Schluss mit Fernbeziehung

Trotz Skype und Whatsapp: Seinen Lieblingsmenschen nur am Wochenende zu sehen, ist auf die Dauer kein erträglicher Zustand.

Eine Fernbeziehung fühlt sich manchmal richtig gut an – meistens aber nicht. Foto: iStock

Meine Güte, das war anstrengend. Wenn Sie diesen Text lesen, dann sitze ich mit meiner Familie in den österreichischen Bergen und erhole mich ein wenig vom zurückliegenden Jahr. Hinter mir liegen neun Monate Einzelkampf in der Betreuung meiner Kinder, etliche Artikel und Projekte, eine Handvoll Läusepestausbrüche, ein Manuskript mit darauffolgender Korrekturphase und ungefähr noch zwölf Millionen andere Sachen.

Vor mir liegen noch ein paar Januarwochen, die ich in Norddeutschland abzureissen habe, und ein Umzug, von dem alle Freunde und Bekannte wissen wollen, ob er mich nicht schon «total stresst». Worauf ich jedes Mal kurz in mich reinhorche, um anschliessend für sie und für mich festzustellen: «Eigentlich nicht.» Stress ist etwas anderes. Stress, das ist Leben auf Distanz zu ihr.

Meine Lebenskomplizin hat sich beruflich neu erfunden, fünf bis sechs Stufen auf der Karriereleiter übersprungen und ist zu diesem Zweck dann mal weggewesen. Wir haben das miteinander ausgebrütet, verhandelt, besprochen, organisiert und schliesslich auch durchgezogen. Die Entscheidung fühlt sich nach wie vor sehr richtig an. Und es war nicht nur trotz allem, sondern oft auch gerade wegen des Wissens um die Kostbarkeit der gemeinsamen Momente ein gutes Jahr.

Mit tollen Reisen, die so überhaupt nicht planbar waren, aber dann doch irgendwie stattgefunden haben. Mit Wochenenden, die nicht nur deshalb grossartig sind, weil man bei bestem Wetter und bilderbuchgutgelaunten Kindern einen Strandspaziergang macht, sondern weil man sich beim Wochenendeinkauf im Supermarkt an der Kasse verliebte Blicke zuwirft, während sie zahlt und er einpackt. Oder weil man sich so darüber freut, mal wieder seinen Lieblingsmenschen bekochen zu dürfen, dass einem das Genöle der übrigen Mitesser über Gemüsesorten, Bratenkonsistenz, Himmelsausrichtung des Tisches, Sitzplatzverteilung, Becherfarbe, dies und das vollkommen egal ist.

Luft anhalten und durch

Fernbeziehung sind also nicht nur die Sonntage, an denen man sie zum Bahnhof bringt, kaum mehr die Kraft aufbringt, seine Sehnsucht beim Abschied herunterzuschlucken, und dann in ein Haus zurückfährt, in dem alle praktisch ununterbrochen was von einem wollen. Fernbeziehung sind auch die Kapitel aus dem Buch, die sie dir abends vorliest und als Sprachnachricht schickt, weil sie weiss, wie sehr dir ihre Stimme fehlt. Oder die Hinweise per Messenger auf ein Möbelstück, das sich ganz wunderbar in dem neuen Haus machen würde. Fernbeziehung kann sich auch richtig gut anfühlen.

Trotzdem: Schluss damit. Länger halte ich das nicht mehr aus. Ich will nicht nur nicht mehr fortwährend alleine für die Bedürfnisse meiner Kinder zuständig sein, ich will vor allem meine Lebenskomplizin zurück. Nicht nur als Bonus, sondern als Dauerzustand. Nicht als Wellnesspaket, sondern als Atemluft. Für mich ist Fernbeziehung mit ihr wie Apnoetauchen. Unter der Woche wird die Luft angehalten und alles irgendwie erledigt, während einem zum Freitag hin allmählich kleine schwarze Punkte vor den Augen tanzen. Und sobald sie den Flur betritt, atmet man sich erst einmal minutenlang ihre Anwesenheit in den Blutkreislauf, bis man wieder einigermassen bei Besinnung ist.

Dass ich über die Feiertage ganze zwei Wochen am Stück mit ihr verbringen darf, verschafft mir Zeit genug zum Luftholen, um danach den Januar aus dem Weg zu räumen.

