«Bei Gemüse geht es um die inneren Werte»

Wichtige Wertschätzung: Kinder sollten lernen, dass Rüebli nicht einfach so vom Baum fallen. (Foto: iStock)
Er war Spitzenkoch, heute kocht er mit Resten und führt das erste Food-Waste-Restaurant der Schweiz. Weshalb für Mirko Buri die Arbeit mit schrumpeligen Lebensmitteln eine Herzensangelegenheit ist – und wie er Kinder davon überzeugen will, nicht so sehr auf Äusserlichkeiten zu achten. Auch bei Nahrungsmitteln.
Ein Apfel hat eine Delle, die Erdbeeren wirken matt? Was tun damit?
Natürlich essen! Eine Frucht, die nicht so gut aussieht, kann unglaublich fein sein. Auch in einem Bio-Hochstamm-Apfel kann man sich meist nicht drin spiegeln. Er hat keine so glänzende Haut wie ein hochgezüchteter, gespritzter Apfel. Aber er ist natürlich und mega schmackhaft! Gemüse mit sogenanntem Makel ist oft sogar feiner.
Deshalb Ihr Engagement diesen Samstag bei den Festspielen Zürich? Dort werden Sie mit Kindern Kuchen aus schrumpeligen Früchten backen.
Ja, denn Oberfläche ist nicht alles. Ich will Kinder dafür sensibilisieren. Sie sollen Früchte und Beeren schmecken, die äusserlich nicht perfekt sind, und merken, dass es doch vor allem um die inneren Werte geht. Was nützt mir ein Apfel, der perfekt aussieht, aber nach nichts schmeckt? Stattdessen verfasst man zwölfseitige Berichte, wie ein Apfel auszusehen hat, der in den Verkauf darf. Das ist doch Wahnsinn. Jene, die nicht dem Schönheitsideal entsprechen, werden ausgemustert.
Sind wir auch bei Lebensmitteln zu sehr auf Schönheit fixiert?
Viel zu sehr. Ich will den Kindern aufzeigen, dass man aus «vertätschten» Früchten noch immer einen unglaublich guten Kuchen backen kann. Diesen dann gemeinsam mit den Eltern zu probieren und über das Erlebte zu diskutieren, finde ich eine schöne Idee. Auch weil man das auf uns Menschen übertragen kann, im Sinne von: Urteile nicht zu schnell über Äusserses, probiere zuerst einmal. Es kann sein, dass etwas sehr schön oder fein ist, auch wenn es von aussen ein bisschen krumm aussieht.
Klären Sie Kinder auch über saisonale Erntezeiten auf?
Das gehört dazu. Kinder sollen wissen, dass Erdbeeren in der Schweiz erst Ende Mai reif sind. Klar gibt es schon im Februar Import-Erdbeeren in den Läden zu kaufen. Diese sehen zwar perfekt aus, aber schmecken meist nach nichts. Weshalb also nicht lieber darauf warten, bis die inländischen Erdbeeren so weit sind? Von den Import-Früchten landen zudem viele im Müll. Kommen sie hier an, wirft man riesige Mengen weg, weil sie von der Qualität her nicht unseren Standards genügen*. Durch den Transport vergammelt vieles. Ein weiterer Grund, darauf zu verzichten.
Was nicht immer einfach ist. Nach dem langen Winter sehnt man sich nach frischem Gemüse, da kann man schwer nur auf Saisonales setzen.
Der grosse Import von Gemüse und Früchten führt allerdings zu einer kompletten Verschiebung einer Saison. Mittlerweile sind wir eine ganze Saison daneben. Zum Beispiel kann man seit Mai überall Sommergemüse kaufen, Peperoni, Zucchetti und Ähnliches. Doch Schweizer Peperoni ist noch lange nicht bereit zur Ernte: Vor ein paar Tagen reichte mir die Peperoni-Staude im Seeland noch bis zu den Knien und die Zucchetti-Staude bis zur Hüfte. Dieses Gemüse wird erst im Juli, August reif sein. Dasselbe mit Himbeeren oder Brombeeren, aber die gibt es schon Mitte Februar zu kaufen. Hier liegt es am Konsumenten, zu entscheiden, ob er das unterstützen will.
