Verloren im Erziehungsdschungel

Was würde Remo Largo dazu sagen? Wer sein Verhalten ständig hinterfragt, dem dreht sich bald der Kopf. Foto: Getty Images
Es war nach einem Streit: Der Kleine hatte die Grosse beim Essen gestört. Sie reagierte grob und kniff ihn in den Arm. Die Nerven waren eh dünn, auch meine, denn die Stimmung war schon den ganzen Tag über angespannt gewesen. Und als der Kleine nun losbrüllte, wurde auch ich laut und wusste nichts Besseres, als der Grossen ein Handyverbot zu verpassen. Eine innere Stimme rief mir noch zu: «Das ist doch keine logische Konsequenz!» (Wie oft hatte ich gehört, dass Strafen mit dem unerwünschten Verhalten zu tun haben sollen?) Aber herrje … um geduldig über den Vorfall zu reden, war ich viel zu sauer.
Nun ist es ja nicht so, dass unsere Kinder sich zum ersten Mal gestritten hätten. Auch mein Lautwerden, ich gebs zu, war keine Premiere. Neu allerdings war an jenem Abend, dass wir es nicht schafften, die Stimmung bis zur Schlafenszeit wieder auf ein temperiertes Niveau zu hieven: Die Grosse hatte sich Türen knallend zurückgezogen, auch die anderen Kinder wirkten geknickt, und bei uns Eltern breitete sich Ratlosigkeit aus.
Irrlichtern oder erziehen?
Lange lag ich wach im Bett, während düstere Gedanken sich durch mein müdes Hirn bewegten und ich mich fragte: Wo sind wir heute falsch abgezweigt? Bald wurde es grundsätzlich, und schon jagte in meinem Kopf ein Erziehungsschlagwort das nächste: Müssten wir mehr Grenzen setzen? Oder pflegen wir den Dialog zu wenig? Sollten wir den Kindern mehr vertrauen, sie machen lassen oder doch konsequenter sein? Wäre in manchen Situationen ein Time-out sinnvoll? Oder brauchte es doch eher eine simple Umarmung? Vielleicht müssten wir mehr auf den Bauch hören? Doch tun wir nicht genau das, wenn wir impulsiv Handyentzüge anordnen? Nun, immerhin erziehen wir dann authentisch, was auch nicht falsch sein soll, letztlich jedoch ebenfalls ein Schlagwort bleibt.
Können Sie noch folgen? Ich auch nicht. Programmierte man aus den Inputs, die ich in gut 12 Jahren Mutterschaft bisher zum Thema Erziehung erhalten habe – von Ratgebern, Verwandten, Medienberichten, Freunden – eine Begriffswolke, würde sie den Bildschirm sprengen. In dieser Nacht fühlte es sich an, als sprenge sie meinen Kopf. Unser Elternalltag kam mir plötzlich vor wie ein blosses Irrlichtern in einem Dschungel aus pädagogischen Ideen. Aus verschiedenen Konzepten, die einzeln und in Theorie sinnvoll und einfach anmuten, denen strikt zu folgen sich aber in der Praxis oft als schwierig erweist (oder uns situativ auch mal widerstrebt), weil sie nicht immer passen – zu uns, zu unseren Kindern, zur Situation, zur Realität, zum Leben.
Mehr Gelassenheit …
Ja, nächtliche Gedanken sind gern dunkel. Dennoch – man mag es Selbstschutz nennen, Optimismus oder Fatalismus – wunderte ich mich irgendwann auch, ob wir das, was wir unter Erziehung verstehen, nicht hie und da zu wichtig nehmen, uns zu sehr anstrengen. Dazu fiel mir ein Satz ein aus einem Interview mit Jesper Juul, der stets für mehr Gelassenheit plädiert hatte: «Das Allermeiste, was wir unter Erziehung verstehen, erzieht in der Tat kaum.» Es sei nicht Folge der Erziehung, wird ausgeführt, wie sich unsere Kinder als 20-Jährige verhalten, sondern unseres familiären Zusammenlebens. Und: Man könne sich auch vornehmen, seine Kinder einfach zu geniessen.
Nun ja, geniessen? Angesichts des Streits, der mir noch in den Ohren hallte: schwierig. Und trotzdem, mit Abstand betrachtet, auch irgendwie einfach, würde eine solche Haltung doch nicht nur uns Eltern, sondern auch viele Alltagssituationen entspannen. Wenn wir bei unseren Kindern nicht vor allem die Dinge fokussieren, die (noch) nicht gut laufen, sondern mehr jene, die wunderbar sind.
… und keine Torschlusspanik
Zumal sich das Zeitfenster für Erziehung im eigentlichen Sinn irgendwann schliesst. Bei unserer Grossen in etwa jetzt. Denn: Ab zwölf, so Juul, und ähnlich Remo Largo, sei es zu spät. Vielleicht waren meine nächtlichen Gefühle also auch Ausdruck einer erzieherischen Verunsicherung, die Largo und Monika Czernin im Buch «Jugendjahre» für die Pubertät beschreiben: Wenn alles plötzlich anders wird und Eltern umdenken müssen. In eine pädagogische Torschlusspanik – in anderen Worten wohl: in wilde Handyverbotstiraden – zu verfallen: zwecklos. Es geht nun vermehrt um Augenhöhe und um die Beziehung, die in den vergangenen Jahren zum Kind aufgebaut wurde.
