Hurra, Papa! Krankenwagen!!

Je mehr Rettungsfahrzeuge, umso besser! Kinder lieben Unfälle und Polizeieinsätze. Foto: iStock

«Oha, wo kommt das denn her?», denke ich und versuche mich zu orientieren. Ich sitze in meinem Auto und checke Rück- und Seitenspiegel, um zu sehen, ob das dringliche Tatü-Tata irgendwo hinter mir ist. Nichts zu sehen, Seitenstrasse vielleicht? Ich stehe an einer Kreuzung, die sich direkt vor der Ampel wegen einer Baustelle auf eine Spur verengt, und frage mich mit ansteigender Nervosität, wohin ich bei Bedarf wohl ausweichen könnte. Seitenstrasse auch nicht. Dann beginnen sich die Fahrzeuge hinter mir allmählich auseinander zu bewegen, obwohl das in dieser Trichterformation mit Korkenverschluss an der Ampel so gut wie unmöglich ist.

«Feuerwehr!» jubelt meine Zweijährige. «Polizei! Krankenwagen!!» ergänzt mein Vierjähriger und fängt vor Freude an, auf seinem Sitz herumzurutschen.

Grosse Show – ohne blutige Details

«Was machst’n jetzt?», erkundigt sich mein grosser Sohn halb gelangweilt, halb interessiert. Ich überlege. Kraft meiner Gedanken die Raumzeit so zu falten, dass unsere riesige Familienkutsche aus diesem Dilemma verschwindet, wird wohl nicht funktionieren. Ich kann ja Kraft meiner Gedanken noch nicht mal Wasser erhitzen. Geschweige diese Trichteranordnung mit verschliessendem Verkehrszeichenkorken auflösen. Aber die Ampel kann. Schliesslich und endlich schaltet sie doch auf grün, die zwei Autos vor mir fahren auf die Kreuzung und weichen aus. Ich schliesse mich ihnen an.

Bunte Show? Traurige Realität! Foto: Keystone

«Hurra!» brüllen die Kleinen, als der Krankenwagen an uns vorbeischiesst. «Krankenwagen, Krankenwagen!» Und nicht zum ersten Mal hinterlässt die Absurdität der Situation einen bitteren Beigeschmack. Denn es sind nicht nur meine Kinder, die Einsatzfahrzeuge lieben. Sie freuen sich über Unfälle, Krankentransporte und Polizeieinsätze. Am liebsten hätten sie einen Hubschraubereinsatz, an dem mehrere Bodenfahrzeuge und schweres Gerät beteiligt sind. Damit so richtig was los ist. Wie in ihren Bilderbüchern. Was genau dahintersteht, können sie allenfalls erahnen. Woher sollten sie auch die Details kennen, wenn ihre Bilderbuchwelten und Erziehungsberechtigten (also auch ich) versuchen, ihnen die blutigen Details zu ersparen.

Besagter Grosseinsatz ist keine gute Sache. Und schon gar kein Unterhaltungsprogramm. Klar ist es toll, dass die Rettungskräfte vor Ort sind, um schnell und kompetent zu helfen. Aber darum geht es allenfalls am Rande. Mein Vierjähriger will sehen, wie eine Rettungsspreize zum Einsatz kommt, seit er in der Kita zum ersten Mal das Buch über die Einsatzgerätschaft der Feuerwehr gesehen hat. Dass es dabei darum geht, jemanden, der vermutlich schwer verletzt ist, aus einem völlig demolierten Fahrzeug zu befreien, realisiert er nicht. Seine Schwester und er interessieren sich für diese Dinge, weil sie bunt, laut, gross und aussergewöhnlich sind. Sie wollen die Show.

Gestorben wird erst sehr, sehr viel später

In elterlichen Erzählungen und Büchern gibt es keine abgetrennten Körperteile, keine Leichensäcke, keine trauernden Angehörigen, überforderte Rettungskräfte oder auch nur den Anschein, dass etwas nicht funktionieren könnte. Die Geschichten glänzen mit zuversichtlichen Menschen, nagelneuen Geräten und lösbaren Aufgaben. Und wenn wir ehrlich sind, dann hätten wir Erwachsenen diese Welt auch am liebsten genau so: einfach, überschaubar, lösungsorientiert. Unfälle ereignen sich , sind aber nicht tragisch. Wunden können immer geheilt werden. Alle sterben erst, wenn ihre Zeit gekommen ist. Sehr, sehr viel später, irgendwann. Lohnt sich nicht, weiter darüber nachzudenken.