Sie sind Vater eines Fünfjährigen. Was geben Sie ihm in Bezug aufs Essen mit?
Er soll Nahrung wertschätzen. Essen einfach stehen lassen und danach wegwerfen, geht nicht. Er soll lernen, sich selbst zu schöpfen und den Teller leer zu essen. In dieser Hinsicht finde ich viele Eltern zu lasch. Sie lassen ihre Kinder in ihren Tellern herumpicken und schmeissen dann die Resten fort.
Worauf legen Sie als Vater auch Wert?
Mein Sohn soll über saisonale Ernten Bescheid wissen. Er ist fünf Jahre alt und versteht seit etwa einem Jahr sehr gut, weshalb wir Himbeeren erst dann kaufen, wenn sie bei uns reif sind. Dabei geht es auch um die Ressourcen, die darin stecken.
Wie vermitteln Sie das Ihrem Sohn?
Wir haben im Garten ein Hochbeet, dort pflanzen wir auch Rüebli mit ihm an. Er staunt, wie lange es dauert, bis man ein Rüebli aus der Erde ziehen kann. Oder wie viel Wasser es zum Wachsen braucht. Er beobachtet, sieht, wie es aus der Erde kommt und langsam wächst. Dieses Rüebli behandelt er wie Gold. Fahre ich mit ihm übers Land, zeige ich ihm Felder mit ganz vielen Rüebli, das beeindruckt ihn schwer. Der Bauer habe damit ja unglaublich viel zu tun, sagte er kürzlich und fragte, wie oft dieser dafür giessen müsse. Er merkt schon jetzt, dass viel Arbeit und Ressourcen hinter einer Ernte stecken. Das Kind lernt, dass ein Rüebli ein Gemüse ist, das wächst und nicht einfach so vom Baum fällt. Das möchte ich auch anderen Kindern mitgeben.
*In der Schweizer Landwirtschaft werden 300’000 Tonnen Nahrungsmittel weggeworfen, grösstenteils, weil die Ernte nicht den optischen Normen entsprechen, aber auch wegen Überproduktion. Geht man von einem halben Kilogramm Gemüse pro Teller aus, könnte man etwa 60 Millionen Mahlzeiten kochen.
Veranstaltungstipp: Diesen Sonntag, 17. Juni, wird der Anti-Food-Waste-Pionier und Koch Mirko Buri an den Festspielen in Zürich beim grossen Familientag mit dabei sein. Der ganze Tag dreht sich ums Thema Essensverschwendung. Mirko Buri bäckt mit Kindern Kuchen aus Früchten, die nicht mehr so schön aussehen. Der Eintritt ist frei. Zur selben Zeit können Eltern bei der Foodoo-Factory mittun: Freiwillige verarbeiten rund 1000 Kilogramm Gemüse zu Bouillon. Mit den Einnahmen daraus werden Food-Waste-Projekte unterstützt.
Lesetipp: Interview mit Mirko Buri von Mathias Morgenthaler im Blog «Beruf und Berufung».
18 Kommentare zu ««Bei Gemüse geht es um die inneren Werte»»
Meiner Meinung nach der sinnvollste Beitrag seit langem!
das unterschreibe ich!
Ich ernte im Garten seit 2 Wochen Erdbeeren, Himbeeren, Johannisbeeren, und seit einer Woche auch Zucchini, von wegen reif erst Juli/August…
Aufessen bzw. den teller leer essen mag gut und recht sein.
Ich musste das auch immer, konnte aber nicht, weil die Portionen einfach zu gross waren. trotzdem wurde ich dazu gezwungen, und heute habe ich mit Übergewicht zu kämpfen, das ich seit meiner frühesten Kindheit habe und niemehr los werde.
Also bitte die Potionen dem Appetit der Kinder anpassen. einige brauchen mehr, andere weniger, ich gehöre zu letzteren.
Das Kind muss das aufessen, was es selber geschöpft hat. Es lernt, nicht mehr auf seinen Teller zu tun, als dass es essen mag.
Wie Jasi bereits erwähnte, es geht eben gerade nicht um den herkömmlichen Ansatz, dass man dem Kind den Teller (viel zu) voll macht und dann krampfhaft alles runtergewürgt werden soll. Sondern dass das Kind sich selber bedient und damit besser einzuschätzen lernt, was eine angemessene Portion ist. Ein feiner, aber überaus entscheidender Unterschied.
