwachsen, dass man wenn sie klein sind jede Sekunde geniessen sollte.

  • Andrea sagt:

    Als mittlerweile erwachsene Tochter einer Alkoholikerin ist dieser Artikel einfach nur traurig zu lesen. Alkohol wird verharmlost. Danke!

    • Andreas sagt:

      Liebe Andrea
      Ich verstehe Dich nur zu gut. Meine Mutter hat zwar keinen Alkohol getrunken. Dafür aber die Mutter meiner Kinder…
      Alkohol ist schön und OK in kleinen Mengen. Aber sobald mehr oder regelmässiger Konsum gefährlich. Eine Gratwanderung…
      Dieser Artikel ermutigt Mütter zu trinken (mit teils weitreichenden Folgen) und das ist nicht gut.
      Trinkt eine alkoholfreie Alternative!

  • Martin Portmann sagt:

    Danke für diesen Artikel. In der heute ach so properen Welt ein Lichtblick. Politisch, moralisch, gesellschaftlich und sowieso absolut bedenklich. Und so wahr. Was für eine Wohltat.

  • Maria-Antonia Murlasits sagt:

    Schreiben in angetrunkenem Zustand ist jedenfalls nicht verboten. – So fahren hiesse hingegen in juristischen Kreisen „Fiaz“. Damit sind keine Wiener Fiaker gemeint. Die dürfen auch.

  • Sonia sagt:

    Eine Person, die keine Interessen oder inneres Leben hat und die nicht liest, wird sich langweilen. Ich bin 70 Jahre alt und habe mich in meinem Leben nie gelangweilt, auch wenn mein Kind noch nicht in der Schule war. Ich kannte niemanden in der Stadt, aber ich machte Ausflüge mit dem Kinderwagen, las die Zeitung, erkundigte mich, kurz gesagt, ich hatte keine Minute, um mich zu langweilen, ich habe immer viel gelaufen, und dies auch heute noch ! Ich könnte fast sagen, ich brauche niemanden um mich zu verweilen.

    • Maria-Antonia Murlasits sagt:

      Das kann ich gut nachvollziehen. „Leben ist Problemlösen“; schrieb schon der Philosoph Karl Raimund Popper. Und da hat man immer etwas zu tun. Und es droht keine Langeweile. Interesse an Dingen, kommt auch von innen.

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