Ich habe damit begonnen, meine Kinder behutsam darauf hinzuweisen, dass die Gründe für Rettungseinsätze auf der Autobahn meist damit zu tun haben, dass jemand sich verletzt hat. Es fühlt sich nicht gut an. Ich will sie nicht verängstigen, und ich habe auch kein Interesse daran, ihre Begeisterung für Einsatzfahrzeuge und Rettungskräfte zu dämpfen. Denn wie gesagt: Es ist grossartig, dass es sie gibt. Aber diese Fetischisierung macht mich fertig. Dieses luftleere Abfeiern vom Umgang mit kleinen und grossen Katastrophen, ohne dass die Katastrophen auch nur angedeutet werden, halte ich einfach nicht mehr aus. Ein Martinshorn ist kein Auftaktstusch für eine Unterhaltungssendung. Es ist ein Signal dafür, dass viel zu viel auf dem Spiel steht. Ich werde Mittel und Wege finden müssen, das meinen Jüngsten altersgerecht zu erklären. Auch und gerade, weil es keine einfachen Erklärungen gibt.

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22 Kommentare zu «Hurra, Papa! Krankenwagen!!»

  • Freddy Kuhn sagt:

    Vielleicht erklärt das auch warum auch im Erwachsenenalter sehr viele Leute diese Einsätze begaffen, Fotos von Verletzten schiessen, Rettungskräfte aufhalten oder gar auslösen wie z.B. zündelnde Feuerwehrmänner.
    Frei nach dem Motto Gier nach Action, Folgen egal. Und das lehrt uns halt die Unterhaltungsindustrie.
    Bestes Beispiel: Das Manowar Plakat am Bahnhof ZH. Abgerissene Köpfe und Körper aber keiner findet das absurd.

  • Petra Vonlanthen sagt:

    PS: Kennen Sie das Teddybärspital? Dies wird von Medezinstudenten organisiert und bietet Kindern einen guten Einblick in das Spitalgeschehen inklusive Ambulanzbesichtigung.

  • Petra Vonlanthen sagt:

    Die Kinder sind von der Technik und dem Lärm begeistert. Die erforderlichen Hintergrundinformationen werden in den entsprechenden Bilderbüchern (die Phase findet eher vor dem Lesealter statt) meist sehr sanft und andeutungsweise gezeichnet. Wir haben unseren Kindern seit je her erklärt, dass jedes Lebewesen zerbrechlich ist & ein Körper schnell schwer bis tödlich verletzt sein kann. Das ist Teil des Lebens, wie der Tod auch. Soweit ich das beurteilen kann, hat sie diese Information nicht verängstigt sondern einen Schritt im Verstehen des Lebens weitergebracht.

  • Lichtblau sagt:

    Wenn uns früher auf Spaziergängen ein Rettungsauto mit eingeschalteter Sirene begegnete, wünschte mein sonst unbekümmerter Vater mit verhaltener Stimme jeweils „alles Gute“. Damit machte er deutlich, dass da etwas Schicksalhaftes passierte und das hat uns Kinder schwer beeindruckt.

    Aber Feuerwehrautos liebten wir trotzdem und zu gerne hätten wir den Live-Einsatz eines „Sprungtuches“ miterlebt.

  • Werner Graf sagt:

    Sehen Sie es doch positiv. Solange er für Mensch und Technik der Blaulichtörganisationen und deren Arbeit schwärmt, schwärmt er für soziale Hilfsorganisationen und Einrichtungen unseres Gemeinwesens.
    Wenn er für VIP Vehikel und superreiche Abzocker mit Silikonbarbies schwärmt, dann würde ich mir sorgen machen.

  • Samira sagt:

    An dem „luftleeren Abfeiern“ sind Sie selber schuld. Man kann schon kleinsten Kindern erklären, dass Rettungsfahrzeuge nach einem Unglück unterwegs sind und das es durchaus mit Trauer, Verlust und Schmerz zu tun haben kann – damit nimmt man Kindern auch kein Stück Kindheit, denn die Kindheit ist dazu da, alles über das Leben zu lernen. Je unbefangener die Eltern sind, desto leichter wird das. Ich käme gar nicht auf die Idee, den Kindern etwas verharmlosendes zu erzählen.
    Die Faszination für Rettungsfahrzeuge als technisches Wunderwerk geht auch durch das Wissen, wozu die da sind nicht verloren.

