Abermillionen Kinderfotos

Früher war das Sortieren einiges einfacher: Fotos einer Kindheit aus den 70er-Jahren. Foto: iStock

Ich besitze weniger als 20 Kinderfotos von mir. Vergilbte, alte Schwarzweissaufnahmen, die meine Existenz in der untergegangenen DDR dokumentieren. Darauf zu sehen ist ein kleiner, oft breit grinsender Junge mit einer Brille, die ungelogen sein halbes Gesicht bedeckt. Wir hatten ja nichts damals. Coole Brillen schon gar nicht.

Auch als in der DDR dann endlich die letzten Lichter ausgemacht wurden und meine Jugend als Pendlerschüler zwischen Ost- und Westberlin begann, war Fotografie kein grosses Thema. Hier und da mal ein paar Farbaufnahmen in typischen Urlaubssituationen oder Schultheateraufführungen, aber im Grunde waren alle viel zu sehr damit beschäftigt, ihr Leben zu leben, als damit, das ihrer Verwandten und Freunde zu dokumentieren. Und apropos Leben leben: Die elterliche Trennung und die damit verbundene überstürzte Auflösung des gemeinsamen Haushalts hat auch nicht gerade dazu beigetragen, möglichst viele Negative aufzuheben, um später einmal davon Abzüge machen zu können.

Jeden Tag ein Bild

Sie können sich vermutlich meine Begeisterung über die digitale Revolution der Fotografie vorstellen, die zeitlich ziemlich genau mit der Geburt meiner ersten Tochter zusammenfiel. Zumindest die zu halbwegs erschwinglichen Preisen und von Normalsterblichen handhabbare. Meine Lebenskomplizin und ich haben also im Studium zusammengekratzt, was wir eigentlich nicht hatten, und uns eine Digitalkamera angeschafft, über die sie nachts in einem Elektronikgeschäft ihrer Wahl jedes Mittelklassehandy leise lachen hören können. Projekt Kind fotografieren. Von jedem Tag mindestens ein Bild.

Am liebsten jeden Tag eins: Blödel-Selfie eines Vaters mit seiner Tochter. Foto: iStock

Im Nachhinein ist mir schleierhaft, wie wir das ein knappes Jahr durchhalten konnten, bevor wir aufgegeben haben. Klausuren, Nebenjobs, zweites Kind planen und ganz allgemein sich irgendwie über Wasser halten – das war alles ziemlich zeitintensiv. Trotzdem gibt es 300 und ein paar zerdrückte Tage jeden Tag ein Bild von meiner Tochter. Davon, wie sie liegt und guckt. Und natürlich auch davon, wie sie woanders liegt und guckt. Alles sehr aufregend. Ich gebe freimütig zu, dass ich mir diese Serie bis zum heutigen Tag nicht ein einziges Mal zusammenhängend angeschaut habe. Allenfalls die Highlights, die meine Aufmerksamkeit nicht deswegen erhalten, weil sie so besonders gelungen sind, sondern weil ich sie irgendwann tatsächlich mal habe entwickeln lassen, um sie der Familie zeigen zu können.

«Kram 43»

Auf meiner Fotofestplatte (Sie wissen ganz genau, was ich meine!) existieren zu meinem Glück und zu meinem Pech nicht nur unvollständige Jahresordner, sondern eben auch welche mit der Bezeichnung «Sommerurlaub 11» oder «Weihnachten Verwandtschaft nachmachen». Leider auch welche, die mit «Kram 43» oder ähnlichem bezeichnet sind. In diesen Ordnern sind dann nicht ganz so viele Fotos und, wenn ich sie mir über die Bildvorschau angucke, denke ich schon auch, dass es doch nett ist, so viele schöne Fotos von meinen Kindern zu haben.

Unser Autor wünschte, er hätte mehr davon: Eines der wenigen Fotos aus seiner DDR-Kindheit. Foto: PD

Oft frage ich mich allerdings, für wen ich das eigentlich mache. Denn das Problem des «picture hoardings» – des Bilder-Hortens – ist ja seit der Verbreitung von Smartphones mit halbwegs brauchbarer Kamera auch nicht gerade kleiner geworden. Die Möglichkeit, in jeder Lebenslage ein Foto vom Nachwuchs zu machen, ist nur einen Griff in die Hosentasche entfernt. Ein extra Gerät ist nicht mehr nötig. Und dann hält man dann so lange drauf, bis der Nachwuchs mal nicht blinzelt, wegschaut oder eine Grimasse schneidet. So zehn-, zwölfmal. Wird schon was dabei sein.

