Wenn ein Kind im Bauch stirbt
Ich habe nie verstanden, warum werdende Mütter ihre Schwangerschaft meist erst nach den ersten drei unsicheren Monaten verkünden. Nicht nur, dass es mir zu blöd gewesen wäre, mein ungewohntes Glas Orangensaft beim Apéro mit «Ich detoxe!» zu erklären, sondern vor allem, weil ich am eigenen Leib erfahren habe, dass es von grosser Tragweite sein kann, bereits von Anfang an über eine Schwangerschaft zu reden.
Ich habe zweimal ein Baby verloren. Das erste Mal war schlimm, das zweite Mal noch viel schlimmer. War beim ersten Kind das Muttersein noch ein abstrakter Gedanke, war es beim zweiten schon sehr konkret. Und das Ultraschallbild am Kühlschrank erfüllte mich stets mit Freude darüber, dass alle Untersuchungen bisher gut verlaufen waren. Doch als bei der dritten Kontrolle meine sonst immer so fröhlich plaudernde Ärztin lange und konzentriert meinen Bauch abhörte, wusste ich es, bevor sie es sagte: Da waren keine Herztöne mehr.
Dieses Mal war der Embryo bereits zu gross, um ihn medikamentös abzutreiben. Ich musste ins Spital zur sogenannten «Ausschabung» – ein Wort, das definitiv verboten gehört, weil es an Hässlichkeit kaum zu überbieten ist. Ich ging schwanger in die Klinik und kam leergeräumt raus. Es war furchtbar.
Woher diese Schuldgefühle?
«Du, ich habe es nie jemandem erzählt, aber ich habe das auch erlebt», wurde mir danach immer wieder hinter vorgehaltener Hand zugeflüstert. Und ich begann zu ahnen, dass die Statistik stimmt, die besagt, dass 30 Prozent der Schwangerschaften in einem Abort enden. Aber warum hat mir zuvor nie jemand davon berichtet? Es müsste ja jede dritte Frau in meinem Umfeld schon getroffen haben? Und warum wurde mir diese Erfahrung nun auf solch eigentümlich verlegene Art und oft nur unter dem Mantel der Verschwiegenheit mitgeteilt? Aus Scham? Aus einem Gefühl heraus, es nicht gut gemacht zu haben? Weil man befürchtete, von nun an mit einem Makel behaftet zu sein? Oder liegt es an der Verletzlichkeit, die man nicht teilen will, weil sie zu intim und in unserer Gewinnergesellschaft einfach nicht gefragt ist?
Ich kenne all diese Gefühle gut. Insbesondere bei der ersten Fehlgeburt hatte ich mich für das Ableben des Würmchens unglaublich verantwortlich gefühlt. Und dies, obwohl mir sämtliche Ärzte versichert hatten, dass ich nicht schuld daran sei und es sich um eine Art natürliche Abtreibung handle, wenn im unglaublichen Zauberwerk der Zellteilung etwas schieflaufe. Und es im Gegenteil ganz und gar nicht selbstverständlich sei, wenn der Körper die Komplexität einer Schwangerschaft einfach leistet. Doch allem Wissen zum Trotz blieben bei mir Schuldgefühle, Trauer und Verstörtheit zurück.
Offene Trauer statt Grippe-Lüge
Aber gerade weil es eine solch schmerzhafte Erfahrung war, war ich unglaublich froh, dass ich bereits von Anfang an von meiner Schwangerschaft erzählt hatte. Und dies nicht nur, weil ich meine Abwesenheit im Büro auf diese Weise nicht mit einer Grippe-Lüge begründen musste. Sondern vor allem, weil die Erfahrung, einen Abort zu erleben, um ein Vielfaches einsamer gewesen wäre, hätte ich meine Schwangerschaft die ersten Monate verdeckt gehalten. Keine Hand hätte auf meinem Rücken gelegen, wenn mir im Büro die Tränen kamen. Keine Nachbarin hätte mir ungefragt einen Topf Gulaschsuppe vorbeigebracht. Und der wunderbarste Satz einer Freundin, die zu mir sagte: «Du musst nicht reden. Ich bin einfach da», wäre nie zu mir gelangt.