  • Tamar von Siebenthal sagt:

    Ich kann den Autor verstehen, dass er in einen Zwiespalt gerät, bei soviel Begeisterung.

    Mein Jüngster hatte damals das Hörspiel „Globi bei der Rega“ und verkündete, dass er sich unbedingt das Bein brechen wollte, um mit der Rega fliegen zu dürfen. Ein paar Tage später ging sein „Wunsch in Erfüllung“, nur hat er vom Flug nichts mitbekommen, da er bewusstlos war mit massiven Hirnverletzungen.

    Das ist nun gut 12 Jahre her, aber noch immer stellen sich mir beim Anblick eines Heli alle Haare auf und jedes Tatütata beschert mir ein beklommenes Gefühl. Selbst Krankenbesuche lösen bei mir Beklommenheit aus und wenn meine Kinder ein Krankenhaus besuchen müssen (auch für Kontrolle oder „Kleinigkeiten) löst das bei mir einen Fluchtreflex aus mit Atemnot und Weinkrampf.

    • tststs sagt:

      Hier sieht man doch wie herrlich verschieden die Charaktere sind. Ich musste selber schon einige Male ins Spital, war auch schon als Begleitung bei Notfällen dabei. Dabei stellt sich bei mir aber nicht ein – verständliches – Gefühl von Angst oder gar Fluchtbedürfnis ein, sondern genau das Gegenteil: ein Ort der Heilung, ein Ort der Hilfe, gottseidank bin ich da! Profis! Medizin! Juhu!

      Dementsprechend glaube ich auch, dass wenn Sie hier ganz genau sind, ist es nicht der Heli/Spital o.ä. was die Furcht auslöst, sondern das, was Sie damit assoziieren. (Und eben, der eine macht den Link zur Heilung, der andere zum Unfall).

  • Anh Toàn sagt:

    Dann dürfen Ihre Kinder Superhelden auch nicht feiern? Die kommen doch immer, wenn grosse Katastrophen drohen und retten dann alle im letzten Moment vor der Katastrophe: Wie der Jäger beim Rotkäppchen.

    Gefeiert wird nicht die Katastrophe, gefeiert werden die Retter.

  • tststs sagt:

    Ein Einsatzfahrzeug ist ein Wunder Technik; der Beweis, dass doch keine Kosten gescheut werden, um Menschen zu retten; es ist ein Symbol für Hilfe.
    Was, wenn nicht sowas, soll man denn abfeiern?
    Wenn Ihre Kinder ab verletzten Menschen in Jubel ausbrechen, das Haus anzünden oder sich gar selber gegenseitig etwas antun, nur um die Show zu sehen, dann würde ich mir Sorgen machen.

    • Martin Frey sagt:

      „Wenn Ihre Kinder ab verletzten Menschen in Jubel ausbrechen, das Haus anzünden oder sich gar selber gegenseitig etwas antun, nur um die Show zu sehen, dann würde ich mir Sorgen machen.“

      …. oder wenn Ihre Kinder das Handy zücken um von ganz nahe mitzufilmen…. 😉
      Schön gesagt, tststs.

      • Reincarnation of XY sagt:

        jo so ist es.
        Ich seh das Problem nicht. Als 4fach Papi sollten einen solche Gedanken nicht mehr plagen. Diese Begeisterung für Rettungswagen o.ä. flacht ja eh irgendwann von selbst ab. Was war mein Bub begeistert von Zügen. Schranke runter, Zug vorbei… wow, Spaziergang gerettet. Und heute ist das überhaupt kein Thema mehr.
        Was wirklich bedenklich ist: auf YouTube „lustige“ Unfall Videos schauen. Sich über Stürze bei Skirennen freuen, um der Action willen, oder im „Reality-TV“ sich über Menschen lustig machen, die vorgeführt werden.
        Unzählige Erwachsene hatten keine gute Kinderstube, in der humanistische Werte vermittelt wurden, sonst wären diese Formate nicht so beliebt.

  • Lina Peeterbach sagt:

    Ich verstehe nicht ganz warum es so schwierig ist, solche Zusammenhänge kindgerecht zu erklären. Wenn ein Krankenwagen mit Sirene vorbeifährt, kommentieren meine (durchaus auch sehr faszinierten) Kinder (3 und 4) dies jeweils mit „Oh oh, da ist etwas Schlimmes passiert“. Über abgerissene Körperteile haben wir zwar im Detail auch noch nicht gesprochen, aber sie wissen durchaus, dass man sich schwer verletzen und sterben oder lebensgefährlich krank sein kann. Dies ist ein Teil des Lebens, und meine Kinder haben dies akzeptiert, ohne deshalb grundsätzlich verängstigt zu sein. Auch haben sie in diesem Zusammenhang eben ihre Faszinatioon für die Helfer und ihre Werk- und Fahrzeuge eher noch gesteigert. Man kann Kindern durchaus etwas zutrauen!

