Sicherheitswahn im Kinderzimmer

Es scheint ruhig zu sein, sind es seine Eltern auch? Das Baby trägt einen Strampler mit Sensoren. Foto: PD

Es schläft. Atmet. Schluckt und gluckst. Wie es so daliegt, friedlich und entspannt mit seinen Fäustchen, den angewinkelten Beinen und dieser so winzigen Nase in dem winzigen Gesicht. Man will diesem Wunder noch einmal über Stirn und Kopf streichen, fein und leise. Das Baby soll schlafen, geliebt und behütet sein. Hier bei uns bist du sicher.

Doch «sicher sein», was heisst das schon? Reicht es, wenn man hin und wieder nach dem schlafenden Baby schaut? Braucht es – sicherheitshalber – eine Kamera im Schlafzimmer zur Überwachung? Oder einen Hightech-Clip an der Windel, der den Schlaf überwacht und Alarm schlägt, sollte das Kleine nicht mehr atmen? Ja, müsste es gar eine dieser Super-Socken tragen, welche die Herz- und Sauerstoffrate des Babys überwachen?

Leben als Bedrohung?

Das Geschäft mit der Angst der Eltern ist ein Millionengeschäft. Der Markt für Wearables, Babyphones und Elektro-Schnickschnack wächst. Armbänder und Strampler mit Sensoren verkaufen sich als neue Lebensretter, etwa vor plötzlichem Kindstod. Die Geräte können alles aufzeichnen. Vom Herzschlag über die Körpertemperatur bis hin zum Sauerstoffgehalt im Blut. Doch Experte warnen vor dieser vermeintlichen Sicherheit. Es gibt noch keine wissenschaftliche Studie, die nachweist, dass Wearables den plötzlichen Kindstod verhindern.

Was zu denken gibt: Statt in das Leben des Babys zu vertrauen, wird es als ständige Bedrohung wahrgenommen. Wie, fragt man sich, werden solche Eltern reagieren, wenn das Kind wenige Monate später zu laufen beginnt. Es die Umwelt von Monat zu Monat immer mehr entdeckt – und irgendwann ganz auf eigenen Füssen stehen wird?

Wer schon im Babyalter auf eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung des Kindes setzt, wird wohl damit weitermachen. Gründe und Gadgets gibt es genug: Eltern können ihre Kindergarten- und Schulkinder mit speziellen Handys, Uhren oder Kameras nonstop kontrollieren. Parential Control Apps werden sie in den USA genannt. Sie senden den Standort der Kinder automatisch an die Geräte der Eltern. Manche Programme gehen noch weiter: Sie ermöglichen Eltern das Mitlesen der SMS ihrer Kinder und die Kontrolle über all ihre Anrufe.

Kinder nicht in Watte packen

Solche Spitzeldienste mögen Eltern Sicherheit vermitteln. Doch wie können sie so Vertrauen aufbauen, was für das Zusammenleben einer Familie doch so wichtig ist? Kinder müssen lernen Verantwortung zu übernehmen, doch das geht nur, wenn man ihnen Freiraum zugesteht und vertraut. Es nützt niemandem, wenn man sie in Watte packt.

Natürlich hat man hin und wieder ein mulmiges Gefühl und macht sich Sorgen, schlaflose Nächte inklusive. Und natürlich geht auch mal was schief. Der Abend, an dem sich das Kind verläuft und zwei Stunden zu spät heim kommt, jagt allen einen gehörigen Schrecken ein. Doch meist sind es genau diese Momente, aus denen das Kind fürs Leben lernt.

Nehmen wir uns doch deshalb die Bitte einer 12-Jährigen zu Herzen, die im iTunes-Store zur amerikanischen Überwachungs-App «Mama Bear» schrieb: «Das nimmt einem die gesamte Privatsphäre. Wenn Sie Ihren Kindern vertrauen, sollten Sie diese App nicht kaufen.»

28 Kommentare zu «Sicherheitswahn im Kinderzimmer»

  • betty hidden sagt:

    bei kleinen säuglingen ist es ganz natürlich, dass sie soz. dauernd überwacht werden möchten. sie sind am liebsten fast dauernd im körperkontakt mit erwachsenen (stillen, tragtuch), das ist evolutionär vorgegeben, und die eltern möchten das auch erfüllen. je älter das kind wird, je unabhängiger. mit wegkriechen beginnt das sichtbare weltentdecken auf eigene faust. es kommt also stark auf das alter der kinder an. da ist die feinfühligkeit der eltern gefragt, herauszuspüren, was das kind braucht. meistens ersetzen technische hilfsmittel den menschlichen kontakt. ab und zu können sie jedoch auch hilfreich sein.

