Zeit für den Augenblick

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Wenn wir etwas von kleinen Kindern lernen können, dann die Fähigkeit, sich komplett im Augenblick zu verlieren. Foto: Pexels

«Schnell, schnell, vorwärts, wird sind spät dran!» Solche Sätze sage ich manchmal so oft zu unseren Kindern, dass es mir selbst negativ auffällt. Zum Glück konnten wir uns nun durch die Festtags- und Ferienzeit eine Weile wohltuend treiben lassen. Aber schon in Kürze gehts wieder los mit meinen «Schnell schnell»-Sprüchen und «Beeilt euch»-Befehlen.

Doch die Schule beginnt nun mal um 8.15 Uhr, die Spielgruppe um 8.30 Uhr. Auch der Zahnarzttermin der einen Tochter muss schon mal um 9.10 Uhr sein. Bis Mittag fällt womöglich noch die Deadline für einen Text bei mir an. Und parallel dazu sind um 11.30 Uhr der Kleine wieder von der Spielgruppe abzuholen und die Spaghetti zu kochen: Die Grösseren kommen um 12 Uhr heim – und müssen um 13.15 Uhr wieder los.

Und so weiter. Viele Eltern kennen das. Schule, Spielgruppe, Arzttermine, Hobbys, Haushaltspflichten, Abmachungen und Berufsarbeit: Manche Tage sind durchgetakteter als der Radetzkymarsch. (Klar, dass nicht selten Antrieb nötig ist, damit die Parade Schritt hält.)

Ein Büechli anschauen? Ja … nachher!

Nun, der Takt war schon da, bevor wir Kinder hatten. Die Messung der Zeit, die Einteilung in Einheiten und deren straffe Verplanung im Voraus stehen ja irgendwie für unsere Gesellschaft. So konnte es immer schon vorkommen, dass für ein Abendessen mit Freunden erst der dritte Donnerstag im übernächsten Monat infrage kam. Doch fiel es mir nie so auf. Das Schritthalten mit Terminen hatte ich längst verinnerlicht und niemand drückte ständig am Zeitlupeknopf herum.

Jetzt aber haben wir Kinder und unser Leben im Staccato wird mir fast täglich bewusst: Da sind die Grösseren mit Stundenplänen und Verpflichtungen, die vermehrt zu den eigenen dazukommen. Und da ist der Kleine, der noch voll im uhrenlosen Zeit-Raum-Kontinuum durch den Tag floatet – floaten möchte. Sein Zeitgefühl verträgt sich mit unserem Alltag wie eine elektronische Agenda mit einer altägyptischen Sonnenuhr. Zusammen ein Büechli anschauen? In Ruhe «wässerlen» am Lavabo? Im Garten einen Schneemann bauen? Allzu oft heisst es: Jaaa, aber … nachher … Erst müssen wir noch …

Häufiger mal kurz innehalten

Manchmal protestiert der Bub, wenn seine wieder mal zum Metronom mutierte Mutter auch ihn antreibt und auf später vertröstet. Erstaunlich oft aber kooperiert er. Natürlich bin ich froh darum. Er muss ja auch lernen, sich in und mit unserer Zeitrechnung zurechtzufinden. Dennoch wird es mir manchmal unbehaglich. Es sind die Momente, in denen ich mich frage, ob nicht vielmehr ich von ihm lernen sollte: Leben im Augenblick, ganz im Flow sein, voll bei einer Sache verweilen, ohne kritischen Blick zur Uhr.

Für so etwas müsste doch mehr Raum, oder Zeit, sein. Alle Termine, Pflichten und To-dos, ich muss sie ab sofort strengstens auf ihre Dringlichkeit prüfen! Doch, ach, es bleibt ja trotzdem meist genug übrig, um dem Familienleben wieder den Radetzky-Rhythmus zu verpassen, kaum sind die letzten Klänge des Neujahrskonzertes verhallt.

