Abschied von Bullerbü

Die Inspiration für Bullerbü: Drei Häuser im schwedischen Sevedstorp. In den Bullerbü-Büchern von Astrid Lindgren leben hier sieben Kinder mit ihren Eltern, Angestellten und einem Grossvater. Foto: Holger Motzkau (Wikimedia Commons)
Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht, aber manchmal fantasiere ich von Bullerbü. Davon, mit einigen lieben Menschen und deren Kindern bunt zusammengewürfelt und mit viel Platz zusammenzuleben. Damit man nicht so auf sich geworfen ist bei der Kindererziehung und Eltern als monadenartige Entität dauernd daran scheitern müssen, sich mit Gleichgesinnten zu verabreden – im ewigen Kreis des «Prinzipiell total gerne, aber heute geht leider nicht».
Natürlich ist das ein sehr naiver Traum, der beispielsweise ausblendet, dass die Erwachsenen dieses Bullerbü ja irgendwie finanzieren müssen und das Ganze nie so idyllisch ist, wie man es sich ausmalt. Trotzdem merke ich, dass mich das reizt. Mehr noch: dass es mir fehlt. Denn obwohl meine Familie und ich nie in einer realen Version von Bullerbü gelebt haben, hatten wir eine lange Phase, in der wir deutlich mehr in diese Richtung gegangen sind. Damals waren wir noch zu viert und als Eltern in unseren 20ern. Mit Mehrgenerationenwohnen, Konsumkritik und politischem Aktivismus. Bisschen das, was mein ältester Sohn meint, wenn er sagt, dass wir über Auffahrt «zu den Hippies» fahren.
Plötzlich so gewöhnlich
Heute sind wir an einem anderen Punkt. In einem Leben, das ich gerne und ohne mit der Wimper zu zucken als durchschnittlich bezeichne. Ich werde zwar hin und wieder darauf hingewiesen, dass die Anzahl meiner Kinder, die Dauer meiner Beziehung und meine doch recht feministischen Ansichten befremdlich wirken, aber für mich fühlt es sich ziemlich gewöhnlich an. Nach dem, was man Rush Hour des Lebens (Zwischen 30 und 40 muss einfach alles passieren!) nennt, nach viel Arbeit, Familienplänen, Rechnungen bezahlen, Kinderchaos und dem ehrlichen Bemühen, sich dabei nicht vollständig aus den Augen zu verlieren. Das alles basiert jedoch anscheinend deutlicher auf einem alternativen Lebensmodell, als mir bewusst ist. So erkläre ich es mir zumindest, dass meine älteste Tochter, als wir dann bei «den Hippies» angekommen waren, verblüfft äusserte: «Die sind ja hier alle so wie ihr!»
Die, das sind mehrere Familien, die gemeinschaftlich auf einem Hof im norddeutschen Wendland zusammenleben – und uns eingeladen hatten, weil sich vor Ort die Möglichkeit ergab, Arbeit und Freizeit miteinander zu kombinieren und ein bis zwei Tage an ihrem Leben teilzuhaben. So viel zu Rush Hour des Lebens – stets alles auf mögliche Kombinierbarkeit hin überprüfen! Mich jedenfalls hat der Aufenthalt dort sehr entspannt. Überall nette, aufgeschlossene Leute, die auf einem grossen Hof gemeinsam ihre Kinder grossziehen und nebenbei versuchen, ihre beruflichen und politischen Ziele zu verwirklichen. Alle fühlen sich zuständig, niemand drückt sich vor Aufgaben, die Kinder haben immer jemandem zum Spielen und immer etwas zu entdecken: Baumhäuser, Schaukeln, Bauplätze, Werkstätten.
Die Kinder sind praktisch überall mit dabei und gleichzeitig nicht so nervtötend dauerpräsent, weil ihre Bedürfnisse von über zehn Erwachsenen aufgefangen werden können. Dafür haben die dann eben auch mal Zeit ausschliesslich miteinander, ohne dass ihre Bedürfnisse und Beziehungen ständig durch diesen Kinderfilter laufen. Alle miteinander scheinen deutlich freier zu sein.
Erkenntnis in zwei Punkten
Während ich also meinen beiden jüngsten Kindern dabei zusehe, wie sie mit nackten Beinen im abendlichen Sommerregen glücklich durch eine riesige Pfütze planschen, werden mir zwei Dinge klar:
- Dieses absolut auf sich geworfene Kernfamiliending ist eigentlich überhaupt nicht meins. Ich fühle mich wohler in einer Gemeinschaft von Onkeln, Tanten, Grosseltern, Freunden und mehr Kindern und sollte daher schauen, ob sich das irgendwie realisieren lässt.
