Eltern als Unterhaltungsmaschinen
Wer wird hier bespasst? Ein kochender Vater mit seinen Kindern. Foto: Getty Images
Ich komme wirklich gern nach Hause. Im Herbst bin ich üblicherweise immer mal wieder beruflich in Deutschland unterwegs und schwelge jedes Mal in Vorfreude auf meine Lebenskomplizin und die Kinder. Wenn ich dann aus dem kalten und leider schon sehr dunklen Vorabend in die erleuchteten Fenster meines Familienlebens blicke, weiss ich ganz unmittelbar, wer ich bin, was ich mache und wohin ich will. Auf dem Fussabtreter kleine matschbeschmierte Schuhe. Hinter der Tür quietschen mein Vierjähriger und meine Zweijährige um die Wette. Einmal tief Luft holen. Klingeln.
«Papapapapapapadubistwiederdakannstdu (hier bitte mindestens 99 Aktivitäten einfügen, von denen sich die Hälfte gegenseitig ausschliessen)!» Schmunzeln. Ich kann. Zumindest gehe ich davon aus, weil ich die letzten zwei Nächte ungestört in Hotelbetten schlafen durfte. Ich musste abends nicht noch schnell mal eben Mathe abfragen, weil morgen «irgendwie und aus Versehen» eine Arbeit ansteht. Ich wurde nicht wegen beiseitegetretenen Decken geweckt und ich musste auch nicht um 6 Uhr morgens aufstehen, um mir schlaftrunken die Hand mit Butter zu bestreichen und den Kindern trocken Brot mit in die Kita zu geben.
Okay, ich habe gearbeitet. Aber es war mehr so ein Urlaubsarbeiten. Mit Lesen können im Zug und mit Essen vollkommen ohne Tomatensauce. Also lege ich meine Sachen ab, werfe einen ausgiebigen Blick auf die wunderschöne, wenn auch erschöpfte Lebenskomplizin und suche mir aus dem riesigen «Du musst unbedingt sofort mit mir…» eine Sache raus, um erst mal anzufangen.
«Was ist denn hier los?»
Zwei Stunden später bin ich nicht sicher, ob ich das kann. Es ist zum Mäusemelken: Vier mies gelaunte Kinder, die alle sehr enttäuscht darüber sind, dass ich ausgerechnet mit ihnen gerade nichts total Besonderes mache, und zugleich sehr wütend darüber, dass ich anscheinend kein Problem damit habe, genau diese Besonderheiten immer nur mit ihren Geschwistern zu machen.
«Was ist denn hier los?», erkundige ich mich mit dumpfer, von Kinderbedürfnissen begrabener Stimme in Richtung Lebenskomplizin. «Ich weiss überhaupt nicht, wovon du sprichst», lachsingt sie zu mir herüber, während mein Handy pingt. Wahrscheinlich hat sie gerade in dem Moment in unserer immerwährenden Multiplayerscrabbleschlacht eines meiner Worte mit zwei mickrigen Buchstaben auf ein dreifaches Wortwertfeld verlängert und sich mit über 50 Punkten abgesetzt. Na ganz toll.
Aber der Reihe nach. Ich bin ausgeschlafen, ich bin nicht genervt, ich habe Lust, mit den Kindern Zeit zu verbringen. Warum kriege ich das nicht hin? Wahrscheinlich weil ich als Unterhaltungsgerät einfach nicht genügend Features biete und man ein, maximal zwei Controller gleichzeitig an mich anstöpseln kann, um die Kontrolle über mich zu übernehmen.
Der schlimme Fehler
Für die gleichzeitige Bedienung von vier Kindern ist das Betriebssystem einfach nicht ausgelegt. Siehe Hand mit Butter bestreichen. Also gibt es Streit, es wird mal lauter und mal leiser, irgendwann muss auch noch gekocht und eine Wäsche angeschmissen werden und überhaupt: «Nie machst du was mit uns!» Dabei ist das so nicht richtig. Ich würde ja, wenn ich könnte, eine weitere Feuerwehrmann-Sam-Figur herbeizaubern, damit sich meine Jüngsten nicht mehr streiten müssen. Allerdings sind meine magischen Fähigkeiten begrenzt und meine Verwunderung darüber, wohin die übrigen vier (Vier, verdammt!) Feuerwehrmann Sams in meiner Abwesenheit verschwunden sind, grenzenlos.
