Best of: Was ein zweites Kind wirklich bedeutet

Am heutigen Ostermontag publizieren wir Blog-Beiträge aus den vergangenen Monaten, die besonders viel zu reden gaben. Dieser Beitrag von Andrea Jansen erschien erstmals am 2. Februar 2017.

Schlafen? Ist mit zwei Kindern mehr Wunschdenken als Alltag. Foto: iStock

Schlafen? Ist mit zwei Kindern eher Wunschdenken als Alltag. Foto: iStock

Als ich zum ersten Mal schwanger war, kriegte ich selbstverständlich den Klassiker zu hören: «Dein Leben wird sich komplett verändern.» Was ich damals für mich übersetzte in: «Dein Leben ist bald komplett vorbei.» Natürlich stimmte beides so nicht, aber das ist ein anderes Thema.

Als das zweite Kind unterwegs war, klang es schon anders:

«Eins ist keins!», lachten sich meine Mehrfach-Eltern-Freunde hämisch ins Fäustchen, während wir versuchten, das vorhandene eine einigermassen fachgerecht und ohne gröbere Schnitzer aufzuziehen.

Das Football-Team

Mein guter Freund M., selber zweifacher Vater, legte mir Wochen vor der Geburt seine Hand auf die Schulter (immerhin nicht auf den Bauch) und meinte mit viel Pathos: «Los. Momentan seid ihr Eltern. Mit zwei Kindern werdet ihr befördert zum Organisationsteam. Ihr werdet Terminkalender abstimmen, euch kurz abklatschen und euch die Kinder im Rennen zuwerfen wie Footballer. So siehts aus.»

Ich kicherte nervös.

Natürlich übertrieb er masslos … oder? Ich war mir im Klaren, dass es anstrengend werden würde, sicher. Aber wir brachten ja mittlerweile zwei Jahre Erfahrung mit, «wissen ja, wies geht». Wir hatten den ersten Druck dieser ungeheuren Verantwortung für ein Kind jetzt mittlerweile als Normalität absorbiert.

Wir kannten alle Tricks – von der Zwiebel im Bett bis zum beruhigenden Rauschen des Dampfabzugs. Wir konnten ein Kind mit Rüeblibrei füttern und simultan unter dem Tisch mit den Zehen die Playdoh-Sauerei aufklauben. Wir fühlten uns ziemlich sicher in unserem Elternsein. We got this.

Und dann kam die Tochter.

Und sie war einzigartig. Ist es. So einzigartig, dass unsere Trickkiste mit Erfahrungswerten aus den ersten zwei Jahren mit Sohn relativ schnell leer war. Hängematte? Fand sie doof. Wägeli? Auch doof. Schlafen: generell doof. Ausser beim Mami im Tragetuch. Ich sah meinen Osteopathen bald öfter als den Mann.

Der Extrovertiertheit des Sohnes, die ich bisher natürlich mit etwas Stolz auch unserer lockeren und vermeintlich ungluckigen Erziehungsweise zugeschrieben hatte, setzte die Tochter ein an Xenophobie grenzendes Fremdeln entgegen. Gotti? Doof. Babysitter? Doof. Alle Menschen ausserhalb der Kernfamilie? Doof, doof, doof! Wir expandierten unseren Horizont im Elternsein erneut und mussten merken: Auch beim zweiten Mal gilt: «trial and error». Wir konnten nur unser Bestes tun. Und das war oft nicht bei beiden Kindern dasselbe.

Und wo bleiben wir?

Das neu geformte Organisationsteam war mittlerweile wegen konstanten Schlafmangels in einem desolaten Zustand und gab sich in der spärlichen Zweisamkeit vorwiegend auf die Kappe. Was wir schnell lernen mussten: Die grösste Umstellung von einem Kind auf zwei ist die Pausenlosigkeit.

Die ruhigen Zeiten, in denen früher das Kind seinen Mittagsschlaf gehalten hatte, sind vorbei: Kind 2 schläft mit grösster Wahrscheinlichkeit dann ein, wenn Kind 1 aufwacht. Die Kinder ins Bett zu bringen, ist zumindest im ersten Jahr ein Two-Man-Job. Danach warten Küche, Wäsche, die Rechnungen sind noch nicht bezahlt und das Milchpulver für die Nacht muss noch abgemessen werden. Wo man sich früher gegenseitig entlasten konnte, sind jetzt beide Eltern gefordert, konstant. Das geht an die Nerven, an die Beziehung, an die Substanz. Ganz ehrlich: Ich hatte es trotz der Vorwarnungen unterschätzt.