- Ich habe in einem solchen Wohnprojekt noch nie Teenager gesehen. In meiner Wahrnehmung nehmen das ausschliesslich Familien in Angriff mit Kindern unter zehn Jahren. Wohin die alle verschwinden, wenn die Kinder älter werden, weiss ich nicht. Jedenfalls aus meinen Sichtfeld.
Womöglich hat mein Abschied von Bullerbü nicht nur damit zu tun, dass ich mittlerweile unpolitischer, fauler und arrivierter als früher bin. Sondern eben auch damit, dass Bullerbü für Teenager, die ja schliesslich irgendwie gegen die Eltern aufbegehren wollen und müssen, ziemlich unerträglich sein könnte. Damit, dass mit Teenagern kein Bullerbü zu machen ist, sondern nur mit Eltern und kleinen Kindern. Wenn Ihnen Gegenbeispiele dafür einfallen, immer her damit. So ganz habe ich diesen Traum ja noch nicht aufgegeben.
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38 Kommentare zu «Abschied von Bullerbü»
Die Grossfamilie hat ihre Stärken und ihre Schwächen, die grösste Schwäche ist letztlich, dass sie viel stärkere Einordnung des Einzelnen verlangt, als eine kleinere Gemeinschaft.
„Alle miteinander scheinen deutlich freier zu sein.“
bringt es in meiner Aus- oder Hineinlegung ungewollt auf den Punkt:
Ja, alle miteinander schon, aber jeder Einzelne?
Sind nicht manche freier, und die anderen dafür unfreier? Traditionell in der Grossfamilie nach Geschlecht und Alter, in der Hippiekommune oder dem AJZ nach Führungs- und Durchsetzungs-„fähigkeiten“.
Und wenn man da raus will, verliert man sein ganzes soziales Umfeld, die Grossfamilie erfüllt alle sozialen Bedürfnisse.
Teenager suchen – und brauchen – Freiräume. Egal ob in Bullerbü oder in der klassischen Kernfamilie. Aber dabei ist auch der Ort nicht ganz unwichtig. Ein idealisiertes Bullerbü mitten im Grünen, weitab von Dorf und Stadt, ist für Teenager schwieriger. Denn sie müssen sich auch schulisch und beruflich orientieren können, und da bietet die ländliche Idylle leider meist nicht so viel. Aber ein übertragenes Bullerbü lässt sich auch in der Stadt oder Agglo realisieren, z. B. in Hausgemeinschaften mit Gleichgesinnten. Was aber auch problematisch sein könnte: Teenager „plötzlich“ in diese neue Lebensform zu verfrachten. Das geht mit jüngeren Kindern sicher einfacher.
Wir leben in einem kleinen Weiler ein solches „Bullerbü“-Leben.
Gemeinsam mit einer anderen Familie haben wir ein grosses Bauernhaus umgebaut, alle Kinderzimmer liegen aneinander, Wohnzimmer, Küche und Badezimmer haben wir je als Kernfamilie, den Rest der Liegenschaft und den riesigen Garten teilen wir. Verantwortlichkeiten, Kinderbetreuung und Arbeit ums Haus wird verteilt, was ein grosses Mass an Kommunikations- und Konfliktbereitschaft, sowie Verbindlichkeit voraussetzt. Dafür gibt es ein grosses Miteinander und viiiiel Freiraum für jeden Erwachsenen und die Kinder bewegen sich im ganzen Dorf. Sehr empfehlenswert!
Wir haben zwischen 6 und 17 das gesamte Alterspektrum im Haushalt und ich stelle fest, dass das Teenageralter zwar sehr wohl seine Eigenheiten hat es aber ein Fehler ist, sein Leben danach einzurichten. Eltern haben die Pflicht, Teenager zu nerven. So sei es. Mit anderen Teenagern rundum lässt sich das vielleicht sogar besser ertragen. Aber es ist keineswegs immer dieses Gegeneinander, dass da heraufbeschworen wird. Der Teenie will halt einfach mehr raus, ist ja logisch.
Die Nachkommen der ersten Hippie Generation wurden als Teenager dann Yuppies, Konterrevolutionäre könnte man aus Hippiesicht sagen.