Wird diese sich bei uns als tragfähig erweisen? Haben wir unseren «Job» bis hierher einigermassen hingekriegt? Wir können nur hoffen, dass wir zumindest nicht überall falsch gelegen sind. (Doch eben, was ist schon falsch und was richtig?) Mit diesen Gedanken und dem juulschen Rat zu mehr Genuss im Kopf schlief ich ein – und setzte darauf, dass der nächste Tag ein besserer werde.
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64 Kommentare zu «Verloren im Erziehungsdschungel»
ich wundere mich immer wieder darüber, wie wenig die Kinder selber zu sagen haben. Man glaubt nicht, welch kluge Entscheide selbst kleinere kinder fällen, wenn man sie -zum Beispiel beim Abendessen – mitreden und – entscheiden lässt.
Unsere beiden haben übrigens ihre anspruchsvollen Ausbildungen auf schnellstem Wege abgeschlossen. Von Verweichlichen kann also nicht die Rede sein.
Einfach ein bisschen weniger hineinstudieren in die ganze Thematik und nicht immer alles ins Detail analysieren. Eine Tisch-Lapalie, mehr nicht. Danach düstere Gedanken, nicht schlafen, ein Blog-Artikel? Also bitte. Das war gaaaaar nix.
Abhaken – weiter gehts.
Kinder brauchen Liebe, Fürsorge, Zuspruch, Zuwendung, Interesse, Anleitung und ein gutes Vorbild und Vorleben durch die Eltern. Ist das gegeben, ist die Chance gross, dass die Kinder gut rauskommen.
Erziehen ist zwecklos, da Kinder früher oder später ihre Eltern nachahmen.
Also ich finde Handyverbot nun nicht wirklich übertrieben. Mit 12 weiss man sehr wohl, dass man körperlich Schwächere nicht angeht. Die logische Konsequenz wäre ja gewesen, die 12 Jährige so lange zu kneifen, bis sie ebenfalls brüllt, was auf keinen Fall ok wäre.
Andererseits hätte man natürlich bereits bei den Provokationen des Jüngeren reagiert und dieses vom Tisch geschickt.
Nun, auch Eltern machen Fehler und solange die Älteste nicht durchs Band gegenüber ihren Geschwistern benachteiligt wird und dauernd verlangt, dass sie nachgeben soll, da „schon gross“, wird sie keinen Schaden davontragen.
Wichtig ist, vor der Bettzeit das Gespräch zu suchen und erklären, warum man so reagiert hat.
Aus welchem Ratgeber Sie das auch immer haben, mit dem sich schliessenden Erziehungszeitfenster bei 12jährigen Kindern:
Erziehen Sie um Himmelswillen noch mindestens sechs Jahre weiter.
Und, sorry, eine 12jährige, die nach einer gerechtfertigten Strafe sich unverstanden in ihr Zimmer zurückzieht zeigt NORMALES Verhalten, okay?
Vergessen Sie die Friede-Freude-Eierkuchenwünsche (vor der Nachtruhe müssen alle wieder versöhnt sein).
Zeigen Sie Stärke und Rückgrat.
Ihre pubertierenden Kinder werden es Ihnen danken.
Nicht sofort aber bald.
Ich bin eine Grossmutter, welche diese Arbeit mehrmals hinter sich gebracht hat.
Die Folgen von fehlender Erziehung während der Pubertät wünschen Sie sich nicht, glauben Sie mir.
Weder für sich noch für Ihre Kinder.
Eher nicht. Ich bin auch der Meinung, dass es mit 12 gelaufen ist.
die Autorin schreibt aber, dass die Strafe für die Grosse eben nicht gerechtfertigt war, weshalb sie sich zu Recht aufgeregt hat.
Und die Maxime, einen Streit vor der Nachtruhe zu versöhnen, ist kein Friede-Freude-Eierkuchenwunsch, sondern gut biblisch (Epheserbrief 4,26b).
Inwiefern war es denn gerechtfertigt? Was hat das Handy mit dem Klemmen des Bruders zu tun?
@ 13
Was hätte sie denn tun sollen? Der 12 Jährigen in den Arm klemmen, bis sie blutet? Ein 12 jähriger Teenie ist kein Kleinkind, welches nicht versteht, warum es bestraft wird.
Aber richtigerweise hätte die Autorin das jüngere Kind zurechtweisen/vom Tisch schicken müssen, wenn es die ältere Schwester ständig triezt.
@ Tamar
Ich bin 37 und verstehe es auch nicht, darum frage ich ja. Mein 11j Kind würde mir wohl sagen, dass das gar keinen Sinn macht. Und es hätte recht. Blutig klemmen und ständig triezen steht doch gar nicht im Text. Situation entschärfen, Kind erklären, dass man körperliche Angriffe auf den Bruder nicht akzeptiert. Gut ist.
@ 13
Eben, aber vorher hätte das kleinere Kind zurechtgewiesen werden müssen.
@ Tamar
Was heisst hier „eben“? Ich sage ja, die Strafe war nicht ok. Was das Kleinkind genau gemacht hat, wissen wir nicht. Wofür „zurechtweisen“?