Passt es noch?

Aber bei aller Freude über unser baldiges Zusammenkommen am selben Ort: An einigen Teilen unserer Beziehung werden wir ganz schön ruckeln müssen, wenn wir versuchen, uns wieder zusammen zu puzzeln. Andere passen vielleicht gar nicht mehr. Manche Dinge fallen einem im gemeinsamen Alltag gar nicht weiter auf, während sie unter dem Fernbeziehungsmikroskop plötzlich sehr deutlich erkennbar werden.

Dass ich offenbar gar nicht so der Netflix-and-Chill-Typ bin, war mir bisher gar nicht so klar. Das macht die gemeinsame Abendgestaltung ab Februar – sagen wir einfach mal optimistisch – interessanter. Ausserdem bin ich inzwischen daran gewöhnt, alles alleine zu regeln, ohne dass jemand meine Entscheidungen hinterfragt. Dahinter zurückzutreten, wird sicher auch nicht einfach. Sei es drum, das ist es in jedem Fall wert.

Wenn Sie also in den nächsten Tagen von irgendwoher keuchende Geräusche hören, erschrecken Sie nicht: Das bin nur ich. Ich hole Luft für die letzten Meter Fernbeziehung.

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23 Kommentare zu «Schluss mit Fernbeziehung»

  • Anh Toàn sagt:

    „Meine Lebenskomplizin hat sich beruflich neu erfunden, fünf bis sechs Stufen auf der Karriereleiter übersprungen und ist zu diesem Zweck dann mal weggewesen. “

    Die hätte sich bei Ihrem Papablog Kollegen schlau machen sollen, wie man Karriere neu denkt, dann wäre nicht notwendig, dann mal weg zu sein.

    Würde mich jetzt sehr freuen, aus den beiden Beiträgen der Papablogger eine Diskussion zu machen. Der eine schreibt, wie die Partnerin für Karriere dann mal weg war, der andere darüber, dass man sich, um es etwas böse zu sagen, Karrieren halt ausdenken soll.

  • Vreni sagt:

    Die Mütter wollen sich einfach den Kinder nicht mehr widmen. Das ist es. Kinder werden Nebensache. Aber es gibt doch die Pille. Warum will man dann Kinder und umsverr…. Karriere machen ? Oder dann man hat eine prima Gouvernante daheim aber die will man natürlich nicht bezahlen.

    • Tamar von Siebenthal sagt:

      Wieso Gouvernante? Bei Pickerts kümmert sich der Mann um die Kinder. Ist Ihr Ehemann nicht fähig dazu?

      • Vreni sagt:

        in diesen Fällen arbeiten beide, also eine Gouvernante ist bezahlbar.

      • Nala sagt:

        Und dann kriegen die Kinder ein Fräulein Rottenmeier. Nicht auszudenken. Dann doch lieber den Papa. Scheinbar klappt(e) es ja, nur dass es halt mit der Fernbeziehung anstrengend ist, weil Man(n) sich sehnt. Für mich hörte sich der ganze Blog eher wie eine Liebeserklärung an. Wunderschön, dass er sich freut, wieder Lebenskomplizin zusammenleben zu dürfen.

  • Tamar von Siebenthal sagt:

    Ich habe am Anfang der Beziehung zu meinem Mann ebenfalls eine Wochenendbeziehung geführt und diese ist mir als anstrengend in Erinnerung, zumal auch diese Beziehungswochenenden nichts mit Honey-Moon gemein hatten, sondern schlicht vom Alltag geprägt waren. Unter der Woche Kinder, Job und Haushalt. Am Wochende Kinder, Partner, Hof und Haushalt.

    Unsere Beziehung war von Anfang an alles oder nichts. Vielleicht funktioniert es mit uns deshalb so gut, weil wir einander nie im Sonntagsgesicht gekannt haben, sondern von Anfang an die Karten offengelegt haben.