Das ist doch immer so. Die 68’er waren die Kinder der Nazis und ihre Kinder wurde brave Bürger im übelsten Sinne des Wortes. Die Tochter von Ulrike Meinhof hat ein Buch über ihre Muter geschrieben, bei dem zu Lesen selbst einem braven Bürger der Kategorie Mama- Blog- Autoren die Füsse einschlafen.
Nein – es ist nicht immer so. Glaubwürdige Eltern sind durchaus Vorbilder ihrer Kinder.
Das Problem von Kindern mit unglaubwürdigen, nicht-nachahmenswerten Eltern ist folgendes: Da sie keine Orientierungspunkte mit auf den Weg bekommen haben, aber merken, dass die Welt ihrer Eltern nicht stimmen kann, orientieren sie sich einfach – in gleicher Manier – am Gegenteil.
Nur, Negativwerte sind halt auch kein Fundament. Folglich wiederholt sich das Spiel.
Aber nicht alle Menschen sind in dieser kümmerlichen Mühle. Das denkt nur der, der sich selbst nie davon emanzipiert hat.
Die Tatsache, dass die Kinder- die Negation ihrer Elterngeneration ist, hat nicht mit Glaubwürdigkeit oder Vorbildfunktion zu tun. Es ist eher als Unfall zu betrachten, wenn Kinder die Traditionen ihrer Eltern fortführen, statt zumindest temporär zu bekämpfen.
werden wir es wohl erfahren, falls xy’s kinder widererwarten aufmüpfig werden sollen? von wegen nicht-nachahmenswert: teenager haben einen hohes-ross-detektor
Aber nicht alle Menschen sind in dieser kümmerlichen Mühle. Das denkt nur der, der sich selbst nie davon emanzipiert hat.
Es gibt wie bei so vielem nicht einfach schwarz und weiss. Auch in einer bünzliger Umgebung und einem langweiligen Durchschnittsleben, lässt sich wenigstens ein bisschen Bullerbü hinkriegen, wenn man die richtigen Menschen, seien es Freunde, sei es Familie, um sich schert.
So weiss ich bereits heute, dass am Tag der Rückkehr meiner Eltern aus den Ferien irgendwann mit ihrem Besuch zu rechnen ist, weil sie uns doch schon 10 Tage nicht gesehen habe. Und ich weiss, dass ich Geburtstagsfeste nicht organisieren muss, weil doch irgendwann mehrere unangekündigt, aber mit etwas Essen in der Hand vor der Türe stehen werden. Und auch wenn wir uns verabreden, dann nicht am 15.07.2019, sondern in 30 Min. Wenn man dann zusammenkommt, kocht derjenige, der gerade Lust hat,
nicht zwangsläufig der „Gastgeber“, so etwas gibt es eigentlich nicht. Und der andere wickelt vielleicht mal ein Kind, auch wenn es nicht seins ist, weil er zwei freie Hände hat. Es funktioniert. Und tut gut. Auch wenn man danach in das 0-8-15-Leben zurückkehrt und die Türe hinter der eigenen Kleinfamilie abschliesst. Man muss manchmal etwas suchen, aber man kann auch in der Schweiz und einer grösseren Stadt sein Dorf oder auch sein Bullerbü finden. Und wie ich sehe, passt es dann auch mit Teenager nicht so schlecht. Auch weil diese immer eine Alternative haben bei dem Hippiezusammenkommen dabei zu sein oder zu verschwinden und sich ausserhalb dieser Gemeinschaft mit Freunden zu treffen. Und zurückzukehren.
Danke 13 – genau so leben wir das auch und alle Beteiligten sind zufrieden mit diesem Modell. Dazu gehört wahrscheinlich das grosse Glück die richtigen Menschen kennen zu dürfen, mit welchen sich so leben lässt.
„Dazu gehört wahrscheinlich das grosse Glück die richtigen Menschen kennen zu dürfen, mit welchen sich so leben lässt.“
Nun, darauf hat man aber einen Einfluss. Wenn man dazu bereit ist, findet man ja gut heraus, welche Menschen einem gut tun und welche nicht. Und auch, dass sich das im Laufe des Lebens mit wechselnden Lebensphasen auch ändern kann. Das bedingt ein Rauskommen aus der Komfortzone, neue Menschen kennenlernen und auch manche Beziehungen etwas abkühlen zu lassen. Aber kann viel bringen.