Solchen Gedanken hing ich nach, als ich kürzlich zufällig auf einen Kalenderspruch stiess: «Eine halbe Stunde Meditation ist absolut notwendig, ausser, wenn man sehr beschäftigt ist, dann braucht man eine ganze Stunde.» Das soll der Heilige Franz von Sales einst gesagt haben. Ich musste lachen – und fühlte mich ein bisschen ertappt. Die Idee, täglich eine Stunde früher aufzustehen, um zu meditieren, verwarf ich. Aber eine sinngemässe Umsetzung, zum Beispiel tief durchatmen und kurz innehalten, grade wenn das Gefühl der Hetze am Stärksten ist: Ich finde, das hätte was. Die Minute, die dies braucht, sollte drin sein. Sie wird uns unwesentlich verspäten, aber die Stimmung – so hoffe ich – wesentlich entspannen. Ups, dabei wollte ich es dieses Jahr eigentlich bleiben lassen mit Neujahrsvorsätzen.

Lesen Sie zu diesem Thema auch: «Wir Eltern sind mitschuldig», «Zu viele Hobbys?» und «Was ein zweites Kind wirklich bedeutet».

17 Kommentare zu «Zeit für den Augenblick»

  • Lukas Christen sagt:

    Zeit als eine der kostbaren Ressourcen des Wohl-Ergehens ist zugleich ein entscheidender Faktor für Wohl-Standes.
    Schlaumeier meinen, man könne beides haben – wenn man es nur klug genug anstellt. Oft geht das zu Lasten der anderen, die weniger „schlau“ mit Zeit umgehen.
    Wohl-Stand hat seinen Preis. Und den bezahlt man auch mit Zeit, die man dafür einsetzt, um den nötigen monetären Mehrwert zu erzeugen, um im materiellen Wohl-Stand zu leben. Dabei geht viel Wohl-Ergehen der Eltern drauf.
    Den Kindern könnte das egal sein. Doch viele sind zu empathisch und gh feinfühlig. Sie bekommen mit, dass da etwas nicht stimmt. Und dann wundert man sich über verhaltensauffällige Kinder…!

  • Niklas Meier sagt:

    Nicht umsonst ist es kaum möglich Kinder und Job unter einen Hut zu bringen. Nicht weil man/frau das nicht will oder schlecht organisiert, es ist schlichtweg nicht möglich.
    Natürlich müssen Kinder irgendwann die Zeit lernen und Bedürfnisse anstellen. Aber Interessantes und Neues jetzt zu entdecken und nicht erst zu spielen wenn die Mutter (resp. der Vater) irgendwann seine Termine erledigt hat, ist meines Erachtens sehr wertvoll. Und es wäre vielleicht in Betracht zu ziehen, den Partner für gewisse Dinge wie zB. das Begleiten zum Kindergarten oder zum Zahnarzt einzuspannen. Oder das Arbeitspensum eines oder beider Elternteile zu reduzieren.
    Dann hätten Sie (resp. Ihr Partner) mehr Zeit für und mit den Kindern und diese mehr von ihren Eltern.

  • Cybot sagt:

    Warum ist es eigentlich immer die Mutter, die so stresst? Meine Frau ist ganz ähnlich, dauernd müssen noch 1000 Dinge erledigt werden. Kaum ist sie weg und Papa ist allein mit den Kindern, ist alles völlig entspannt. Da bleibt halt auch mal etwas liegen, aber was bringt schon die dauernde Aufräumerei, wenn Minuten später doch wieder Chaos herrscht. Ich glaube das Problem ist einfach der Anspruch, dass immer alles erledigt und perfekt sein muss. Lasst das Zeug einfach mal liegen, streicht ein paar Termine, akzeptiert die Unordnung und macht stattdessen, was Spass macht. Oder kommt halt mal zu spät. Zum Arzt z.B. hetzt man doch nur, um dort dann eine halbe Stunde zu warten. Letztlich ist es eine Frage der Einstellung und der inneren Gelassenheit.

    • 13 sagt:

      Ja, diese „innere Einstellung“ sehe ich bei vielen Vätern. Und die Mütter sind dann an ihren Betreuungstagen v.a. darum gestresst, weil sie auch noch das erledigen müssen, was die Väter, die sich „völlig entspannt“ zwar um das Kind gekümmert haben, aber eben nur das gemacht „was Spass macht“, alles „liegen gelassen haben“. Es geht dann auch nicht unbedingt um ein bisschen Unordnung, sondern das Haus in einem wohntauglichen Zustand zu halten und solche Dinge wie Wäsche waschen zu erledigen, weil sie nun mal erledigt werden müssen. Und ich bin auch sicher, dass die Väter nicht so tiefenentspannt wären, wenn die Mütter das nicht tun würden. Ja, ich pauschalisiere und nein, das wird nicht überall so sein, aber doch sehe ich das sehr sehr oft.

