Nachts sind alle Väter grau

Vorlesen oder einfach warten, bis das Kind von selbst wieder einschläft? Manchmal entscheidet die Müdigkeit des Vaters für ihn. Foto: iStock.
3.26 Uhr, mitten in der Nacht. Ich sitze nackt im Zimmer meines dreijährigen Sohnes, versuche ein Frösteln zu unterdrücken. Mir ist kalt, ich fühle mich alt und sehr grau. Ich möchte gern zurück in mein Bett, wo meine Lebenskomplizin tief schläft und so viel Wärme und Zuhausegefühl abstrahlt, dass ich kaum die Matratze berühren müsste, um wieder wegzunicken. In einem kleinen Bett daneben liegt meine jüngste Tochter und schläft nicht ganz so tief. Ihretwegen sitze ich hier. Unter anderem. Und natürlich wegen meines Dreijährigen.
Ausserdem sind die Jahreszeit schuld, die fehlende Sonne und alle anderen auch. Dreimal verfluchte Dunkelheit, ich will wieder unter meine Decke. Aber noch mustert mich mein Sohn interessiert. Also warte ich immer noch darauf, dass sich seine Neugier in Desinteresse wandelt und er sich der Müdigkeit ergibt. Ich weiss, dass das funktionieren wird. Ich weiss auch, dass ich das womöglich noch ein paar Tage werde machen müssen, und mache mir eine mentale Notiz, den Rest der Woche im T-Shirt zu schlafen. Seine Geschwister haben in dem Alter die gleiche Nummer durchgezogen, das Prozedere ist mir also vertraut. Kinder eben.
Was passiert wohl alles in der Nacht?
Kleine Kinder sind seltsame Leute. Sie stehen auch am Wochenende gern früh auf und müssen auf die Toilette, sobald man einen Schritt vor die Tür gesetzt hat. Sie haben das Gefühl zu verhungern, direkt nachdem sie eine Mahlzeit zu sich genommen haben, sie lassen sich zu allem einladen, ohne sich dafür zu bedanken, und sie wollen 6,4 Millionen Mal die gleiche Geschichte hören. Sie haben kein Zeitgefühl. Vor allem aber: Sie denken, dass alle anderen nachts spannende und lustige Sachen machen, die ihnen die grossen Leute absichtlich vorenthalten.
Womit wir beim Problem sind. Ich sitze also frierend im Zimmer meines Sohnes, der um 3.28 Uhr aufstehen will, weil er von irgendeiner Kleinigkeit wach geworden ist und sich nicht wie Leute, die wissen, wie kostbar Schlaf ist, unter seine Decke kuscheln und weiterschlafen möchte, sondern meint, irgendetwas tun zu müssen. «Buch vorlesen!», sagt er. «Aufstehen! Essen!» Ich hab versucht, es ihm zu erklären. Spätestens seit der Umstellung auf Winterzeit kann er aufgrund der fehlenden Helligkeit nicht sagen, ob es Zeit zum Aufstehen ist. Es ist dunkel, wenn er ins Bett gebracht wird, dunkel, wenn er nachts aufwacht und dunkel, wenn wir in den Kindergarten aufbrechen. Für ihn ist das alles dasselbe schwarze Loch. Warum er jetzt nicht aufstehen darf, leuchtet ihm nicht ein.
Schweigen und frieren
Also erwartet er, dass etwas passiert und man sich um ihn kümmert. In der Küche klappern, Essen machen, Tralala. Es passiert aber nichts. Dass ich ihm das erkläre, reicht leider nicht. Sonst läge ich schon längst wieder selig in meinem Bett und würde hier nicht dumm rumsitzen und mir den Arsch abfrieren. Er muss es merken. Und allmählich dämmert es ihm. Nicht etwa die Sonne, sondern die Erkenntnis, dass alle anderen schlafen und hier nichts, aber auch gar nichts passieren wird. Ausser, dass er mit seinen lautstarken Forderungen seine Schwester aufweckt, die dann mindestens eine Stunde lang in ihrem Bett rumträllert und quengelt. Eine gemurmelte Ermahnung, nicht so herumzubrüllen genügt also. Immerhin. Ansonsten schweigen wir und frieren.
Ich habe kein Licht angemacht, ich erkläre nichts mehr, ich beantworte keine Fragen. Stattdessen geben wir beide dem ausgesprochen ungeilen Gefühl Raum, nachts vollkommen sinnbefreit minutenlang auf irgendetwas zu warten. Ich weiss genau worauf. Er allerdings nicht. Noch nicht. Als meine Beine um 3.54 Uhr schon fast am Teppich festgewurzelt sind, fällt es ihm dann auf: Im Dunkeln herumzustehen, während alle anderen schlafen, macht überhaupt keinen Spass. Es passiert tatsächlich nichts. Es ist dunkel, kalt und langweilig. Papa regt sich nicht mal lustig auf. Also sagt er ihn. Diesen magischen Satz: «Ich will in mein Bett!»