Der Vater schreibt doch, dass das Kind selber schöpft, und dann aufessen soll. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass ein Kind das schnell einzuschätzen lernt, vor allem, weil es ja nachschöpfen kann.
Saisonal essen ist eine gute Idee, wenn man die lokalen Bauern unterstützen will. Ich sehe allerdings nicht, warum die Früchte und Gemüse besser schmecken sollen, gesünder sind, weniger Ausschuss produzieren sollen. Vor allem sind sie in der Regel teurer.
Ich denke, hier werden ganz viele Themen miteinander vermischt, die wenig miteinander zu tun haben.
Erdneeren (zB aus Israel) werden noch geerntet und gekühlt und „reifen “ dann im Kühlraum des Containers nach. Deswegen sind die dann auch nicht so schmackhaft.
Ich habe durchaus schon schmackhafte Erdbeeren aus dem Ausland gegessen. Und noch viel mehr andere Früchte und Gemüse.
selbst wenn ein transport weniger umweltschädlich ist (respektive soll. denn wenn ich ein schiff sehe, dann weiss ich zwar nicht, was da so schwarz qualmt, aber umweltfreundlich ist das bestimmt nicht. man kann auch nicht die öl-schlieren im hafen auf dem wasser an einer co2-ausstoss skala messen) als die regionale produktion (weil lagerung oder gewächshaus).
kann sein dass die erdbeeren aus spanien gar nicht so weit her kommen und auch gut sind, dann wäre halt noch der faktor: ernthelfer, die wie sklaven behandelt werden.
ja, da vermischen sich themen, das kommt vor. das macht es auch etwas komplex. wenn einem das zu schwierig ist, wie mir, ist halt regional einkaufen schon deswegen ein einfach einzuhaltender weg.
ja, das ist teurer, aber wieviel % gibt man für nahrungsmittel aus?
@tina: Du sagst also: Wer keine Ahnung hat, der kauft regional ein?
Wie rührend. Es wäre eine Bildungsrevolution sondergleichen, würde in der Schule altersgerecht das Fach humane Ernährungslehre unterrichtet. Also die anatomischen, biochemischen, physiologischen und mikrobiellen Grundlagen der Ernährung des Menschen (nicht die der Pflanzenfresser).
Anfangs wäre das schwierig, weil die Kenntnisse der Ernährungslehre auch unter Lehrern unterirdisch sind, aber auch Lehrer können das lernen. Wenn dann jedes Schulkind weiss, was Zucker ist, oder dass jede kcal im Mund ganz anders wiegt, als im Darm, ist der halbe Weg gegangen.
Ja genau, immer alles auf die Schule abschieben.
Wer sonst, als die Schule, sollte die Wissenschaft Ernährungslehre unterrichten? Eltern können das nur, wenn sie das Fach studiert haben. Von Erfahrung und Erziehung kommt da nichts. Es ist wie Biologie oder Physik ein ganz normales wissenschaftsbasiertes Fach.
Ui, ich rieche Deokristalle und Reiswaffeln…
Was ist an ‚anatomischen, biochemischen, physiologischen und mikrobiellen Grundlagen der Ernährung des Menschen‘ nicht richtig zu verstehen und mit Reiswaffeln in Verbindung zu bringen?
Esoterisch ist es, nur eine relativ kleine Untergruppe der Saccharine als Zucker zu bezeichnen und allen Ernstes zu behaupten, man könne sich Zuckerfrei ernähren. Das ist wie Sauerstofffrei atmen.
Oder eben der Irrglaube, die Energiemenge, welche auf der Lebensmittelpackung steht, sei auch die, welche Stunden nach dem Essen durch die Darmzotten ins Blut diffundiert. Zwischen diesen beiden Energiemengen kann eine ganze Grössenordnung Unterschied liegen, der zudem noch in der Zeit stark variiert. Heute macht mein Darm aus 100kcal 50, morgen ist es genau umgekehrt.
Ich gebe ML inhaltlich völlig recht. Den etwas erratischen Beitrag von A. Gretener verstehe ich auch nicht.