      • Sportpapi sagt:

        @13: In der Mitte wird die Wahrheit wohl liegen. Herausfinden wird frau es aber wohl erst, wenn sie auch mal die eine oder andere Arbeit liegen lässt. Mal schauen, was passiert.

      • Cybot sagt:

        Ich denke, das Problem ist eben die unterschiedliche Definition eines „wohntauglichen Zustands“. Aber viele Aufgaben sind auch effizienter, wenn sich erst mal etwas gestapelt hat, z.B. eine volle Waschmaschine statt zwei halbvollen. Aber bezüglich Effizienz scheinen viele Frauen sehr beratungsresistent zu sein. Hauptsache es ist immer alles „erledigt“.

      • 13 sagt:

        @ Cybot
        Da musste ich gerade lachen. Trotz überfüllter Waschküche wäscht mein Mann jeweils eine halbleere Waschmaschine. Warum? Nach seiner Logik muss man eben gerade nur das waschen, was man am Tag darauf braucht! Aber ich schätze mal, dass nicht alle so sind 😉
        Allerdings im Ernst: Ist ei wohntauglicher Zustand nicht der, in dem sich ALLE Bewohner der Wohnung wohl fühlen? Also inkl. der Frau….

      • Sportpapi sagt:

        @13: „Ist ei wohntauglicher Zustand nicht der, in dem sich ALLE Bewohner der Wohnung wohl fühlen? Also inkl. der Frau…“
        Das ist so, wenn man nur die Seite der Geschichte betrachtet. Da aber die Wohnung sich nicht selbst reinigt und aufräumt, geht es letztlich also um Aufwand und Ertrag, und darum, diesbezüglich einen Kompromiss zu finden, mit dem alle leben können.
        Wobei – tatsächlich würde ich in gewissen Wohnungen nicht leben wollen – weil mir schlicht das Leben, bzw. die Spuren davon fehlen. Aber ich gehe jetzt mal davon aus, diese Art von Vorzeigewohnung haben Sie auch nicht gemeint.

    • Carolina sagt:

      Meine Schwester hat sich, als ihre drei Kinder noch klein waren und ihr alles über den Kopf wuchs, mal vorgenommen, genau dies zu machen: Prioritäten anders und zugunsten der Kinder zu setzen, ihren Job herunterfahren, auch mal Unwichtiges liegenzulassen, kein Au Pair mehr einzustellen etc. Ihr (damaliger) Mann konnte damit nicht umgehen, nörgelte an der neuen Unordnung herum und wollte nicht eingespannt werden. Mal ganz abgesehen, dass der AL- Faktor hier eine Rolle spielte, möchte ich nur darauf hinweisen, dass es auch an Ihnen ist, Ihrer Frau zu vermitteln, dass sie wegen Ihnen nicht so perfektionistisch sein muss (kommt tatsächlich oft vor bei Frauen). Wir sind über diese Diskussionen damals darauf gekommen, dass ich nicht die ideale Hausfrau und Teilzeitjobberin war – hat

      • Carolina sagt:

        /2 unser Leben ziemlich auf den Kopf gestellt (und kann sicher nicht jedes Paar), aber er arbeitete irgendwann von daheim (ich weiss, das muss man auch erst mal können) und schaute nach den Kindern und war ein viel geduldigerer und sehr geliebter Vater, während ich meine Praxis aufbauen durfte und merkte, dass es so viel besser ging.
        Unsere persönliche Lösung, aber man kann mit klaren Absprachen und gezielter Unterstützung schon viel zur Entspannung beitragen. Oft steckt vielleicht hinter der perfektionistischen und hektischen Frau eine überforderte, unglückliche. Mein Mann hat mich damals gezwungen, ihm gegenüber ehrlich zu sein und endlich aufzuhören, eine Rolle zu spielen. Kann sich sehr lohnen!

      • Muttis Liebling sagt:

        Perfektionismus ist eine äussere Norm, kommt niemals von innen. Die Standardantwort jedes Psychologen heisst Abgrenzung.

