Was Eltern wollen
Ich liege in einem frisch überzogenen Bett, neben mir eine verstrubbelte, wunderschöne Frau. Draussen scheint die Sonne, das Meer ist zu sehen. Ich könnte jetzt etwas total Abgefahrenes essen, was alle meine Kinder hassen – also was Gesundes. Oder einfach liegen bleiben, so lange ich will. Bisschen lesen, ein Nickerchen halten oder ein Gespräch mit meinem Lieblingsmenschen führen, bei dem ich nicht alle 10 Sekunden unterbrochen werde. Sogar Sex wäre drin.
Als Eltern von mehreren Kindern wagt man an so etwas ja kaum zu denken. Und wenn, dann nur halb stehend, mit einem Fuss unter der Klinke und nach monatelanger Planung. Aber hier ist alles möglich. Hier, das ist ein Hotelzimmer im kinderlosen Nichts, über eine Autostunde von zu Hause entfernt. Hier bin ich tatsächlich Teil eines erwachsenen Liebespaares. Keine Ahnung, wie das geschehen ist, dafür bin ich noch zu benommen. Irgendwas mit Oma und «Macht euch doch ruhig mal ein paar schöne Tage».
Auf jeden Fall ist es grossartig. Wichtige Sachen werden gesagt.
«Guten Tag, ich heisse übrigens Nils. Ich glaube, wir kannten uns mal näher.»
«Kann gar nicht sein, ich rede nicht mit Eltern. Und Sie riechen nach Kinderschweiss.»
«Das nehmen Sie sofort zurück!»
Hunderttausend Bedürfnisse befriedigen
Wenn man Zeit zum Rumblödeln hat, geht es der Beziehung gut. Wenn man Anspielungen auf die Dinge machen kann, die man gemeinsam und schon vor Jahren erlebt hat, Filme und Bücher zitiert, mit denen man etwas verbindet, dann läuft es. Und wenn man Zeit dafür hat, den anderen nicht nur zu küssen, sondern dabei auch noch sein Gesicht in den Händen zu halten, ist es gut.
Zu Hause ist es, was das angeht, leider eher selten gut. Zu Hause sind wir Koch und Köchin, Dienstleistergesellschaft, Trostfabrik und Nachhilfefakultät. Zu Hause bin ich der Kackfreund meines dreijährigen Sohnes. Ich weiss nicht genau, warum, aber wenn er auf Toilette muss, kommt er vorher bei mir vorbeigeschlendert und informiert mich im Detail darüber. Und zwar so lange, bis ich das goutiere.
«Papa, ich muss Kacka.»
«…»
«Papa, ich muss KACKA.»
«Ja super, mach doch.»
Später werde ich dann zum Ort des Geschehens gerufen. Bis ich erscheine. Womöglich, um die Aussicht zu geniessen und mir die Bescherung mal anzusehen. Jedenfalls immer ich. Und das ist nur eines von Hunderttausenden Bedürfnissen, die meine Lebenskomplizin und ich jeden Tag zu befriedigen haben. Wenn man mit vier Kindern unter einem Dach lebt, steht man permanent in einem Sturm aus Fremdbedürfnissen: Weck mich, trag mich, tröste mich, bekoche mich, nerv nicht, fahr mich, unterhalte mich, bade mich, beschenke mich … und vergiss nicht vorbeizukommen, wenn ich auf Toilette sitze. Ich muss dir was Wichtiges zeigen.
Einfach mal eine Atempause
Bevor ich Kinder hatte, habe ich mir theoretisch vorgestellt, ich würde wohl über einige naive Ansichten verfügen, die mir mein Nachwuchs dann beizeiten schon austreiben würde. Tatsächlich wäre die Bezeichnung «blauäugiger Trottel» noch schmeichelhaft. Jedes meiner Kinder hat mich vor Herausforderungen gestellt und mit Tatsachen konfrontiert, die ich niemals hätte kommen sehen. Und gemeinsam werkeln sie an einem Grad an Beanspruchung, den ich mir nicht vorstellen konnte.
Ich würde trotzdem nicht auf meine Kinder verzichten wollen. Aber ab und an eine Atempause, um rauszufinden, was man selbst für Bedürfnisse hat, wäre schon ganz nett. Atempausen wie diese hier.
«Worauf hast du Lust?», fragt mich die verstrubbelte, wunderschöne Frau, die sogar im Winter noch ein paar Sommersprossen für mich auf ihrer Nase übrig behält.
«Keine Ahnung, darüber habe ich schon länger nicht mehr nachgedacht. Und du?»
Achselzucken. Aber draussen scheint die Sonne, das Meer rauscht, und niemand will irgendetwas von uns. Was wir wollen, finden wir schon raus. Ein bisschen Zeit haben wir ja noch.