Wann werde ich all diese Bilder anschauen?

Zum Löschen des Fotomülls bleibt so gut wie nie Zeit, weil besagter Nachwuchs sich den Kopf anschlägt, etwas essen will, einen Streit anfängt oder andere mehr oder weniger lustige Dinge macht. Also schafft man sich eine andere Fotofestplatte an (Ach kommen Sie, Sie wissen immer noch genau, was ich meine). Gleiche Bauart, andere Farbe, damit man sie auseinanderhalten kann. Doppelte Größe. 2 Terrabyte, auf der einfach alle jemals gemachten Fotos versenkt werden können. Die Whatsappschnappschüsse für Oma genauso wie die nicht aussortierten abfotografierten Kitamitteilungen.

Wann werde ich mir all diese Bilder anschauen? Und warum? Wird mein Leben sich tatsächlich irgendwann so verlangsamen, dass ich Musse und Nerven dafür habe? Ich weiss es nicht. Ich weiss nur, dass ich gerne ein paar mehr Bilder von mir als Kind hätte und gerne meine Rasselbande fotografiere. Ich hätte nur nicht gedacht, dass es scheinbar nichts zwischen 20 Fotos und 2 Terrabyte Bilddateien gibt.

15 Kommentare zu «Abermillionen Kinderfotos»

  • tina sagt:

    meine kinder haben je ein kleines baby-fotoalbum mit vielleicht je 30 fotos
    für die ersten 2-3 lebensjahre. das schauten sie als kleinere kinder immer wieder gern. inzwischen schaue ich sie bei fast jedem ihrer geburis gerührt an und halte sie ihnen unter die nase :).
    auch immer wieder angeschaut wurden (in letzter zeit nicht mehr so) die paar gedruckten fotobücher von unseren kleinen ferienreisen. obwohl ich mir mit diesen büchern überhaupt keine mühe gegeben habe sondern hauruck zusammengestellt, sind es doch schöne erinnerungen über die ganze kindheit. natürlich mit grossen lücken, aber das ist ganz gut so.

    • tina sagt:

      ich möchte meinen kindern auf ihren 18. geburi (auch ihren göttis/gotten) nun noch je ein persönliches fotobuch drucken lassen.
      dafür muss ich mich schon durchwühlen, aber vorsätzlich hauruck, sonst wirds nie fertig: meine fotos sind nach jahren einigermassen geordnet. daraus stelle ich eine grobe, grössere sammlung pro kind zusammen. die gebe ich ihnen dann auch digital. und daraus wähle ich noch welche für ein nicht allzudickes, gedrucktes fotoalbum.

      • tina sagt:

        die allerbesten vielleicht je 10 fotos möchte ich dabei herauspicken, sie noch etwas überarbeiten (qualitativ), so dass man sie vielleicht auch mal auf grosses, gutes papier drucken könnte und rahmen, wenn man will. die gerahmten bilder müssen ja nicht die ganze wohnung füllen sondern könnten auch gestapelt werden. aber wechselnd eins davon in den vordergrund würde der wichtigkeit der sache gerecht, finde ich 🙂

  • Stefan W. sagt:

    Terabyte, nicht Terrabyte, denn die Fotos füllen ja zum Glück noch nicht die ganze Erde.
    Ein Terabyte, das wären bei einer durchschnittlichen Bildgrösse von 2MB immerhin eine halbe Million Fotos. So viele werden es nicht sein, ich schätze mal, dass Sie deutlich weniger als ein Zehntel dieser Menge besitzen. Was immer noch eine Menge wäre.
    Die Lösung? Im Prinzip radikales Ausmisten. Aber ich weiss aus eigener Erfahrung (derzeit rund 5000 Fotos), dass das nicht funktioniert. Die zweite Lösung: Darauf hoffen, dass die KI des Computers in einigen Jahren auf Zuruf die zu Zweck und Stimmung passenden besten Bilder heraussucht und schön dargestellt präsentiert.