«Gute Idee», entgegne ich, sehe dabei zu, wie er sein Hochbett erklimmt, und decke ihn sorgfältig zu. Ich will schon aus dem Zimmer schlüpfen, als er mich fragt, ob ich denn auch von meinem Bett aus auf ihn aufpassen könnte. Ich bejahe und schlage vor, sich gleich noch mal im Traum zu treffen. Er atmet tief. Wenig später ist mir wieder warm und ich reite mit meinem Dreijährigen auf Mondmäusen über das Mare Tranquillitatis. Kleine Kinder, ich erwähnte es, sind seltsame Leute.
Lesen Sie zu diesem Thema auch: Was Schlaf mit Beziehungsglück zu tun hat, wie man es mit den Monstern im Kinderzimmer aufnimmt und Endlich glücklich im Bett.
27 Kommentare zu «Nachts sind alle Väter grau»
Bei mir gab es NIE ein Familienbett – aus Gründen.
Nachts wird geschlafen – kurz Trösten nach einem Alptraum ist o.k., aber das war es dann auch schon.
Habe meine Tochter schon als Säugling z.B. nachts nie gewickelt, noch Gespräche geführt. Weil: Nachts wird geschlafen !!
Meine Tochter ist nun 7 Jahre alt und schläft, seit dem sie 4 Mt. alt ist zwischen 10-12 Stunden durch.
Ich denke, dass wir ihr schon früh beigebracht haben, dass es in der Nacht nichts zu bequatschen oder sonst was gibt.
Nein, ich bin keine Rabenmutter – aber die Nacht und der dazugehörige Schlaf ist mir wichtig. Ich denke, dass es meine Pflicht ist, meinem Kind diese Botschaft mitzugeben.
LG MamiHaus
…ich dachte immer mein Job als Erzieher ist anstrengend! Nach dem Lesen solcher Artikel wird mir klar. Um fünf kann ich die Kids abgegeben, bei Euch Papas gehts weiter! In die Nacht, die mir selber Heilig ist. Hut ab Ihr Papas, ihr macht das fantastisch!
Oliver
http://www.erziehende-mannsbilder.de
Die Lösung für solche Probleme: Ein Familienbett. Genug Platz für alle und jeder bekommt ausreichend Schlaf. Und wenn sich die eigenen Kinder nachts an einen kuscheln: Wunderbar!
Es ist 03:22 und meine kleinste hat mich eben erfolgreich im Schlaf mit ihren kleinen Füsschen aus dem Familienbett getreten. Draussen heult der Sturmwind und ich sitze ich mit dem Laptop auf dem Sofa und schreibe diesen Kommentar. Wunderbar!
@ Leo
Ach wussten Sie das nicht? Das Familienbett ist das, aus dem die Kinder NIE ausziehen und mit dem dann die Eltern NIE Sex haben. Sehr gefährlich! 😉
Ich dachte ja, das Familienbett ist das, in dem alle immer ungestört schlafen.
Ausser Franz. Aber das liegt sicherlich an ihm…
Genau. Er hätte anstatt aufstehen auch einfach die Reihenfolge ändern können.
IMHO toll reagiert und einfühlsam geschildert.
Besonders gefällt mir der Aspekt der nonverbalen Kommunikation.
Jede gute Erzählung lebt von der Übertreibung, gell Herr Pickert ? Ich glaube kaum, das sie sich nachts im Adamskostüm oder nur mit einem T-Shirt bekleidet in’s Kinderzimmer begeben. Oder haben Sie auch schon ein paar Antworten parat, wenn sich Ihre Kinder nach den väterlichen Anhängseln erkundigen ?
So ein Schlafanzug oder Morgenmantel hat schon seinen Sinn. Von diesen Sachen wird soviel hergestellt, das es sogar verkauft wird !
Warum sollten die Kinder nicht nach den väterlichen (oder mütterlichen) Anhängseln fragen? Da ist doch nichts dabei.
Was zum Teufel? Der Sohn hat selber so ein Anhängsel und die meisten unter uns haben diesbezüglich keine Komplexe.
Hmmm…. ich finde nichts dabei, wenn Kinder ihre Eltern nackig sehen (ab einem bestimmten Alter wollen sie das eh nicht mehr), aber ich frage mich, warum Autoren ihre Nacktheit in einem Beitrag erwähnen, wo diese Tatsache schlicht keine Rolle spielt. Exhibitionismus?
Eigentlich stand da nur, dass er künftig ein T-Shirt anziehen will – also jetzt nicht hat – weil es sonst kalt wird.
Von nackt ist nirgends die Rede.
@ SP
Der 2. Satz lautet:
„Ich sitze nackt im Zimmer meines dreijährigen Sohnes, versuche ein Frösteln zu unterdrücken.“
Ich bin ja eigentlich ein Fan von N.P., aber das hier verstehe ich nicht. warum tut man sich das an, dass man nachts aufsteht und dann auch noch lange im Kinderzimmer herumsitzt und friert? Vielleicht bin ich eine Rabenmutter, aber ich schlafe nachts lieber. D.h. wenn unsere Kinder aufwachen, dürfen sie rüberkommen. Sie zu uns, nicht wir zu ihnen. Die Kleinste, die das Angebot häufig nutzt, darf auch ihren am Abend vorbereiteten Schoppen nehmen, trinken und weiterschlafen. Ob sie zurückgehen oder bei uns bleiben, ist ihnen überlassen, aber wir schlafen. Die Langweile, weil sich ja doch niemand wirklich kümmert und Schlafenszeit wäre, erfahren sie auch da und wir werden nicht ganz wach, sondern schlafen gemütlich weiter. Warum also so kompliziert?