Denn tatsächlich gibt es in dieser Situation nicht viel zu sagen. Es gilt einzig anzunehmen, dass der eigene Einfluss auf das Leben letztlich klein ist und Sicherheit eine Illusion bleibt. Und darum bin ich überzeugt: Würden mehr von uns über all das reden und den anderen die eigene Verzweiflung und Ängste zumuten, könnten wir anders füreinander da sein, wenn ein Kind im Bauch stirbt.
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47 Kommentare zu «Wenn ein Kind im Bauch stirbt»
Besten Dank für den Artikel. Als Betroffene tut es mir sehr gut, das zu lesen. Bei meinen ersten Fehlgeburten lernte ich sehr wohl das Thema als Tabu kennen. Viele gut gemeinten Tipps beinhalteten die versteckte Nachricht, dass ich es hätte verhindern können, wenn ich mich richtig verhalten hätte. Diese vesteckte Annahme, dass die Mutter Schuld ist, macht Fehlgeburten sehr schambeladen und tabuisiert. Ich freue mich sehr, dass aktuell Artikel und Bücher darüber erscheinen, es gibt auch gute Facebook Gruppen und anderes. Darüber reden können, merken, dass man nicht alleine ist, und Unterstützung durch das Umfeld ohne Bemitleidung tun sehr gut.
Herzlichen Dank für ihren Bericht. Leider ist es ein Tabu Thema. Und die Sprüche der Leute wohl aus Hilflosigkeit verletzend. Es war ja noch klein. Es wird andere Kinder geben. Egal wie viele Kinder danach. Keins ersetzt den Verlust. Habe ein Kind tot gebären müssen. In der 21. SWW. Gesetzlich leider zu früh. Trotz Geburt gab es keinen Mutterschaftsurlaub. Also nach wenigen Wochen wieder arbeiten müssen und kaum Zeit gehabt den Verlust wirklich zu verarbeiten.
Das weitere Umfeld blieb eher stumm……
Ich hatte 10 Fehlgeburten in den letzten 20 Jahren.
Meiner Meinung nach wird darüber nicht gesprochen, weil die Umwelt es nicht verträgt! „Musst du mir die etwas schreckliches erzählen?“ Oder „wer gibt Dir das Recht mich damit zu belasten“ waren 2 Sätze die mich verstummen haben lassen.
Traurige Welt.
Ich danke Ihnen sehr für ehrlichen Bericht!
Das Wort „Ausscharbung“ sollte dringend ersetzt bzw.gegen etwas menschlicheres ausgetauscht werden-da bin ich voll und ganz bei Ihnen.
Ich habe mich dagegen entschieden, vor der 12. Ssw etwas auf der Arbeit zu sagen. Ich arbeite in der Kinder-und Jugendhilfe und bei uns gibt es ein sofortiges Beschäftigungsverbot. Und natürlich kommt es auch vor, dass Mitarbeiterinnen eher aus dem Beschäftigungsverbot wiederkommen, wenn die Schwangerschaft nicht weiter besteht. In diesen Fall sind sowohl die Mitarbeiter als auch unsere Klienten darüber (durch das sofortige BV) informiert und selten kommt es auch dazu, dass Kinder und Jugendliche,die selbst stark traumatisiert sind,dies einsetzen um dich zu verletzen. Sollte jeder selbst entscheiden…
Vielen Dank für diesen guten Artikel. Ich war 5 mal schwanger: 3 Fehlgeburten und 2 gesunde Kinder. Für mich persönlich stimmte es, meine Liebsten jeweils von Beginn weg in die Schwangerschaft einzuweihen. Freude, Hoffnung mit Ihnen zu teilen war so schön, und im Fall der Verluste diese gemeinsam tragen zu können hat mir sehr geholfen.
Das erweitere Umfeld (Bekannte, Nachbarn, Job…) zu informieren ist mir unfreiwillig passiert, als ich schon von der Schwangerschaft erzählte und dann in der 15. Woche eine FG hatte. Ich machte hier mehrheitlich positive und unerwartet offene und herzliche Erfahrungen. Trotzdem würde ich nicht freiwillig mein erweitertes Umfeld informieren. Aber das ist wohl sehr individuell.
Zweimal ein Kind zu verlieren, muss schlimm sein. Ich freue mich umso mehr für die Autorin, dass es schlussendlich doch noch geklappt hat.
