Eine Frage der Haltung

Das Leben mit Kindern mit Downsyndrom revidiert viele Vorstellungen über das Familienleben. Foto: Attila Balazs (Epa, MTI, Keystone)
Als ich meine Tochter mit Downsyndrom vor bald 23 Jahren geboren hatte, war meine wichtigste und einzige Vision, mit ihr ein möglichst «normales» Leben zu führen. Damals hiess das für mich, dass ich meine Vorstellung von Familienleben und wie ich mein Leben führen möchte, nicht aufgeben wollte.
Natürlich hat das Leben meine anfänglichen Ideen schon lange über den Haufen geworfen und vieles revidiert. Nichtsdestotrotz bin ich der Überzeugung, dass der Weg, den ich mit meinem speziellen Kind gegangen bin und immer noch gehe, geprägt ist durch die Haltung, die ich als Mutter einnehme.
Nie anders gefühlt
Ich möchte noch weiter gehen und behaupten, dass es im menschlichen Miteinander und gerade im Umgang mit Kindern von tragender Bedeutung ist, welche Haltung wir einnehmen, denn sie lenkt Denken und Handeln und leuchtet nach aussen. Unsere Einstellung umhüllt uns wie ein Licht, das unser Tun färbt.
Ich wollte möglichst keinen Unterschied machen zwischen meinen normal begabten Jungs und ihrer Schwester, nur den, jeden von ihnen entsprechend seiner eigenen Wesenszüge zu behandeln.
Das ist mir manchmal gelungen, glaube ich. Warum ich das weiss? Ich habe mich nie anders gefühlt als andere Mütter, nicht behindert wegen meiner Tochter. Ich bemerkte selten komische Blicke und hörte kaum blöde Bemerkungen, noch wurden mir seltsame Ratschläge unterbreitet. So meine ich zumindest, allenfalls habe ich es eben überhört. Meine Wahrnehmung ist meine Wahrheit. Sie wurde geprägt durch meine Haltung. Und meine Söhne? Die wollten nie einen Vortrag für Geschwister von behinderten Menschen besuchen. Kein Bedarf!
Das habe ich nicht verdient
Was mich aber im Nachhinein verletzt und meine gar nicht so dicke Haut durchdringt, ist die Annahme, dass ich es ja immer total einfach hatte. Man weiss ja, Kinder mit Downsyndrom sind Sonnenkinder, und der Jö-Effekt ist einem gewiss. Da ist alles viel leichter, als wenn man es mit anderen Beeinträchtigungen zu tun hat. Genau, darum werden ja die meisten von ihnen abgetrieben!
Aber lassen wir den Zynismus beiseite. Ich finde meine Tochter grossartig. Trotzdem sind die Herausforderungen, die ihre Begleitung an mich stellt, gross.
Beisst sich da meine Haltungskatze in den Schwanz? Selber schuld, weil ich vielleicht Leichtigkeit ausstrahle? Möglich. Trotzdem ist es ungerecht, mir meinen Einsatz und meine Leistung als Mutter, die ich dreiundzwanzig Jahre für dieses Kind erbracht habe und es weiterhin tue, zu schmälern oder gar abzusprechen, wie neulich passiert.
Das habe ich nicht verdient, denn so einfach war es dann doch nicht.
Selbstreflexion und Loslassen
Ich werde jetzt nicht aufzählen, was alles viel schwieriger als «normal» war. Das musste ich jeweils tun, um von der Invalidenversicherung genug Pflegebeiträge zu bekommen. Jedes Mal wurde mir dabei bewusst, dass alles, was ich da übertrieben betont aufzählte, eigentlich stimmte. Aber meine Haltung verbot es mir, meinen Fokus darauf zu legen. Das ist in jedem Fall hilfreich, nicht aber seine Augen vor den Schwierigkeiten zu verschliessen, schon gar nicht, wenn sie andere schönreden wollen. Das tue ich selber, wenn ich es für angebracht halte!