Das Dritte läuft «dann einfach mit»

Natürlich fühlt sich rückblickend die Zeit mit «nur» einem Kind an wie Urlaub, und man kann sich kaum noch erinnern, wie sehr einen das erste Baby anfänglich gefordert hat. Aber man hat so viel dazugelernt: Ein Jongleur beginnt auch nicht mit sieben Bällen, sondern mit drei. Mit Kind zwei kommt einfach das nächste Level – Tellerbalancieren auf der Unterlippe, sozusagen. Während man nebenbei weiter jongliert.

Mittlerweile hat sich alles mehrheitlich eingespielt, auch mit zwei. Ich bin mental wieder auf dem «We got this»-Level, was wahrscheinlich stark damit zu tun hat, dass beide Kinder laufen, sich ausdrücken und vor allem schlafen gelernt haben. Ich jongliere – mal entspannter, oft weniger – zwei Kinder, eine Karriere und einen Haushalt, und schliesslich beruhigen mich ja im Hinblick auf Kind drei auch (fast) alle Mehrfacheltern sanft lächelnd: «Das Dritte läuft dann einfach mit.»

Mhm-hm. Irgendein Gefühl sagt mir, dass ich noch ganz, ganz, ganz gehörig auf die Welt kommen werde.

PS: Damits gesagt ist und jetzt niemand fragen muss, warum ich denn überhaupt Kinder habe, wenns so anstrengend ist: Weil ich sie das Grösste finde. Immer noch.

13 Kommentare zu «Best of: Was ein zweites Kind wirklich bedeutet»

  • Rebi Heiniger sagt:

    Unser fünftes ist jetzt 5 Monate, der Älteste 11 Jahre. Wie wir das machen? Ich bin Vollzeitmutter mein Mann ist 100 % angestellt. Jedes Kind ist einzigartig, braucht im einen oder andern Bereich mehr oder weniger Aufmerksamkeit. Manchmal schafft man den Alltag besser manchmal schlechter, aber irgendwie geht es immer. Das wichtigste ist, eine grosse Portion Gelassenheit für die DInge, die nicht immer so laufen wie man es sich wünscht, und das Eingeständtniss, dass man alleine nicht alles perfekt machen kann.

  • M. Ansorg sagt:

    Wir haben in den letzten 31 Jahren 5 Kinder grossgezogen, die meiste Zeit als selbständig Erwerbende mit enormer Präsenzzeit im Job. Fazit: Es bleibt immer zuwenig Zeit, zuwenig für die Kinder, zuwenig für die Arbeit, zuwenig für den Haushalt, und zuwenig für sich selbst. Aber es gibt nichts schöneres, nichts besseres, nichts tolleres als die fünf. Man lernt gezwungenermassen Kompromisse einzugehen und „ds Füfi grad la dsi“. Und die Gefahr zu Helikoptereltern zu werden sinkt mit jedem weiteren Kind überproportional. Die Kinder sind früher selbständig und verfügen über hohe Sozialkompetenzen.

  • DontJustStandThereAndNodTamely sagt:

    Marathonläufer vs. Spaziergänger. Sich einzugestehen, dass man als Eltern evtl. in die Kategorie Spaziergänger fällt, aber für einige Jahre als Marathonläufer wirken muss, ist legitim und zeugt von gesunder Selbsteinschätzung. Es sprechen aber immer öfters Eltern (v.a. Frauen) mit uns, die mit der Vorstellung nicht klar kommen, dass sie nicht Super-Heroes sind, sondern Menschen mit Schwächen und Stärken. Haben Angst, von ihren Peers geächtet zu werden (v.a. weibliche), wenn sie sagen würden, sie verzichten auf Kind oder Karriere. Fatal, denn sie senden damit falsche Signale zurück. Ja, die einen schaffen es, 4 Kinder grosszuziehen und als (Liebes)Paar zu leben, andere eben nicht oder nur mit grosser Anstrengung. Aber es gibt Strategien, um trotz dieser Anstrengung, glücklich zu bleiben.