        Es ist schon charakterisierend, das Wort ‚Stress‘ wurde erst 1946 von einem US- amerikanischen Psychologen erfunden. Das weist darauf hin, dass dieses Konstrukt einen Orts- Zeit- Stempel hat. Freud hat 14 Bände ausser über Psychoanalyse zu den wildesten Themen geschrieben. Aber dieses Wort, oder ein Analogon, ist ihm nicht eingefallen.

        Perfektionierung ist eine Mode, welche auf der Tendenz beruht, Normalverteilungen immer enger zu fassen. Diese Idee kommt aus der Industrie (Fehlerreduktion) und hat in der Psychologie eigentlich nichts verloren.

        Dumm ist nur, wenn daraus Folgestrategien abgeleitet werden.

      • Carolina sagt:

        Habe ich von Psychologie geredet? Nein. Ich nehme mal an, Perfektionismus ist eine Haltung/Charaktereigenschaft wie andere auch, die sicherlich auch von den Normen des jeweiligen Zeitgeistes mitgeprägt wird. Wenn er belastet, womöglich der Partnerschaft oder einer Familie nicht gut tut, kann man sich damit auseinandersetzen. Sonst muss man das nicht. Man könnte ja auch einfach sagen, dass es positiv sein kann (!), sich mit dem, woran man leidet, auseinanderzusetzen – ob Freud jetzt ein Wort dafür hatte oder nicht, spielt keine Rolle, oder?

    • mcpinkpoet sagt:

      Hi Cybot. Bei mir ist’s schon länger her, dennoch – ich hatte auch weniger Stress mit den Kleinen. Aber inzwischen bin ich überzeugt, dass ich von der organisatorischen Qualität meiner Frau sehr profitiert habe und es immer noch tue. Natürlich, ich habe auch davor gut gelebt…dennoch, Kinder erfordern viel Multitasking und vieles ist im Kopf zu behalten…daher würde ich rückblickend und weiterhin meiner Frau für ihre Übersicht keinen Vorwurf machen. Ich wage den pauschalen Spruch: wir Männer sind einfach bequemer. Not bad, but true. Aber man sollte solche Qualitäten auch nicht gegeneinander ausspielen, denn meine Partnerin geniesst ja auch immer wieder meine Art.

      • Samichlous sagt:

        @Muttis Liebling: Wenn Perfektionismus nicht von innen kommt, könnte man ihn also auch loswerden. Kennen Sie Perfektionisten, die es geschafft haben locker zu werden? Haben Sie uns ein paar Hinweise, wie man Perfektionismus wieder los wird? Wäre Ihnen sehr dankbar.

  • Michael sagt:

    Ich habe da zwei Erfahrungswerte zum Vergleich – meine Schulzeit von 60-74 und die meiner Töchter von 95-08. Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Mit Schularbeiten war bei mir die Schule um 15:00 fertig und dann war Freizeit angesagt. Meine Töchter kamen da manchesmal erst aus der Schule, und dann mussten noch die Hausaufgaben erledigt werden. Das ganze presst die verbliebene freie Zeit so dermassen zusammen, das diese o.a. engen Terminpläne entstehen, wenn man in seiner Freizeit auch noch ein zwei eigene Interessen verfolgen will.
    Wir haben versucht, an Wochenendeen einen Ausgleich zu schaffen, indem wir an diesen Tagen keine Termine weit im Voraus gemacht haben. Klar, wenn die Kinder was vorgeschlagen hatten, haben wir etwas unternommen. Das resettet ungemein.

    • maia sagt:

      Mensch, wo sind sie denn in die Schule *neidisch bin*.
      Ich ging ebenfalls in dieser Zeit zur Schule – die dauerte allerdings 4mal die Woche bis mindestens 16.00 h, danach war noch 1-2Stunden Hausaufgaben angesagt. Schulweg in der Regel +/- 30 Minuten. Natürlich hatten wir auch noch am Samstagvormittag 4 Stunden Schule! – aber es stimmt schon, der Stress hat zugenommen. Ich denke aber, da sind vor allem die elektr. Medien schuld.

  • Alfred Keller sagt:

    Sehr tiefgründig – da kann ich nur zustimmen!

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