Das Bestreben, möglichst integrierende, ressourcenoriertierte Möglichkeiten für unsere Kinder und Angehörigen zu erarbeiten, damit sie ein selbstbestimmtes würdevolles Leben führen können, benötigt Klarheit, Ehrlichkeit mit sich und dem Umfeld, auch mal einen Wechsel der Perspektive, eine Menge Selbstreflexion, manchmal Loslassen und immer auch, dass man bei sich bleibt und sich nicht vergisst. Es ist gut, dabei auf die Unterstützung seines Umfelds zählen zu können, denn es ist in jedem Fall eine Herausforderung . . . und eine Frage der Haltung!
12 Kommentare zu «Eine Frage der Haltung»
Toll geschrieben, Bravo!
Von ganzem Herzen alles Gute wünsche ich Ihnen und Ihrer ganzen Familie !
Ein schöner Text. Die innerliche Haltung, wie auch die Erwartungen sind für das Erleben sehr viel wert. Das gilt ganz allgemein im Leben, mit Kindern noch mehr und mit einem besonderen Kind nochmals mehr. Und doch ist das „Jammern“, wie es so abschätzig genannt wird, auch manchmal erlaubt. Man darf sich eingestehen, dass so manches nicht immer einfach nur super ist. Es ist dabei nur wichtig zu achten, dass dieses Gefühl nicht anfängt den Alltag zu dominieren, dies insbesondere bei Dingen, die nun mal nicht geändert werden können.
Wir Menschen haben oft den Drang, unaufgefordert ihre Meinung kundzutun. Fehlende Empathie und Unwissenheit führt dabei zu Aussagen, welche das Gegenüber verunsichern oder gar verletzen.
Gleichzeitig haben wir Menschen den Drang, uns permanent zu vergleichen. Das Jammern und Klagen beginnt, da immer und überall Situationen anzutreffen sind, welche scheinbar besser sind. Um diese Situation zu meistern wird gelogen und betrogen, Nebensächlichkeiten werden gross gemacht und Erfolge anderer kleingeredet.
Leider wird das Erlangen von Empathie oder ethischen Grundfragen bei den Kindern nicht oder nur am Rande gelehrt. Im Vordergrund steht das sich durchboxen und das Pauken von starren Lerninhalten. Schade, dass auch den zukünftigen Erwachsenen keine Plattform geboten wird, sich zu ändern.
Danke für das Teilen ihrer Geschichte. Ich finde ihre Haltung gut und hoffe, dass Sie sich über die Meinung anderer hinwegsetzen können.
Ich habe eine entfernt ähnliche Geschichte zuhause. Eines meiner Kinder ist allergisch gegen Erdnuss – mit drohender Anaphylaxie bei geringsten Mengen. D.h. bei allem was sie isst, muss zuerst genau abgeklärt werden, ob sie es darf.
Nun gibt es hier nicht wenige Familien, die lassen ihrem Kind aufgrund dieser Diagnose einen Behinderten-Ausweis ausstellen. Damit lässt sich zB einiges an Steuern sparen. Ich habe mich allerdings dagegen entschieden, da wir im Alltag gut zurecht kommen und ich mein Kind nicht „behindern“ will. Mein Wunsch ist es ebenfalls, dass mein Kind sich so „normal“ wie möglich fühlt. Ich denke, bisher ist mir das auch gelungen.
