Warum ich gerne vierzig bin

Auch wenn ihn die Familie oft zur Weissglut treibt: Unser Autor ist glücklich. Ein Bericht aus dem Leben eines alternden Vaters.

Endlich im Leben angekommen: Vierzig werden hat auch viele Vorteile. Foto: Getty Images

Ende des Jahres ist es vorbei: Die halb scherzhaft, halb ernst gemeinte Bemerkung «Ich gehe straff auf die vierzig zu» wird in ein paar Jahren von «Ich bin ja jetzt auch schon über vierzig» abgelöst werden. Fast möchte ich sagen: endlich.

Natürlich gibt es hier und da ein paar Alterserscheinungen, auf die ich gut verzichten könnte. Je älter ich werde, umso anfälliger für Dunkelheit und Kälte werde ich. Ich bin eine richtige Wettermimose. Jacken anziehen, ausser, wenn man spätabends noch auf der Terrasse des Ferienhauses sitzen bleiben möchte, finde ich eine Zumutung. Und Sport mache ich nicht etwa, um meine Fitness zu verbessern, sondern lediglich als absolut notwendige Gegenmassnahme zum Altersschwund, damit ich nicht unbeweglich wie ein totes Stück Holz werde.

Vierzig werden hat Vorteile

Bislang funktionierte das ganz gut. Nur wenn ich einen vollen Tag in Zug oder Auto unterwegs war oder die ganze Woche keinen Sport getrieben habe, dann knacken die Gelenke, sobald ich die Hände in Richtung Füsse bewege. Es klingt, wie wenn man als Kind auf dem Speicher seiner Grosseltern herumgeschlichen ist, um zwischen all dem alten Plunder nach wertvollen Schätzen zu suchen, obwohl man nicht durfte. Weil man so leise wie möglich schleicht, ist das Knirschen im Gebälk umso ohrenbetäubender. Und ich bin der Speicher.

Aber vierzig werden hat auch viele Vorteile. Mit Ende zwanzig ist man so hin- und hergeworfen zwischen der Aufarbeitung der Kindheitswunden, dem prallen Leben als junger Erwachsener und den Verantwortlichkeiten, die man nicht mehr länger anderen aufschieben kann.

Mit Ende dreissig ist man im besten Sinn des Satzes «zu alt für den Scheiss». Mir jedenfalls geht es so. Zwischenmenschliche Rechnungen, die ich früher unbedingt begleichen wollte, Ärgernisse, die mich gleichermassen angetrieben wie gehemmt haben, und Unsicherheiten, die wirklich komplett überflüssig waren – für all das bin ich zu alt.

Dann richtet man das Elternkrönchen wieder auf

Ich mag das Gefühl, in dem Leben angekommen zu sein, das ich immer wollte. Mit der Lebenskomplizin, die ich immer geliebt habe. Als ich sie das erste Mal sah, hatte das Wort Zuhause plötzlich Augen, ein Lächeln und einen Geruch. Als ich sie das letzte Mal sah, habe ich sie nach zwei Wochen wiedergesehen und mich in sie verguckt. Erstaunlich, dass das nach über zwanzig Jahren Beziehung noch so funktioniert. Aber sie hatte noch ein paar Sommersprossen aus den letzten Italienferien übrig, an denen ich mich im kommenden Winter wärmen kann. Sie hat einen dreckigen Witz gemacht, über das Wetter gelacht und mich geküsst. Zuhause eben.

Das Gute an vierzig werden ist, dass man weiss, was das alles wert ist, und was es gekostet hat. Das Gute an vierzig werden ist, dass man nicht mehr darüber ausrastet, wenn man sich zwei Wochen nicht sieht, sondern den Familienalltag, inklusive Umzugspläne, Schulwechsel, neuen Job und Krippensuche als Pingpongspiel organisiert, bei dem niemand verlieren muss. Mit Videochats beim Abendessen und Kettenanrufen bei Versicherungen und Stromanbietern. Mit Nerven, die mal der eine und mal die andere verliert. Anschliessend sammelt man sie gemeinsam ein, tackert sie fest, richtet das Elternkrönchen und steht wieder auf.