    • Martin Frey sagt:

      Schliesse mich vollumfänglich an, Fr. Peeterbach. Man muss nicht ins Detail gehen um auch solche Themen den Kindern nahe zu bringen. Und dass dies Faszination auslöst in einem Alter, wo Kinder sowieso von Natur aus relativ unvoreingenommen Interesse an allem haben, liegt in der Natur der Sache. Selbst wenn dieses Auseinandersetzen abstrakt bleibt, was in dem Alter auch völlig angemessen ist.
      Verstehe (wieder mal) die Probleme des Autoren ehrlich gesagt nicht ganz. Respektive frage mich, ob diese bei ihm („Aber diese Fetischisierung macht mich fertig. Dieses luftleere Abfeiern vom Umgang mit kleinen und grossen Katastrophen, ohne dass die Katastrophen auch nur angedeutet werden, halte ich einfach nicht mehr aus“) oder den Kindern zu lokalisieren sind.

      • Reincarnation of XY sagt:

        Mir scheint das Problem ebenfalls sehr gesucht und die Grösse der emotionalen Erschütterung rätselhaft.
        Vielleicht ist sie dem Wunsch entsprungen, grandiose Sätze mit tollen Wortkonstruktionen in die Tasten hauen zu können?
        Oder müssen wir uns am Ende sagen lassen, dass wir den Witz nicht verstanden haben?

      • Maike sagt:

        @RXY – finde ich auch ! Als ob man einem 2 und 4 jährigen schon die ganze Welt erklären muss. Es kommt noch früh genug, das sie das lernen werden. Warum ihnen also die unbeschwerte Kindheit nehmen. Ausserdem frage ich mich, wie gut 2 und 4 jährige mit den Begriffen Tod, Unfall, verbrannte Menschen etc. umgehen können.

      • tststs sagt:

        Ach seinen wir doch ehrlich, wenn es um den Umgang mit dem Unglück/Tod etc geht, können eigentlich wir von den 2 und 4jährigen was lernen…

  • Brunhild Steiner sagt:

    Die grossen Zusammenhänge nicht unterschlagen und der kindlichen Entwicklung Rechnung tragen- nicht immer so einfach.

    Denn wenn Sie dem konsequent gerecht werden wollen müsste nicht nur die Begeisterung über alle Blaulicht-Fahrzeuge gedämpft (resp mit Hintergrundinfo ergänzt werden), sondern auch die Freude über nicht-sozial/umweltverträglich-hergestellte Gegenstände aller Arten, batteriebetriebene Plastikspielzeuge/Turnschuhe usw usf
    Was Sie hingegen sehr gut tun können: aus genau diesen Gründen eine vorsichtige/verantwortungsvolle Fahrweise an den Tag legen, mit genau dieser Begründung: einen Blaulichteinsatz nicht provozieren, weil immer mit Umständen&Schmerzen verbunden.

  • Lena Like sagt:

    Vielen Dank für den Artikel! Erst kürzlich war ich in derselben Situation, dass mich mein 2-jähriger gefragt hat, was denn der Krankenwagen macht. Ich habe dann möglichst behutsam erklärt, dass darin ein Arzt ist, der zu jemandem gefahren wird der starke Schmerzen hat, um ihm zu helfen. Es war schwierig dabei bei der Wahrheit zu bleiben und dem Kind doch keine Angst einzujagen. Aber ich werde meinem Grundsatz treu bleiben mein Kind nicht anzulügen.

    • tststs sagt:

      Entweder man ist bereit, seinem Kind Angst/psychische Unsicherheiten aufzubürden, oder man lässt die eine oder andere Unwahrheit zu. Beides gleichzeitig geht IMHO nicht.

  • Erdber sagt:

    Falls das ernst gemeint: Wenn sie das fertig macht, dann viel Spass bei weiteren dingen. Dass sufregende, ernsthafte, die erwachsenen störende dinge kinder faszinieren, ist psychologisch banal und auch gut so. Gönnen sie ihrem kind die intensität von eindrücken.

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