Muttergefühle mal anders

Kinder provozieren krasse Liebe, schnelle Tränen – und überraschende Emotionen.

Nahkampf zwischen den Haarwurzeln: Ihre Lust am Lausen zählt die Autorin zu den wahren seelischen Abgründen. Foto: Gaëtan Bally (Keystone)

Ein unguter Abschied vom Nachwuchs am Morgen – und ich bin bis Mittag pampig-bedrückt. Ein tagelang fieberndes Kind, dessen Stirn wieder kühl ist – und ich spüre im Winter den Frühling. Und manchmal, da reicht ein rührseliger Werbespot –und mir kommt das Augenwasser.

Solche Emotionen waren zwar neu für mich, als ich Mutter wurde. Sie haben mich aber weder überrascht noch irritiert. Neben diesen, ich sag mal, klassischen Elterngefühlen, beobachte ich seither allerdings auch Dinge in meiner Seelenlandschaft, die mir beinahe schon etwas unheimlich sind. Kennen Sie das? Hier eine kleine Auswahl:

Sinnstiftendes Staubsaugen
Als Eltern trifft man hie und da auf Sauereien. Durchs Teesieb gepresste Dar-Vidas, zum Beispiel, oder andere experimentelle Missionen, die sich gewaschen haben. Sind sie trocken, immerhin, lässt sich mein Adrenalinspiegel schnell senken: Dieses schöne Frchrp … frchrp… frchrp der kleinen Stückchen im Staubsaugerrohr, vermischt mit einem gelegentlichen Ffffrrrchrrrppp eines grösseren Brockens, gibt mir ein, ja, irritierendes Gefühl von Sinn und beruhigt mich besser als Walgesänge. (Wehe aber, wenn es zwischen frchrp… frchrp plötzlich klonk macht. Dann ist Schluss mit Wohlbehagen. Stets muss ich meine Hand in die staubige Pampe wühlen. Obwohl ich weiss, dass der Tastbefund in zehn von zehn Fällen lautet: zerkauter Filzstiftdeckel!)

Kuscheliges Nichtaufräumen
Lego zu Lego, Playmo zu Playmo und Play Dough nicht im Teppich: Alles wo es hingehört, dann gehts mir gut, Ordnungsfanatikerin, die ich bin. Doch gibt es inzwischen auch goldene Momente, in denen ich eine ungeahnte Toleranz dem «Puff» gegenüber aufbringe. In denen ich in eine 40-Zentimeter hohe Schicht aus wild verteilten Legosteinen, zerfledderten Pixiebüchlein, abenteuerlichen Kartonbasteleien und temporär verwaisten Plüschtieren eine Kuhle forme, mich hineinkuschle, den Kopf an ein am falschen Platz liegendes Sofakissen lehne und Feierabend mache.

Befreiendes Brüllen
Die eben beschriebene Toleranz ist jedoch nur temporär. Bin ich mal tagelang über dreckiges Turnzeug gestolpert oder entdecke die beim heimlichen Schinkenwürfeli-Naschen unbeabsichtigt gelegte Spur durch die halbe Wohnung, ist es aus. Es sind wohl nur Wortfetzen, die dann, wenn überhaupt, bei den Kindern ankommen: «Nase voll » … «hundert Mal gesagt» … «nicht eure Bedienstete» … – dafür mit gefühlten 120 Dezibel. Obwohl ich zu jedem Zeitpunkt weiss, dass Konstruktivität und Konsequenz zielführender wären als cholerische Anfälle, höre ich oft nicht auf. Und zwar nicht immer, weil ich nicht kann. Manchmal auch, weil ich nicht will. Ups!

Lustvolles Lausen
Nun zu den wahren seelischen Abgründen: die Lust am Lausen. Beim jeweils ersten Viech, das im Lavabo krabbelt, ergiesst sich der Ekel wie ein klebriger Guss über mich und die Erkenntnis sackt: Ou, nei …! Umgehend folgt die erste Giftattacke. Und dann mutiere ich zur passionierten Terminatorin im ausgedehnten Nahkampf zwischen den Haarwurzeln der vor dem Kika parkierten Kinder. Es finden sich ja immer noch ein paar torkelnde Verwundete. Und tatenlos warten, bis die kleben gebliebenen Nissen schlüpfen, bis zum zweiten Grossangriff? Dazu ist die Lage zu ernst. Dazu ist aber auch dieses Hochgefühl bei jedem Strike mit den eigenen Fingernägeln viiiel zu unbezahlbar. Hier ist eine! Und hier, noch eine! Ich krieg’ euch alle! Und gleichzeitig krieg’ ich etwas Angst vor mir!