Und gerade wenn man völlig am Verzweifeln ist, weil man vier Arzttermine wahrnehmen müsste, der Abgabetermin für das Buchmanuskript einem die Ohren langzieht, die Kinder im Badezimmer ein «Haarbürste gegen Klobürste»-Duell ausfechten (Fragen Sie bitte nicht, wer gewonnen hat!) und niemand das Essen isst, das sich alle gewünscht haben, dann seufzt man dreimal tief und erinnert sich daran, dass man genau dafür unterschrieben hat. Ich wollte vier Kinder, für die ich zumindest temporär auch die Hauptverantwortung tragen kann.

Es ist jede einzelne Mühe wert

Und es gibt wirklich Schlimmeres, als wenn man sich als Paar nach zwei Jahrzehnten noch vermisst. Nicht nur als Erziehungspartnerin und Haushaltsbezwinger, sondern als «Wann hab ich dir eigentlich das letzte Mal gesagt, dass du die Liebe meines Lebens bist?» und als «Deinen süssen Hintern muss ich nachher dringend aus dieser Jeans auspacken!»

Genau genommen gibt es nicht viel, was besser ist. Ja, es ist anstrengend. Ja, die Kinder sind Stresskobolde, die 20 von 21 Plänen lachend kaputt hauen. Ja, es treibt mich wahlweise zur Weissglut oder in die totale Erschöpfung. Meistens in beides gleichzeitig. Aber es ist jede einzelne Mühe wert. Auch in meinen Vierzigern.

 

Lesen Sie weiter:

8 Gründe, warum das Leben ab 40 besser wird

War früher alles besser?

28 Kommentare zu «Warum ich gerne vierzig bin»

  • Ausgeträumt sagt:

    Mit 40 ist es höchste Zeit. Wenn du wirklich auf deinen eigenen Beinen stehen und ein intellektueller Erwachsener werden willst, dann sieh in den Spiegel! Der wichtigste Wert, an den du dich halten solltest, ist Überzeugungsveränderung. Du musst deine Ansichten auf Basis von Vernunft und Nachweisbarkeit revidieren.

  • Sandra sagt:

    Danke, ein grossartiger Artikel. Mich hat berührt wie du über deine Partnerin schreibst und zum Lachen gebracht, wie du über deine Kinder schreibst. Well done.

  • Doris sagt:

    Mit vierzig ist man/frau attraktiver als jemals zuvor, denn jetzt kommt noch eine erworbene Lebenserfahrung dazu. Nicht krampfhaft auf jung machen, sich nicht über das Alter beklagen, in jedem Tag das Schöne sehen (wollen) und genügend für die Gesundheit tun.

    • Valentin B. sagt:

      Geehrte Doris
      Mit 40 ist Frau meistens interessanter aber niemals attraktiver (im herkömmlichen Sinne) als eine 20 Jährige! Also ich bitte Sie!

      Und Herr Pickert. Das gute an 40 ist, dass die Kinder schon ca. 15 und aus dem gröbsten raus sind!
      Ach, wir sind ja in Zürich wo Mann und Frau bis 40 warten um eine Familie zu gründen …. da gilt das natürlich nicht.

  • Hans sagt:

    Weniger Schlafen müssen (von 8 auf 6 Std) und früh aufstehen können ohne Identitätskrise oder Erklärungsnöten.

  • Reto Huber sagt:

    Warum nicht Papa Blog?? 19. November wäre da ein guter Tag. Ist Internationaler Männertag.

  • Nana sagt:

    Oh, danke, das tut gut!

  • Tom sagt:

    Wie der Tagi berichtet, hat jeder Vierte mit 45 Erektionsprobleme. Da ist man doch lieber erst 40.

  • tina sagt:

    der text ist wirklich schön!

    • Tofa Tula sagt:

      Stimmt ja. Trotzdem scheint der Mann alt, wenn er schon mit vierzig so über das Altern schreibt, in einer Zeit wo fast jeder erwarten kann, über 83 Jahre alt zu werden (und ab 50 aus dem aktiven Arbeitsleben ausgesondert zu werden). Irgendwie paradox.

  • Lina Peeterbach sagt:

    Die besten Texte bekommen immer die wenigsten Kommentare. Das liegy daran, dass es nichts mehr hinzuzufügen gibt. In diesem Sinne einfach Danke vielmals, und viel Spass in den kommenden 40 Jahren 🙂

  • andy sagt:

    Mit 40 weiss man, was möglich war und noch zu schaffen sein könnte.
    Besonders glücklich?
    Eher gut geerdet.

