Kinder gehören in die Natur

Auch aus den urbansten Quartieren der Schweiz kommt man in kurzer Zeit in den Wald. Foto: Alexander Dummer (Pexels)
Manchmal lade ich Klassen auf die Wiese der Stadtgeissen in Zürich-Seebach ein. Da habe ich meine Stiefelgeissen. Und da gibt es einen steilen Hang, den Todeshang. Die Ziegen rennen ihn hoch und runter.
Manchmal lasse ich auch die Kinder hoch- und wieder runterrennen. Und die Lehrpersonen sagen: «Für einige ist das sehr schwierig. Sie sind sich steile Wiesen nicht gewöhnt. Weil sie nur den geraden, ebenen Asphalt kennen. Und es fällt ihnen nicht ein, dass sie ihre Körperhaltung dem Steilhang anpassen müssen.»
Es sind kleine Dinge wie diese, die mich stutzig machen. Wenn eine Mutter ihrem Kind begeistert zuruft, es solle das Ei anschauen, das unser Huhn gerade gelegt hat. Aber als ich ihr das Ei anbiete, zögert die Frau. Dieses Ei essen? Vielleicht, weil es so offensichtlich ist, dass das Ei aus dem Huhn gekullert ist. Hinten raus.
Grün hilft der Psyche
Und ich lese, dass eine dänische Studie der Universität Aarhus zeigt, wie wichtig für die psychische Gesundheit der Kinder das Grün und die Natur ist. Bei Kindern, die in der Nähe von Wäldern, Wiesen, Parks oder Gärten aufwachsen, besteht laut dieser Studie ein bis zu 55 Prozent geringeres Risiko, dass sie im Laufe ihres Lebens psychische Erkrankungen entwickeln.
In der Schweiz sollte es eigentlich kein Problem sein, unsere Kinder die Natur erleben zu lassen. Unsere Städte sind relativ klein. Auch aus den urbansten Quartieren ist es innert kurzer Zeit möglich, im Wald zu sein.
Aber im Alltag bleibt man dann halt doch in der eigenen gewohnten und allernächsten Umgebung. Auf dem Weg von der Wohnung zum Schulhaus, zum Beispiel, und von der Wohnung zum Sportkurs. Den Tag verbringen die Kinder vor allem im Schulzimmer, die Erwachsenen im Büro. Und auf dem Land, da boomen diese seltsamen Gärten, wo mit pflegeleichten, aber lieblosen Steinwüsten jegliches Grün zum Verschwinden gebracht wird.
Gegen Hitze-Inseln in der Stadt
Die Natur ist vielen von uns fremd geworden – den Städtern und den Landbewohnern. Wir kennen im Schnitt fünf einheimische Pflanzen- und fünf einheimische Tierarten. Das ist wenig. Unser Geist und unsere Seele reagieren auf vielfältiges Grün, unseren Kindern tut es gut. Darum ist es wichtig, dass wir Siedlungsgebiete sorgfältig planen. Mit dem entsprechenden Wissen können Städte sogar Hotspots für Biodiversität werden.
Und jetzt, da die Städte mit dem Klimawandel konfrontiert sind, zeigt sich auch in diesem Sinn, wie wichtig Grün ist. Zum Beispiel an Fassaden oder auf Dächern. Grün kann Hitze-Inseln hinunterkühlen, wo Asphalt und Beton vorherrschen.
Mir selber tut bereits bescheidenes Grün gut. Da jauchze ich innerlich. Das Zymbelkraut, das aus den Mauerritzen hervorschaut. Das winzige Hungerblümchen im Kies des Oerlikerparks. Das Gemeine Leimkraut, das wie ein vorlautes, aber sehr kleines Löwenmäulchen im Bahnschotter blüht. Die knallige pinke Kartäusernelke, die am Strassenrand leuchtet. Die Flockenblume. Das Scharbockskraut. Reseda und die Wilde Möhre.
Pflanzen beim Namen nennen
Wenn wir als Eltern unseren Kindern die Schönheit des Unscheinbaren aufzeigen können, dann reicht vielleicht bereits urbanes Alltagsgrün aus, um Kinderseelen fröhlich zu stimmen. Diesen Pflanzen begegnen wir dann wie Freunden. Kleine Glücksmomente der Zugehörigkeit.