Eine Strafe muss mit 12 nicht mehr auf die „Tat“ bezogen werden, weil ein Teenie sehr wohl versteht, wofür die Strafe ist.
Das jüngere Kind hätte dafür zurechtgewiesen werden müssen, dass es ständig die Grosse während des Essens stört.
@ Tamar
Verstehen? Na ja, man kann es ihm sagen, dass es deshalb ist, aber den nicht-existenten Zusammenhang versteht es wohl nicht, wie auch kein vernünftigerErwachsener. Aber die Frage ist eher, was lernt es daraus? Solange ich ein Kind bin, klemme ich meinen Bruder nicht, um nicht bestraft zu werden? Meine Mutter darf ihre Überlegenheit mir gegenüber ausnutzen, ich meine aber nicht? Das nächste Mal klemme ich so, dass sie es nicht merkt?
Nochmals: wir wissen nicht, was der Bruder gemacht hat. Mein fast-Teenie kann sich auch schnell über Sachen ärgern, die eigentlich nicht schlimm sind oder gegen sie gehen…Schwester singt, tunkt ihr Bruder ins eigene Wasserglas etc. Und von immer steht da auch nichts.
Eltern sind auch nur Menschen. Aber das gilt auch für Kinder.
Sie haben überreagiert, indem Sie losgebrüllt haben und eine völlig unlogische Strafe ausgesprochen. Die Impulskontrolle war aufgrund der angespannten Stimmung nicht die Beste. Ihre Tochter hat überreagiert indem sie auf eine Provokation grob reagiert hat. Ich sehe da keinen grossen Unterscheid. Ist beides nicht tragisch, kann passieren. Vielleicht kann man sich vornehmen das nächste Mal die Stimmung zuvor zu verbessern versuchen? Ich würd das nichts überinterpretieren. Das Handyverbot kann man mit einer Entschuldigung wieder zurücknehmen. Und erklären, wie es dazu kam. Ein bisher liebevoll begleitetes Kind wird den Wink bemerken und sich auch beim Bruder entschuldigen. Mit gutem Vorbild voraus ist immer gut.
Gute Erziehungsbücher, ich finde Ratgeber eigentlich nicht richtig sind keine Gebrauchsanweisung, wie man 10 Schritten ein perfektes Kind erzieht. Und Kinder sind keine Möbelstücke vom blauen Schweden, die gelingen, wenn man die Anleitung befolgt.
Etwas Hintergrundwissen hilft jedoch, wenn man gerade nicht weiterweiss. Dann kann man es abspulen. Und es hilft, zuerst einmal zu sehen, was falsch läuft oder wo das Problem liegen kann.
Ihre Tochter ist ja nicht sauer, weil sie ein ungezogenes Kind ist und wer sich solche Gedanken macht, will wohl auch kein Kind, das mit herunterhängendem Kopf und einem braven „Ja, Mutter“ die Strafe hinnimmt. Was aber wirklich los ist, merkt man im Dialog und da hilft das Wissen einfach.
@13: Die Situation beim Nachtessen ist sicher nicht tragisch, aber was mich bei allen diesbezüglichen Kommentaren stört ist, dass der kleine Prinz nicht einmal zurechtgewiesen wird, weil er die Schwester provoziert hat, das Mädchen aber sogar bestraft, weil sie sich gewehrt hat. Was lernen die beiden daraus? Ungestraft plagen bis die „gewalttätige“ Reaktion kommt, und dann ist das ursprüngliche Opfer der Täter – und das ist völlig in Ordnung? Uebertrieben in diesem Zusammenhang, aber es geht so in eine bestimmte Richtung…die zukünftige Frau muss lernen, gegenüber dem zukünftigen Männlein nicht zurückzugeben?
@Regula Habig: Sie meinen also, das Geschlecht sei hier entscheidend?
Und: Lernen wir hier nicht fast täglich, dass wir nie nie nie einbeziehen dürfen, welchen Beitrag das Opfer geleistet hat? Wir wollen doch nicht in den Verdacht kommen, victim blaming zu betreiben…
@Sportpapi: Mir ist immer schon aufgefallen, dass die meisten Mütter die Tendenz haben, ihren kleinen lieben Sohn vehement gegen die böse ältere Schwester in jeder Situation zu verteidigen, egal wer angefangen hat, und, menschlich genug, der süsse kleine Wonneproppen das mit der Zeit natürlich gnadenlos ausnutzt. Ich sehe wirklich nicht ein, warum die Mutter hier nicht schon das Stören der älteren Schwester unterbunden hat und dann noch das Mädchen bestraft, aber hallo! Das bisschen Kneifen wird den kleinen Kaiser nicht umgebracht haben, und vielleicht respektiert er ja seine Schwester nun besser. Eigentlich sollte es keine Geschlechterfrage sein, aber ich finde es generell ungerecht, wenn nicht hingeschaut wird, warum überhaupt zugelangt wird (eine gefährliche Aussage, ich weiss …).
@ Regula
Für diese Interpretation weiss ich zu wenig. Wie alt ist der Kleine? Und was heisst „er hat gestört“ (mein Teenie kann sich schon gestört fühlen, wenn das Kleinkind etwas singt oder so)? Kam die Reaktion sofort oder hat sich das hochgeschaukelt? Zudem hat er seine „Strafe“ ja schon erhalten….