Eines verstehe ich nicht: warum ist man gerade wieder „bünzlig“, wenn man halt anders eingestellt ist! Nein, ich will mich nicht freuen müssen, wenn es klingelt und eine Bande uneingeladener Besucher vor der Tür steht und hereindrängen und sich breitmachen will. Ich gönne jedem gerne ein Bullerbü Leben, für mich wäre es ein Horror. Interessieren würde mich auch, wie lange diese Gruppen es denn miteinander aushalten und ob es wirklich so idyllisch abgeht oder sich doch eben wieder Hierarchien etc. bilden, respektive immer die gleichen profitieren und die anderen … Windeln wechseln. Wie gesagt, jedem das Seine, aber ich persönlich kann dem nichts abgewinnen, und Bünzli bin ich trotzdem keiner.
@ R. Habig
Und es steht nun irgendwo, dass Sie das müssen? Oder dass bünzlig etwas schlechtes wäre?
Nein, die Aussage war: Auch wenn man nicht ganz abgelegen im Wald eine eigene Kommune gründet, kann man das teilweise leben. „Kann man“ nicht „muss man“. Wer den Besuch als Horror empfindet, der kann das ja mit seinem Umfeld anders handhaben, wo ist das Problem?
Aber um auf Ihre Frage zu antworten: Nein, ich sehe da keine Hierarchien, aber es ist auch kein Aufrechnen. Irgendwie geht es am Schluss in etwa auf, wobei die Ressourcen vor der eigentlichen Arbeit stehen. Wer gerade mehr hat (Zeit, Kraft, Motivation), leistet gerade etwas mehr. Und zwei Wochen später ist es vielleicht umgekehrt.
@13: Nun, bünzlig hat aber im allgemeinen Sprachgebrauch nun einmal einen negativen Beigeschmack. Ich
@13: Sorry, Senden gedrückt ohne es zu wollen: ich kenne eben aus meinem persönlichen Umfeld keine einzige Gruppe oder Verein, wo es nicht früher oder später zu eben diesem Aufrechnen und Herumkritteln und Hintenherum über die anderen reden gekommen ist, und meistens scheitert es genau an sehr banalen und alltäglichen Dingen. Von daher verstehe ich jeden, der lieber, wie Sie schreiben, die Tür hinter seiner Kleinfamilie zumacht. Nur schon mit den nächsten Vertrauten wirklich gut zusammenzuleben ist manchmal einer Herausforderung, und je mehr Leute beteiligt sind, umso grösser wird das Konfliktpotential. Ich bin so ehrlich zuzugeben, dass ich es nicht aushalten könnte, meinen Alltag mit anderen zu teilen.
Wie geschrieben, es gibt keine Pflicht und es stimmt, man muss auch ein bisschen der Typ dafür sein. Ich bin schon so aufgewachsen, immer viel Besuch, relativ spontane Unternehmungen, Ferien ohnehin selten in der Kleinfamilie, mein Mann noch mehr als ich und es ist ok. Der wichtigste Punkt ist, keine Erwartungen zu haben. Wenn ungemeldeter Besuch kommt und erwarten würde, dass ich ihn irgendwie bewirte, wäre ich gestresst. Wenn aber gar niemand erwartet, dass aufgeräumt ist, es etwas zu essen gibt und sich die Leute auch mal selber einen Kaffee machen, dann kann ich entspannt sein. Es ist dann auch kein Problem, halt noch schnell die Wäsche aufzuhängen, egal ob jemand da ist. Und wenn es mir mal zuviel wird, ziehe ich mich zurück und zwar ohne schlechtes Gewissen.
Aber eben, es muss passen. Wo es Zwang ist und es einem nicht entspricht, ist der Zweck des Entspannten gerade völlig verfehlt.
@13, 18.55 h: Nun haben Sie genau beschrieben, warum unangemeldeter Besuch mir unangenehm ist). Ich lade Leute tatsächlich lieber zu einem Zeitpunkt ein, der beiden passt, und kann mich entsprechend vorbereiten. Menschen sind verschieden, und ich habe reagiert, weil ich mich vom Reizwort Bünzli ans Schienbein getreten fühlte (da sehen Sie auch gerade, warum ich nur mit sehr wenigen Menschen befreundet bin und nicht mit ganz Bullerbü: ein wenig empfindlich und schnell gereizt:).
Besuch kann jederzeit kommen, ganz unkompliziert. Meistens entsteht das aus den Spielbesuchen der Kinder.