Nur etwas müssen wir tun. Wir müssen uns die Namen der Pflanzen aneignen, weil uns das, was wir auch benennen können, wirklich berührt. Und mit jedem neuen Pflanzennamen öffnet sich uns eine neue Bekanntschaft mit einem Lebewesen, das wir mit allen Sinnen erfassen können. Zum Beispiel spüren, wie weich das Haselblatt, wie unbarmherzig spitz der Schwarzdorn und wie borstig die Wilde Karde ist.
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21 Kommentare zu «Kinder gehören in die Natur»
Danke Julia, ein notwendiger Aufruf, ist gut lanciert. Das Internet hat einen grossen Kulturwandel gebracht, eben nicht nur positiv, sondern es auch dafür gesorgt, dass junge Leute oft in einer künstlichen Welt stecken bleiben. Unsere Tochter Sophie hat sich durch professionellen Modern Dance befreit, auch eine Möglichkeit! Herzliche Grüsse von Klaus und Biljana Ammann Papazov
Das Geschriebene gilt für alt und jung, nicht nur für Kinder. Naturerfahrung heisst dann aber auch: Nicht immer so dicht eingepackt zu sein wie das Kind auf dem Bild (schlechtes Beispiel) das sich wegen seiner einengenden Kleidung kaum mehr recht bücken, dem Waldboden zuwenden und hingeben kann.
Egal wie oft sie als Kinder, draussen waren, so ab 12 Jahren legen die meisten dann eine „Pause“ ein, in der sie zu Stubenhockern werden, bis dann neue Interessen wie Klimaschutz sie wieder rausführen.
Ihre Begeisterung für die Pflanzen ist ansteckend! Was aber viele verwechseln ist Landwirtschaft und Natur. Sicher sollen die Kinder auch mitbekommen, woher ihr Essen kommt, und für viele sind Ferien auf dem Bauernhof das Non-plus-ultra. Aber Natur ist sich selbst überlassen und gibt es bei uns nur sehr wenig. Etwas vom Spannendsten für Kinder ist es aber auch dort, etwas Essbares zu finden: bald schon Bärlauch und Brennesseln für Pesto oder Knöpfli, dann Holunderblüten für Sirup oder zum Ausbacken, die verschiedenen zwar kleinen aber umso aromaintensiveren Früchte, Walderdbeeren, Himbeeren, Brombeeren, später der schwarze Holunder für Punschsirup, dann natürlich auch Hasel- und Buchennüsse und all die Pilze, wenn man sie kennt und mag.
5 arten? ist das nicht ein bisschen gar pessimistisch?
pflanzen: garantiert kennt doch jedes kleinkind fliegenpilz, tanne, löwenzahn, efeu, moos, sonnenblume, klee, gänseblümchen
und tiere: hase, reh, igel, frosch, fuchs, ente, schwan, spatz, schnecke, krähe, elster, amsel, regenwurm, eichhörnchen, steinbock
also das sind so die absolut naheliegendsten
Aber wahrscheinlich ist dann jeder Nadelbaum eine Tanne, jede gelbe Blume ein Löwenzahn, jeder Pilz giftig und wird umgenietet.
Aber das ist aber auch bei Erwachsenen so.
Ist auch nicht das Wichtigste, aber einfach so einen Nachmittag, ohne Programm(!), im Wald rumspielen, im Bach landen, Ameisen verfolgen, Waldluft riechen, dreckig werden.
Das fehlt meines Erachtens wirklich vielen (Kindern).
achwas nowhere. woher kommt diese negative haltung? ich bin hier nun wirklich nicht in einer idyllischen ecke zuhause, ich müsste mich wohl zu den bildungsfernen zählen, ich interessiere mich nicht besonders für fauna und flora, aber all das – ausser steinböcke und fliegenpilze – findet man selbst in dieser scheusslichen ecke hier. und nein, würde ich die naheliegendsten 100 leute fragen, würde kein einziger löwenzahn verwechseln oder pilze umnieten. ameisen findet man sogar in der städtischsten zubetoniertesten ecke. und von hier aus sind es auch nur 10 minuten zu fuss zum wald und 15 zum fluss….
ich verstehe nicht, wie man so eine negative haltung entwickeln kann wie du
Informieren sie sich über die Gefahr der Zecken und je nach Gebiet impfen sie.
Wer nicht gegen FSME impft, ist eh im höchsten Masse grobfahrlässig.
