Das jüngste Kind überstrahlt alle

Das Jüngste überblendet alle davor: Die Eltern Hal (Bryan Cranston) und Lois (Jane Kaczmarek, rechts) aus der Serie «Malcom mittendrin» mit ihrem Nachzügler. Foto: Everett Collection, 20th Century Fox

An die Comedyserie «Malcolm mittendrin» werden sich vielleicht einige von Ihnen erinnern. Als sie im deutschsprachigen Raum erstmalig ausgestrahlt wurde, versuchte ich mich gerade zu entscheiden, was genau ich studieren wollte. Als sie sechs Jahre später zu Ende ging, war ich bereits Vater meiner ältesten Tochter. Ich fand die Serie immer unterhaltsam und witzig, wenn auch völlig überzogen. Vier aufmüpfige Jungen und deren völlig überforderte Eltern am Rande des Wahnsinns. Später bekommen sie sogar noch einen fünften Sohn.

Unkonventionelle Erziehungsmethoden

Aber je älter ich werde, desto mehr Wahrheiten finde ich unter dem beissenden Spott, den Albernheiten und der ziemlich akkuraten Beschreibung von Problemen der unteren Mittelschicht, die sich nur unter Aufbietung aller Kräfte halbwegs über Wasser halten kann. Wahrscheinlich liegt es auch daran, dass ich mittlerweile selbst vier Kinder habe und mir manche der gezeigten Erziehungsmethoden gar nicht so verkehrt vorkommen – obwohl sie natürlich nie als Ratschlag gemeint waren. Die Idee, seinem halbwüchsigen Sohn eine zehnseitige Liste mit grauenhaften Beschimpfungen in die Hand zu drücken und ihn zu zwingen, sie einem alle ins Gesicht zu sagen, finde ich bei einem kleinen Kerl, der häufiger mal verbal in den Mülleimer greift, gar nicht so schlecht.

Und auch bei der Darstellung totaler Überforderung fühle ich mich abgeholt. In einer Folge beschwert sich beispielsweise der vierte Sohn darüber, dass seine Eltern für ihn kein Fotoalbum angefertigt und auch sonst keine Kindheitserinnerungen angefertigt haben. Als Beweisstücke präsentiert er die Alben seiner Brüder nach absteigendem Alter: Dick, mittel, dünn, leer.

Seine Mutter mag es nicht so recht glauben, gibt dann aber alles zu: «Willst du die Wahrheit wissen: Du warst das vierte Kind! Zu dem Zeitpunkt, als wir dich bekommen haben, war dieses Haus komplett in Chaos versunken. Die einzigen Male, wo ich etwas Schlaf bekam, war, wenn ich während der Fahrt zur Arbeit am Steuer weggedöst bin.»

Die Fotomotivation schwindet

Das bin ich. Abgesehen davon, dass man natürlich nie am Steuer wegdösen sollte, ist es genau so. Die 127. putzig-hässliche Malvorlage von irgendeinem Tier, auf das meine Jüngsten nur ein paar Striche gezogen haben, hebe ich nicht mehr auf. Man geht auch nicht zur Einführungsveranstaltung des zweiten Kindes, wenn es sich dabei um die gleiche Schule handelt wie beim ersten. Und auch was die Fotos angeht, ist man als Eltern beim vierten Kind nicht mehr ganz so motiviert wie beim ersten.

Denn obwohl es trotz fortschreitender Technik immer leichter wird, muss man es am Ende ja trotzdem machen. Und in die schmaler und schmaler werdenden Zeitfenster von »etwas machen können« fallen nun einmal die sich ausbreitenden Anforderungen minderjähriger Familienmitglieder. Interessanterweise kann ich inzwischen aber auch feststellen, dass dem schwindenden Interesse an der Herstellung von Kindheitsartefakten zum jeweiligen Nachwuchs etwas entgegenwirkt. Und zwar die Trägheit des elterlichen Gedächtnisses.

Während meine Lebenskomplizin und ich uns nämlich sehr darin wiederfinden, die Dinge nicht mehr allzu enthusiastisch anzupacken, wird die Kindheit unserer Jüngsten bestimmend für die Kindheit all unserer Kinder. An die ersten sechs Jahre unserer Grossen erinnern wir uns beide ziemlich verschwommen. Klar, die Highlights sind da und dann gibt es natürlich auch diese enormen Fotoalben. Aber es ist nicht einfach, sich zu vergegenwärtigen, wie sie als Baby waren, als Vierjährige oder auch nur am ersten Schultag. Die Jüngeren sind einfach präsenter.