  • tststs sagt:

    Ich würde bei diesen Babyüberwachungstaktiken nach dem Motto vorgehen:
    Nützt’s nüt, so schadt’s nüt.

  • 4 TageDieWochePapi sagt:

    Unsere Tochter hatte ein RSV (Atemnotvirus) und musste genau auf dem Notfall (erfolgreich) wiederbelebt werden. Ein Paar Oxymeter Socken hätten wohl für den Hinweis gegeben, dass Grünlich im Gesicht = Blau (Atemnot) + Gelb (Leichte Gelbsucht).
    Wie alle Mitvernünftigen geschrieben haben, hat das sehr wenig Zusammenhänge mit Überwachungssoftware für Teenager.
    Die Kinderbetreuung liegt in der Verantwortung der Eltern und wenn diese zeitgemässe Hilfsmittel verwenden und sei es nur um selber ruhiger zu schlafen um so besser.
    Oder wer würde heute noch ohne Hüten Autofahrern?

    • alice.gurini sagt:

      ja da haben Sie recht aber ich haben beim Sohn der Krup hatte einfach das Bett ins kinderzimmer gestellt !und das ging dann Gut !bekam selber Lungenentzündügng !nehme an vom Dampftopf
      aber macht vieles dass die Kleinen gut schlafen und übertrieben ist gar nichts

  • Papperlapapi sagt:

    Ich finde den Artikel reichlich schwarz-weiss gemalt.
    Wir hatten bei unserer Tochter (1. Kind) eine turbulente Schwangerschaft mit behandlungsbedürftigen Herz-Rhytmusstörungen der Ungeborenen. Ich bin danach x-fach in der Nacht aufgeschreckt und zu ihrem Bettchen schauen gegangen, ob sie noch atmet. Die genannten Applikationen hätten mir das Leben vereinfacht.
    Deswegen lese ich doch heute weder ihr Tagebuch, noch statte ich sie mit Kontrollapplikationen aus!

  • Brunhild Steiner sagt:

    Was fehlt ist der Hinweis dass es für das Fortbestehen unseres Planeten,
    also ua auch der Lebensgrundlagen für unseren Nachwuchs wenn er dann mal grösser ist,
    von Vorteil wäre die mit Hightechgeräteherstellung einhergehende Umweltverschmutzung plus anfallender Elektroschrott zur Entsorgung möglichst gering zu halten.

    Da würde übrigens auch der Verzicht auf die unzähligen batteriebetriebenen Lämpchen in Turnschuhen usw etc mitreingehören.

  • Susi sagt:

    „Kinder müssen lernen Verantwortung zu übernehmen, doch das geht nur, wenn man ihnen Freiraum zugesteht und vertraut. Es nützt niemandem, wenn man sie in Watte packt.“
    Ja, natürlich. Aber was hat das mit dem plötzlichen Kindstod zu tun?

    „Statt in das Leben des Babys zu vertrauen, wird es als ständige Bedrohung wahrgenommen.“
    In den letzten 25 Jahren ist die Häufigkeit des plötzlichen Kindstods massiv zurückgegangen; man weiss heute viel mehr und trifft gewisse Vorsichtsmassnahmen (z.B. Bauchlage beim Schlafen nach Möglichkeit vermeiden).

    • Susi sagt:

      Es werden Äpfel mit Birnen verglichen: Eltern, die dem Baby Hightech-Socken anziehen, sollen also später auch die SMS des Kindes lesen? Das Kind wird eingeschränkt und lernt keine Verantwortung zu übernehmen? Nun, durch den plötzlichen Kindstod lernt es leider auch nicht viel. Und wer mal erlebt hat, wie sehr der Tod eines Kindes eine Familie zerstören kann (drei von vier betroffenen Paaren trennen sich), der wird vielleicht etwas empathischer auf solche Vorsichtsmassnahmen schauen. Und nicht gleich Schlüsse daraus ziehen, dass die Eltern später im Tagebuch des Sprösslings rumschnüffeln werden.

      • Brunhild Steiner sagt:

        @Susi

        Die SID-Rate ist nicht aufgrund von Wearable zurückgegangen sondern aufgrund Ihrerseits erwähnter Massnahmen, Sensibilisierung der rauchenden Eltern usw.