Aber hier muss sofort gehandelt werden. Sonst wird noch über Sam oder eine geschwisterliche Leiche gegangen. Unvorsichtigerweise schlage ich vor, dass ja ein Kind mit mir zusammen kochen könnte und das andere mit dem Sam spielen. Schlimmer Fehler.
«Ich will aber mitkochen!»
«Aber wer spielt denn dann mit Sam?»
«Sam ist doof. Mitkochen!»
«Ich kann aber nur mit einem von euch kochen.»
Was, wie kannst du nur, immer… nur die anderen… gemein… huäääh.
Vier Stunden später sind alle im Bett. Ich blicke auf mein Handy. Debüt zu Debütanten, 54 Punkte. «Du siehst gestresst aus», grinst die Lebenskomplizin. «War die Arbeit anstrengend?» – «Nein, alles gut», gebe ich zurück und lasse mein Blick über das verwüstete Wohnzimmer schweifen. «Ausserdem bin ich ja jetzt zu Hause…» Sie küsst mich. Maximale Punktzahl. «…und sehr glücklich.»
Lesen Sie von Nils Pickert dazu auch «Abschied von Bullerbü».
22 Kommentare zu «Eltern als Unterhaltungsmaschinen»
„damit sich meine Jüngsten nicht mehr streiten müssen“
vergessen Sie’s!
Es gibt zwei Grundregeln im Leben von Eltern mit Kindern unter 12:
1. es ist nur eine Phase.
2. Kinder streiten sich immer. Sie brauchen keinen für Aussenstehende nachvollziehbaren Grund dafür. Und sie brauchen auch keine 3 Geschwister, das haben unsere 2 Jungs auch ohne weiteren Nachwuchs fertiggebracht.
Köstlich, einfach nur köstlich. Ich habe keine Kinder, kann mir aber die Situationen bestens ausmalen. Was man(n) auch immer macht, für mindestens ein bis drei Kids ist es das komplett Falsche.
Und wie nahe das „endlich zuhause, Familie …“ und „komplett erschöpft“ liegt, könnte man besser nicht beschreiben.
Sie sind ein wahnsinnig sympatischer Mensch, Herr Berlinger.
Ich habe oft den Eindruck, dass die Kinderlosen im Blog nur rummotzen und immer alles besser wissen. Und jetzt kommen Sie und sehen das Ganze mit liebevollem Humor.
PS: Und falls versteckt doch noch ein bisschen Schadenfreude dabei sein sollte, dann sei Ihnen das gegönnt :-).
Ich bin auch grad wieder mal aus Deutschland zurückgekommen. Dort fordert die junge SPD und andere Linke aktuell ernsthaft, Abtreibungen von Kindern bis zur Geburt hin freizugeben. Weil der Bauch der Frau gehört. D.h. da wäre es dann grad umgekehrt: Kinder sind zu Bespassen der Mutter da, wenn sie grad lust drauf hat. Sonst nicht.
Sorry, aber das was der Vater den Kindern auf dem Bild erlaubt ist wirklich daneben, und das in der heutigen Zeit wo Menschen hungern. Was hat sich dieser Artikelschreiber dabei gedacht und die BAZ hat die Nottaste auch nicht gedrückt. Schöner Text, Bild verwerflich.
Noch nie sind weniger Menschen verhungert als in der „heutigen Zeit“.
Und so tragisch es auch ist, dass es immer noch Hunger gibt, so ist es doch fehl am Platz eine Heiligkeit für sämtliche Esswaren einzufordern. Mit einem solchen Moralismus wird die Welt um keinen Deut besser.
Auch wenn es stressig ist – diese Zeit sollte man geniessen. Wenn die Kinder um einen herumtoben, man sie mit kleinen Dingen erfreuen und überraschen kann, sie ihre Freude oder gnadenlos ihren Ärger zeigen.
Ein paar Jahre weiter und all‘ das ist verflogen. Da hat man dann pubertierende Teenies am Tisch, denen man nicht Recht machen kann und einen zur Weissglut treiben können. Und noch ein paar Jahre weiter sind sie dann aus dem Haus.