  • 13 sagt:

    Ich bin wirklich nicht nah am Wasser gebaut, aber das ging sehr nahe. So treffend geschrieben und wirklich nachvollziehen kann man es wohl nur, wenn man es erlebt hat. Und trotz (Vor-)-Freude dauert es oft ein paar Wochen, bis die Alltagsabläufe wieder auf 2 Personen verteilt sind und man nicht das Gefühl hat, dass der andere irgendwo reinfunkt. Und dann merkt, dass der Umstand, dass der andere da ist, die Tatsache, dass nun schon wieder ständig schmutzige Socken herumliegen, einiges wertvoller ist.

    • Brunhild Steiner sagt:

      „Und dann merkt, dass der Umstand, dass der andere da ist, die Tatsache, dass nun schon wieder ständig schmutzige Socken herumliegen, einiges wertvoller ist.“

      Sehr schön formuliert, diese Sichtweise kann auch sonst abfedernd wirken; anstatt die Motzschiene ausbauen (und Material würde man wohl ewig finden) mich aufs Erfreuliche fokussieren. 😀
      (das ist kein Apell sich alles gefallen-lassen-müssen, schon gar nicht destruktives)

  • markus kohler sagt:

    Das ist ein ergreifender Text. Grosses Kompliment dafür. Liest sich wie poetische Prosa. Endlich mal nicht die unendliche Toleranz und das die „genderkorrekte Submission“ des Mannes.
    Danke Herr Pickert, ich werde sie fortan diesbezüglich zitieren, einen Blog auf diesem literarischen Niveau habe ich bisher nie gelesen.

  • alam sagt:

    So schön geschrieben! Ein Genuss zum Lesen… und keine(r) merkts, alle suchen nur ein Haar in der Suppe.

  • Carolina sagt:

    Ein sehr guter Text! Wir haben als Paar beide Varianten erlebt, einmal war ich die Abwesende, beim anderen Mal mein Mann. Nach dem ersten Mal Fernbeziehung hatten wir, zu unserer Überraschung, Schwierigkeiten, unserer Beziehung neues (Alltags-)Leben einzuhauchen, nach der zweiten hatten wir bereits Kinder, was seine eigenen Probleme mit sich bringt. Trotzdem würden wir es wieder genau gleich machen, denn letztlich kann man nicht alle Herausforderungen des Lebens einfach ignorieren, bloss weil sie ein Umdenken erfordern. Einen Rat würden wir geben: beide Partner müssen freiwillig mitmachen, Selbstverwirklichung auf Kosten eines Partners funktioniert nicht auf lange Sicht. Und wenn man dann noch mit offenem Visier an die Sache rangeht wie NP, ist es gut.

  • Reto Walther sagt:

    Tatsächlich trefflich beschrieben. Wenn man sich – wie es bei uns über 15 Jahre der Fall war – jeden Monat nur eine Woche sieht, freut man sich aufeinander, gibt sich Mühe wie beim ersten date, die Wohnung ist auf-, Alltagstrott und Konfliktpunkte ausgeräumt. Gleichzeitig sollte in der kurzen Zeit aber auch alles Aufgeschobene „passieren“. Danach geht’s nach „Hause“, beglückt, aber irgendwie auch froh um seinen dortigen Freiraum.
    Wenn man wieder definitiv zusammen zieht, schleicht banaler Alltag ein, liegen die Löffel auf der falschen Seite in der Besteckschublade und die Socke im Bad, muss man sein „perfekt“ eingerichtetes Leben wieder zur Hälfte fremdbestimmen lassen. Und sind Kinder da, muss man sich zudem wieder auf neue Familiendynamik und Erziehungsalltag einigen.

  • Maike sagt:

    Was sind sie doch für ein Weichei ! Sie beschreiben da einen Zustand, den Tausende von Müttern ertragen müssen, weil der Göttergatte an seiner Karriere werkelt.
    Aber die Frau hat ja da zu sein wo der Mann ist oder ?
    Zum einen schreiben Sie, das sie – nicht mehr fortwährend alleine für die Bedürfnisse meiner Kinder zuständig sein – wollen, zum anderen – Dahinter zurückzutreten, wird sicher auch nicht einfach. Also wie denn nun ?
    Sie haben es mit Ihrer Lebensgefährtin so abgesprochen, seien Sie jetzt auch Mann’s genung, das durchzuziehen.
    Und seien Sie froh, das Ihnen bei Ihrer ganzen Jammerei Ihre Lebensgefährtin nicht den Laufpass gibt, weil sie auf Ihrer Seite Blut geleckt hat. Oder gar jemand anderes gefunden hat, der nicht so jammerig ist…..