Ein schwieriges und trauriges Thema für alle Betroffenen, insbesondere für die Frau.
erstens heisst „30% aller Schwangerschaften enden im Abort“ nicht, dass es 30% der Frauen trifft. Es gibt Frauen, die jedes Mal einen Abort erleben, andere nie. Zudem beinhaltet dies auch die Frauen, die gar nicht wussten, dass sie schwanger waren, als der Abort geschah.
Zweitens: gab es keinen Support vom Kindsvater? Die NachbarIN bringt Suppe, die FreundIN ist da zum Reden, und der Vater? Frauen wissen nicht automatisch, wie sich ein Abort anfühlt, nur weil sie Frauen sind.
„Es müsste ja jede dritte Frau in meinem Umfeld schon getroffen haben?“ – Dies stimmt so nicht ganz, denn es soll ja auch Frauen geben, die nicht schwanger werden möchten oder es noch nie geworden sind.
Da hat die offizielle Schweiz noch viel Nachholbedarf. Es gab einen Fall vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der den Kanton Aargau betraf. Dessen Behörden verscharrten die Totgeburt einer Frau, ohne sie auf Ort und Zeit aufmerksam zu machen. Das war für den Gerichtshof unerträglich.
Beste Grüsse O. R.
Danke für den ehrlichen Bericht. Vielen geht es so, dass ganz viele Gefühle aufkommen. Egal wie alt das Kind war, als es gestorben ist. Wichtig ist, dass die Menschen, die diese Gefühle erleben wissen, dass sie nicht alleine sind. Es sterben auch viele Kinder im Bauch wenn sie schon viel grösser sind. Kurz vor, während oder nach der Geburt. Die Gefühle sind nicht immer gleich. Und doch haben die Hinterbliebenen etwas gemeinsam. Sie trauern um ihr Baby.
http://www.sterneneltern.ch
Vielen Dank für deine wunderbaren Worte!
Ich bin teilweise einverstanden, teilweise aber auch nicht. Vorab: Meine Frau hatte vier Fehlgeburten (alle mit Ausschabung) und eine Abtreibung aus medizinischen Gründen (nach 17 Wochen). Wir haben im Freundeskreis offen darüber gesprochen. Auch wir waren überrascht, wie viele Freunde die selben Erfahrungen gemacht hatten. Zu erkennen, das man kein Einzelfall ist, hat sehr geholfen. Andererseits hätte ich es nicht gebraucht, plötzlich von jedermann im Büro mit mitleidigen Blicken angeschaut zu werden. Für uns wurde es übrigens jedesmal leichter, mit dem Verlust umzugehen. Das erste Mal meint man noch, die Statistik würde einen selbst nicht betreffen. Danach wurden wir emotional vorsichtiger und lernten, unsere Vorfreude zu zügeln. Heute sind wir kinderlos glücklich.
Danke, dass Sie Ihre tragische Geschichte mit uns teilen. Sie bringen nicht nur die Aspekte der Trauer, sondern zeigen auf, dass es wichtig ist, einen Plan B zu haben, sollte es mit (eigenen) Kindern nicht klappen.
Ich kenne einige, deren Kinderwunsch-Chrampf sich über Jahre, teilweise auf über ein Jahrzehnt erstreckten und fast alle diese Beziehungen sind kaputt daran gegangen, unabhängig davon, ob nun Kinder da sind, oder nicht. Zermürbung und Selbstzerfleischung bringt auf Dauer jede Beziehung zur Strecke, wenn sich alles nur um unerfüllte Schwangerschaft dreht.
Teil 2: Mir entsprach das eher. Ein Jahr danach wurde ich spontan und unverhofft schwanger. Zuerst waren wir ziemlich geschockt, freuten uns aber riesig. Ich erzählte es aber bloss meinen engsten Vertrauten und als das kleine Herzchen in der 9. SSW dann aufhörte zu schlagen und mit einer starken Blutung abging, war ich froh, dass ich es dem kleinen Kreis erzählen konnte. Ich finde: Es ist wichtig darüber zu sprechen, aber man sollte sich gut überlegen und aussuchen, wem man es erzählt. Nicht alle sind mitfühlend, nicht alle können damit umgehen und Support ist wichtig aber nicht alle können das bieten. Meine Mam z.B. weiss nichts vom letzten Abort – sie hätte das nach der ganzen Geschichte kaum verkraftet. Irgend einmal werde ich es ihr wohl schon erzählen aber mit viel Abstand.