Man tut sich das an, weil man eine Botschaft vermitteln will: Die Nacht ist zum Schlafen da.
Wenn das Kind spielen will, dann auch im Elternschlafzimmer. Nur dass dann auch noch das zweite Elternteil geweckt wird.
Ausserdem klappt das mit dem „gemütlich weiterschlafen“ meist nicht mehr, wenn mal so ein herumrankendes Kind mit im Bett liegt (und wir hätten drei davon – die liegen am Morgen regelmässig anders herum im Bett, als sie in der Nacht eingeschlafen sind…). Da kann man gleich aufstehen.
„Die Nacht ist zum Schlafen da“. Das war genau unsere Botschaft, deshalb durften die Kinder rüberkommen. So sind uns und den Kindern diese nächtlichen Wachphasen erspart geblieben.
Ab einem gewissen Alter dann ist es platzmäßig im Elternbett schwierig – allerdings war es da auch für uns kein Problem mehr, dem Kind zu signalisieren, dass es wieder in sein Bett gehen soll / gar nicht mehr kommen soll. Irgendwann setzt ja der Verstand ein und die Dinge werden viel einfacher.
Aber jede Familie und auch jedes Kind ist anders. Daher muss jeder selbst entscheiden, was ihm wichtig ist und was weniger…
Nun, die Botschaft, dass die Nacht zum Schlafen da ist, vermittle ich auch, wenn ich mich auf die andere Seite drehe und weiterschlafe. Will es da wirklich spielen, soll es halt zurück ins Kinderzimmer. Aufwachen tue ich auch, wenn mein Mann ständig aufsteht und wieder ins Bett kommt, das macht keinen grossen Unterschied. Und was die queer liegenden Kinder anbelangt: Kommen wirklich alle drei, was sehr selten ist, dann wird es eh so eng, dass keines herumranken kann und ansonsten wir dieses rausgeschickt. Wird es wirklich mal zu bunt, das ist so maximal alle 1-2 Monate mal der Fall, dann stehe ich auf und gehe ins Kinderzimmer, wo ein freies Bett steht. Nachts sind einfach pragmatische Lösungen gefragt, wenn man ausgeschlafen sein will.
@13: Eine pragmatische Lösung ist eben, dass der Mann die Kinder betreut und die Frau schlafen lässt.
Und die zweite, aber da sind wir ja ganz unterschiedlicher Meinung, dass man versucht, die Situation mittelfristig zu verändern, statt sie nur zu überdauern.
„Der Mann steht auf und lässt die Frau schlafen“ tönt sehr modern (oder vielleicht doch eher ritterlich, je nach Interpretation), aber wenn ich zwischen dem und „alle schlafen“ wählen darf….
@13: Wir wählen eigentlich eher zwischen dem und „keiner schläft“ – was unweigerlich der Fall ist, wenn ein nicht allzumüdes Kind zu uns ins Bett steigt.
Sehr schöner Beitrag, vielen Dank. Zwei Methoden haben sich bei uns bewährt:
1. Genügend Schlafplatz für Papi im Kinderzimmer schaffen.
2. Mami gibt nachts den Kindern sehr klar zu verstehen, was sie von nächtlichen Wachphasen hält.
Das mit dem Treffen im Traum werde ich mir auch merken! Danke für den unterhaltsamen Text.
Wunderbar geschrieben! 🙂 Wir haben auch viele, viele solcher Nächte erlebt. Dachte man, das Kind wäre endlich wieder eingeschlafen und versuchte dann, aus dem Zimmer zu schweben – „Mama?!“ Aber als Trost an alle zukünftigen Eltern – es geht vorbei, wirklich!
Um solche Situationen sind wir zum Glück herumgekommen, unsere Kinder konnten sich in solchen Situationen zu uns ins Bett kuscheln und schliefen da innerhalb von 30 Sekunden ein.
Wem das aber nicht möglich ist oder es auch aus ideologischen Gründen nicht möchte, für den finde ich die beschriebene Situation eine gute Lösung. Braucht halt Nerven und raubt Schlaf… aber da gibt es Schlimmeres…
Anschaulicher kann man solche nächtlichen Situationen nicht beschreiben. Der väterliche Vorschlag, dass sich wieder jeder in seinem eigenen Bett einkuschelt und man sich dann wieder im Traum trifft, ist eine geniale Idee. Man könnte noch den Hinweis geben, dass man nachher dem Kind das Treffen im Traum real erzählt, aber das wäre eben nur möglich, wenn beide gleichzeitig schlafen.
Wunderbar!