Familienbilder, die trösten
Nur gerade zehn Jahre alt war Kerstin Birkelands Sohn, als er an einem Hirntumor starb. Nach seinem Tod blieben der Familie zwar die Erinnerungen an ihn, doch ein gutes Familienfoto aus seinen letzten Lebensjahren fehlte. «Einmal ein inniges Foto von uns allen zu machen, ein wirklich schönes, auf dem alle scharf und mit offenen Augen drauf sind, das hatten wir in der stürmischen Zeit komplett vergessen», sagt Birkeland, «für dieses Bild würde ich heute alles geben!»
Dass sie mit ihrem Wunsch nach einem Erinnerungsfoto nicht alleine ist, hörte Birkeland immer wieder. «Ein Mami erzählte mir gar, dass sie nicht einmal ein wirklich gutes Foto ihres Kindes für die Trauerkarte habe.» Da sagte sich Birkeland, dass es doch möglich sein müsste, diesen Eltern schnell und unkompliziert einen Fotografen vorbeizuschicken, der noch schöne Bilder ihres geliebten Kindes macht. Also hat sie, damals selber gerade hochschwanger, kurzerhand nach Kinder- und Babyfotografen gegoogelt und noch in derselben Nacht rund 80 von ihnen angeschrieben, ob sie bei einem solchen Projekt dabei wären. Unentgeltlich, aus reiner Nächstenliebe. «Eigentlich war das eine total verrückte Idee», sagt sie heute, «schliesslich machen diese Leute sonst das genaue Gegenteil: Sie halten das pure Glück in ihren Bildern fest. Und nun sollten sie plötzlich sterbende oder tot geborene Kinder fotografieren.» Sie hatte nicht auf viele Reaktionen gehofft. Doch innert 24 Stunden habe sie mehr als 70 Antworten erhalten «und alle schrieben mir, dass sie mich gerne unterstützen wollen».
Fotoshooting auf der Intensivstation
Das ist jetzt viereinhalb Jahre her und Kerstin Birkelands Verein Herzensbilder, der Familien von schwerkranken, behinderten oder viel zu früh geborenen Kindern, aber auch Familien mit schwerkranken Eltern ein kostenloses Fotoshooting mit einem Profi-Fotografen schenkt, hat unterdessen mehr als 600-mal für ein kleines bisschen Glück inmitten immenser Trauer gesorgt. Und dabei Tabus gebrochen. Denn wer denkt schon an ein Fotoshooting, wenn er auf der Intensivstation am Bett seines schwer kranken Kindes sitzt? Wer greift zur Kamera, wenn sein Baby still geboren wird? Birkeland sagt denn auch, dass es für die Hebammen und Krankenschwestern anfangs nicht einfach war, das Thema anzusprechen. «Fotos zu machen, das gehört für die Menschen zu den Sonnenseiten des Lebens. Dass auch Fotos aus ganz schwierigen Momenten unendlich wichtig sein können, das ist für viele etwas ganz Neues», sagt sie. Da habe es gerade zu Beginn, als der Verein noch unbekannt war, sehr viel Einfühlungsvermögen des Fachpersonals gebraucht.
Aber auch die Fotografen waren und sind gefordert. «Manchmal sitzen die nach einem Shooting erst einmal eine Stunde lang im Auto, um sich wieder zu fassen nach dem gerade Erlebten», sagt Birkeland. Und trotzdem würden sie immer wieder mitmachen und diesen Familien ihre Zeit und ihr Können schenken. «Das ist so toll, dass sie nicht nur eine so grosse Hilfsbereitschaft, sondern auch diesen immensen Mut aufbringen», schwärmt Birkeland. Denn ganz viele Menschen könnten nicht mit dem Thema Tod umgehen. Das habe sie schmerzlich erfahren müssen, als die Leute auf Distanz gingen zu ihr und ihrer Familie, weil sie überfordert waren mit einem kahlköpfigen, schwer kranken Kind. «Wenn ich aber sehe, wie viele Menschen uns bei Herzensbilder unterstützen, denke ich wirklich, dass sich da allmählich etwas ändert in unserer Gesellschaft.»
Märchen und Albtraum zugleich
Die Herzensbilder-Geschichte sei ein wunderbares Märchen, sagt Birkeland immer wieder während des Gesprächs. Aber ist sie nicht auch ein ständig wiederkehrender Albtraum für sie selber? Sie, die ihr Kind verloren hat, wird ununterbrochen mit sterbenden oder schwer kranken Kindern und dem Leid anderer Familien konfrontiert. Wird einem das nicht irgendwann zu viel? «Doch, natürlich», sagt sie, «ich habe ein kaputtes Herz und bin traumatisiert, ich kann das nicht für immer machen.»