    • tina sagt:

      oder einfach grob gewisse fotos pro jahr rauspicken, drucken, und den rest auf dem grossen haufen lassen. vielleicht hat man als alter mensch dann ja freude, wenn man nicht mehr mobil ist, das alles anzuschauen (falls man noch gut sieht…).
      früher gab es weniger fotos und darunter auch schlechte. heute gibt es massiv zuviele fotos, darum kann man auch fast blind einen kleinen teil davon nehmen und behalten. den grossen haufen braucht man ja nicht zu entsorgen, aber eine kleine zusammenstellung würde das bringen, wozu man die fotos eigentlich gemacht hat. nicht?

  • basso sagt:

    Ich bin engagierter Amateur Fotograf und habe mich vollständig digital organsiert. Weil ich eben nicht für den Comp und auch nicht für’s Album fotografiere habe ich mir einen digitalen Bilderrahmen in der Grösse eines mitleren Fernsehers mit hübschem Holzrahmen beschafft. Der hängt nun zentral in unserer Wohnung und zeigt ab Stick/W-LAn die best of’s.
    Absolute Disziplin ist allerdings mit der Nachbearbeitung und Speicherung der Bilder angesagt. Sofort löschen was nicht wirklich gut geworden ist.
    Kleiner Tipp für gute Kinderbilder: Kamera neben das Bett legen und gleich am morgen früh drauf los knipsen, man lernt und macht sagenhaft gute Bilder.

  • marak sagt:

    Schritt 1:
    Regelmässig Fotos auf den PC importieren und gleichzeitig ausmisten.
    Schritt 2:
    1x Im Jahr die besten davon entwickeln lassen und in ein Album kleben oder ein Album online zusammenstellen (das dann aber nur alle paar Jahre).
    Resultat bei uns zuhause Stand heute: Kind, fast 11 Jahre, ca. 1 1/2 Fotalbum. Fotos mit Datum und kurzem Text versehen. Glaubt mir, man vergisst schnell.
    Die Fotos auf dem PC kann man getrost dort lassen. Empfehlung: Pro Jahr ein Ordner. Die Fotoalben werden immer wieder mal angeschaut und unser Kind darf die dann auch mal behalten. Klar, in einem Album läuft man Gefahr, dass irgendwann der Klebstoff austrocknet, aber dafür kann man bspw. die erste geschnittene Haarlocke auch gleich mitreintun. Wie auch immer. Es grüsst ein professioneller Archivar.

  • Melody sagt:

    Früher hab ich unsere Fotos entwickeln lassen, aber das Einkleben geht einfach zu lange. Deshalb gestalte ich mittlerweile auch „nur noch“ Fotobücher online, lade die Fotos hoch und lasse es bedrucken – und es sieht schön aus. (Soll keine Werbung sein, nur eigene Meinung). So möchte ich das eigentlich auch in Zukunft machen, jedes Jahr 1-2 Fotobücher. Wir – und die Verwandten – schauen diese Bücher gerne an. Vorallem meine Kinder schauen gerne die eigenen Fotos an und können nicht glauben, dass sie vor kurzem so klein waren 😀 Und da kann auch nichts verloren gehen. Allerdings muss man (bzw. eher die Frau 😉 ) sich genügend Zeit einräumen für die Auswahl, Gestaltung etc.

  • Jan Holler sagt:

    Meine unverheiratete Tante hatte Dutzende von Alben über die Jahrzehnte angelegt von allen Nichten und Neffen, Familienfesten, Ferien, Ausflüge. Von uns Kindern gibt es auch nur ganz wenige Kinderfotos von meinen Eltern. Sie hatte das ganze Leben Ahnenforschung betrieben. Dann starb meine Tante im hohen Alter. Wir waren vor Ort, sahen all die Alben und Ordner in einem Regal und sagten uns: Die wollen wir. Ich habe erst die wenigen uralten (100 Jahre) Alben mitgenommen. Später wollten wir sie abholen, doch ein verrückter Vetter hat tabula rasa gemacht und alles Abholen und verbrennen lassen. Dass daneben auch noch die gesamte Familiengeschichte (bis 13. JH recherchiert) auch noch entsorgt wurde, ist das eigentliche Drama.