Aber doch erwarte ich von meinen älteren Kindern, dass sie anders reagieren als das Kleinkind. Sie müssen es nicht hinnehmen, wenn die! Kleine sie ärgert, aber sind in der Lage, andere Wege zu finden. Anders sieht es beim mittleren Kind (Junge) aus. Er ist alt genug und wenn er die grosse Schwester so lange absichtlich provoziert, bis sie ihm eins haut (macht er gerne), sage ich normalerweise wenig, denn er hat es ganz bewusst darauf angelegt. Das sollen sie unter sich ausmachen.
Aber wenn ich das so lese, wird es mir wohl dann eher so ausgelegt, dass ich (die böse Feministin) die Mädchen vorziehe, was ganz sicher nicht der Fall ist….:-D
@ SP: klassischer Whataboutismus. Sie vergleichen Provokationen eines Kindes, auf die ein anderes Kind mit Kneiffen reagiert, mit Sexualdelikten und häuslicher Gewalt (um diese Themen ging es hier ja in der jüngeren Zeit).
Was wollen Sie denn mitteilen? Das man Mitschuldig ist, wenn man vom Partner krankenhausreif geprügelt wird? Oder das ein Kneifen unter Geschwistern (wo einer provoziert hat) gleich zu beurteilen ist bezüglich Schuldfrage wie ein Sexualdelikt? Ernsthaft? Ihr Beitrag lässt mich etwas ratlos zurück! Es schein mir, Sie relativieren hier ganz gravierende Vergehen, in dem Sie diese auf eine Stufe mit einem Streit unter Geschwister stellen.
@Poison Ivy: Ist das ein Vergleich? Oder gar die von Ihnen behauptete Gleichmacherei?
Ich plädiere in allen Fällen für genaues Hinschauen, einordnen und differenzieren. Und ich kritisiere, dass man bei gewissen Themen dieses Vorgehen über den Haufen wirft. Und nur noch Opfer und Täter bezeichnet haben will. Im Widerspruch zu gesundem Menschenverstand und jeder Rechtsstaatlichkeit.
Aber wenn Sie gerne statt sich mit den aufgeworfenen Fragen zu beschäftigen empört mit Schlagworten um sich werfen, bitte.
@13: „Er ist alt genug und wenn er die grosse Schwester so lange absichtlich provoziert, bis sie ihm eins haut (macht er gerne), sage ich normalerweise wenig, denn er hat es ganz bewusst darauf angelegt. Das sollen sie unter sich ausmachen.“
Sicherlich spielt diesbezüglich das Geschlecht keine Rolle. Aber ich wiederhole mich: Ja, es gibt Provokationen, die ein (unangemessene) Reaktion erst hervorrufen. Bei Kindern ebenso wie bei Erwachsenen.
Was gibt es bei vorsätzlichen Verbrechen gegen Leib und Leben hinzuschauen, einzuordnen und zu differenzieren bezüglich Verantwortung der Opfer? Was hat die von Ihnen immer wieder ins Spiel gebrachte „Mitverantwortung“ der Opfer mit Rechtstaatlichkeit ans sich zu tun? Strafmassreduktion wenn das Opfer ein Minirock trug, oder wie?
Die Inhaltsleeren Schlagworte sind hier wohl eher „hinschauen, einordnen, differenzieren“.
Welche Schlagworte habe denn ich gebraucht?
@Poison Ivy: „Whataboutismus“. Das Beispiel Minirock geht in die gleiche Richtung. Und überhaupt die ganze übertriebene Empörung, die eine normale, mit Argumenten geführte Diskussion verunmöglicht.
Was meinen Sie mit „vorsätzlichen Verbrechen gegen Leib und Leben“? Mord und Todschlag waren hier in der Regel nicht Thema. Und ja, es besteht das Problem, dass man unter dem Stichwort sexueller Gewalt alles aufsummiert, von verbaler Belästigung über Betatschen bis Vergewaltigung. Aber das stammt wieder nicht von mir.
Aber dass bei jeder Tat die Hintergründe und Zusammenhänge untersucht und gewürdigt werden, ebenso wie die Schwere der Tat, gehört zum Rechtsstaat. Und so gibt es mildernde Gründe bis hin zur Straffreiheit (z.B. wegen „Notwehr“. Aber das wissen Sie ja.
Etwa hier; https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/region/godzillafreundin-muss-ins-gefaengnis/story/12565802?
Das wird ja immer abstruser, was Sie hier posten: Hier handelt es sich offenbar um einen Notwehrexzess. Und solch ein extremer Einzelfall bringen Sie als Argument, dass Opfer von Sexual- und Gewaltdelikten jeweils eine Mitschuld trifft am Ereignis? Echt? Ist das Ihr besonnenes und differenziertes Einordnen? 99.999% der Gewaltopfer dürften wohl nicht ausgebildetete Kampfsportler sein, die unter Kokseinfluss ihre Partner/In angreifen.
Das nennt man eben Whataboutismus was Sie machen: mit einem extremen Gegenbeispiel zu argumentieren. Schlagen Sie den Begriff mal nach auf Wiki oder sonst wo.
Zudem: Verbrechen gegen Leib- und Leben beinhalten mitnichten nur Mord- und Totschlag. Es macht sich immer gut, sich etwas zu informieren bevor man darüber schreibt.