Nicht in dem Ausmass zumindest. Denn seit viereinhalb Jahren widmet sich die Mutter in jeder freien Minute dem Verein. Sieben Tage die Woche. Nimmt Anrufe entgegen während des Kochens oder des Einkaufens, damit sie betroffenen Eltern möglichst rasch helfen kann. Und das alles ehrenamtlich. Doch längst sei sie am Limit, gibt Birkeland zu. Per Anfang Jahr wurden deshalb drei Frauen zu je 25 Prozent im organisatorischen und administrativen Bereich angestellt, um für Herzensbilder zu arbeiten. Drei weitere Frauen entlasten sie bei der Organisation der Einsätze. Und man hat einen Spendenaufruf gestartet, damit Herzensbilder finanziert werden und somit weiterbestehen kann. Der Verein ist zu gross geworden, als dass man ihn noch ehrenamtlich führen könnte.
Birkeland ist optimistisch, dass das klappen wird – und froh, dass sie sich allmählich etwas zurückziehen kann. «Ich habe acht Jahre lang unsere Kinder betreut, die nacheinander schwer krank waren, habe dann unseren Sohn in den Tod begleitet und nachher Herzensbilder.ch ins Leben gerufen. Ich muss nach all den Jahren auch einmal Zeit haben für etwas Leichtes», sagt sie, «vielleicht einfach einmal einen Kaffee trinken gehen mit einer Freundin oder einen Holzschnitzkurs besuchen.» Einmal etwas ganz Gewöhnliches tun und ihrem kaputten Herzen eine kleine Verschnaufpause gönnen.
Wenn Sie Herzensbilder auch mit einer Spende unterstützen wollen, finden Sie auf der Website alle nötigen Informationen. Oder Sie klicken auf Facebook auf den Spende-Button.
15 Kommentare zu «Familienbilder, die trösten»
Im Nachhinein war es nicht so dramatisch, aber als ich meine Tochter mit den Schläuchen durch die Glasscheibe weinen sah, es hat mir fast das Herz gebrochen. Sie war erst sechs Monate alt. Ich habe viel Zeit mit auf der Station verbracht und wir hatten trotzdem viel gelacht. Aus dieser Zeit habe ich einige Selfies geschossen. Momente, die ich nicht vergessen möchte.
Wir hatten damals Herzensbilder und sind auch 2 Jahre später noch unendlich dankbar trotz Leben auf der Intensivstation wunderschöne, „normale“ Bilder von dieser Zeit zu haben! Danke an meine Engel und herzensbilder.ch
Ein unterstützenswertes Projekt. Ich habe meinen ersten Sohn in Zürich im Unispital totgeboren, und das Personal hat genau wie bei den lebend geborenen Kindern ein schönes Bild gemacht und uns das nachher mit einer kleinen Karte überreicht. Dieses Bild ist für uns sehr wertvoll, und ich kann nur an alle anderen Spitäler appelieren, dem Beispiel des USZ zu folgen.
Die Maternite (Triemli) hat das bei uns auch gemacht, sogar mehrere Fotos, ich habe sie digital und ausgedruckt bekommen. Sollte schon zum Standard gehören, das wäre schön.
Ein sehr schöner und vor allem wichtiger Beitrag. Es gibt noch viel zuviele Leute die denken, dass ein Kind zuwenig lange gelebt hat, um um dieses trauern zu dürfen, gerade bei Totgeburten oder wenn das Kind noch sehr jung war.
Ich habe zwei Mal ein Kind verloren, resp. tot geboren. Leider hat mir damals, das war vor 4 und 5 Jahren, niemand gesagt, dass es Herzensbilder gibt. Ich wäre sehr froh gewesen darüber. Denn heute habe ich nicht mehr als zwei Urnen mit der Asche darin 🙁
Umso mehr finde ich Herenzsbilder eine so tolle Sache! Ich konnte schon zwei Freundinnen damit helfen und ich hoffe, dass noch viele weitere Menschen damit ein kleiner Lichtblick in einer solch schweren Zeit gegeben werden kann.
Danke an Herzensbilder und alle, die sich dafür einsetzen!
@Sandy: Erstmal herzliche Anteilnahme.
Ja, „Herzensbilder“ ist eine wunderbare Sache, aber wahrscheinlich eher in Fällen, bei denen man etwas mehr Zeit hat als bei Totgeburten. Da ist man ja erst mal in Schockstarre und denkt kaum daran, jemand Fremden für Bilder kommen zu lassen (auch wenn da vielleicht auch noch emotionale Unterstützung kommen kann von Menschen, die vertraut sind mit solchen Situationen). Ich war auf jeden Fall froh, dass mich¨überhaupt jemand darauf hingewiesen hat zu fotografieren, auch wenn wir das selber machten.