Genau, Maike. Nur Ihr letzter Satz in Gottes Ohr!
Probate Methode um den Auszug von resistenten Kindern zu fördern ist zum einen das Einstellen des Services von Hotel Mama. manchesmal reicht es schon, wenn sie ihre Wäsche selber waschen müssen. Eine Steigerung wäre da dann noch, sie wieder intensiv zu bemuttern. Wenn sie den Abends vom Ausgang zurück sind fragen, wie es denn war, wer denn mit war, wo sie gewesen sind, ob es ihnen gut geht und ob sie eine heisse Schokolade haben wollen.
Sowas treibt sie ziemlich schnell in’s eigene Leben.
Aus einem ebenfalls Vier-Kinder-Haushalt sende ich Ihnen ein herzliches Danke fuer diesen Text, der die Dilemmen und Gefuehlslage der Quatro-Eltern differenziert ausleuchtet.
„Lebenskomplizin“? Sagen Sie doch gleich „Zweckehe“. Das ist das Gleiche. Ich würde meine Beziehung jedenfalls ernsthaft hinterfragen, wenn mich meine Frau als „Lebenskomplizen“ bezeichen würde. Vielleicht bin ich einfach von gestern, ist auch ok
Ich war höchst erfreut beim Lesen des Artikels über den Begriff Lebenskomplizin zu stolpern. Wunderbar 🙂 Was sollte daran denn negativ sein, dass Sie an Zweckehe denke? Ich sehe Ihr Problem nicht.
Ja, Sie sind von gestern. Ich finde den Ausdruck sehr treffend und charmant. Aber vielleicht haben Sie auch nur einen anderen Humor?
Oder gar keinen…
Nach Lektüre sowohl des Blogs als auch des Kommentars beschleicht mich jedenfalls das Gefühl, dass der Komplize glücklicher lebt als der Angetraute…
Sie sollten Ihr Ironiefilter justieren. Lebenskomplizin ist eine mittelschöne Metapher. Man muss ja nicht immer nur einfache Worte benutzen, wenn es auch anspruchsvoller geht. Zweckehe ist ganz etwas anderes.
Der alte Ausdruck Lebensgefährte wäre eigentlich wunderschön – ein Gefährte, der einem durchs Leben begleitet – leider ist der Begriff ein wenig abgenudelt.
Deshalb finde ich die Komplizin ein wunderbarer Begriff – ein Mensch, der mit einem zusammen einem durchs Leben geht und mehr noch – mit dem man durch dick und dünn geht: Das Wort „Lebenskomplizin“ ist ungleich schöner, als „meine Frau“ – denn „meine Frau“ sagt nur, dass man verheiratet ist – es sagt aber nichts über die Intensität einer Beziehung aus.
ich bin auch von gestern und bereits seit >30 Jahren mit der gleichen Frau verheiratet.
Sie ist meine Lebenskomplizin – ich finde diesen Begriff super, viel besser als „Teilzeit-Lebensabschnittsgefährtin“.
Irgendwie kommt rüber, dass Sie Ihr hauptberufliches Papa-Sein gern machen und ziemlich stolz drauf sind.
Insofern guter Beitrag, wenn auch sprachlich immer noch etwas gar aufgedonnert, für meinen Geschmack.
Ich finde, eine solche Einstellung braucht es zum Hausmann/Hausfrau sein.
Es sollte Freude und Stolz dabei sein und in einer Beziehung gelebt werden, in der man gerne ist.
Leider wird heute meist eher negativ über diesen Lebensentwurf gesprochen.
Wären Mann und Frau in dieser Geschichte vertauscht, gäbe es nun bestimmt wieder einen Aufschrei darüber, wie es der Mann nur wagen könne in Ruhe Scrabble zu spielen und über die Situation der Frau zu schmunzeln, während diese gleichzeitig versucht die Kinder zu bespassen, zu kochen und die Wäsche zu machen, nachdem sie eben erst von der Arbeit nach Hause kam…
Ging mir genauso durch den Kopf.
Da geht es um die „immerwährende Scrabbleschlacht“ – ich habe das verstanden, als sei das Brett immer aufgebaut und man macht so nebenbei einen Zug bzw. ein Wort, ähnlich wie bei einem Fernschach-Spiel.
Wunderschöner Text, danke !