Ein sehr berührender Text.
Aber ist es wirklich immer noch so ein Tabu?
Ich habe schon mit so vielen Frauen über ihre Fehlgeburten geredet, und es nie als Tabu empfunden. Ich bin nicht mit ihnen ins Gespräch gekommen, weil ich selbst eine oder mehrere Fehlgeburten hatte. Und trotzdem habe ich mit ihnen gesprochen und geweint.
Deshalb empfinde ich es nicht als Tabu, obwohl man das immer wieder liest.
Teil 1: Ich habe das Thema Abort schon von verschiedenen Seiten kennengelernt. Zweimal nach einer künstlichen Befruchtung (ICSI). Die 2 x 2 eingesetzten Blastozysten (Embryonen nach 4 Tagen) nisteten sich leider nicht ein und so erlebte ich es hautnah mit, was es bedeutet einer 50-50-Chance ausgesetzt zu sein, wie dies die Natur eingerichtet hat (man schätzt, dass 50% der befruchteten Eizellen sich gar nicht erst einnisten). Es war ein furchtbares Hoffen und Bangen. Beim 1. mal hab ich unser Umfeld noch breit informiert, wollte das Tabu brechen und Unterstützung spüren. Das ständige Nachfragen belastete mich aber so sehr (ja, Anteilnahme ist auch anstrengend!), dass ich es beim 2. mal nur noch einem kleinen Kreis erzählte. Nicht jede/r kann damit umgehen und Mitgefühl aufbringen…
Ich denke, hier gibt es keine allgemeingültigen Regeln. Nach meiner ersten Fehlgeburt, vor der ich meine Schwangerschaft überall verkündet hatte, habe ich niemandem ausser einem ganz kleinen Kreis von der zweiten Schwangerschaft erzählt bzw erst, als sie sichtbar wurde. Für mich war es eine Tortur, mir nach dem Schock der Fehlgeburt auch noch die Schicksale meiner Mitmenschen anhören zu müssen, egal wie mitfühlend sie auch gemeint waren. Für andere Frauen ist es ganz sicher anders, aber auch heute noch suche ich mir ganz genau aus, wem ich was erzähle, zumal wenn es um Schwerwiegendes geht. Das ist für mich reiner Selbstschutz und muss respektiert werden, genauso wie ich es respektiere, dass die Autorin sich mehr Offenheit erhofft.
Genau meine Erfahrung, das sehe ich genauso.
Grundsätzlich bin ich für Offenheit. Nur leider muss man dann auch damit umgehen können, dass gewisse Leute nicht sehr feinfühlig sind. Eine Freundin von mir kriegte Bemerkungen wie: „Jetzt stell Dich nicht so an, das geschieht oft“. Das war für sie sehr schwierig und hat sie zusätzlich belastet.
Ja genau das hat auch mein FA zu mir gesagt, als ich mein erstes Kind in der 13. SW verloren habe, resp. keine Herztöne mehr da waren.
Von einem FA erwartet man def. mehr Einfühlungsvermögen.
Beatrice, das tut mir sehr leid! Ich hoffe, Sie haben den FA sofort gewechselt?
@ Sol
Unsensiblen bis bösartigen Trampeln können Sie leider überall begegnen. Eine Schulkollegin musste sich an der Beerdigung ihres kleinen Mädchens anhören, dass das doch nicht so schlimm sei. Sie seie ja noch jung und könne jederzeit noch „neue“ Kinder bekommen.
@ Beatrice
Ja, leider haben viele Ärzte kein Gespür für Menschen und jegliche Empathie und Ethik, selbst wenn diese fachlich noch so gut sind.
Ich habe die erste Fehlgeburt eher verschwiegen, die zweite nicht mehr. Die Traurigkeit und der Schmerz sind da und sie zu verbergen tut noch mehr weh. Auch meinem Chef habe ich es gesagt und er hat sehr verständnisvoll reagiert.
Später ging ich auch offen um mit meinen schweren Depressionen – woraufhin viele Menschen mich dafür geradezu bewunderten und begannen, ihr Herz zu öffnen.