Ich bin auch Mutter eines Sohnes mit Down-Syndrom (19). Dazu hat mein zweiter Sohn akut chronischem Neurodermititis und Asthma (16). Beide Jungs haben meine Pflege und Hilfe sehr in Anspruch genommen. Leider hat der Vater der Kinder uns im Stich gelassen. Mein jüngerer Sohn litt dazu an grauen Star wegen der Kortisonbehandlungen, musste einen zweijährigen Kortisonentzug durchmachen, danach erkrankte er an Dysästhesie und war wieder monatelang im Bett. Obwohl das Leben nicht einfach war und auch heute noch nicht einfach ist, habe ich jeden Tag mit meinem Söhnen genossen. Ich bin stolz auf beide. Was andere sagen ist mir egal, ich weiss, was ich geleistet habe, auch wenn ich nicht arbeiten gehen konnte wegen der Herausforderungen. Meinen Jungs geht es gut und mir auch! 😉
Ihr Artikel hat mir aus der Seele gesprochen, als Mutter eines sehbehinderten Sohnes (21) kenne ich die ganze Thematik sehr gut.
Frau Liedtke, da finden sich einige wirklich schöne Sätze und Gedanken in Ihrem Text. Frage: Weshalb trifft es Sie, wenn andere Ihre ‚Leistung‘ schmälern (oder nicht gebührend anerkennen)? Sie wollten (bewusst) nicht zur (Dauer-)Jammerfraktion gehören (die meiner Erfahrung nach vor allem deshalb – bisweilen sehr laut – jammert, um anerkannt zu werden). Seien Sie selbst zufrieden mit sich, bemessen Sie sich (auch weiter) selbst den Wert, für den Sie sich entschieden haben. Dann wir das Geraune ‚draussen‘ tstsächlich nebensächlich.
@mila
sicher ist es wichtig sich da „nicht angesprochen zu fühlen“, andererseits zeugen solche Aussagen, jedenfalls in meinen Ohren, auch von einer grundsätzlichen Haltung allem „was mit Mehraufwand ausserhalb der Norm liegt“, und das finde ich persönlich (kein Trisomiekind, auch wir haben/hatten mit Besonderheiten zu leben) schmerzlich. Es ist ja okay sich nicht mit allem auseinanderzusetzen; aber daraus ohne genaueres wissen zu wollen zu schliessen, das sei ja alles ein Spaziergang und die erbrachte Leistung komplett zu ignorieren- ich weiss gar nicht ob es so gut wäre da komplett unbeeindruckt drüber zu stehen. Offenbar fehlt es da an Wissen, da tut Aufklärung not, nicht elegant-drüberstehen und abperlen lassen.
2/ unter anderem sind ja genau solche Geschichten/Erlebnisse Anlass für Öffentlichkeitskampagnen diversester Organisationen, denen ein vertiefertes Verständnis/Einsicht für das Leben der Betroffenen wichtig ist.
Ich denke, (gerade) wenn es darum geht, öffentliches Verständnis zu fördern, und/oder Fördergelder/Spenden zu sammeln, dann ist eine gelassene, sachliche, informative Haltung die mithin gewinnbringendste. Menschen, die keine Erfahrung mit behinderten/beeinträchtien Menschen haben, haben in der Regel null Ahnung, welche alltäglichen Herausforderung das für betroffene Familien mit sich bringt. Man sollte das mitberücksichtigen, und nicht jedes (ignorante) Wort zu persönlich nehmen.
Frau Liedtke hat zurecht die Sparversuche der IV angeprangert, die sie mit Jammern widerwillig abwehren musste. Dass die schweren Lasten und Diskriminierungen kleiner Minderheiten von den Ahnungslosen missachtet werden und von den „Profis“ vernuetigt werden koennen, haengt auch mit dem (Ver)schweigen durch die SMM zusammen. Wenn in China oder Burma ein Sack Reis umfaellt, rauscht der Blaetterwald Mitleid- und Spendenheischend. Vor 1971 wurden auch kleine Minderheiten noch mehr respektiert, auch wenn sie weder jammerten noch anmassend wurden. Auch bezeichnend, wie das Umfeld immer wichtiger wird, wenn sich der Staat aus der Verantwortung fuer die Wohlfahrt der Schwaechsten der eigenen Buerger stiehlt und dafuer global im Ausland den dicken Max markiert….