Herzerwärmendes Kleintier-Retten
So voller Lust am Vernichten bin ich nicht immer. Im Gegenteil. (Psychologen würden es wohl Überkompensation nennen). Da war mal dieser Knubbel am Bauch unserer Rennmaus. Ein Tumor, man könne das operieren, sagte die Tierärztin, aber … Während sie Risiken und Nachteile aufzählte, werweisste ich im Stillen, wie viele Mäuse täglich in unserem Garten verenden, und rechnete aus, dass wir für die Kosten der OP viereinhalb neue Tiere kaufen könnten. «Okay, probieren wir es», hörte ich mich da bereits sagen. Die Kinder standen neben mir, Hände und Augen gleichermassen feucht. Natürlich tat ich es für sie. Und für die Maus. Aber ein bisschen auch für mich. Und wunderte mich, wie weit das noch führen wird mit dieser Elternschaft.

Von welchen Gefühlen werden Sie überrascht, seit sie Mutter oder Vater sind?

PS: Die Maus lebt übrigens noch und erfreut sich wieder bester Gesundheit.

16 Kommentare zu «Muttergefühle mal anders»

  • Hans Minder sagt:

    Eltern porträtieren sich als Opfer! Jeder denkt: „Kinder gäbe es genügend, die AHV/Pensionskasse versorgt mich bis zum Lebensende und das Kaufhaus wird immer volle Regale haben. Im Jahr 2009 gab es in Griechenland einen parlamentarischen Vorstoss, die AHV aufzulösen, um den Staat vor der Schuldenkrise zu bewahren. Die Kinder sollten finanziell für die Eltern aufkommen (der Vorstoss wurde nicht umgesetzt). Irlands Hungersnot (Kartoffelfäule 1845-49) ist noch nicht vergessen. Der Bananenpilz vernichtet heute Plantagen in Zentral- Südamerika, die Schweinegrippe wütet in Asien. Es gibt Wissenschaftler, die vor Hungersnöten warnen (sollte sich ein Schädling auf den Agrar-Monokulturen ausbreiten). Finanz-Analytiker prognostizieren eine neue Finanzkrise. Kinder sind für die Zukunft lebenswichtig

  • DavidK sagt:

    Schmutzel, danke für den pointiert geschriebenen Aufsteller….kann zwar bezüglich der „Mutter“ Gefühle nicht mitreden, aber auch als Vater eines zweijährigen Energiebündels erkenne ich mich an vielen Stellen wieder. Dinge wie Körperausscheidungen, Schorf, kleine Krabbeltiere etc. werfen mich nicht so schnell aus der Bahn, aber angekaute und wieder ausgespuckte Esswaren, welche man mangels Alternative selber essen muss….für mich ein Graus, aber eben…. : )

  • 13 sagt:

    Schöner Text. Egal, wie analytisch, vernünftig und eher gelassen man ansonsten sein kann, die Elternschaft schafft uns alle. Plötzlich entdeckt man Züge in sich selber, die man nie für möglich gehalten hätte. Und auch wenn das etwas verpönt ist, bei so manchem Kommentar hier drin von kinderlosen Mitschreiber habe ich schon geschmunzelt und gedacht: „Das würdest Du wohl anders schreiben, wenn Du Kinder hättest.“ Nicht, dass sie nicht willkommen wären, aber der Standpunkt ist und bleibt halt ein bisschen ein anderer. Oder wie man so schön sagt: „Es gibt sie, die perfekten Eltern. Sie haben nur noch keine Kinder“ 😉

    • Brunhild Steiner sagt:

      @13

      nicht nur das Kind, auch eine ganz neue Dimension der Auseinandersetzung mit sich selbst kommt auf die Welt, eine Abenteuerreise in ungeahnte Höhen- und dementsprechende Abgründe… 😀

  • romeo sagt:

    Ich musste aufräumen und der Kühlschrank bzw Selbstbedienung war tabu. Frau kann sich die Nerven auch selber strapazieren…

  • Melanie sagt:

    Danke für diesen Text, er spricht mir aus dem Herzen.
    Elternschaft verändert einem, gerade eben, weil man immer wieder mit neuen Herausforderungen konfrontiert wird, welche man sich vor einigen Jahren noch nicht im Traum vorstellen konnte und die man schliesslich irgendwie meistert.
    Wir hatten gerade die erste (und hoffentlich letzte) Lauskrise……. 🙂
    You live and learn

  • Anna77 sagt:

    Sehr witziger Text, und ich habe mich selber drinn erkannt..aber das mit der OP für die Maus..hey sorry

  • Ellynelly sagt:

    Ein toller Text. Hat mich zum Lachen gebracht & mir das Gefühl gegeben, ich sei nicht allein. Danke.

  • New Mum sagt:

    Ach wie ich mich wieder finde in Ihrem Text, Danke 🙂

  • lexorius sagt:

    Halte das für übertrieben aber symptomatisch heutzutage. Entweder werden Kinder vergöttert oder gehasst. Etwas dazwischen ist selten. Beides wird den Kindern nicht gerecht und ist zu deren Schaden. Der Artikel zeigt lediglich eine Mutter die in symbiotischer Einheit mit ihren Kindern lebt. Es gibt scheinbar keinen anderen Lebensinhalt mehr als das Muttersein, darum muss das Kind für die nötigen Emotionen sorgen. Wie soll sich ein kleiner Mensch entwickeln an so einem instabilen Elternteil – hier steuert das Kind den Erwachsenen.

    lg lexorius, selbst Vater von 3 Kindern.

    • Carolina sagt:

      Meine Güte, was Sie so in diesen Text hineininterpretieren…… Entweder Sie haben ihn gar nicht gelesen oder Sie sollten mal Ihre Wahrnehmungen überprüfen: Spieglein, Spieglein an der Wand vielleicht?
      Ich finde den Text sehr treffend – es ging mir gleich, Gefühlszustände, die ich nie im Leben erwartet hätte, haben mich überwältigt, als wir Kinder bekamen. Und ich meine wirklich überwältigt……..
      Das geht auch wieder vorbei, wenn die Kinder älter sind, aber mir erschliesst sich nicht, warum das in irgendeiner Weise schädlich sein soll……

      • Reincarnation of XY sagt:

        Carolina
        „aber mir erschliesst sich nicht, warum das in irgendeiner Weise schädlich sein soll……“

        „Ich denke, das hat mit Empathiefähigkeit zu tun. Offenbar geht sie einigen Eltern ab, die lästern dann, weil sie es nicht verstehen können und deren Kinder wachsen emotional verkürzt auf.“

    • JoeCH sagt:

      Tja lieber lexorius.
      Für Eltern ohne Selbstironie braucht es entweder viel Verdrängungskraft, eine/n ausgleichende/n Partner/in oder Exit…..
      (Bin Vater von 4 lebhaften Kindern)

      • Tamar von Siebenthal sagt:

        @ lexorius

        Liebe und Empathie ist etwas vom Einzigen, was nicht weniger wird, wenn man es verschwendet.

        Ich kenne niemanden, der durch zuviel Liebe irgendwie verdreht ist, aber umso mehr seelische Krüppel, welche davon viel zuwenig erhalten haben.

  • Reincarnation of XY sagt:

    Sympathischer Text.
    Jetzt, wo die Kinder älter sind, merke ich, wie sich auch meine Gefühlswelt wieder ändert. Ich denke, das hat mit Empathiefähigkeit zu tun. Offenbar geht sie einigen Eltern ab, die lästern dann, weil sie es nicht verstehen können und deren Kinder wachsen emotional verkürzt auf.

    Also, geniessen Sie das Gefühlsbad in dieser Kinderwelt. Voller Höhen, Tiefen und Abgründe. (Mein Abgrund: Schorf vom Babykopf abkratzen. Brrr aus der Ferne betrachtet noch gruseliger.)

  • Brunhild Steiner sagt:

    Danke ist Annahme und Wärme zurück, und das nicht nur zwischen den Zeilen
    🙂

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