@Poison Ivy: Ah, nächste Runde. Natürlich reicht ein (extremes) Beispiel, um eine pauschale Aussage wie „Opfer sind nie mitschuldig“ zu widerlegen. Oder einfach darauf hinzuweisen, dass man hinschauen und nicht vorschnell urteilen soll. Dass es ganz viele strafmildernde Gründe gibt, ist ja offensichtlich.
Und nein, auch den Begriff „Whataboutismus“ brauchen Sie offensichtlich falsch. Denn bei meiner Rückmeldung an Regula Habig war ich in keinerlei Verteidigungsposition, hatte keinen Grund, irgendwie von irgendeinem Vorwurf abzulenken. Ich habe nur darauf hingewiesen, dass solche Argumentationen nicht kohärent sind mit Aussagen in anderen Zusammenhängen.
Leib und Leben dürfen Sie mir gerne erläutern, warum Sie das hier eingeführt haben.
@ SP
wie so oft merkst/anerkennst Du dabei nicht die Kräfteverhältnisse. Mein Sohn (8) ist gleich stark wie seine grosse Schwester. Er ärgert sie absichtlich, bekommt eins aufs Dach, manchmal gibt er daraufhin zurück, sich zu wehren ist kein Problem. Beim Kleinkind ist das nicht der Fall. Weder kann es die Folgen gleich absehen, noch ist sie kräftemässig ebenbürtig. Das ist entsprechend anders zu werten.
Bei den Gewaltfällen, die du, und da gebe ich PI völlig recht, unverständlicherweise als Parallele ziehst, ist es auch so. Je überlegener einer ist, desto mehr Macht hat er und es spielt dann letztlich keine Rolle, was der andere macht, denn es wird immer der Stärkere die Wahl haben, ob er seine Macht ausübt oder nicht.
Und nein:
„Und überhaupt die ganze übertriebene Empörung, die eine normale, mit Argumenten geführte Diskussion verunmöglicht.“
eine angeblich übertriebene Empörung ist nicht das, was eine normale Diskussion verunmöglicht, sondern Deine Extremmeinung, wenn es um dieses Thema geht, weil Du aus Prinzip nicht anerkennen willst, dass Männer (und ja, es sind in den meisten Fällen die Männer) da einfach fürchterliche Taten begehen und deine „Argumentation“ zielt dann daraufhin, dass Vergewaltigungen so entstehen, dass Frauen es sich am nächsten Tag umentscheiden (sagt zumindest der Mann!) oder fahrlässig in fremde Autos steigen oder Du bringt gar als Rechtfertigung vor, dass auf die sexuellen Bedürfnisse der Männer ohnehin zu wenig eingegangen wird. Es ist teilweise gruselig.
@13: Ich finde es gut, dass du die realen Kräfteverhältnisse anführst und bewertest. Und dass du die Provokation und die Reaktion in ein Verhältnis bringst. Nichts anderes würde ich mir grundsätzlich wünschen, statt „ein Opfer trägt nie eine Mitschuld“ etc.
Und die Parallele ist klar, weil es ein Kontinuum gibt zwischen leichten Übergriffen bis hin zu schwerer Gewalt. Und die grundsätzliche Vorgehensweise der Bewertung bleibt die gleiche.
Aber ich bin sehr dafür, dass man da die Schwere unterscheidet. Ich wiederhole mich: Ich bin es nicht, der z.B. bezüglich sexueller Gewalt alles aufsummiert, von der leichten Belästigung bis zur Vergewaltigung, um möglichst eindrückliche Zahlen zu erhalten.
Kommt dazu, dass nicht immer klar ist, wer wirklich die Macht hat. Einmal mehr!
@13: Zu deinem zweiten Teil. Eben, da kommen Empörung und Emotionen, aber keineswegs das, was ich jeweils schreibe.
Nie habe ich bestritten, dass es Männer gibt, die schwere Verbrechen begehen. Und nie habe ich grundsätzlich für geringere Strafen plädiert. Käme mir nicht in den Sinn.
Aber über die Ursachen sollte man diskutieren können, ohne 1:1 feministische Argumentationsmuster („es geht nie um Sex, nur um Macht/Gewalt“) übernehmen zu müssen.
Und das „Schwedische Modell“ ist aus guten Gründen umstritten, gerade wegen der Grauzonen. Die dort entstehen, wo unterschiedliche Wahrnehmungen und Bewertungen stattfinden. Das einfach auszublenden ist unredlich.
Die unterschiedliche Bewertung kommt dazu: Die alkoholisierte Frau ist wehrlos, der alkoholisierte Mann voll schuldfähig.
@ Sp
Niemand steckt Belästigung und Gewalt in eine Schublade (ok, vielleicht bei der häuslichen Gewalt, wo aufgrund nicht bewiesenen Behauptungen geltend gemacht wird, dass Frauen öfters leichte Gewalt anwenden, um die Aussage, dass die schwere Gewalt in den meisten Fällen von Männern kommt, zu relativieren). Auch die Statistik, wonach jede 5. Frau sexuelle Gewalt erlebt, hat nichts mit Belästigungen zu tun (da ist die Quote viel höher). Bei beiden ist jedoch gemeinsam, dass sie a) meistens von Männern ausgehen, dies gegenüber Frauen und b) dass sie zu verurteilen ist und nicht die Opfer als überempfindlich zu verunglimpfen sind.