Ja, es ist traurig, dass Sie keine greifbaren Bilder der Kinder haben, aber schön, wenn Sie jetzt mit Ihrer Erfahrung anderen helfen konnten.
Herzlichen Dank für den Bericht und das Vorstellen dieses unglaublichen Vereins. Immer wieder stolpere ich drüber und jedes Mal wird mir bewusst, was für ein Riesenglück es ist, gesunde Kinder im Arm halten zu dürfen. Das Leid der Menschen, dieses Glück nicht haben, nehmen, kann man nicht. Aber dafür sorgen, dass sie trotz dem Sturm, in dem sie gerade stecken, eine Erinnerung erhalten, ist sehr wertvoll. Schön zu wissen, dass es so viele gibt, die sich dafür engagieren. Macht weiter so.
Eine bewundernswerte Frau!!!
Spende jährlich gerne an herzensbilder.ch.
Auch für das betroffene, schwer kranke Kind sind solche Bilder wichtig. Unsere 2. Tochter kam mit einem schweren Herzfehler zur Welt, musste kurz nach der Geburt ein erstes Mal operiert werden und lag lange auf der Intensivstation. Es war keineswegs sicher, dass sie über lebt und so haben wir viele Bilder gemacht. Übrigens auch das Pflegepersonal, vor allem, wenn wir bei einem der seltenen Momente, in denen unser Kind die Augen öffnete, nicht da waren. Unsere Geschichte nahm zum Glück ein gutes Ende. Immer mal wieder kommt es aber vor, dass die Tochter die Bilder aus dieser Zeit sehen möchte. Ich bin überzeugt, dass diese Bilder für sie und ihr „Zurechtkommen“ mit ihrer Erkrankung sehr wichtig sind. Noch schöner ist es natürlich, wenn es denn professionelle Fotografenbilder sind.
das haben wir genauso erlebt.
wie habe ich mich über die polaroidbilder aus der intensivstation des kispi gefreut. wir haben in all diesem zeugs sicherlich nicht ans fotografieren gedacht.
wichtige bilder auch heute noch für unsere tochter und uns alle.
habe nicht gewusst, dass es diesen verein gibt.
Zum frühen Morgen die netten Gedanken: Schöne Idee, gut umgesetzt!
Viel Erfolg weiterhin
Ob solche Bilder wirklich „trösten“, weiss ich nicht, aber auf jeden Fall sind sie wichtig. Als ich damals den Befund bekam, dass meine zweite Tochter kurz vor dem Entbindungstermin verstorben war und ich vor der Geburt stand, legte mir eine Freundin nahe, Fotos zu machen. Sie arbeitete für die Stiftung Sternschnuppe und wusste um die Wichtigkeit solcher Bilder. Also fotografierten wir unser Baby gleich nach der Geburt, beim der Ankleidung durch die Hebamme, dann im Spitalbettchen mit der älteren Schwester daneben etc. Später auch, als sie im Sarg lag.
Ich dachte mir, ich mache diese Bilder jetzt einfach mal, ich kann sie ja immer noch löschen.
Heute sind die Bilder sehr wertvoll, sie das, was geblieben ist. Meine Tochter will die Fotos ihrer Schwester immer mal wieder anschauen.
Ein sehr berührender Bericht. Ich bekam grad Gänsehaut und Tränen.
Ein liebes Dankeschön an die Initiantin mit dieser einmalig schönen Idee und auch an all diejenigen, die sie dabei tatkräftig unterstützen.
Toll von der Mamablog-Redaktion, dass auch der Link zu ihrer Homepage steht und man sich so noch mehr informieren kann.
Überhaupt eine sehr eindrücklich gestaltete Homepage.
Da spürt man das grosse Engagement aus jeder Zeile heraus, ebenso die Liebe und das Verständnis in den gewählten Umschreibungen der Betroffenen und Mitwirkenden sowie sieht man die Hingabe auch in den ausdruckstarken Bildern. Grosses Kompliment!
Danke für diesen Bericht aus dem Leben
der das Schwere mit viel Mutmachendem&Schönem verbindet!
70 unterstützende Antworten innerhalb von 24h,
engagierte und mitfühlende Menschen
die nicht nur die zweite Meile mitgehen sondern noch viel mehr.
Ein herzlichstes Danke allen, die diese Arbeit tragen!