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13 Kommentare zu «Was Eltern wollen»
Irgendwie schräg – wir haben 1 Kind, und ich vermisse nichts vom alten Leben, hatten uns allerdings auch ausgelebt und wurden spät Eltern. Bin zurzeit auf Geschäftsreise und vermisse trotz nur 3 Tagen jeden Moment mit meinem . Da wir ü40 sind, und auch ein paar schlimmere Erlebnisse hatten vor/während/nach der Geburt, wissen wir auch wo die Grenzen unserer Energie sind und habens uns deshalb, auch zum Schutz des Kindes (was hat es von üebrforderten und gestressten Eltern?) dazu schweren Herzens entschieden beim einen Kind bleiben, so gerne wir auch noch ein Geschwisterchen hätten.
Die Kunst liegt darin, trotz eines oder mehrerer Kindern nicht zu vergessen, dass man noch a) Individuum ist und b) als solches eine Basis namens „Paar“ und „Liebende“ geschaffen hat und dieses Paarleben zu pflegen und zu schützen. Sätze/Denkfehler, wie „Schatz, wir sind jetzt kein Paar mehr, sondern Eltern“, höre ich von anderen Pärchen immer wieder, v.a. von Frauen. Wenn die Kinder dann ausser Haus sind, wollen die Eltern wieder ruck zuck Paar sein. Selten gelingt es.
Genau so ist es ! Je älter und selbstständiger die Kinder werden, desto mehr Freiheitsgrade gewinnen die Eltern wieder zurück. Das beginnt mit der ersten Übernachtung bei den Freunden und wir die Bude endlich mal wieder komplett für uns alleine hatten. Verloren haben die die sich gegenseite Mutti und Vati nennen…
Herr Pickert schreibt einfach gut. Und ich bin einmal mehr froh, keine Kinder zu haben.
Wunderschön … mmmmmm
Ein schöner Text. Nach über drei Wochen mit drei kranken Kindern und dementsprechenden Nächten in denen ich meinen Mann nur sehe, wenn einer das Leintuch neu bezieht, während das andere das vollgekotzte Kind umzieht, schwanken meine Gefühle aber irgendwo zwischen „Das mag ich Ihnen von Herzen gönnen“ und „Wie können Sie es wagen, Eltern von Kleinkindern einen solchen Text vorzusetzen?“ 😉
Sehr schön, 13. Ich fühle grad mit Ihnen, geht uns ähnlich. 🙂
Aber der Frühling kommt sicher bald, ganz bestimmt. Dann wird alles besser. Sage ich mir jeden Tag….
Oh ja, wir hatten eben auch gerade so eine Nacht 😉 (zwar nur 2 Kinder, eines dafür ein Neugeborenes, die Nächte sind also schon so oder so unruhig…).
Der Text ist aber wunderschön, danke Nils Pickert!!
kann ich alles unterschreiben. geht uns mit unseren 4 kids genau gleich. der jüngste ist erst 2,5 jahre die älteste wird 13. jetzt kommt der jüngste im sommer in die spielgruppe und statt das ich mich drauf freue wieder mal ohne ein gstürm einkaufen gehen zu können in der zeit (lohnt sich nicht wieder nach hause zu fahren), betrübt mich der gedanke das mein jüngster sich jetzt bald von seiner nabelschnur trennt die uns immer noch verbindet (jedenfalls gefühlsmässig). ich tröste mich noch mit dem gedanken, dass wenn es nicht funktioniert und er zu sehr leidet, ich ihn nicht zwingen werde, denn dann ist er eben noch nicht soweit. natürlich freut man sich als eltern wenn man wieder mal mehr zeit als paar hat. jedoch sind so kinder halt schon was schönes, trotz der dauerbespassung und co.
4 Kids???
Wie haben Sie sich das denn sonst vorgestellt?
Lassen Sie mich raten Herr Pickert: Aber das Lachen der Kinder lässt alles vergessen?
Sehr schön geschrieben, so ist (war) es. Meine Kids sind erwachsen, das Leben bekommt wieder neue Dimensionen. Alles zu seiner Zeit.
Ja. Meine Kinder sind auch erwachsen.
Als sie noch jung waren, jammerten alle Mütter um mich rum: „Könnte ich mein Kind nur schon in den Buggy setzen,“ „Könnte es nur schon laufen,“ „Wäre es nur endlich schon trocken,“ „Ginge es nur endlich in die Spielgruppe“ usw. Ich antwortete immer: „Dann wärst du aber um die Jahre älter, ist dir schon bewusst?“ Neulich habe ich eine solche Mutter wieder getroffen, jetzt jammert sie: „Wenn ich es damals nur genossen hätte“ …
Witzig: Als mein Mann + ich mal nur zu zweit Ferien machten, griff ich immer neben mich, als ob etwas fehlte, als ob ich etwas suchte, glaube: die Hand der Kinder – war mir vorher effektiv nicht bewusst, wie automatisch das mit der Zeit wird mit Kindern. Mein Mann lachte herzlich, ich dann auch …