Zum zweiten: Auch wenn das Klischee von „emotionalen Frauen“ oder „empörten Feministinnen“ gerne bedient wird, trifft es hier nicht zu. Wenn man sich nicht auf eine Diskussion über Relativierungen (nicht das gleiche wie Differenzierungen!) einlässt, dann darum, weil es nichts zu relativieren gibt. Da öffnet man dann eben auch keine Plattform für solche Sachen: „Kommt dazu, dass nicht immer klar ist, wer wirklich die Macht hat.“ oder so etwas „ohne 1:1 feministische Argumentationsmuster („es geht nie um Sex, nur um Macht/Gewalt“) übernehmen zu müssen.“
Nein, einfach nein. An sexueller Gewalt trägt nicht das Opfer die Schuld. Auch keine Mitschuld oder sonstwas. Sexuelle Gewalt ist nichts, was „einem passiert, wenn man nicht aufpasst“, sondern etwas was „jemand einem antut“.
Darum auch hier:
„Die unterschiedliche Bewertung kommt dazu: Die alkoholisierte Frau ist wehrlos, der alkoholisierte Mann voll schuldfähig.“
Ja, logisch. Denn die sich wehrlos gemachte Frau hat dem Mann nichts getan. Und auch ihr passiert nichts, was der Mann ihr nicht antut.
Es gibt keine gesetzliche Verpflichtung, die es einem verbietet, zuviel zu trinken und sich damit wehrlos zu machen. Und wenn man es tut, verliert man damit nicht einfach das Recht auf körperliche (und geistige) Unversehrtheit. Es gibt aber das Gesetz, das es einem verbietet, unter selbst herbeigeführter Unzurechnungsfähigkeit Straftaten zu begehen.
Und zuletzt, gerade weil Du die Parallele zwischen harmlosem Kindergeplänkel und Gewalt gebracht hast: Was müsste denn in deinen Augen eine Frau tun, dass es rechtfertigen würde, sie sexuell zu missbrauchen oder vergewaltigen? Bei welchem Fall wäre denn deiner Meinung nach die Provokation (darum ging es doch: um die Relation zwischen Provokation und Reaktion) so gross, dass die Reaktion gerechtfertigt wäre? Merkst Du, wie absurd das ist?
@ 13: Danke für Ihre treffenden Ausführungen!
@ SP: nein, bei sexueller Gewalt sind die Opfer nie schuldig, einfach nie!
Oder erklären Sie doch mal, wie man sich als Vergewaltigungsopfer mitschuldig macht.
@13: Häusliche Gewalt gegen Männer ist keineswegs immer nur leicht oder zu vernachlässigen. Aber gut. Und natürlich hast du recht, dass schwere Gewalt meist von Männern kommt (und Männer trifft). Und auch sexuelle Gewalt geht meist von Männern aus und betrifft Frauen, auch wenn das aus der angesprochenen Statistik gar nicht hervorgeht, weil die Männer ja nicht gefragt wurden (und man selbstverständlich nur von Männern als Tätern ausgeht). Und selbstverständlich sind die 7 Prozent „durch Festhalten/Zufügen von Schmerzen zu Geschlechtsverkehr gezwungen“ viel zu viel und zu verurteilen. Und zu bestrafen. Ebenso wie teilweise die weiteren aufgeführten Kategorien.
Ändert nichts daran, dass jeder Einzelfall beurteilt werden muss.
@ SP
Natürlich gibt es schwere häusliche Gewalt gegenüber Männern, nur um auf gleiche Zahlen zu kommen wie bei den Frauen wird gerne alles zusammengeworfen, was ich gerade aufgrund der Differenzierung verurteile. Und ja, Männer sind sehr oft Opfer von schwerer Gewalt, die gilt aber gerade nicht im häuslichen und sexuellem Bereich.
Jetzt vermischst du aber verschiedene Dinge: klar, ist jeder Einzelfall einzeln zu prüfen. Darum gibt es auch verschiedene Begriffe, auch rechtlich und es wird bei der Strafe berücksichtigt. Wenn es dich näher interessiert, google mal „Tat- und Täterkomponenten“. Aber das Opfer zum (Mit-)täter zu machen, ist etwas anderes. Und wenn du faktenbasiert diskutieren willst: fast 99% aller sexuellen Übergriffe bleiben ohne Folge für den Täter.
Erziehung ist Vermitteln von Sitten und Gebräuchen. Aber auch einfach Vorleben. Sie Sind ein Mensch und kein Roboter, also passieren Fehler. Ich habe es als Kind immer geschätzt, wenn meine Eltern um Entschuldigung gebeten haben.
Guter Beitrag.
Das was wir sind, das prägt unsere Kinder.
Ratgeber können helfen, genauso wie jede Ausbildung uns helfen kann. Aber am Ende zählt das, was wir sind. Kein Seminar, keine Ausbildung, kein Studium kann uns das abnehmen.
Andererseits: Bildung, bildet uns. Und unser Sein ist ja eben das, was zählt.
Fazit: Ratgeberliteratur hat dann einen Nutzen, wenn Sie uns bildet. Wenn sie uns zu reiferen, einsichtigeren und weiseren Menschen macht.
