Ich, die Woodstock-Mama

Junge Menschen, so weit das Auge reicht: Besucher am Gurten-Open-Air 2019. Foto: Peter Klaunzer (Keystone)
Mein Sohn und ich teilen ein paar Dinge: Etwa Sneakers (der 11-Jährige hat gerade dieselbe Schuhgrösse wie ich), eine Schwäche für Dosenrahm – und seit längerem verbindet uns die Liebe für Rap-Musik. Wobei er eher auf New und ich auf Old School stehe. Was manchmal zu Diskussionen vor der heimischen Boombox führt.
Es war wohl einer dieser Momente, als ich auf die Idee kam, mit meinem Grossen in den Sommerferien ein Open-Air-Festival zu besuchen – um unsere Musik live zu sehen. Und überhaupt kommt Einkindzeit als Zweifachmama sowieso zu kurz. Also, auf!
Die Wahl fällt schnell auf den Gurten, da auf dem Berner Hausberg an einem Abend gleich drei unserer Lieblingsrapper auftraten: Trettmann und Marteria mit Casper. Mein Sohn ist begeistert vom Plan: Ein Abend zu zweit, viel Musik auf dem «Güsche», dann Übernachten in der Wohnung einer Berner Freundin. Zelten war schon früher nicht so mein Ding – mit Kind wollte ich mir das noch weniger antun.
Als dann der Tag da ist, kann ich es kaum erwarten, mit meinem Jungen in den Zug nach Bern zu steigen. Seinen jüngeren Bruder haben wir zuvor beim Grossmami abgegeben. Ich freue mich wie ein Kind auf unser gemeinsames Abenteuer.
Filmen für den Klassenchat
An der Talstation der Gurtenbahn ist das erste Mal Staunen angesagt: Die Warteschlange scheint unendlich lang, trotzdem ziehen wir sie angesichts der Sommerhitze dem Aufstieg zu Fuss vor. Die Stunde Warten mit anderen vorfreudigen Festivalbesuchern – viele jünger als ich, alle älter als mein Sohn – ist ein gutes Warm-up für meinen Sohn.
Oben auf dem Berg geht das Staunen dann weiter. Auch das von Mama. Denn das Festival, das ich selber vor Urzeiten zum letzten Mal besucht habe, ist um einiges grösser geworden. Eine Erkundungstour, vorbei an duftenden Food-Ständen, kleinen Buden mit Krimskrams zu den Musikbühnen, auf denen die Nachmittagskonzerte bereits im vollen Gange sind, bringt uns langsam in Stimmung. Überall tanzende Menschen, Mädchen mit geflochtenen Haaren, Glitzer im Gesicht und grinsende Jungs mit Hip-Bags quer über der Brust. Da ist ein Flimmern in der Luft – und ein Hauch von Woodstock.
Je dunkler es wird, desto ausgelassener die Stimmung. Und immer mehr Menschen. Dann das Konzert von Trettmann, wir mitten drin, vor der Bühne, rings um uns Jugendliche im Dunst. Mein Sohn muss sich ziemlich strecken, um nach vorne zu sehen und hält sein Handy in die Höhe. Filme für den Klassenchat. Er singt die Songzeilen mit, zuerst verhalten, dann immer bestimmter, getragen von der Menge. Irgendwann fasst er mich bei der Hand, und wir schlängeln uns durch die Fans an den Rand und schauen von dort weiter.
Bilder, die bleiben
Es ist bereits kurz vor Mitternacht, als mein Sohn verstohlen das Gähnen unterdrückt. Wir warten auf das Konzert von Marteria und Casper – die kurz darauf, begleitet von fetten Beats und blinkenden Lichtern, auf die Bühne stürmen. Als dann die immer betrunkeneren Gäste um uns ins Wanken und ins Grölen kommen, lehnt mein Sohn sich an mich. «Was isch mit däne los?», fragt er mich. Ich umarme ihn fester, und wir lassen uns von der Rap-Show mitreissen.
Der Alkoholpegel auf dem Gelände, der parallel mit der Müdigkeit des Kindes steigt, veranlasst uns schliesslich, diese Party zu verlassen. Auch wenn das Konzert noch nicht fertig ist. Dieses Mal nehmen wir den Weg zu Fuss in die Stadt runter. Zusammen mit vielen anderen, ein Plaudern und Lachen auch hier wieder. Es ist steil und dunkel, mein Handydisplay leuchtet uns den Weg. Wir halten uns immer noch an der Hand – viele Melodien im Kopf.