Und man kann jederzeit sagen, dass man nicht will oder kann, oder es bei einem Bier statt Grillabend bleiben soll. Ohne dass dies irgendwelchen Ärger auslöst.
Für die Kinder finde ich diese Art von Bullerbü Aufwachsen die Schönste und würde es meinen Kindern sehr gönnen. Auch ich hätte gerne ein paar Freunde um mich mit denen nicht dauernd abgemacht werden muss. Aber diese Abgeschiedenheit- an der kommt man wohl nicht vorbei- und die dauernden Bemerkungen über die schönen Salatköpfe- nein, dann doch lieber klassischer 4-Kopf Haushalt.
Ich habe keine Teenager, aber die werden ja wohl in Kleinfamilien nicht weniger mühsam sein als in grösseren Gruppen.
Ihr Wunsch als Familie in einer grossen Familie zu leben ist nostalgisch. Der Wunsch nach einem idealisierten „Früher“.
So war das Leben: in einer Dorfgemeinschaft, in einem Stamm, in einer Sippe.
Es ist unsere ursprüngliche Lebensform und wohl der Grund, warum sich Menschen einer religiösen Gemeinschaft anschliessen, oder einem Rockerclub, oder eben einer Gemeinschaft, die sich durch Ideologie (sei sie nun: links, rechts, esoterisch, verschwörungstheoretisch) zusammenhält.
Denn etwas muss die „Grossfamilie“ ja zusammenhalten, wenn es nicht die pure Notwendigkeit (Armut, Schutz durch Gruppe, nicht vorhandene Alternativen, Zwang) ist.
Wohlstand, Rechtsstaat und Aufklärung löste diese Art von Zusammenleben auf. Denn hinter dem Idyll und den zweifellosen Vorzügen, standen und stehen eben auch immer Gruppenzwang, hierarchische Strukturen die sich selbst in den egalitärsten Gemeinschaften bilden, Heuchelei, Anpassung etc.
Wenn nicht natürliche Liebe der verbindende Kern einer solchen Gemeinschaft ist, muss es eben Ideologie bzw. Macht/Gewalt sein.
Nur ersteres kann langfristig befriedigend und gesund sein. Nur ist ersteres auf lange Zeit überhaupt möglich? Zu wieviel Nähe ist der Mensch langfristig überhaupt fähig?
Sie sind wohl mal aus einer WG geflogen, wenn sie die Grossfamilie so abtun…
Was eine z.B. eine bäuerliche Grossfamilie zusammenhält, ist mit nichten Zwang, sondern weil es – bedingt durch die Arbeits- und Aufgabenteilung – eine Win-Win Situation für alle ist.
Warum immer gleich persönlich werden und nicht einmal über das Gesagte nachdenken und dann zu den verschiedenen Argumenten Stellung nehmen?
Ich sagte, dass die Grossfamilie „zweifellos Vorzüge hat“ und dass sie einem inneren Bedürfnis entspricht, da sie lange Zeit, die natürliche Lebensweise der Menschen war und nannte konkrete Gründe, warum sich unsere Lebensweise davon entfernt hat und was die Bedingung wäre, damit diese Lebensweise fernab einer Notwendigkeit funktionieren würde.
Sie blenden das alles aus und unterstellen mir eine tumbe Gegnerschaft. (Und um eine bäuerliche Grossfamilie geht es eigentlich gar nicht: Die Sippe ist grösser.)
Zu ihrer Persönlichen Frage:
Nein – ich wurde nie aus einer WG geworfen.
@Michael: Win-Win Situation in der bäuerlichen Grossfamilie? Dass ich nicht lache! Vielleicht in der Theorie. Meine Grosseltern mütterlicherseits waren eine bäuerliche Grossfamilie mit 9 Kindern. Was ich dort gesehen habe, war neurotisches Aneinanderkleben, Engstirnigkeit, heimlicher Hass, krasse Benachteiligung der Mädchen und Frauen, allgemeines Ausnützen der Kinder. Wo der Gewinn für die jüngeren und schwächeren Mitglieder in solch archaisch-symbiotischen Formationen sein soll, sehe ich leider nicht.
Und jede in den Hof eingeheiratete Frau fing ganz unten in der Hierarchie an, bis sie selber irgendwann die alte Bäuerin war und ihre Schwiegertöchter drangsalieren und erniedrigen konnte.