    • Carolina sagt:

      Wahrnehmung ist schon etwas Interessantes…. Wo sehen Sie hier Jammerei? Ich lese einen Bericht, der alle Vor- und Nachteile einer Fernbeziehung aufzeichnet, dis Höhen und Tiefen und die Bewertungen, die natürlich erst möglich sind, wenn man, wie Familie Pickert, diese Erfahrung macht bzw gemacht hat. Was weicheiig daran sein soll, zu den zwiespältigen Gefühlen und Sorgen zu stehen, entzieht sich mir.

      • Maike sagt:

        Ich helfe gerne:
        Gleich der erste Satz – Meine Güte war das anstrengend. Dann wird von 9 Monaten Einzelkampf gesprochen und von 12 Millionen anderen Dingen, die der arme Herr Pickert zu tun hat.
        Der gute Herr Pickert hat ja zumindest noch jemanden an seiner Seite – aber es gibt hunderte von alleinerziehenden Vätern und Müttern, die niemanden, auch nicht an Wochenenden oder Urlauben mehr haben.
        Ich war mit meinem Mann 6 Jahre in so einer Fernbeziehung inkl. zwei kleinen Kindern. Er in Hamburg ich hier in Zürich und das noch zu einer Zeit ohne Skype und WA. Telefonieren war da angesagt und mehr nicht.
        Gebe zu, es war nicht immer einfach, aber wir haben gewusst, worauf wir uns eingelassen haben. Aber jeder hat dem anderen geholfen, wenn er mal einen Durchhänger gehabt hat.

    • Sportpapi sagt:

      @Maike: Die Tausende Mütter klagen ja durchaus auch.

  • Peter Muster sagt:

    Entspricht etwa der Beziehung zwischen Kindern und getrennten Vätern, die sich alle zwei Wochen sehen dürfen. Mit einigen kleinen Unterschieden: Meist Unfreiwilligkeit als Basis, Unersetzbarkeit der Beziehung zu den biologischen Eltern, Förderung asymmetrischer Beziehungen durch unseren Rechtsstaat und auch der Diskriminierung der Rechte von Kindern zu ihren Vätern.
    Frohe Weihnachten, per skype natürlich…

    • Tamar von Siebenthal sagt:

      Sie vergessen, jene getrennten Eltern (meist Väter) zu erwähnen, denen alle zwei Wochen noch zuviel ist und den Kontakt von sich aus auf drei Mal jährlich beschränken. Schliesslich hat Super-Dad noch Hobbys und Freunde. Verständlich, dass da die Kinder an letzter Stelle stehen. Das war ja schon vor der Scheidung so, deswegen auch die Scheidung.

      • Sportpapi sagt:

        @Tamar: Es ist nicht das Gleiche, ob der Staat sich falsch verhält, oder einzelne Menschen.
        Und auch sonst gehört die Bemerkung eigentlich nicht wirklich dazu.

  • Niklas Meier sagt:

    „Netflix-and-Chill“ bedeutet nicht vor dem TV hängen und Netflix schauen.
    Ich hoffe, Sie wissen das, wenn die Tochter (resp. der Sohn) dereinst zu „einem Freund“ zu „Netflix-and-Chill“ verabschiedet.
    Einfach mal googeln

    • Nils sagt:

      Inzwischen bedeutet es das nicht mehr, das ist richtig. Ich meinte das aber tatsächlich in der Couch und Glotze Version und nicht in der Knick Knack Elternsex Variante.

  • Rolf Rothacher sagt:

    Klug geschrieben, weil direkt aus dem Leben, wenn es auch ein Leben ist, das nur wenige Menschen (unter 1% der Menschheit) so erleben. Doch da der Mensch abstrahieren kann, sind doch wertvolle Erkenntnisse zu finden, vor allem gegen Schluss, wenn es darum geht, dass man die eigenen Freiheiten (des Entscheidens) plötzlich wieder teilen muss. Trifft für Singels auf Partnersuche genauso zu, wie für alte Ehepaare, die sich auseinandergelebt haben.

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