Es geht nicht darum, zwanghaft alles offenzulegen, aber darum, sich nicht dafür zu schämen, dass man nicht perfekt funktioniert.
Denn nur durch diese Offenheit öffnen sich uns neue Türen, wird uns wieder Hoffnung geschenkt. Wenn andere den Schmerz mittragen, wird es tatsächlicher leichter mit der Zeit und die Psyche kann heilen.
Respekt für Ihren Weg, aber er ist nicht für jedermann/-frau der Richtige. Offen mit seinem Schicksal und seinen Schicksalsschlägen umzugehen kann und will nicht jeder. Ich z.B. kann schlimme Situationen besser verarbeiten, wenn ich erst mal für mich bin, wenn ich die Chance habe, ohne äusseren Einflüsse trauern bzw verarbeiten zu dürfen.
wenn ein betagter elternteil stirbt, erzählt man das vielleicht am arbeitsplatz, vielleicht nicht. wenn mans erzählt, erzählen andere vielleicht auch eher, wie es ihnen ging in der lage. tabu würde ich das nicht nennen, es ist einfach sehr persönlich
Ich habe hier auch etwas Mühe mit dem Tabu-Begriff. 1. weil es – wie Sie treffend schreiben – eine persönliche Angelegenheit ist. Und 2. weil das Wissen hierzu nun wirklich ohne Probleme zugänglich ist.
Rund 50% aller SS werden durch einen spontanen Abort beendet, viele sogar bevor man etwas merkt. Wenn man sich diese schiere Zahl vor Augen führt, wie kann man da überrascht sein, dass andere Personen im Umfeld ebenfalls davon betroffen sind?
Eine Ex hat mein „Unfall“ abgetrieben, ohne mich zu informieren, zu fragen oder einzubeziehen. Ich kenne die Thematik also irgendwie auch.
Nun aber meine etwas kritische Frage:
Bei einer Abtreibung wird immer darauf hingewiesen und darauf bestanden, dass es sich um einen Fötus handle und eine Abtreibung keine Tötung sei.
Ein Abort ist dann aber der Tod eines Kindes?
Ändert sich der Status, resp. die Qualität eines Ungeborenen mit der Perspektive der werdenden Mutter?
Müsste man dann nicht ein Patt anerkennen zwischen Befürwortern und Gegnern von Abtreibungen? Die Perspektive definiert den Status und entsprechend die Folgen. Ein Konsens wäre dann gar nicht möglich.
Eine Abtreibung ist eine Tötung, aber eine legale Form.
Ein spontaner Abort ist keine Tötung, sondern ein Unfall.
Ein Schwangerschaftsabbruch vor der 12. SSW, aber auch bis zur 24. SSW, ist keine Tötung, weil ein zu tötendes Individuum in der Zeit noch nicht existiert. Wäre das der Fall, handelte es sich um Mord.
Nein, ML, DAS ist nicht der – juristische – Unterschied zwischen Tötung und Mord.
@ tststst
Juristisch ist das aber alles falsch. Eine Tötung bedingt einen Menschen, diese Eigenschaft besteht erst ab Geburt. Mord wäre eine besonders grausame Version davon (sei es im Hinblick auf das Vorgehen oder auf das Motiv) davon und da hat ML wohl recht, dass man beim Vorgang der Abtreibung, sofern man dem Embryo Eigenschaften eines Menschen zustehen würde, was richtigerweise nicht getan wird, dies hier bejahen müsste.
Ein Unfall ist ein plötzliches und von aussen einwirkendes Ereignis, das zu einer Schädigung oder Tötung eines Körpers führt. Das trifft hier natürlich auch nicht zu. Übrigens im Gegensatz zu einer Schwangerschaft, diese ist tatsächlich ein „Unfall“, wobei unterschieden werden darf, ob die „Schädigung“ gewollt war oder nicht.
Ah ja, und übrigens, die empfundene Trauer kann bei einer gewollten Abtreibung genau so intensiv sein wie bei einem ungewollten Abort.
Und selbst wenn es unterschiedliche Gefühle auslöst, ändert das nicht am „Status, resp. die Qualität eines Ungeborenen“. Es sagt nur etwas über die betroffenen Frauen aus.