Handle ich auch grobfahrlässig, wenn ich meine Kleinkinder unter 6 Jahren nicht impfen lasse, da Kinder erst ab 6 Jahren gegen FSME geimpft werden können? Und gegen Boreliose, was häufiger auftritt, ist leider keine Impfung möglich. Daher vorsorgen und nach dem Naturgang Zeckenkontrolle
@I. Bühler
Man kann auch Kinder unter 6 Jahren gegen FSME impfen, tut es einfach iaR nicht, da die schweren Verläufe, der Hauptgrund für die Impfung, bei kleineren Kindern fast nicht auftreten.
Und zum Thema Vorsorge/Zeckenkontrolle: das eine schliesst das andere ja nicht aus, im Gegenteil. Sowohl Impfung wie auch Zeckenkontrolle sind angebracht.
Grobfahrlässig handeln Sie, wenn Ihre Kinder überhaupt nicht geimpft sind.
@ I. Bühler
Meine Kinder wurden vor dem 6. Lebensjahr gegen FSME geimpft. Damit dass Boreliose nicht geimpft werden kann haben Sie Recht, nur schützt die Zeckenkontrolle nur bedingt. Mein Kleiner und ich hatten beide schon Boreliose im Anfangsstadium, obwohl wir vom Zeckenbiss nichts gemerkt haben, bzw die Zecke bei der Kontrolle nicht vorhanden gewesen. Bemerkt wurde der Biss erst bei der Ringbildung. Ein grosses Risiko besteht bei Zeckenbissen im Haar, weil man da kaum per Zufall eine Ringröte entdeckt.
Man sollte jetzt nicht so tun, als ob es normal wäre, dass Kids nicht mehr in die Natur kommen. Als meine Kids klein waren, waren wir ständig im Wald – haben dort gegessen, geschlafen, gespielt…
Klar ist das kein Superausflug mehr. Aber einen Tag am Rhein, am See oder mit Freunden beim Camping ist immer noch grossartig. Ich habe noch nie ein Kind gesehen, dass nicht auf einem Baumstamm balancieren oder einen Hang hochlaufen kann…
Und ich wohne am Rand einer grösseren Stadt…
Richtig, Kinder gehören in die Natur. Das bedingt aber, dass man ihnen den pfleglichen Umgang damit beibringt, z.B. keine Pflanzen abzureissen, um sie danach wegzuwerfen, dass die Natur Lebensraum einer Vielzahl von Lebewesen ist und dass man nicht Käfer tottritt, nur weil sie über den Weg kriechen. Damit hapert’s noch bei einigen Eltern…
Jedes Wochenende machten wir Wanderungen von 1- 2 Stunden mit unserer Tochter. Nun ist sie 40 und liebt die Natur. So ist es : was man nicht kennt kann man auch nicht lieben. Sie kennt viele Tierarten, Bäume, Blument, usw. weil wir es ihr gezeigt haben und weil diese Wanderungen so spass machten.
Wenn 8 Mrd. Menschen sich die Natur erobern, verschwindet auch noch der Rest an Insekten aus dieser. Viele sind es ja eh nicht mehr. Pflanzen lieben es, wenn auf ihnen herum getrampelt wird. Aber das kann man mit Wanderwegen verhindern, die rotten noch rabiater Biodiversität aus.
Menschen kooperieren leider überhaupt nicht, wenn sie sich die Natur erschliessen.
Nein, das Artensterben hat nichts, aber auch gar nichts mit Kindern zu tun, die im Wald spielen.
ML: Ich verstehe Ihre Sorge um die Natur, trotzdem muss das Kind, der Mensch einen Bezug zur Natur aufbauen können, wenn er diese lieben und dadurch schützen soll, wie soll das dann Ihrer Meinung nach gehen?
Man legt sich Parks in Städten an und in denen können sich die Menschen naturnah austoben. Die richtige Natur muss für Menschen tabu sein. Am Stadtrand muss ein Stoppschild stehen und wer das übertritt, wird eingesperrt. In Dörfer dürfen nur Landwirte wohnen und die das eigene Land niemals verlassen.
Es ist völlig absurd, Kinder in natürliche Wälder zu führen oder gar auf Berge steigen zu lassen. Bei 2 Mrd. Menschen, also bis 1900 konnte man darüber hinweg sehen. Nun aber nicht mehr.
@ML (Marxismus-Leninismus?) Könnten Sie genauer erklären wie Wanderwege Biodiversität ausrotten?
ML – Brüll!
Stelle mir schon die Schilder vor