Klar, es gab Momente des Zweifels. Etwa, als Joints rings um uns angezündet wurden und mein Sohn mich ängstlich fragte: «Isch es schlimm, wänn ich dä Rauch iischnuufe?» Oder als mir eine Security-Frau mit leicht vorwurfsvollem Blick auf meinen Becher Bier «Ohrstöpsel für das Kind» in die Hand drückte. Oder der Moment, als ich meinen Sohn von einem gefährlich torkelnden Mann abschirmen musste.
Aber es sind andere Bilder, die bleiben. Wir zusammen am Singen, am Wippen in der Menge, am Fachsimpeln über Musik, der Sonnenuntergang über den Zeltdächern. Nie vergesse ich die glänzenden Augen meines Sohnes, als sein Star Trettmann die Bühne betrat. Und wie er – der sonst so coole – immer wieder nach meiner Hand griff und ich ihn durch die Menge führte. Oder er mich.
Gut, haben wir dieses Erlebnis diesen Sommer geteilt. Denn wer weiss, vielleicht vergeht kein Jahr, und mein Grosser hat keine Lust mehr, mit mir an ein Konzert zu gehen. Viel zu peinlich, wenn die Mutter daneben wild tanzt und womöglich noch lautstark mitsingt!
24 Kommentare zu «Ich, die Woodstock-Mama»
Die Mutter weiss intuitiv am besten was für Ihr Kind gut ist. Also falls sie nicht irgendwie psychisch schwer krank ist. Und gemeinsame Erlebnisse verbinden. Je mehr davon oder je intensiver desto stärker die Bindung.
„…um unsere Musik live zu sehen.“ Das kann man nicht ernst nehmen.
Mutter und Kind ist eine Einheit. M.e.
Finde ich toll. Meine Mutter ging mit mir ins Theater, aber OpenAir? NEVER. Da waren unsere Musikstile viel zu verschieden. Ich Metal, sie Ragae. Heute wenn ich so darüber nachdenke hätte ich auf den Musikgeschmack pfeifen und einfach mal mit ihr an ein Ragae Konzert gehen sollen, oder eben an das Jazz Festival in Montreux.
Ich denke, das holen wir nächste Jahr nach, auch wenn sie mittlerweile 67 ist aber immer noch sehr gerne Regae hört.
PS: Ignorieren Sie die Leute hier, die sind hier alle ein bissel merkwürdig.
Inklusive „Dani“.
Reggae….. Das Ding heisst Reggae, nicht Ragae.
Normale Menschen wissen, dass Mutter-Kind Beziehung wichtig ist. Sollte man an die Kesb und Psychologen versenden.
Danke. Sie haben mich gerade auf die Idee gebracht, wie es gewesen wäre, wenn ich mit meiner Mutter 1969 am Woodstock-Festival gewesen wäre – ich war damals nämlich genau 11, wie ihr Sohn.
Was hat dieser ganze Besuch auch nur im entferntesten mit Woodstock zu tun ? Woodstock, das waren 3 Tage Love & Peace und dem Bild zufolge, war die Autorin zu diesem Zeitpunkt noch nichtmal geplant.
Es war ein Bericht eines tollen Konzertbesuch von Mutter und Sohn. Schön das sie es so machen konnte. Aber eben auch nicht mehr und nicht weniger. Und Woodstock war eine ganz andere Nummer. Ich empfehle dazu den Film, mal nachlesen, wie die Welt 1968 so aussah und die diversen Berichte über das Festival in den Mediatheken.
Ja, aber der Vogel von Snoopy (in Charlie Brown) heisst auch Woodstock
Na ja, zum Thema „Kinder an Festivals“ könnte man Woodstock durchaus hinzuziehen. Es ist ja nicht so, als wären da nur Erwachsene gewesen. Nur würde die nähere Betrachtung den schönen Love&peace-Schein wohl ein klein bisschen trüben….