  • Cybot sagt:

    1 Foto pro Tag? Damit füllt man garantiert keine Festplatte. Meine Methode, um die Flut einigermassen im Griff zu haben ist, die Fotos gleich auszumisten, wenn ich sie von der Kamera auf den PC transferiere. Einfach nur die offensichtlich schlechten oder unscharfen Bilder zu löschen dauert vielleicht 10-20 Minuten alle paar Monate, reduziert die Menge aber schon erheblich. Ausserdem braucht man keine RAW zu speichern, wenn man sowieso keine Zeit zum Bearbeiten hat. Und ohne die füllt man keine Terabytes. Meine Fotosammlung der letzten 20 Jahre sind ein paar Tausend Fotos à ca. 5 MB (früher weniger, heute etwas mehr). Viel mehr als 20 GB sind das sicher nicht. Auch die 1400 Fotos (inkl. ein paar Videos) auf dem iPhone belegen grad mal 3 GB.

  • C. S. sagt:

    Bei mir gibt’s für die Photos des Nachwuchses je einen Ordner für jeden Tag, so für 2017 beispielsweise Ordner „2017 01 01“ bis Ordner „2017 12 31“ usw. Es ist fast wie ein Tagebuch. aber ob ich oder jemand dann allerdings mal alles durchforsten wird und die 97% überflüssigen Photos löscht, das weiss ich auch nicht… Denn das Leben ist reell und es bleibt nie stehen um für diese Arbeit Zeit zu lassen, und ich glaube das ist ja auch ganz gut so…

  • teamc sagt:

    Cooler Artikel… So, muss schauen, ob meine 2 TB Festplatte schon voll ist…

  • Brunhild Steiner sagt:

    😀

    ab und zu beschleicht mich ein undefinierbares Gefühl wenn ich dran denke, dass sich irgendwann mal jemand mit dem aufräumen/entsorgen unserer zahlreicher Analogalben, den aussortierten Papierphotos, den viel zu vielen noch nicht eingeklebten und den Negativordnern herumschlagen muss; vom digitalen Photo-Universum gar nicht angefangen…

    Um allen Drei einigermassen diesselben Startbedingungen zu gewährleisten hab ich mir fürs erste „Photojahr“ eine Liste erstellt, und beinah auch geschafft einzuhalten, jedenfalls ist das Erstalbum der Dritten im Vergleich zum Ersten nicht erschreckend magerer ausgefallen 😉

    • Carolina sagt:

      Brunhild, das geht mir genau gleich!
      Aber ich habe gerade letztens etwas gesehen, was mich zum Nachdenken gebracht hat: meine Mutter, die nie Zeit für solche (ihrer Ansicht nach) Trivialitäten wie Fotos von ihren Kinder hatte, schon gar nicht Fotoalben (sie musste erst die Welt retten), kann jetzt im Alter gar nicht genug davon bekommen, alle Familienfotos, die sich irgendwo auftreiben lassen, immer wieder anzuschauen. Und es entstehen interessante Geschichten und Gespräche daraus!
      Wir haben beschlossen, dies zum Anlass zu nehmen, die Familiengeschichte etwas zu sortieren und Fragen zu stellen, solange das noch geht.
      Also: seit neuestem würde ich zum Aufheben raten.

      • Brunhild Steiner sagt:

        :-D, das klingt ja verheissungsvoll…,
        unsre haben vom ersten Jahr einen prallvollen Bundesordner, war erst eine „kreative Notlösung“ weil mir die Babyphotobücher nicht gefallen haben. (Dafür hab ich beim einzigen Büchlein welches mich angsprochen hat alle Bildelemente, inklusive winzige Kreislein uä, ausgeschnitten und „übernommen“, in weiser Voraussicht hab ich mir gleich zwei davon zugelegt, für die Dritte zum Glück eine einigermassen aktzeptable Alternative gefunden), jedenfalls, ich treffe sie immer wieder dabei an wie sie da in ihre ersten Tage, Wochen, Monate abtauchen 🙂

        Was das „fragen solange es noch geht“ angeht, nützen Sie die Zeit und Möglichkeit, diese Quellen&das sie genutzt-haben schätzt man im Nachhinein sehr!

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