    • tststs sagt:

      Geerdet, und dadurch eben auch glücklicher.
      „Warum nur in die Ferne schweifen,
      sieh, das Gute liegt so nah.
      Lerne nur das Glück ergreifen,
      denn das Glück ist immer da.“
      Das ist doch die Erkenntnis, die sich so langsam mit 40 einstellen sollte…

      • andy sagt:

        @lispler
        Sie sind offenbar noch nicht sehr reif.
        Zufriedenheit ist das Mass auf lange Sicht.
        Glück ist flüchtig und sehr rar, also eher Superlativ als real ständig greifbar.
        Die kleinen Dinge, die keine menschliche Rohheit je schaffen könnte, geben Zufriedenheit am Sein.
        Vorallem sollte man auch mit 40 nicht aufhören zu lernen und genaustens zu beobachten.

  • Marie Bornand sagt:

    Ich habe diesen Text gerne gelesen. Mit 40 hatten meine Eltern 4 Kinder, fast alle schon erwachsen und arbeitend. Alle 4 waren ok ihr ganzes Leben hindurch. Meine Eltern hatten mit ca 35 Jahre ihre eigene Firma (erfolgreich) aufgestellt und wir hatten keine Haushaltshilfe : meine Mutter machte das Büro, kochte alsofür 6 Personen, hatte einen grossen Gemüsegarten + ein schöner Blumengarten + Hund und Katzen. Ich frage mich : WIE konnten meine Eltern dies alles tun ? Was für eine Kraft. Sonntags gingen wir spazieren oder spielten Monopoli im Winter, denn auch Samstags arbeiteten sie von früh bis abends. Ein Lob meinen fleissigen und seriösen Eltern.

  • 13 sagt:

    Sehr schön geschrieben. Auch wenn ich noch gute 2 Jahre „Schonzeit“ habe, bis die 40 läutet, so empfinde ich es im Hinblick darauf ähnlich. Es freut mich zu merken, dass die während der letzten 2 Jahrzehnten dauernde Phase des „Lebens auf der Überholspur“ beruhigt und so langsam alles in seine Bahnen kommt, auch wenn (hoffentlich) noch vieles vor einem liegt. „Bei sich abgekommen“ ist ein guter Ausdruck für das Gefühl. Und wenn dieses „bei sich“ gleich neben einem anderen Menschen ist, so ist das umso schöner.

    • tina sagt:

      ich finde eher, „in seinen bahnen“ lief es in der zeit, in der ich meine kinder grossgezogen habe. da war ganz klar, wo die prioritäten liegen und ich stand hinten an (liegt aber natürlich daran, dass ich meine kinder allein grosszog, ohne hilfe).
      jetzt aber, wo sie gross sind, und wir zwar noch zusammen leben, aber ich nicht mehr verantwortlich bin für sie, kann ich wieder anfangen darüber nachzudenken, was ich denn noch so hübsches mit meinem leben anfangen möchte. kinder grossziehen war die sinnvollste phase in meinem leben. aber ich war halt permanent runtergekämpft. endlich habe ich wieder luft und kann mich wieder um mich kümmern. das ist wirklich toll. und nun bin ich sogar 50 und mir tut immer noch nichts weh. inzwischen weiss ich das extrem zu schätzen.

      • tina sagt:

        von hier aus ist ganz viel möglich. aber ich weiss auch wies geht, mit dem leben, wo meine grenzen sind und was mir gut tut

      • 13 sagt:

        Liebe tina,
        Das gönne ich Ihnen von Herzen. Sie haben es sich, wie jedes alleinerziehende Elternteil verdient.
        Wir sind noch mitten in der Kindergrossziehen-Phase, daher trifft Ihre Annahme zu, aber die letzten 15-20 Jahre waren geprägt von Familiengründung, Aus- und sehr anspruchsvollen Weiterbildungen, Bau, Firmengründung etc. Toll und turbulent zugleich. Ich hoffe nun, aus meinen privilegierten (nicht geschieden, gesund, gut ausgebildet, aus stabilem Umfeld) Möglichkeiten das Beste gemacht zu haben, was ich konnte und freue mich daher auf einige hoffentlich ruhigere Jahre. Wenn ich 50 werde, werden 2 von 3 Kindern volljährig sein, das dritte fast und dann kommt sich etwas anderes. Wie sich das anfühlt, sage ich Ihnen dann in 10 resp 13 Jahren 😉