Und zwar nicht nur deshalb, weil bei ihnen die Dinge noch nicht so weit zurückliegen. Sondern auch, weil durch die schiere Menge der Eindrücke die frischen die älteren überblenden. Viermal zahnende Babys, viermal Umstellung auf Brei, durchwachte Nächte, vier mal zehn erste Worte. Welches war noch gleich das dritte Wort des zweiten Kindes? Und wer mochte am liebsten Broccoli, aber keine Gurke? Es wird meine Jüngste sein, die meinen bleibenden Eindruck davon formt, wie es war, meine Kinder im Arm zu halten. Wie anstrengend kleine Babys sind. Wie frech und lustig. Bislang macht sie das ganz grossartig.

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7 Kommentare zu «Das jüngste Kind überstrahlt alle»

  • Gery sagt:

    Lieber Nils – danke dir, ich konnte herzlich lachen über mein Leben – ich bin nicht alleine im Chaos! Auch 4 Kinder davon 3 verrückte Jungs, ich glaub das einzige gedruckte Album gibt es von den ersten 2 Jahren meiner ersten Tochter – danach ist alles auf dem Mobile Speicher wenn (der hoffentlich nie verloren geht…), Zeichnungen werfe ich oft schon beim Heimbringen weg , nachdem ich noch rasch ein Bild auf Artkive speichere (sorry, meine Kinder wissen, dass ich in Kunst ersticke) und Lieblingsessen sind gestrichen – einer motzt sowieso immer – Mein 2ter fragte mich heute, ab wann er alleine im Bett schlief – haha – keine Ahnung, ich weiss nur, Nr 4 liegt vermutlich noch die nächsten Jahre ab 2 Uhr nachts bei uns und mein 2ter war definitiv weniger anstrengend beim Schlafen;)

    • Büchli Yvonne sagt:

      ich will gerne hoffen dass sie verwandte haben um sich herum ? Ich kenne eine Familie die hatte 5 Kinder. Die Mutter starb jung. Keiner von beiden Eltern hatte seine Familie hier. Man sollte sich schon überlegen : was passiert wenn eine Scheidung ist, oder wenn einer einen schwer krank wird ?

  • Cybot sagt:

    Ich weiss schon beim ersten Kind nicht, was das erste Wort war, dabei ist das erst ein paar Monate her. Aber der Übergang von Gebrabbel zu richtigen Wörtern war viel zu fliessend. Und „Malvorlagen von irgendeinem Tier, auf sie nur ein paar Striche gezogen haben“, hab ich auch längst entsorgt. Fotoalben hingegen machen wir sicher – aber wahrscheinlich erst, wenn wir pensioniert und die Kinder ausgezogen sind. Vielleicht.

  • Stina sagt:

    Wieder einmal: wunderschön geschrieben! Vielen Dank Herr Pickert. Und uns geht es natürlich genauso, obwohl wir nur zwei Kinder haben. Unser Fotoalbum hört genau zwei Wochen nach der Geburt des jüngeren Kindes auf. Dafür können wir uns an den ersten Schritt und das erste Wort des Jüngsten erinnern. Und an den Vanille-Geruch seines Babyköpfchens.

    • Lullaby sagt:

      Liebe Stina, vielen Dank für diesen wunderbaren Kommentar!! So herrlich ehrlich und liebevoll! 🙂

  • Maike sagt:

    Lieber Nils, im Biologieunterricht geschlafen ?? Es ist nachweisslich nicht so, das der STORCH die Kinder bringt, respektive sich ein Menschenpaar aussucht, um dort gleich vier mal etwas abzuladen.
    Es sind ausschliesslich die Menschen selber, die aktiv werden müssen, wenn es Nachwuchs geben soll. Im vorliegenden Beispiel haben sie es viermal glücklich geschafft.
    Auch ohne grossartige Erfahrungen kann man sich vorstellen, das das Leben mit vier Kindern ein vollkommen anderes – nicht unbedingt stressfreies – sein wird.

    • Muttis Liebling sagt:

      Es müssen nicht gleich alle Menschen aktiv werden, es reicht völlig, wenn Fr. Pickert aktiv ist und der Postbote immer nur dann kommt, wenn der Nils nicht zu Hause ist. Deswegen lieben Grossmütter vor allem die Enkel der Töchter. Bei denen der Söhne weiss man nie, ob es eigene sind.

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