Einer der Gründe, warum kaum noch Frauen in einen Landwirtschaftsbetrieb einheiraten: Die alte Bäuerin weiss alles besser, macht alles besser und zeigt, dass sie die Jungbäuerin für nicht würdig für Haus, Hof und Sohn hält – das lassen sich Frauen heute nicht mehr bieten.
Diese romantisierten Grossfamilien sind auch für diejenigen Familienmitglieder die Hölle, die sich nicht als Individuum aufgeben.
@Tina Letztlich entscheiden doch immer die Eltern für die Kinder mit, illusorisch zu denken es wäre anders. Zwar bezieht man Kinder heute stärker mit ein, was auch gut ist. Aber es ist noch kein Kind am alten Ort wohnen geblieben, wenn die Eltern umziehen wollten 😉
in züri zumindest ist das keine nur nostalgische idee sondern wird auch architektonisch umgesetzt. die leute wollen das wieder: generationenübergreifende wohngemeinschaften, um sich gegenseitig impulse zu geben, sich zu helfen (alt hilft jung, jung hilft alt) und halt einfach weil es auch interessanter und psycho-sozial (??? soeben erfunden weil kein passendes wort gefunden) gesünder
ganz ideologiefrei geht das generationenübergreifende-gross-wg leben vermutlich nicht: die leute glauben an dieses ding und wollen es leben. ich schätze, es sind eher links-grün eingestellte menschen, aber das ist ein vorurteil
und natürlich hat die kinder keiner gefragt, ob sie das wollen. oder sie konnten es nicht abschätzen und kommen nicht selber wieder da raus
Teenager, wenn sie sich denn auf dem totalen Aufbegehrungstrip befinden, werden wohl alle Lebensentwürfe „unerträglich“ finden, und ich vermute „Bullerbü“ hätte mehr Chancen einigermassen glimpflich davonzukommen, weil sich der Frust dann doch irgendwie über mehrere Involvierte verteilt.
Ein „alles nochmal auf den Kopf stellen“ stelle ich mir mit Teenies allerdings schwieriger vor, da ist wohl einfacher schon früh sein Bullerbü gefunden zu haben. Aber es gibt ja auch „ausser-wohn-familiäre-Bullerbüs“, ein festes eingebunden und als ganze Familie in einem Verein engagiert sein, sich dort regelmässig mit Gleichgesinnten treffen und aktiv sein (ob nun politisch, gesellschaftlich-freizeitlich und/oder sportlich gefärbt) bspw.
Von daher: lassen Sie Bullerbü keinesfalls sterben! 🙂
Hmm. Ob gerade Teenager noch ‚fest eingebunden‘ sein wollen, in der von Ihnen beschriebenen Form: dahinter setze ich ein Fragezeichen. Zumal ich in dem Alter meine Freizeit für mich, und meine Interessen haben wollte. Gerade die regelmässigen Familien-Sonntage mit Grillausflug im Kreis anderer Familien wurden mir zu einem Graus. Glücklicherweise haben unsere Eltern dies eingesehen, und uns zunehmend mehr Freiraum gelassen. Was nicht gegen einzelne Familienaktivitäten spricht.
Kinder sind wenn sie ganz klein sind – Freunde von allen die im gleichen Alter sind. Man ist nicht wählerisch, mit wem man spielt.
Je älter sie werden, um so mehr kristallisiert sich heraus, mit wem man tatsächlich Gemeinschaft haben will und mit wem nicht.
Das ist der Punkt. Die individuelle Persönlichkeit formt sich und so passen manche Kinderfreunde nun nicht mehr zusammen, andere vielleicht schon. Es gibt Sandkastenfreunde forever, aber das ist eher die Ausnahme.
Deshalb sollte man das nicht negativ mit „Aufbegehren“ erklären. (Warum sollte die Transformation vom Kind zum Erwachsenen etwas negatives sein? Rebellionen weisen auf Konflikte hin. Also muss man fragen: was sind die Konflikte?)
Ich kenne mehrere junge Erwachsene (+/- Mitte 20), die noch immer fest eingebunden sind in diese Strukturen (sei es Verein, sei es kulturell oder sportlich) und sehr Mühe haben, sich da frei zu strampeln. Es kann schon sehr starr, fast schon zwanghaft werden, wenn die Teilnahme an gewissen Veranstaltungen zur Pflicht werden. Freiräume lassen, dann machen Teenager zwischendurch auch wieder freiwillig mit.