Solche Erlebnisse sind Gold wert, gerade auch für die Beziehung Mutter-Kind, die sich mit dem älter werden des Kindes durchaus verändert. Der Gurten eignet sich da gut, da er weitläufig ist und somit auch ein Zurückziehen an ruhigere Orte zulässt. Was den Alkohol und die Joints anbelangt, dies gibt es und ich denke nicht, dass wir unseren Kindern einen Gefallen machen, wenn wir sie abschirmen. Evtl. ist es sogar gut, wenn sie sehen, was die Folgen exzessiven Konsums sein können. Auffangen, wenn sie verunsichert sind und Fragen beantworten hingegen ist der richtige Weg.
grossartig! danke! 🙂
Es ist ein unglaublich schönes Gefühl, mit dem Kind etwas das erste Mal zu erleben! Es geht tief ins Herz! Alles was rundherum dann passiert ist nebensächlich, der gemeinsame Moment unbezahlbar!
Also brauchts eine Securitas, um dafür zu sorgen dass Sohnemanns Ohren geschützt sind? Echt jetzt? Nichts gewesen mit cooler Woodstoockmutter.
Wieso wieder so abschätzig, Frau Tamar? Gönnen Sie doch Mutter und Sohn dieses einmalige Erlebnis.
Und dass die Mutter das Kind passivem Drogenkonsum aussetzt, stört sie nicht?
Und der gefährliche Heimweg?
Das schlechte Vorbild betr. Alkoholkonsum? Resp. die Traumatisierung durch andere Alkoholiker?
Bitte nicht falsch verstehen, es ist auf die Gesundheit zu achten; aber man könnte der Mutter aus allem einen Strick drehen…
PS: Woher wissen wir, dass die Security-Frau nicht offene Türen eingerennt hat?
Tamar. Hauptsache gemotzt, oder? Ich war mit meiner Tochter – damals 9 – an einem Konzert. Trotz gut sichtbarem Ohrschutz in Kopfhörerform, hat man uns Oropax für das Kind in die Hand gedrückt. Vorschrift! Also, nicht einfach drauflosmotzen, wenn man die ganze Geschichte nicht kennt. Vielleicht hatte die Autorin ja was dabei!!!
Wenn das Kind es will… kein Thema , kann man es auch auf ein Konzert nehmen. Nur dass man Seine Ohren schützt, und – wie die Autorin – Notfalls das Konzert früher verlässt.
Falsch ist es erst, wenn Kinder zu diesem „Glück“ gezwungen werden, im Sinne von Papa findet das cool und du selbstverständlich auch.
Wenn ich meinen Eltern einen Vorwurf mache, dann ist es die Musiksucht!
Meine CD-Käufe (pardon… Streaming-Dienste) würden wohl locker für eine Weltreise reichen und mit den Konzertkarten könnte ich meine ganze Wohnung tapezieren!
Und alles weil ich wohl noch vor dem Laufen den Plattenspieler bedienen konnte und ich in ungefähr demselben Alter wie der Sohn der Bloggerin auf den Geburi das erste Konzert geschenkt bekam!
PS: „und mein Grosser hat keine Lust mehr, mit mir an ein Konzert zu gehen. Viel zu peinlich, wenn die Mutter daneben wild tanzt und womöglich noch lautstark mitsingt“ Das ist nur eine kurze Phase, Sie sind bald wieder willkommen 😉
Kommt ganz auf das Open Air an und mit welchen Freunden unser Kind dorthin geht. Und um welche Zeit es wieder zuhause ist. Früher dranken die Jungen Coca Cola, heute drinken sie Vodka, das macht den Eltern Angst. Thema Bier : eine Falsche ok, 5 – 10 Flaschen nein.
Wann war denn ihr ominöses früher?
Also vor 20 Jahren mit 15/16 tranken mein gesamter Kollegenkreis und Ich bereits Bier/Vodka/Whatever als wir das erste mal ein Festival besuchten.
Das tun wir übrigens auch heute noch.
Bei mir ist früher noch früher… Ende 70er / Anfang 80er. Und natürlich tranken wir auch Alk… in einem Alter, in dem es offiziell noch nicht erlaubt war. Auch wenn man so brav aufwächst wie ich damals, gehört es doch irgendwie dazu, auch mal über die Stränge zu schlagen. Erzählt hat man den Eltern davon natürlich nichts, und sie haben auch nicht alles mitbekommen. Manches aber doch, wie ich heute weiss 😉 Im übrigen tranken wir auch Cola. Mit Schuss.
Und das Gras haben wir im „Badezusatz“-Shop gekauft….