        Gerade deshalb finde ich es nicht statthaft dass nun Hightechfirmen auf den Angstzug, zwecks Produktevermarktung aufspringen.

      • Susi sagt:

        @Brunhild: Zu diesen Gadgets gibt es auch noch keine breit angelegten Studien.

        Was ich aber kritisiere, ist die Unterstellung des Helikopterns, nur, weil man so etwas benutzt.

        Meine Tochter war gestern von 11h bis 20h im Quartier unterwegs, zwischendurch kam sie mal ein Sandwich holen. Ich wusste den ganzen Tag nicht, wo sie war, vertraue aber auf ihre Vernunft; sie hat diese Freiheiten, seit sie 6 Jahre alt ist.
        Worauf ich nicht mehr vertraue, ist auf das Leben eines Babys. Und hätte ich ein drittes Kind, würde ich ganz sicher auf solche Technologie zurückgreifen, einfach, weil ich dann etwas entspannter wäre. Etwa so, wie Papperlapapi oben beschreibt.

      • Zimy sagt:

        Ich stimme euch beiden zu und möchte hinzufügen, dass das Bemerken des sich anbahnenden plötzlichen Kindstods noch lange nicht heisst, dass man ihn verhindern kann. In meinem Umfeld ist es passiert, dass die Mutter während einer Autofahrt bemerkte, dass das 7 Wochen alte Baby plötzlich blau wurde. Sie hielt sofort an und alarmierte den Rettungsdienst. Trotzdem ist das Kind gestorben. Ich fürchte, dass das im Bettchen zuhause nach Appalarm nicht anders ist. Bis ärztlicher Beistand da ist, ist es möglicherweise auch hier zu spät.

      • mila sagt:

        Susi, wir hatten auf Anraten anderer Eltern eine Sensormatte gekauft, haben sie aber nie benutzt… Wie schon anderweitig erwähnt: die Matte an sich nützt kaum etwas, wenn man die Erste-Hilfemassnahmen nicht beherrscht. Plus, Studien zeigen auch, dass ein Schutz u.a. dadurch gegeben ist, wenn das Kind zunächst nicht in einem separaten Zimmer schläft. Da das Atmen der Eltern bei einem Atemaussetzer zum Wieder- oder Weiteratmen animiert.

      • mila sagt:

        Ich würde niemanden kritisieren, der solche Hilfsmittel nutzt. Aber man sollte sich im Klaren sein, was sie leisten – und was nicht. Sonst wähnt man sich unter Umständen in falscher Sicherheit.

      • Susi sagt:

        @Zimy: Ja, das stimmt, gewisse Dinge lassen sich einfach nicht verhindern. Aber was ich mir immer gesagt habe: Im schlimmsten Fall möchte ich das Gefühl haben, nicht Falsches gemacht zu haben. Denn beim Tod eines Kindes ist die erste Reaktion: „Was hätte ich tun können, um das zu vermeiden?“
        Und mit dem Gefühl, nicht alles getan zu haben, lässt es sich nicht so gut leben.

      • 13 sagt:

        Ich kann da zu 100% bei Susi unterschreiben. Das eine hat mit dem anderen gar nichts zu tun. Ein Babyphone o.ä. schränkt weder die Entwicklungsfähigkeit eines Babys ein noch verletzt es dessen Privatsphäre. Sofern man auf die Strahlung achtet, hat es somit keine negativen Folgen davon, hingegen die positiven, entspannte Eltern zu haben.

      • mila sagt:

        Ich denke, 13, ums Babyphone geht es hier ja nicht… sondern um Zusatzsicherheitsgeräte.

      • Susi sagt:

        @mila: Das Babyphone ist auch auf der Liste oben. Und natürlich sollte man sich der Grenzen solcher Geräte bewusst sein. (Ich kenne alle Massnahmen, unsere Tochter schlief nie allein in einem Zimmer, bis sie 13 Monate alt war. Wir achteten auch immer auf eine gute Lüftung etc.)

        Nochmals: Mir geht es nicht darum, dass jede/r solche Geräte benutzen soll. Sondern darum, dass man hier als Helikoptereltern hingestellt wird, wenn man es tut. Da wird einfach alles über einen Kamm geschert, völlig zu Unrecht. Unsere Tochter ist vergleichsweise sehr viel weniger überwacht als die grosse Mehrheit ihrer Peers.