@ Niklas
Man sollte keine Äpfel und Birnen vermischen. Weder die beiden Fälle an sich noch die Gefühle vergleichbar, wobei nicht zu werten ist, was schlimmer ist. Es werden auch in den meisten Fällen keine Föten abgetrieben, sondern Embryonen. Aber jeder Embryo oder Fötus hat theoretisch das Potenzial zu einem Kind heranzuwachsen. Dieses Potential an sich rechtfertigt natürlich keinen Zwang für eine Frau, es auch auszutragen. Warum auch?
Gefühle haben hingegen v.a. mit Wünschen und Erwartungen zu tun und unterscheiden sich natürlich. Das auch schon vor der Zeugung: Eine Frau wird sich beim Eintreffen ihrer Tage nichts denken, die Zweite mit langjährigem unerfüllten Kinderwunsch vielleicht weinen und die Dritte darauf anstossen, dass sie zum Glück nicht schwanger ist.
Ich denke, das ist sehr individuell. Jede/Jeder soll so umgehen mit Schicksalsschlägen wie es ihm passt. Ich z.B. habe vor vier Jahren die Diagnose Multiple Sklerose bekommen. Davon wissen nur ganz wenige, eng vertraute Personen. Ich habe auch (noch) keine wahrnehmbaren Anzeichen. Warum sollte ich mit allen möglichen Leuten (lebe in einem kleinen Dorf, das wäre sofort verbreitet worden) darüber reden und mich selber immer wieder damit auseinandersetzen? Ich lebe sehr gut so. Und leider ist es auch so, dass nicht jede Nachfrage echte Anteilnahme ausdrückt, manchmal steckt schlicht Neugier dahinter. Wie gesagt, eine ganz persönliche Entscheidung.
Ich habe im Büro jeweils erst nach 3 Monaten von der jeweiligen Schwangerschaft erzählt, weil es ja schiefgehen kann (bei mir war es bei der 2. Schwangerschaft in der 10. Woche vorbei). Ich wollte erstens keine mitleidigen Blicke der Kollegen und Chefs, und zweitens wollte ich nicht, dass alle von meinem Kinderwunsch wussten (man wird sonst schnell benachteiligt). Das ist wohl Typsache. Ich trauerte auch, aber wollte nur meinen Mann um mich in dieser Zeit.
Das mit der Benachteiligung war auch Grund dafür, dass ich es im Geschäft erst spät erzählt habe. Als Frau mit „sicherem“ Kinderwunsch wäre ich nicht mehr zu interessanten Projekten gekommen bzw hätte das Pensum nicht erhöhen können.
Danke und ich schliesse mich vollumfänglich an. Ich ging sehr offen mit meiner Fehlgeburt um. erst als ich das tat, kamen viele Frauen auf mich zu und meinten, sie hätten das auch erlebt. Auch Frauen, die mir nahe stehen und von denen ich sonst so manche intime Details weiss. Der Tod, ob nun in der frühen Schwangerschaft oder auch später, ist ein schwieriges Thema in unserer Gesellschaft. Aufgewachsen mit dem „alles ist möglich/machbar“-Gefühl können wir sehr schwer damit umgehen und kommen schnell zu „man hätte doch etwas machen können“ und damit zum „wer ist schuld“. Etwas Offenheit würde helfen zu akzeptieren, dass man auf manche Sachen schlicht keinen Einfluss hat. Mein Beileid an die Autorin und die anderen Betroffenen.
Danke – mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit.
Das brauchen wir, das braucht unsere Gesellschaft.
Ich weiss auch nicht woher das kommt, dass jeder still seine Lasten trägt und gegen aussen das „hier ist alles super Gesicht“ zeigt.
Es ist zu nichts nutze.
Ich kann der Meinung der Autorin nur halb zustimmen. Zum einen ist es richtig, dass das Thema Abort kein Tabu mehr sein sollte. Auch ich habe mich sehr alleine gefühlt mit meinem Verlust. Beide Male. Aber:
Ich habe mich nach meinem ersten Abort entschieden, nicht mehr vor Ablauf der ersten 3 Monate über eine Schwangerschaft zu sprechen und das war eine gute Idee. So konnte ich nämlich von meinem zweiten Abort erzählen, als ich soweit war. Beim ersten Mal war es grässlich, sofort, als ich selbst noch völlig geschockt war, davon erzählen zu müssen, weil doch alle nachgefragt haben, wie die Untersuchung war. Es ständig erzählen zu müssen hat alles noch schlimmer gemacht. Beim zweiten Mal konnte ich von meinem Verlust erzählen, als ich bereit war. Das hat es etwas leichter gemacht.