Erziehung ist ein heikles Thema. Jeder fühlt sich da als Experte, weil er mal klein war und erzogen wurde. Das klappte bei dem einen gut, bei der anderen war es einfach nur grausam. Jeder schrieb dann einen Ratgeber, was zu tun oder was zu lassen ist. Und daraus resultieren Massen von Büchern, Zeitschriften und jetzt Blogs etc. im Internet.
Wie hatten das Glück, unsere beiden Mädels zu einer Zeit zu betreuen, als es noch nicht so viele Ablenkung durch Internet und Handy gab. Und wir haben uns an unsere Jugend erinnern können, was wir damals erfahren haben.
Daraus ist dann ein Mix aus rationalen und bauchgetrieben Entscheidungen geworden. Sicher nicht haben wir diese Medien benutzt oder unsere Art mit den Massstäben andere Menschen bewertet.
Wenn eine 12jährige ihre Schwester körperlich angeht muss die Konsequenz nicht logisch damit zusammenhängen (oder wollen Sie ihr eine runterhauen?).
Sie weiss ganz genau, dass sie das nicht darf (hoffentlich) und wenn es dann eine Konsequenz hagelt, dann wird sie den Zusammenhang schon verstehen.
Weniger Ratgeber, mehr selber denken und auf seine Instinkte hören.
Ein genereller Kommentar: gefühlt wurde genau dieser Artikel schon ca. 20x veröffentlicht. Ich sehe ja ein, dass sich in einem Blog Themen wiederholen und man nicht jeden Tag das Rad neu erfinden kann. Aber es nervt mich zunehmend, dass der Vaterschaftsurlaub nach wie vor nicht thematisiert wurde. Da hat man endlich mal ein neues Thema, und es wird zum xten Mal eine Belanglosigkeit aufgewärmt. Liebe Redaktion, bitte endlich reagieren.
Ich bin ehrlich gesagt froh, dass der Vaterschaftsurlaub noch kein Thema war. Was wollen Sie darüber lesen? Dass wir jahrelang darüber diskutiert haben und heraus kamen 2 läppische Wochen, die die Gkeichstellung keinen Schritt voranbringen? Wollen Sie zum hundertsten Mal Kommentare lesen wie „das brauchts nicht“, „können wir uns nicht leisten“, „Kinder sind Privatsache“, „Väter können zu Hause eh nichts tun“ usw. Also mir hängt das Thema echt sowas von zum Hals raus…
Ich verstehe Ihren Kommentar und musste zustimmend schmunzeln.
ABER
Auf einer anderen, übergeordneten Ebene empfinde ich es aber als eine grobe journalistische Nachlässigkeit, dass der grösste Elternblog der Schweiz dieser aktuellen Entwicklung keinen einzigen Beitrag widmet.
Und mit der gleichen Argumentation „darüber mag ich nichts mehr lesen, das Thema hängt mir zu Hals raus“ könnte man fast jeden Mamablog-Beitrag quittieren. Wer mag schon nochmals über Juul vs. Largo diskutieren, oder ob man Babynamen und -geschlecht vor der Geburt preisgibt, oder ob die Babyzeit nun eklig oder anstrengend oder super-süss ist. Die meisten Themen sind entweder irrelevant-oberflächlich, oder ewig polarisierend. Aber deshalb keinen Diskurs mehr anregen?! Dann kann man ja den MB grad einstampfen…
Ganz bei Ihnen. Beiden.
Dieses Schweigen ist schon langsam bizarr. Andererseits hat Jane auch recht. Es ist ein „Zeh reinstecken“ und kein erster Schritt, aber immer noch besser als gar nichts. In der Schweizer Familienpolitik muss jede Bewegung als Erfolg verbucht werden, so klein sie auch ist, aber doch rechtfertigt das kein derartiges Umgehen des Themas.
@Lina Peeterbach: Was wollen Sie denn noch lesen zum Thema Vaterschaftsurlaub?
Die üblichen „Steinzeit“-Argumente? Die seltsamen „ohne Vaterschaftsurlaub wissen Männer nicht, wie ein Kind zu wickeln ist“-Aussagen? Die „reichste Land der Welt“ vs. „wer soll das bezahlen“-Diskussion?
Persönlich würde ich es begrüssen, wenn auch auf dieser Seite eine intensive politische Diskussion stattfinden würde. Allerdings mit der Darstellung von Pro und Contra und einigermassen faktengeprägt.
@ SP
„Persönlich würde ich es begrüssen, wenn auch auf dieser Seite eine intensive politische Diskussion stattfinden würde. Allerdings mit der Darstellung von Pro und Contra und einigermassen faktengeprägt.“ Genau so etwas möchte ich lesen. Evetuell sogar eine Themenwoche mit verschiedenen Schwerpunkten und Perspektiven.
Ansonsten lesen Sie meine Antwort an Jane.
Liebe und Strenge, that’s it. Die Mischung ist die Herausforderung. Perfekt kriegt man das nicht hin, weil wir alle schon von unseren Eltern ein bisschen verkorkst wurden. Wenn ich heute in die Gesellschaft blicke, fällt mir aber auf, dass Eltern vor allem mit der Strenge ihre liebe Mühe haben. Zum einen aus Angst davor, das Kind zu frusten (was nicht per se falsch ist, aber eben auch heikel, weil das Kind dadurch keine Frustrationstoleranz entwickelt) und zum anderen, weil die Symbiose zwischen Kind und Eltern vor allem den letzteren ein Bedürfnis ist.