      • 13 sagt:

        @ mila
        Wie Susi schreibt, wurde das Babyphone auch erwähnt und ich schrieb ja u.ä.
        Ich kann es nachvollziehen, dass jemand die Sicherheit braucht, zumindest alles Mögliche versucht zu haben, gerade wenn man ein gebranntes Kind ist. Bei der einzigen Familie, die ich persönlich kenne, die von SIDS betroffen waren, schliefen die drei nachfolgenden Kindern allesamt auf Sensormatten und überwacht und sie mussten sehr viel Kritik einstecken. Nach dem 2. Geburtstag atmeten die Eltern jeweils merklich auf und diese Kinder (heute alle fast erwachsen) durften wie alle anderen Fahrrad fahren, mit Freunden schwimmen und in den Ausgang. Auch wüsste ich nicht, dass ein Handy irgendwie abgehört worden wäre oder ähnliches.

      • mila sagt:

        Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand, der das Baby ‚monitort‘, es später auch mit dem Kleinkind, Schulkind, Teenager tun wird, ist vermutlich schon leicht erhöht (von der Persönlichkeitsstruktur her). Aber der Helikoptervorwurf hängt mir auch so langsam zum Hals raus. Gutes Gegenmittel: Alfie Kohns, Der Mythos des verwöhnten Kindes. Echt lesenswert!

      • mila sagt:

        Ich meinte: leicht erhöht im Schnitt. Nicht bei jedem einzelnen. Wir haben auch hin und her diskutiert, und dann doch darauf verzichtet. Mich hätte die Matte eher zusätzlich gestresst. Und es geht dabei (wenn man Expertenmeinungen liest), vor allem um elterliche Rückversicherung. Meine Frage wäre die, ob das Nothelferwissen genauso aktuell ist, wie das Gadget. Beides kombiniert ist sicherlich nicht unsinnig, wenn man das so halten möchte. Der Sensor allein macht in meinen Augen wenig Sinn.

  • Petra Maurer sagt:

    SMS der Kinder mitlesen? Das ist ja wohl das allerletzte (und meiner Meinung nach in CH auch nicht erlaubt, oder täusch ich mich da?)- zum Glück haben Kinder schon seit jeher gelernt, solche Systeme umgehen – ein paar liebe Ablenkungs-SMS an die von den Eltern erlaubten Bekanntschaften für die Eltern zum mitlesen und auf anderen Kanälen flirten und fluchen….

  • Cybot sagt:

    Der Helm fürs Dreirad gehört ebenfalls auf die Liste. Ist zwar nicht vernetzt, aber genauso paranoid.

    • fabian sagt:

      @Cybot, da werden ihnen viele Eltern vehement widersprechen. Aber das Helmtragen ist ein schönes Beispiel, wie sich die Wahrnehmung von ’sicher sein‘ und ‚unsicher sein‘ über die Jahre verändert.

    • 13 sagt:

      Ich wage mal zu behaupten, dass das Helmtragen auf dem Dreirad eher einen erzieherischen als einen sicherheitstechnischen Grund hat. Gewöhnt sich ein Kind daran, dass zu einem Fahrzeug ein Helm gehört, dann wird es diesen auch beim Laufrad oder dem Fahrrad anziehen. Zumindest verschiebt man so die Diskussion bis ins „Das ist so uncool“-Alter.

      • fabian sagt:

        @13, das einzige Argument, einen Helm zu tragen ist Sicherheit.
        Eltern, die ihrem Kind auf dem Trottinett einen Helm anziehen, tuns weil sie glauben, dass ihr Kind so sicherer sei. Wer dieses Plus von Sicherheit als nicht notwendig erachtet, erspart sie seinem Kind.

      • Ka sagt:

        über Helm kann man meiner Meinung nach noch diskutieren, aber Hand- und Knieschoner auf dem Trotti beinträchtigen doch nur das Fahren. Wird in der Verkehrserziehung bei unsere Schulhaus aber jedes Jahr wieder propagiert.

      • 13 sagt:

        @ fabian
        Ist das nicht toll, dass Sie anscheinend alle Eltern und ihre Beweggründe kennen?
        Btw ein Trottinet ist kein Dreirad und ja, bei dem Tempo, den meine Kinder auf dem Trottinet erreichen, tragen sie auch aus Sicherheitsgründen einen Helm (auf dem Dreirad übeigens nicht).
        Betreffend anderen Schonern gebe ich Ka recht. Die gibt es nur bei Inlineskates.

      • tststs sagt:

        https://www.youtube.com/watch?v=K6jEzM-I6FA
        ähm ja, sehe jetzt nicht so einen waaahnsinnigen Unterschied in der Bewegungsfreiheit… 😉

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