Der Artikel ärgert mich sehr. Ich bin der Meinung, jeder soll selber entscheiden, wann er/sie wem von einer Schwangerschaft erzählt. Da gibt es doch kein richtig oder falsch! Und in der Regel ist es doch auch so, dass man – auch wen man es nicht überall publik macht – eine Handvoll Vertraute hat, denen man freudestrahlend vom positiven Test berichtet und mit denen man im Falle einer Fehlgeburt auch die Trauer teilen kann. Ich hatte mehrere Fehlgeburten und hätte diese wirklich nicht mit dem ganzen Büro teilen wollen.
Da kann ich nur zu 100% zustimmen! Ich fand es schrecklich, wie alleine meine Frau sich damals gefühlt hat.
Wie ich mit anderen Männern darüber gesprochen habe, musste ich feststellen, dass eigentlich alle Paare in unserem Umfeld schon Frühaborte, Ausschabungen, etc erlebt haben. Aber leider reden die Frauen miteinander nicht darüber.
Es ist ein Teufelskreis: Die Frauen reden nicht darüber, weil sie sich schlecht oder schuldig fühlen. Und genau deshalb glauben die nächsten Frauen, sie wären Einzelfälle, fühlen sich schlecht und schuldig und reden ebenfalls nicht darüber.
Deshalb: Herzlichen Dank für den Artikel!
Ihr Kommentar hat mich zum Kopfschütteln gebracht. Ich erlebe, das Gegenteil: Frauen reden untereinander darüber und bei Männern ist es ein Tabu.
Danke für diese ehrlichen Zeilen. Ich empfinde es genau so. Vor zwei Jahren hatte ich eine Eileiterschwangerschaft. Auch ich erzählte es den Menschen in meinem Umfeld und die tröstenden Worte, die Besuche im Krankenhaus und zu Hause, die Umarmungen und einfach das „Da-Sein“ von allen, hat unglaublich gut getan und mir und auch meinem Mann sehr geholfen. Ein solches Umfeld ist unbezahlbar und so wertvoll. Auch ich war damals erstaunt wie viele Frauen/Paare schon Ähnliches erlebt haben. Die Geschichten von Paaren mit derselben oder ähnlichen Erfahrung, bei denen es aber mit der Elternschaft doch noch geklappt hat, gaben uns Mut, Kraft und Zuversicht. Und mittlerweile sind wir glückliche und stolze Eltern von einem sieben Monate alten Jungen.
Ich habe auch nie verstanden warum man drei Monate nichts sagen soll. Ich habs immer sofort allen gesagt, auch im Büro. Grad bei der ersten Schwangerschaft, als mich die plötzlich einsetzende starke Übelkeit komplett überrascht hat war ich froh, wussten alle bereits Bescheid und hatten grosses Verständnis.
Same here, ich war in der zweiten Schwangerschaft auch fast sofort einen Monat krank geschrieben wegen massiver Übelkeit, an arbeiten war nicht zu denken. Niemals hätte ich dafür einen anderen Grund vorgeschoben.
Vielen Dank für diesen ehrlichen Bericht. Mir erging es genau gleich, doch leider habe ich es für mich bzw im kleinen Kreis nur erzählt. Als es passierte war ich total schockiert, da ich selten davon gehört habe, da wie sie schreiben „es“ ein Tabuthema ist. Später verstand ich dass viele davon betroffen sind und es tat so gut sich mit solchen Leuten darüber zu unterhalten.
Es könnte mehr über dieses Thema durch den behandelnden Arzt aufgeklärt werden finde ich.
Ausserdem finde ich das Wort „Auskratzung/Ausschabung“ auch absolut schrecklich.
Wir haben je ein Abschiedsritual für unsere 3 Sternchen gemacht und das hat sehr gut getan. 1 Sternchen war ein Zwilling und wir werden es später unserem Kind erzählen.
Danke…
Nach meiner 2. Fehlgeburt vor 2 Monaten spricht mir dieser Beitrag aus dem Herzen…
Danke…