Strenge braucht es nicht, aber konsequent.
Ich denke, wir meinen dasselbe. Das Wort Strenge hat leider einen negativen Touch. Doch ich bleibe da: Zwischendurch braucht’s ein klares Wort und Grenzen.
Ok, dann meinen wir dasselbe. Grenzen sind wichtig, aber unter Strenge stelle ich mir halt die althergebrachte Erziehungs-Dressur vor, wo man Kindern absoluten Gehorsam aufzwingt und mundtot macht.
Das meinte ich definitiv nicht!
Ach herrje… so viel Stress? Meiner Erfahrung nach entwickeln sich Kinder vernünftiger Eltern auch ganz vernünftig. Allen macht man es ohnehin nicht recht, und jede Familie hat ihre eigenen Gepflogenheiten, Rituale & Regeln. Schlechte Tage, Inkonsequenz, absurde Strafen – das kennen wir doch alle, und daraus ein Drama zu machen stellt eine ungerechtfertigte Überbewertung dar. Ich glaube das Grübeln und Zweifeln und endlose Reflektieren, gepaart mit – in extremeren Fällen – je nach Lektüre wechselnden „Erziehungsansätzen“ verunsichert Kinder stärker als authentische Eltern mit Fehlern, Kanten und schlechten Tagen.
Mir gefällt das Ausspielen nicht, unter Erziehung fällt für mich auch die Gestaltung des Familienlebens und dass ich das Zusammensein mit den Kindern geniesse (sogar sehr geniesse).
Einverstanden dass gewisse Weichen sehr früh gestellt werden, aber dass es mit 12 Jahren vorbei sein soll,
finde ich ähnlich absurd wie die Idee dass einem Kinder im Pubertätsalter nicht mehr so sehr brauchten wie in früheren Jahren,
die Art und Weise ändert sich, aber gerade in der Pubertät sollten Eltern ihre Position/Wichtigkeit nicht unterschätzen.
Statt einem Ratgeber empfiehlt sich ein Studentenlehrbuch der Entwicklungspsychologie (für Nichtpsychologen). Es gibt markante Bruchstellen der Ablösung mit 1, 3, 6, 12 – eine geometrische Reihe, ist mir noch gar nicht aufgefallen. Danach richten sich Einschulungs- und ähnliche Termine.
Die Familienerziehung ist immer auch eine Art Teppich, die zu allen Zeiten ähnlich wirkt. Wenn es in der Pubertät mal aussetzt, es erholt sich wieder. Vorausgesetzt, die Pubertät nimmt je ein Ende.
Nicht zu vergessen, die indirekte Erziehung. Im Familienschiffmodell lehnen sich der Vater oder die Mutter zu weit links über die Reling (Alkohol, Depression) und die Kinder rücken instinktiv nach rechts. Wenn man dann nur die Kinder betrachtet und das z.B. ADHS nennt, ist man im falschen Boot.
Ein Kollege mit IT Background und 2 erwachsenen Töchtern hat immer gesagt mit 10 sei die Grundprogrammierung abgeschlossen. Danach muss man je nach Fragestellung eines der vorhandenen Programme abrufen. Evt können oder müssen Bugs und grobe Sicherheitslücken noch behoben werden, aber an der Grundprogrammierung lässt sich nichts mehr ändern.
Ja, es war witzig gemeint, aber hat im Hinblick auf die Pubertät durchaus einen wahren Kern, denke ich.
@Punix
nun, zum Glück sind wir ja organische Wesen und in der Entwicklung/Unterhaltung nicht so punktgenau definierbar wie es der IT-Bereich als Beispiel vorgaukelt…
Entwicklungspsychologisch ist mit 3 die Grundprogrammierung abgeschlossen.
Bis zum 1. Geburtstag gibt es für einen Säugling nur Ich, welches die Mutter einschliesst. Danach wird die Mutter zum Du. Der Vater kann auch Du werden, wird es aber nicht automatisch, wie die Mutter es wird. Der Vater ist bis zu dem Zeitpunkt objektiv irrelevant.
Ab 3 gibt es darüber hinaus Er, Sie, Es. Personen und Dinge, die nicht Ich und Du sind. Der Vater kann Du oder Er werden. Meistens bleibt er Er.
Ab 3 emanzipiert sich das Kind von der Mutter. Es kann auch damit leben, wenn die Mutter vom Du zur Sie wechselt. Bei Vielkinderfamilien geht das gar nicht anders.
Mit 3 ist das Kind von Mutter und Vater emanzipiert. Danach ist Erziehung Sozialtechnik, nicht mehr Biologie.
und ergänzen kann man zu diesem Vergleich noch, dass jedes Kind bereits mit einer gewissen Grundprogrammierung auf die Welt kommt (und jedes mit einer anderen!). Es hat keine gänzlich leere Festplatte, wie es früher mal in der Pädagogik hiess.
Da muss ich mal zustimmen, Vierauge. Ich würde sogar sagen, die Festplatte ist bei Geburt schon halb voll. So abstrakte Werte wie Gerechtigkeit kennen Kinder schon vor der Sozialisation. Das ist angeboren, wie vieles andere scheinbar Menschliche auch.