      • tina sagt:

        achso, deine letzten 20 jahre waren ja nicht mit kindergrossziehen gefüllt, das habe ich nicht einkalkuliert :). stimmt natürlich, die 10 jahre bevor ich kinder hatte, waren auch gar nicht „in geordneten bahnen“.
        dankeschön :)!! auch dir weiterhin gutes gelingen und die notwendige portion glück

      • 13 sagt:

        Nein, ich bin erst bei 11 😉

  • Ann sagt:

    Die Gelassenheit gegenüber dem Leben, die sich ungefähr zwischen 40 und 50 einstellt (ich bin Ende 40), führe ich auf das Gelebte und Erlebte zurück. Man kann, man darf, aber man muss nichts. Und schon gar nicht, jemandem etwas beweisen. So fühlt es sich für mich an – angekommen.
    Die Blog-Zeilen passen also auch um die 50 herum. Und ich vermute mal, auch später noch – einfach mit ein paar körperlichen Einschränkungen mehr…aber auch dies gehört zum Leben.

  • Tamar von Siebenthal sagt:

    „Mit der Lebenskomplizin, die ich immer liebte. Als ich die das erste Mal sah, hatte das Wort zuhause Augen“ Zitat Ende

    Mich berühren diese Zeilen ungemein, widerspiegelt es doch genau das, was ich beim ersten Date mit meinem jetztigen Ehemann erlebt habe. Beim ersten Anblick von ihm war mein Gedanke, „das ist also meim zukünftiger Mann“ und als er mir sein Haus zeigte, „das ist jetzt also mein zuhause“. Ich musste über 40 werden, um mich endlich zuhause zu fühlen und glücklich zu sein.

    Die Sicherheit, die mein Mann mir gibt, hat auch dazu geführt, dass ich endlich ungesunde „Leute“ aus meinem Leben entfernen konnte und kann, darunter auch eine Person, die man allgemein als Schwester bezeichnet.

    • Tamar von Siebenthal sagt:

      Die Wunden sitzen noch immer tief und werden es wohl auch bleiben, aber immerhin ist einem nicht mehr kotzübel im Wissen, dass man diese Personen in Kürze treffen muss.

  • Maike sagt:

    Ein Tip von einem 60+ Menschen – vergessen Sie ihr Alter ! Man ist so jung wie man sich fühlt. Und vor allem – keine Vergleiche mit anderen. Vorallem nicht mit solchen Menschen, die einem diese Ratschläge – das macht man nicht in deinem Alter – geben.
    Ich trage immer noch gerne meine HighHeels und eine enge Jeans, lege meine Haare nicht in eine silbergrauviolette Dauerwelle und löte auch keine Tiffanylampen. Mit meinem Mann gehe ich immer noch gerne zu lauten Konzerten und waren dieses Jahr auf dem Burning man in Nevada. Sollten Sie eine Sinneskrise bekommen – hier wird ihnen geholfen !

    • tststs sagt:

      Würde ich auch sagen!
      Was Herr Pickert – ganz berührender Text übrigens, Chapeau – IMHO erreicht hat, ist einen gewissen Grad an Emanzipation (einhergehend mit Weisheit und Zufriedenheit), den so mancher mit hundertvierzig nicht erreicht!

  • Sportpapi sagt:

    Sehr schön!

  • Stefan sagt:

    Vielen Dank für den Blog.
    Auch wenn man manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht, darf man das Schöne nicht aus den Augen verlieren.
    Geht leider manchmal im Alltagstrott vergessen, umso schöner, wenn man es, auch dank dem Blog, wieder mal vor Augen geführt bekommt!
    In diesem Sinne allen einen gutes Ankommen in den Vierzigern.

Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Dies gilt insbesondere für ehrverletzende, rassistische, unsachliche, themenfremde Kommentare oder solche in Mundart oder Fremdsprachen. Kommentare mit Fantasienamen oder mit ganz offensichtlich falschen Namen werden ebenfalls nicht veröffentlicht. Über die Entscheide der Redaktion wird keine Korrespondenz geführt.