  • Dedicated servers sagt:

    So emotional beginnt der Beitrag von Landons Mutter Jillian auf der Internetseite der Non-Profit-Organisation „Fed is best-Foundation“. Jillian appelliert an Eltern weltweit, sie sollten sich nicht darauf verlassen, dass Babys wirklich satt werden von Muttermilch.

  • Holger Schaub sagt:

    Himmel, vor 70 Jahren waren Familien mit mehr als 5 Kindern noch völlig normal, ich kann dieses „Kinderhaben ist anstrengend“ nicht mehr hören. Es ist das Gejammer einer komplett verwöhnten Generation. Natürlich bedeutet Leben Arbeit. Klar, man kann dem Leben auch aus dem Weg gehen, aber wozu? Ist irgend jemand damit glücklicher? Erwiesenermaßen nicht. Dann hört auf zu Klagen, es muss niemand Hungern bei uns. Aber echt auch.

    • DontJustStandThereAndNodTamely sagt:

      Völlig normal war nichts. Man hat sich arrangiert und geschwiegen, auch wenn man unglücklich war. Jammern ist per se nicht verkehrt, sondern nur eine Form der Kommunikation. Wenn ich Sie aber korrekt verstehe, geht es vielmehr darum, „trotz Regen, keinen Schirm nutzen zu wollen, aber sich über die nassen Kleider zu beklagen und/oder dem Anderen die Schuld an allem zu geben“… Es existieren aber auch jene, die damit prahlen, dass sie ständig mit nassen Kleidern rumrennen können und nur sie Super-Helden seien, alles könnten und wüssten, wie die Welt funktioniere (Mütter wie Väter). Manchmal steckt dahinter leider nur ein zerbrechliches und unsicheres Wesen. Bemitleidenswert? Eigentlich nicht, oder?

  • Sabrina Steiner sagt:

    Alles hausgemacht. Zuerst überlegen und dann jammern.

  • bude sagt:

    Der Aufwand ist völlig unterschätzt, wir haben 3, einzige Lösung nach bisher krampfhafter Teilzeit-Arbeit beider Eltern ist nun die Kündigung meiner Frau. Fühlt sich einerseits wie eine Niederlage an, andererseits ist es einfach verdammt viel Arbeit.
    Die Wertschätzung der Gesellschaft erscheint uns sehr gering für den Aufwand den es heisst eine neue Generation grosszuziehen.
    Über Zwei-Kind-Familien können wir nur lächeln ;-).
    Was hat sich im Vergleich zu früher verändert? War es früher „leichter“? Ist das Leben so schnell geworden? Wollen wir zu viel? Hat man sich früher mehr geholfen? Warum empfinden beide Geschlechter ein Limit ihrer Leistungsfähigkeit?

    • Monika Diethelm sagt:

      Wir haben auch drei Kinder, und mein Mann hat immer voll als Hausarzt gearbeitet und ich 50% als Kinder- und Jugendpsychiaterin, jeweils mit ein paar Monaten Mutterschaftsurlaub. Mit drei Kindern ist eine Nanny meistens billiger als die Krippe, und auch flexibler. Natürlich war es auch streng, aber rückblickend gab das dritte Kind als Baby am wenigsten zu tun.

    • tina sagt:

      macht noch eins, und dann hätten wir das kind-eltern-verhältnis von alleinerziehenden mit 2 kindern 😉

  • Michael sagt:

    Wir waren repektive sind zwei – Brüder und ich bin meinen Eltern noch heute dafür dankbar, das ich einen Bruder habe. Damals (1953/4) kann man sicher nur schwer mit heute vergleichen. Es gab keine Pampers, Windeln wurden ohne Waschmaschine mit der Hand gewaschen. Dafür bestand aber auch keine Notwendigkeit, das die Frau arbeiten ging, weil der Verdienst des Mannes für den Unterhalt einer vierköpfigen Familie ausgereicht hat. Und so dicht wie wir aufeinander auf die Welt gekommen sind, machte ich als Zweitgeborener nicht so erneut den grossen Umstand. Mit 15/16 nabelten wir uns urlaubstechnisch von unserern Eltern ab und mit 18/19 hatten wir unsere erste WG. War eine tolle Zeit für uns alle. Als wir raus waren, kaufte sich Vattern wieder ein Motorrad und brauste mit Muttern los. Cool.

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